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Ausgabe:

1927 Nr. 22

Spalte:

524

Autor/Hrsg.:

Döring-Hirsch, E.

Titel/Untertitel:

Tod und Jenseits im Spätmittelalter. Zugleich ein Beitrag z. Kulturgeschichte d. deutschen Bürgertums 1927

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 22.

524

weist selbst S. 227 f. auf ähnliche Vorkommnisse in
etwas späterer Zeit.

Vielleicht darf man bei dieser Gelegenheit auch noch an andere
Dinge erinnern. Es ist bekannt, wie stark der alttestamentliche Weissagungsbeweis
auf die Darstellung der Leidensgeschichte in den Evangelien
eingewirkt hat: sie mußte eben so verlaufen sein, wie man
es in den Weissagungen fand. Die ,,Mariologie" der katholischen Dog-
matik isl so gut wie aus dem Nichts und der Wirklichkeit zum Trotz
geschaffen. Irenaus glaubt noch an die Unfehlbarkeit der Bischöfe,
kurz bevor dieser Glaube an den harten Tatsachen zerschellte. In den
Tract. de libr. ss. Script. II (S. 16 Batiffol-Wilmqrt) wird die Frage,
woran die Apostel den Moses und den Elias bei der Verklärung des
Herrn erkannt hätten, dahin beantwortet, daß jener die Gesetzestafeln
, dieser seinen himmlischen Kraftwagen bei sich gehabt habe,
und der Verf. ist auch überzeugt, daß die beiden auch die Begleiter
des Herrn gewesen seien, als er Abraham bei der Eiche Mambre
besuchte. Gerudentius von Brescia bringt es fertig, vom ungläubigen
Thomas trotz Joh. 20, 25. 27. 20 zu sagen, sein Verlangen sei
„ardentio desiderii, non inc|/red ulitatis" gewesen: erat enim valde
anxius, ne non et oculis frueretur eo, quod corde credebat (Sermo
XVII. Mi PL 20, 961 B). Zeno von Verona erklärt (Tr. 1,7,4.
Mi PL 11, 386 A), von dem Worte des Herrn über seine Todesangst
(Mt. 26, 38) schlankweg: quod dictum non tarn timentis quam
excultantis (!) et docentis est. lrenäus weiß, daß Adam an einem
Freitage starb — weil dies bei dem „rekapitulierenden" Herrn der
Fall war (adv. haer. V, 23, 2. I, 780 Stieren). Ähnlich schließt Ter-
tullian (de monog. 8. I, 773 Oehler) aus der Monogamiepflicht des
Klerus auf eine nur einmalige Ehe Petri. Gewiß liegen diese hier
rasch herausgegriffenen Dinge und Stellen auf einem andern Gebiete,
aber sie beleuchten die geistige Verfassung jener Zeit, die Vorherrschaft
und Erfindungskraft dogmatischen Denkens, den Stand des
geschichtlichen Wahrheitssinns und auch der Wahrhaftigkeit, und die
bescheidenen Anforderungen, die man an einen „Beweis" stellte.
Man wird darum Mißtrauen und Vorsicht nicht leicht übertreiben
können.

Was das Klemenszeugnis betrifft, so gibt L. S. 231
zu, daß A. Bauers Erklärung von sv fjfitv, wonach die
vorhergehenden Fälle (Petrus und Paulus) sich nicht
in Rom zugetragen hätten, sprachlich möglich sei und
an 55,1 eine gute Parallele habe, daß sie aber doch
nicht dem Zusammenhang gerecht werde. Auffallend
bleibt aber doch immer, wie „erbärmlich . wenig" —
um ein Wort L.s aus anderm Zusammenhang (S.191)
zu gebrauchen — der Briefschreiber von dem etwa
30 Jahre vorher heimgegangenen Petrus zu sagen weiß,
weil er hier nicht, wie bei Paulus, Briefe ausbeuten kann,
und wie er dieses sein Nichtwissen durch eine nichtssagende
Redewendung („nicht eine oder zwei, sondern
viele Fährlichkeiten") verbergen muß. Diese Erwägungen
möchten nur die Kehrseite der Münze zeigen, nicht
im Sinne einer Bestreitung der Gräber oder gar des
Todes Petri und Pauli in Rom verstanden sein. Es bleiben
dafür ja immer noch nicht zu verachtende Gründe,
es bleiben aber freilich auch die Zweifel. L. selbst bemerkt
im Vorwort S. IV: „Wenn man von der bis in alle
Kleinigkeiten präzisen Aufnahme von S. Sebastian herkommt
und an die kärglichen Berichte des 17. und des
19. Jahrhunderts über den archäologischen Befund der
Ausgrabungen in der Peters- und der Paulskirche herantritt
, so verliert man fast den Mut, auf solchem Grunde
zu bauen. Wenn ich es doch wieder gewagt habe, so
doch nur, weil ich nichts Besseres hatte." Er betont ferner
„die zwingende Notwendigkeit, nun auch in den
beiden Apostelbasiliken unter Anwendung
aller modernen Methoden zu graben,
damit endlich auch hier an die Stelle der Diskussion
aller Berichte die Feststellung eines klar zu Tage liegenden
Befundes treten kann." „Was einst eine Unmöglichkeit
schien, darf unter dem Pontifikat eines Mannes
der Wissenschaft auf Verwirklichung hoffen." Qui vivra,
verra.

Noch eine Frage. Wenn sich Petrus, was doch nicht unmöglich
ist, unter den „Fackeln des Nero" befand, von denen Tacitus erzählt,
wie könnten nachher seine Gebeine aus den verkohlten Leichen und
Knochen herausgelesen und festgestellt werden, auch wenn die
Christen die äußere Möglichkeit dazu hatten? Der Traktator de
libr. ss. Script, (siehe oben) würde einfach sagen: es werden die
Himmelsschlüssel dabei gelegen sein, ein Ausweg, der uns „Rationalisten
" versperrt ist. — Mein verstorbener Lehrer v. Funk erzählte
mir, daß einer seiner früheren Kirchengeschichtsrepetenten, der spätere

Geschichtsschreiber fürstlichen Hauses Waldhurg, Dr. Vochejrer, die

I Beweiskraft aller für den römischen Aufenthalt Petri angeführten
Stellen rundweg bestritten habe, obwohl er natürlich die Tatsache
selbst als guter Katholik nicht leugnen wollte. — S. 99 heißt es:
„Den stadtrömischen Charakter des Festes [Petri Stuhlfeier] vergaß
man naturgemäß [in den gallischen und spanischen Kirchen] und
feierte es, wie die Meßgebete zeigen, allgemein als Gedächtnis der
Übergabe der Schlüsselgewalt an Petrus". Das scheint mir mit
S. 4 nicht recht zu stimmen, wonach das Fest von Anfang an sich
auf Mt. 16, 18 f. bezog. — In der Internat, kirchl. Ztschr. 1920,
S. 234 f. kam ich aufgrund der cyprianischen Briefe zur Ansicht, daß

i Papst Fabian nicht als Märtyrer gestorben ist, während Pio Franchi
de Cavalieri gleichzeitig (Stud. e Testi 33, 1920, S. 181) sein
Martyrium noch als „notissimo" bezeichnete. Nun zeigt aber gerade

j der römische Meßkanon noch in seiner heutigen Gestalt, daß er ur-

j sprünglich nicht als Märtyrer betrachtet wurde (S. 83 ff.). Den Namen
des Cornelius hält L. (S. 91 A. 2) im Kanon für ursprünglich, und

| er beruft sich für seine Verehrung als Märtyrer im 4. Jahrhundert auf
seine Grabschrift, wenn diese nicht noch älter sei. Allein wie
Wilpert (Die Papstgräber S. 32 ff.) gezeigt hat, stand auf der
Marmorplatte ursprünglich nur „Cornelius ep„" und die Märtyrerbezeichnung
wurde, wie bei Fabian und Pontian, erst später hinzu-

! gefügt (siehe auch Kirsch in der Rom. Quartalschr. 1923, S. 76 ff.).
Übrigens hat die Legende bei Cornelius ein regelrechtes Verhör vor

t Kaiser Decius mit Marter und folgender Enthauptung wohl nicht „frei
erfunden" (S. 180), sondern irrtümlich aus Cypr. ep. 55, 9 heraus-

i gelesen (vgl. auch ep. 61, 3). — Wegen der iponaia bei Gaius vgl.
zu S. 209 A. 1 außer Cypr. ad Dem. 26 auch die lehrreichen Stellen
ep. 54, 1 (621, 14) und ad Fort. 13 (346, 18): die tropaen werden
aus dem proelium des Martyriums „zurückgebracht" entweder in die
Kirche oder (bei vollendetem Martyrium) ins Paradies; sie haften also
nicht an der Martyriumsstätte, sondern eher an der Ruhestätte. — Zu

i der aus einem Mißverständnis der Damasusinschrift entsprungenen
Legende von einer versuchten Entführung der Apostelreliquien (S.
171 ff.) findet sich ein Gegenstück in der Papstgeschichte: durch ein
Mißverständnis des ersten Distichons der Grabschrift auf Silvester II
entstand die Sage vom Rasseln seiner Gebeine, wenn ein Papst zum
Sterben komme (Gregorovius, Die Grabdenkmäler der Päpste3

| 1911, S. 20).

München. Hugo Koch.
-_-

Döring-Hirsch, F.. Tod und Jenseits im Spätmittelalter.

Zugleich ein Beitrat; zur Kulturgesch. d. deutschen Bürgertums.
Berlin: K. Curtius, 1927. (XV, 115 S.) 8°. = Studien z. Geschichte
d. Wirtschaft u. Geistcskultur, Bd. 2. Rm. 5—; geb. 7—.

Der Verf. untersucht erst die seelische Disposition
in dem deutschen Bürgertum für die Vorstellungen von
Tod und Jenseits in dem ausgehenden Mittelalter und
analysiert in den folgenden 5 Kapiteln die Ausdrucks-
| formen des Problems in ihrer Art und ihrer Bedeutung,
j indem er Kirchenlehre und Kultus, Predigt, Seelsorge,
geistliches Lied, die Totentänze und verwandte Kunst
und Literatur, Wunderbericht, Sage, Legende, endlich
den Humanismus befragt. Es ist ein reiches Material,
das er gut geordnet und durchdacht vor uns ausbreitet.
Aus dem Einzelnen weiß er das Allgemeine zu gewinnen
und ein lebendiges Bild von der Mannigfaltigkeit der
Strömungen und auch ihrer Zwiespältigkeit zu geben,
j Eben deswegen ist das Kapitel über den Humanismus
I bedeutend, weil es uns sehr deutlich die Loslösung von
I der Kirchlichkeit erkennen läßt. Es ist nur natürlich,
daß zunächst die kirchlichen Vorstellungen im Vordergrund
stehn, und es ist lehrreich und besonders verdienstlich
, gezeigt zu haben, wie viele einzelne Züge auf hohes
Altertum zurückgehen, wie vieles auch auf nicht christliche
Wurzeln zurückzuführen ist. Daneben macht sich
aber auch in den kirchlichen Kreisen und zwar hervorgerufen
durch die Einwirkung der Mystik eine Gegensätzlichkeit
gegen kirchliche Anschauungen bemerkbar, wie
sie besonders in den Totentänzen erkennbar ist. Der
Verfasser hütet sich, all dies als Vorbereitung für die
Reformation anzusehen, den Grundgedanken der mittelalterlichen
Kirche, den asketischen, hat er durchaus richtig
charakterisiert und von ihrer negativen Stellung zur
Welt auch ihre Gedanken über den Tod und das Jenseits
richtig abgeleitet und darauf hingewiesen, daß mit
einer positiven Stellung zur Welt sich auch diese ändern
mußten. Die Arbeit ist ein wertvoller Beitrag zur Kenntnis
des ausgehenden Mittelalters.

Kiel. G. Ficker.