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Ausgabe:

1927 Nr. 22

Spalte:

512-513

Autor/Hrsg.:

Jostes, Franz

Titel/Untertitel:

Sonnenwende. Forschungen zur germanischen Religions- und Sagengeschichte. 1. Bd.: Die Religion der Keltogermanen 1927

Rezensent:

Clemen, Carl

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 22.

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eine Fülle von Parallelen, daß die apk. und die man-
däische Mythologie und Terminologie, Eschatologie und
Paränese ihren Ursprung in der gleichen religionsgeschichtlichen
Situation haben. Von daher wird manche
Aussage der apk. deutlicher und löst sich manches Rätsel
(so ist Harmaggedon 16,16 der Berg Karmel, der
bei den Mandäern als der Verschwörungsort der Bösen
gilt). Ein wesentlicher Punkt aber bleibt mir fraglich.
Der Verf. leugnet, daß die dämonischen Mächte, die
den Kampf gegen die Gläubigen führen, für den Apo-
kalyptiker in konkreten geschichtlichen Gewalten verkörpert
seien, daß Babel, die große Hure, Rom bedeute
, daß das Tier aus dem Abgrund das römische
Kaisertum sei und die einzelnen Häupter einzelne Kaiser
; er leugnet jede Beziehung auf Nero und will, v. d.
Bergh v. Eysinga folgend, die Zahl 666 nicht durch
Gematria und Isopsephe erklären, sondern faßt sie als
Dreieckszahl, deren geheimer Sinn die dämonische Macht
der oydaäg sei, wie ja ausdrücklich 17,11 das it-rjoiov
als der oydoog bezeichnet werde. Die „Sieben" und die
„Zehn" sind die Dämonen der Planeten und der Tierkreisbilder
. Das Tier selbst oder die Hure ist die dämonische
Herrin der Welt, die Ruha der Mandäer, „Frau
Welt". Ich gestehe, daß mir alle diese Erklärungen
großen Eindruck machen, und bin unsicher geworden,
ob man die Deutung auf Rom und seine Kaiser, speziell
auf Nero, festhalten darf. Aber überzeugt bin ich
andrerseits nicht. Zwar daß das Tier oder die Hure,
daß die Sieben die gleichen Gestalten wie jene mandä-
ischen sind, erscheint mir sicher. Weniger sicher bin ich
schon bei den „Zehn", die eigentlich „Zwölf" sein
müßten, und für die der Apokalyptiker vielleicht gar
keine andere Tradition hatte als Dan. 7. Wenn ich auch
daran verzweifle, die 7 Häupter auf 7 römische Kaiser
zu deuten und die Zahl 666 zu enträtseln, so ist mit
alledem noch nicht gesagt, daß sich für den Apokalyptiker
nicht die dämonischen Gewalten in Rom verkörpert
haben könnten.

Weisen nicht die 7 Berge 17, 11 doch auf Rom? Wird nicht
durch die Sibyllinen und die rabbinischen Aussagen (vgl. jetzt Strack-
Billerbeck III) bezeugt, daß die Bezeichnung Roms als Babel traditionell
war? und sind nicht ebenso im Judentum die ägyptischen
Plagen typologisch als endzeitliche Ereignisse verstanden worden, und
zwar eben als Plagen, die Rom treffen sollen? Ferner muß der
Apokalyptiker das zweite Tier in c. 13 als bestimmte geschichtliche
Größe gemeint haben. Wenn ihm auch mythische Züge nicht fehlen,
so ist es doch im Grunde unmythologisch geschildert als eine für die
Gläubigen aktuelle Macht der Verführung; es muß eine konkrete
Größe sein, die die Menschen zur Anbetung der „Welt" verführt.
Kann es etwas anderes sein als der heidnische Kult in seinen konkreten
Formen, der Götzendienst überhaupt (wenn die Beziehung
auf den Kaiserkult auch zu eng sein mag)?

Auf alle Fälle aber darf man, auch wenn man die
zeitgeschichtlichen Beziehungen auf ein Minimum reduziert
oder ganz leugnet, doch nicht die zeitgeschichtliche
Aktualität der Apokalypse
verkürzen. Die Nachstellungen des Tieres — mag dieses
selbst auch nur als dämonische Macht der „Welt" gedacht
sein, bedeuten doch etwas Aktuelles, Konkretes.
Treu bleiben, bedeutet jetzt in einer bestimmten geschichtlichen
Situation, auf das Martyrium gefaßt sein.
Es scheint mir fraglos, daß die apk. Martyrien kennt,
die dahinten liegen (6,9—11; 12,11; 16, 6; 17,6; 18,
24; 19,2), und daß sie einer Zeit der Martyrien entgegensieht
(6,11; 7,9—14; 12,17; 13,15; .20,4). Die
Auffassung des Verf.s ist mir nicht klar geworden. In
6,9—11 bemerkt er, daß es gleichsam (!) Forderung
des Stiles gewesen sei, von Martyrien zu sprechen, und
doch versteht er den „Dürstenden" (21,6) als den Noch-
nicht-Märtyrer, dessen Glauben sich im Tode vollenden
soll, wie er das eQxiod-io 22, 17 als Mahnung, in den
Märtyrertod zu gehen, auffaßt. Wiederum meint er,
Märtyrer sein, heiße nicht nur durch Verfolgungen bewährt
sein, sondern auch Prophet sein (S. 198). Und
nicht wegen der Verfolgungen, die etwa in jüngster Vergangenheit
und Gegenwart vorgekommen sein mögen

I und noch drohen, werde Babel als trunken vom Blute
der Heiligen bezeichnet (18,24); vielmehr sei das eine

i Aussage von glaubensmäßiger Notwendigkeit (S. 190);

j nur in einem Falle sei es zu einem blutigen Opfer
gekommen (2, 13), und die Verbannung des Sehers nach

! Patmos sei eine Art Schutzhaft gewesen. Kurz, mit der

| extremen Reduktion der zeitgeschichtlichen Deutung

I scheint mir auch die zeitgeschichtliche Aktualität der
apk. verkürzt worden zu sein.

Eine besondere Überraschung bereitet der Verf. dem

1 Leser endlich dadurch, daß erapk. undjoh. demselben
Autor zuschreiben möchte. Nun scheint
mir zwar richtig, daß apk. und Joh. aus den gleichen
religionsgeschichtlichen Voraussetzungen, nämlich aus

I der jüdischen Gnosis, verstanden werden müssen, aber
an eine Identität des Eschatologen und des Theologen
glaube ich nicht. Diese These des Verf.s scheint mir nur
durch seine Mißdeutung der Eschatologie der apk. ermöglicht
worden zu sein.

Zum Einzelnen noch folgende Hinweise: 1, 10 zu eyer. t'rf
■nvevu. vgl. E. Moering,' Theol. Stud. u. Krit. 92 (1991), 148—154;
Zur Stimme von hinten vgl. Ez 3, 12; 4. Esr 9, 38; Heidnisches bei
Wetstein. — Zu 1, 17 vgl. L. Köhler, Schweizer Theo!. Ztschr. 1919,
1—6. — Zu 2, 17 Bousset, Theol. Rundsch. 1915, 28. — Zu 4, 8

i Bousset, Nachr. d. K. Ges. d. Wiss. z. Gött. 1915, 435 ff. — Zu 6, 8
L. Köhler, die Offenb. d. Joh. 1924 S. 67. — Zu 7, 2 sollte Heit-
müller, acptjayig (Neutest. Studien f. Heinrici 1914, 40—59) erwähnt
sein. — Zu 8, 1: die ozyjj ist doch wohl das Schweigen der Urzeit,
in das die Welt am Ende wieder verfällt; vgl. 4. Esr 7, 30; syr
Bar 3, 7; also ein angemessener Inhalt des 7. Siegels. Es dürfte ein
Zusammenhang mit der Bedeutung der aiyrj in der Gnosis (vgl. K.
Müller, Nachr. d. K. Ges d. Wiss. z. Gött. 1920, 216 f.) bestehen.

j — Zu 12, 5: das Motiv von der Entrüdkung des Götterkindes steckt
Sib. III 138f. in griechischer Variante. — 13, 5 zu noifimci Schlatter,
Sprache und Heim. d. 4. Evg. 65, 1. — Im Exkurs S. 142 Nr. 2 sollte
bes. auf Ginza S. 128 f. und Od. Sal. 38 hingewiesen sein. — Zu

I c. 18 H. Jahnow, Das hebr. Leichenlied 1923, 219f. — Zu 20, 5:
fligos i'xei>' VS'- Dalman, Worte Jesu 103 f. — S. 167 Z. 4 v. u.
sollte es statt (Philo) de mon. etc. heißen: de spec. leg. 1 87. — Zu
20,12 sollte erwähnt sein Dieterich, Nekyia 126, 1; Sattler ZNW 1922,
43—53. — Zu 21, 1 Radermacher, Das Jenseits im Mythos der

j Hellenen (so ist der Titel übrigens auch S. 76, Z. 1 v. o. zu drucken!)

I 75. — Zu 22, 2 vgl. Ginza 452, 2 ff. — Außerdem ist jetzt außer
auf Strack-Billerbeck III mehrfach auf E. Peterson, B?c 6>eoc hinzuweisen
. Leider sind Druckfehler in Stellenangaben nicht selten. Ich
zähle die wichtigeren von denen, die ich richtigstellen konnte auf, wo-

I bei die Zeilenzahl immer nur die Erklärung, nicht die Übersetzung
berücksichtigt. S. 24, 6 v. u.: Ps. 78, 24; S. 45, 20 v. o.: Ps. 147, 4;
S. 141, 26 v. u.: Dt 10, 17; S. 149, 1 v. o.: Jr 51, 48; S. 165, 9 v.u.:
Dalman, Worte Jesu 102f.; S. 177, 15 v. o. Ps 100, 7.

Die Übersetzung ist auch gesondert (mit einigen Abweichungen
von der im Kommentar gebotenen Übersetzung) erschienen samt einem
Nachwort, das in die Gesamtanschauung des Verf. s gut einführt. Die

I Übersetzung ist hier nach Zeilen und Strophen abgesetzt; sie ist oft

| sehr eindrucksvoll, mitunter aber künstlich, wo sie einen prosaischen

: Text mit Macht poetisch erscheinen lassen will.

Marburg. R. Bultmann.

Jostes, Univ.-Prof. Franz f: Sonnenwende. Forschungen zur

germanischen Religions- und Sagengeschichte. I. Bd.: Die Religion

der Keltogermanen. Mit 26 Abb. Münster: Aschendorff 1926.

(VII, 238 S.) 40. Rm. 8—.

Die germanische Religion ist neuerdings auch von
j andern schon zum Teil auf orientalische Einflüsse zu-
| rückgeführt werden; so zunächst von N e c k e 1 in seinen
j beiden Büchern: Die Überlieferungen vom Gotte Balder
I 1920 und Altgermanische Kultur 1925, sowie seinem
Beitrag zu Tubeuf, Monographie der Mistel 1923, dann
von Schütte in seinem Dänischen Heidentum 1923
und endlich von R. F. Schröder in seinem Buch:
Germanentum und Hellenismus 1924 und seinem Artikel
: Schichten in der germanischen Religion, erschienen
in den Blättern zur bayrischen Volkskunde
1925. Der verstorbene Germanist an der Universität
Münster, Jostes hat, soweit aus seinem Buch zu
erkennen ist, von diesen Arbeiten keine Notiz genommen,
ist aber von sich aus zu ähnlichen Anschauungen nicht
nur für die gesamte germanische, sondern auch die
keltische Religion gekommen, Anschauungen, die sich
in folgender Weise kurz zusammenfassen lassen.