Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1927 Nr. 21

Spalte:

489-491

Autor/Hrsg.:

Rahlfs, Alfred

Titel/Untertitel:

Septuaginta. Societatis Scientiarum Gottingensis auctoritate. I: Genesis 1927

Rezensent:

Herrmannn, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

489

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 21.

4! 10

Rahlfs, Alfred: Septuaginta. Societatis Scientiarum Gottingensis
auctoritate. I: Genesis. Stuttgart: Privilegierte Württemb. Bibelanstalt
1926. (II, 202 S.) gr. 8°. Rm. 3.50.

Das Erscheinen dieses Buches ist ein Ereignis.
Der Kreis derer, die es ermessen und sich gebührend
daran freuen können, ist zwar naturgemäß nicht allzu
groß und leider wohl lange nicht so groß, als er sein
könnte. Um so entschiedener sei es gesagt, daß es sich
um ein Werk handelt, das für die Bibelwissenschaft von
nicht zu überschätzender Bedeutung ist, und daß eine
Publikation wie diese zu den deutschen Arbeiten gehört
, die geeignet sind, der deutschen Geisteswissenschaft
und damit dem deutschen Namen in aller Welt
Ehre zu machen.

Seit 1908 besteht das deutsche Septuaginta-Unter-
nehmen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen
. Seine „Mitteilungen" brachten in drei umfangreichen
Bänden von 1909—1922 eine ganze Reihe von
wichtigen Arbeiten, Vorarbeiten zu der künftigen Sep-
tuagintaausgabe, die das Ziel des Unternehmens sein
mußte. Aber wann würde es zu der neuen Ausgabe
selbst kommen? Stand sie überhaupt in absehbarer Zeit
zu erwarten? Aus den „Mitteilungen" war das nicht zu
ersehen, und man konnte sich denken, mit welchen
Schwierigkeiten das Unternehmen in der Nachkriegszeit
zu kämpfen haben mußte. Da wird es wohl von großer
Wichtigkeit gewesen sein, daß sich in der prachtvoll organisierten
Württembergischen Bibelanstalt ein Verlag
fand, der wie kein andrer geeignet und fähig ist, die
neue Septuaginta herzustellen und zu vertreiben und sie
zu einem Preise zu liefern, zu dem sie niemand sonst
würde liefern können. So erschien denn 1922 das Buch
Ruth als verheißungsvolle „Probe einer kritischen Handausgabe
der Septuaginta, herausgegeben von A. Rahlfs".
Und nach vier Jahren ist nun der erste Teil der auf 16
Teile berechneten Ausgabe selbst erschienen, die Genesis
. Er enthält den mit einer vorzüglichen Type gedruckten
Text (nebst dem Apparat) und umfängliche
Prolegomena, die bei diesem ersten Heft in größerem
Ausmaße nötig waren. Mit der Stiftung der griechischen
Lettern hat der Fabrikant L. Schoeller in Düren ein
sehr erfreuliches, nachahmenswertes Beispiel gegeben.

In den Prolegomena gibt Alfred Rahlfs erstens
eine ganz knapp zusammengefaßte Geschichte des
Septuagintatextes, von musterhafter Klarheit und
Anschaulichkeit; auch für den Fachmann ist es von
großem Interesse zu lesen, was ein Mann wie Rahlfs zu
dem Gegenstande zu sagen hat, wenn es sich um eine
kurze Darstellung des Wesentlichen handelt (am wichtigsten
sind hier die Bemerkungen zur Eigenart der
Hexapla). Der zweite, größere Teil der Prolegomena
betrifft den Text der Genesis. Hier gibt § 1 über
die Textzeugen Auskunft. In diesem Paragraphen
sind von besonderem Interesse die Mitteilungen über
eine noch unedierte Handschrift (Berlin, Staatsbibliothek
, Graec. Fol. 66 I. II), die älter ist als alle
bisher bekannten S eptuagintahandschrif-
ten. Es ist ein Papyrusbuch, das Carl Schmidt 1906 in
Achmim gekauft hat, vom Ende des III. Jahrhunderts
. Professor Sanders (der Herausgeber der
Freermanuskripte), dem Carl Schmidt die Herausgabe
überlassen hat, hat Rahlfs eine Photographie der Handschrift
zur Verfügung gestellt, nach der er sie kollationieren
konnte. Das Papyrusbuch enthielt auf 61 beschriebenen
Seiten Gen. 1—35, 8 a mit der Unterschrift
ytveoiQ xoo/iov (wonach die Handschrift hier aufhörte,
jedenfalls weil das Buch zu Ende war, das aus lauter zu
einem Heft ineinandergelegten Blättern besteht, die mit
einem einzigen Faden zusammengeheftet waren). Erhalten
sind verschieden große Bruchstücke von allen
Seiten mit Ausnahme der ersten. Rahlfs veranschaulicht
die Eigentümlichkeiten der Handschrift durch zahlreiche
Beispiele. — In § 2 und 3 werden die Rezensionen des
Origenes und des Lukian behandelt, in § 5 die
Einzelhandschriften. Von besonderem Interesse

ist wieder § 4. Rahlfs hat schon früher (zum Buche
Ruth) gezeigt, daß es außer den drei von Hieronymus
genannten Rezensionen des Origenes, Lukian und Hesy-
chius noch andre Textformen gegeben hat. Diese
anderen Gruppen behandelt er hier, soweit sie für die
i Genesis in Betracht kommen. In diesem Zusammenhange
weist Rahlfs sehr bedeutsam auf das starke
1 Durche i n andergehen der verschiedenen
Textformen in den einzelnen Handschriften
hin. „Man hat früher gelegentlich vorausgesetzt, daß
i eine Handschrift, die in einem Buche eine bestimmte
Textform hat, dieselbe auch in anderen Büchern haben
1 werde, und so ist z. B. Lagarde zu seiner Konstruktion
eines Lukiantextes gekommen, der im Oktateuch bis auf
die letzten Verse des Buches Ruth gar nichts mit Lukian
zu tun hat. Solche Voraussetzungen sind unzulässig.
Sogar in demselben Buche wechselt gelegentlich
die Textform in derselben
H a n d s c h r i f t z. B. in 54 (g bei Brooke-Mac Lean) in

| der Genesis." In dieser Handschrift fällt der Wechsel
der Textform mit dem Wechsel des Schreibers zusammen
, wie noch deutlich zu sehen ist. In anderen
Fällen aber kann dieser Wechsel des Schreibers schon
im verloren gegangenen Archetypus eingetreten und in
der vorliegenden Abschrift nicht mehr äußerlich erkennbar
sein. (So liegt es z. B. bei 82 in den Königsbüchern,
wo Rahlfs schon früher aus dem fortwährenden Wechsel
der Textformen sogar die Lagenbildung des Archetypus
dieser Handschrift berechnet hat!) Aber auch derselbe
Schreiber kann verschiedene Textformen abgeschrieben
haben. „So kann man besonders bei umfangreichen
Handschriften niemals erwarten, daß sie überall dieselbe
Textform bieten. In jedem Buche muß man jede

i einzelne Handschrift neu auf ihre Text-

I form untersuchen und darf nur die deut-

' lieh zusammengehörigen Handschriften
zu Gruppen zusammenfassen."

In § 6 charakterisiert Rahlfs nunmehr den Text
seiner neuen Ausgabe. Der entscheidende Fortschritt
über alle bisherigen Ausgaben liegt darin, daß
Rahlfs in der Herstellung des Textes nicht einer
einzelnen Handschrift gefolgt ist, sondern
jedesmal diejenige Lesart aufgenommen hat, die ihm

I nach dem Gesamtstande der handschriftlichen Überlieferung
und über Vergleichung des hebräischen Textes als

; die beste erschien. Nachdem Rahlfs die hauptsächlichsten
Gesichtspunkte dargelegt und durch Beispiele be-

j gründet hat, die ihm für die Textgestaltung maßgebend
gewesen sind, fährt er fort: „Der nach diesen Gesichts-

I punkten hergestellte LXX-Text erhebt den Anspruch,

I wesentlich besser zu sein als der Text der bisherigen

( Ausgaben". Dieser Anspruch ist berechtigt, und es ist
der wohlverdiente Ertrag unendlicher mühsamer Gelehrtenarbeit
, daß Rahlfs das selbst formulieren und dabei
gewiß sein darf, der Zustimmung der Sachkundigsten
sicher zu sein. Übrigens steht hinter dem Satze
nichts weniger als ein falsches Zutrauen zu dem Er-

I reichten, denn Rahlfs fährt sogleich fort: „Daß er überall
das Ursprüngliche biete, kann und soll nicht behauptet
werden. Es bleiben genug Fälle, jvo wir mit unsern
bisherigen Hilfsmitteln keine sichere Entschei-
dung zwischen den zur Wahl stehenden Lesarten treffen

i können, und wo nichts anderes übrig blieb, als die von
den meisten oder den ältesten Handschriften gebotene

l Lesart in den Text aufzunehmen." Es folgen noch die
Regeln, die für die Formenlehre und Orthographie, die
Interpunktion und die Abgrenzung und Zählung der
Kapitel und Verse maßgebend waren, und die Einfüh-

j rung in die Einrichtung des textkritischen Apparates.
Daß der stattliche Band von 202 Seiten Großoktav

| auf gutem Papier in wundervollem Druck solid in Halbleinen
gebunden mit 3,50 Reichsmark verkauft wird, ist
eine Leistung, die hoffentlich soviel dankbare Käufer
heranzieht, daß ein solcher Preis weiter festgehalten

l werden kann.