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Ausgabe:

1927 Nr. 20

Spalte:

474-477

Autor/Hrsg.:

Adler, Felix

Titel/Untertitel:

Ethische Lebensphilosophie, dargestellt in ihren Hauptlinien 1927

Rezensent:

Rolffs, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 20.

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der Evangelisation, ihrem Wesen und ihren Wegen gewidmet
(S. 197—269). Sie gibt eine gute Darstellung
der Auffassung, wie sie in der deutschen Volksmission
im Laufe des letzten Jahrzehntes sich durchgesetzt hat.
Besonders betont ist der Zusammenhang zwischen Evangelisation
und lebendiger Gemeinde, darüber hinaus ihr
unlöslicher Zusammenhang mit der ganzen Lebenshaltung
einer Kirche der Gott gehorsamen Tat. Die beiden
Untersuchungen über Apologetik und Evangelisation
werden veranschaulicht durch einen Anhang (S. 295
bis 344), der 4 ausgeführte Evangelisationsvorträge aus
der Praxis des Verfassers und eine Reihe von Programmen
für Weltanschauungswochen und Arbeitsgemeinschaften
bietet.

Vorangeschickt ist eine Untersuchung über
die Kirche und ihre Verkündigung, die den folgenden
Untersuchungen den systematischen Unterbau geben soll.
Dieser Teil rechtfertigt am stärksten den Untertitel des
Buches „vom Ringen um eine neue Verkündigung".
Gründliche Verarbeitung theologischer Gedankengänge,
unter denen besonders solche von Martin Kähler und
Friedrich Brunstäd durchleuchten, leidenschaftliches Erfassen
der Gegenwartskämpfe der Kirche, Ringen um
eigenes Denken und Gestalten haben hier noch keineswegs
zu einem abgeklärten Ergebnis geführt, ziehen
aber den Leser in Auseinandersetzungen und Bewegungen
von großer Fruchtbarkeit hinein, so daß grade
dieser am wenigsten ausgereifte Teil des Buches mir
als besonders wertvoll erscheint. Die Kirche, so wird
einleitend ausgeführt, steht im Gericht der Geschichte
(S. 13 ff.). Aus der Verzweiflung an sich selber, die
dieses Gericht wirken will ,muß sie sich führen lassen
zu dem Grundstein, der gelegt ist in der Tat Gottes in
der Geschichte. Wie ist Verkündigung von Gottes Wort
überhaupt möglich? Das ist demnach die Lebensfrage
für die Kirche (S. 31—82). Wort Gottes kann nur durch
Menschen verkündigt werden, von dieser Spannung ist
auszugehen. Das Wesen des Wortes überhaupt, nicht
beschränkt auf Lautsymbole allein, ist, daß es Gemeinschaft
stiftet. Gottes Wort als ein Unbedingtes ist nur
möglich durch Offenbarung. Sehr, müht sich ernsthaft
um eine klare Fassung des grundlegenden Offenbarungsbegriffes
. Es scheint ihm sinnlos, von einer immanenten
Offenbarung zu reden. „Daß Gott mit uns redet, kann
also in gar keiner Weise heißen, daß wir mit uns selber
reden" (S. 40). Der positive Offenbarungsgehalt ist gesammelt
in Jesus Christus. In seinem Kreuz „ist alles
Leben für ungiltig erklärt und allem Leben zugleich die
Setzung eines neuen Rechtes geschenkt . . . Das Kreuz
inmitten der Welt ist neue Gemeinschaft durch Vergebung
" (S. 42). Diese „in strengem Gegensatz von
aller andern Wirklichkeit sich abhebende Tat Gottes"
(S. 46) ist „die" Offenbarung in der Geschichte. Die
Symbole des Redens Gottes mit uns sind die Wunder,
ihr Verständnis aber ist nur dem Gewissen möglich. Die
„Einheit von Ereignis und Gewissen als Wort und Deutung
" macht Offenbarung, macht Reden Gottes mit
dem Menschen möglich. Dadurch unterscheidet das Hören
, das Verstehen des Wortes Gottes sich von allem
andern: vor ihm gibt es keine andere Möglichkeit als
das Entweder-Oder von Gehorsam und Ungehorsam,
von Glaube und Unglaube (S. 61). — Untersucht wird
von diesen Grundgedanken aus die Heilige Schrift als
Zeugnis vom Wort Gottes (S. 70 ff.). Aus der Schriftauffassung
des Dogmatismus wie des Skeptizismus wird
der Wahrheitsgehalt herausgeschält — übrigens ungewollt
eine Anwendung der in dem Hauptteile entwickelten
apologetischen Methode! — Der Wahrheitsgehalt der
starren Inspirationslehre bestand in der Gewißheit, daß
eine Wirklichkeit, die Glauben schenkt, über alle Geschichte
erhaben ist; der Wahrheitsgehalt der historischen
Kritik bestand in der Gewißheit, daß Offenbarung
nur Offenbarung in der Geschichte sein kann
(S. 79). Der Gegensatz dieser beiden Auffassungen ist
Ausdruck für den Grundcharakter der Offenbarung, für

das Kreuz. Jeder Versuch einer Scheidung von Rahmen
und Bild, von Form und Inhalt ist vergeblich.

Das Werden der Kirche im Gehorsam unter das

j Wort ist der Gegenstand des 2. Kapitels (S. 83—114).
Darin beruht das Wesen der Kirche, „daß sie aus dem

| Wort Gottes geboren wird und in dem Gehorsam unter

ihm lebt. Nicht umgekehrt!" (S. 83). Das ist ihr übergeschichtlicher
Lebensgrund. Reich Gottes und Welt,
Gemeinde der Heiligen und irdische Kirche können
weder einander gleichgestellt noch getrennt einander
gegenübergestellt werden. Wicherns Wort von der
„leuchtenden Kirche" bietet sich als glückliche Formulierung
dieses Sachverhaltes an. Die Polarität zwischen
geschichtlich-bedingter Form und übergeschichtlichem

j Leben muß für die kirchliche Formbildung entscheidend
sein. Aus der in dieser Polarität verstandenen Volkskirche
wird mit Notwendigkeit die Volksmission geboren
, d. h. der Wille, für alle und für den Einzelnen
das Wort Gottes zu verkündigen. Mir scheint hier aus
Not und Kampf heraus der Weg gewiesen, auf dem die
so nötige weitere Klärung unseres Denkens über die
Kirche und ihren Dienst sich bewegen muß.

Kiel. Heinrich Rendtorff.

Adler, Felix: Ethische Lebensphilosophie, dargestellt in
ihren Hauptllnlen. Autoris. Übers, aus d. Engl. v. O. Ewald
u. Graf J. Matuschka. München: E. Reinhardt 1026. (VIII,
354 S.) 8». Rm. 6—.

Eine autobiographisch unterbaute, theoretisch nicht
i allzu tief fundierte Darstellung der auf Grund persönlicher
Erfahrungen und eingehender Studien gewonnenen
wissenschaftlichen Lebensanschauung eines hochgebilde-
! ten amerikanischen Juden, der bei seiner Vorbereitung
j auf den Beruf eines Rabbinen über die väterliche Religion
hinausgeführt ist, wird in einer vortrefflichen Über-
i setzung den für eine ethische Weltanschauung Inter-
j essderten bei uns zugänglich gemacht. Das Werk gliedert
sich in vier Bücher, von denen das zweite die „philosophische
Theorie" entwickelt, während das erste eine
„autobiographische Einführung" und die beiden letzten
die „Anwendungen" enthalten. Als ursprüngliche Ge-
i gebenheit seines sittlichen Empfindens bezeichnet Adler
die Feststellung, daß jedes menschliche Wesen ein
,Selbstzweck ist und daher jede menschliche Persönlichkeit
vor Übergriffen sicher sein muß (S. 6). Diese Gefühlsbestimmtheit
, die sich zunächst in eine Ethik der Ge-
waltlosigkeit umsetzte, ist begründet in seiner Ehrfurcht
vor der Person des Weibes, die ihn auch in der unreinen
Luft europäischer Großstädte zur Keuschheit verpflichtet,
und wirkt sich aus in seinen Bemühungen um die Hebung
des Arbeiterstandes, für dessen Not ihm durch F. A.
Langes „Arbeiterfrage" die Augen geöffnet sind. Sein
naiver Theismus ist schon früh durch philosophische
Schriften erschüttert, und durch das Studium Kants geht
ihm sein individualistischer Gottesbegriff für immer verloren
, ohne daß er indes Atheist im eigentlichen Sinne
geworden wäre. Aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft
scheidet er aus, weil er den Anspruch der Juden,
das auserwählte Volk zu sein, als einen Widerspruch
I gegen den ethischen Universalismus erkennt, der ihm für
die Sittlichkeit wesentlich ist. Emersons Pantheismus
erkennt er bald als eine Beeinträchtigung der Ethik,
weil dieser das Individuelle nicht ernst nimmt. Zum Chri-
j stentum kann er sich trotz seiner Verehrung für Jesus
I nicht bekennen, weil dessen beiden originellen ethischen
Grundsätze, das Böse zu überwinden durch Gutes und
I einerseits durch den Geist das Fleisch zu ertöten, ande-
i rerseits durch Liebe im Nächsten, sogar im Feinde, die
geistige Persönlichkeit lebendig zu machen, nicht als das
! Endgiltige ansehen kann, sondern als Ausdruck seiner
eschatologischen Stimmung begreifen will. Den Marxismus
lehnt er ab, weil er relative Werte zu absoluten
Zwecken stempelt und die geistige Natur des Menschen
vernachlässigt, auf der seine Selbstachtung beruht. So
gelangt er mehr und mehr zur Einsicht in die Unzuläng-