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Ausgabe:

1927 Nr. 20

Spalte:

467-468

Autor/Hrsg.:

Patterson, L.

Titel/Untertitel:

Theodore of Mopsuestia and modern thought 1927

Rezensent:

Seeberg, Reinhold

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467

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 20.

408

i.W.: Aschendorff 1924. (VIII, 96 S.) gr. 8°. = Veröffentlichungen

d. kath. Instituts für Philosophie, Bd. 1, H. 4.

Rm. 3.25; geb. 4.50.
Aus zwei Vorträgen, welche der z. Zt. beste deutsche Thomaskenner
vor der Albertus-Magnus-Akademie zu Köln d. h. dem (privaten
) „kathol. Institut für Philosophie" in Köln halten sollte, ist dieses
nunmehr 4. Heft der „Veröffentlichungen der Albertus-Magnus-
Akademie" entstanden. Es untersucht einen der umstrittensten Punkte
der Philosophie Augustins und des Aquinaten, nämlich ihre Noetik,
und auch von ihr wieder nur einen Teil, nämlich die Frage nach
dem Grund, warum der Mensch Erkenntnisse gewinnen kann, die den
Stempel der Notwendigkeit, Unveränderlichkeit, Gewißheit und All-
gemeingiltigkeit tragen. Grabmann sagt mit Recht, nur Einzeluntersuchungen
können in dieser umstrittenen Sache Klärung schaffen.
Demgemäß untersucht er die einschlägigen Texte der augustinischen
Schriften (ohne sich in den bezüglichen Auslegungsstreit zwischen
Geyser-Przywara und Hessen zu mischen) und dann die Thomastexte
(wobei er wieder, dank überlegener Handschriftenkenntnis, bisher
unbekannte und ungedruckte beizubringen und zu verwerten vermag.)

Bei Entwicklung der augustinischen Gewißheitslehre schließt
sich G. den beiden Werken des Jesuiten Ch. Boyer (L'idee de verite
dans la Philosophie de S. Augustin, Paris 1021) und des Benediktiners
B. Kälin (die Erkenntnislehre des hl. Aug., Samen 1920) an. Darnach
kommt der Mensch zur Gewißheit kraft eines geschaffenen
Lichtes, mit dem ihn Gott erleuchtet; nicht, wie J. Hessen u. a.
meinen, dank unmittelbarem Schauen der göttlichen Ideen aller
Dinge d. h. Gottes selbst. Augustinus hat diese Illuminationstheorie
von Plotin, aber er hat sie zuvor christianisiert. G. gibt indes zu,
größere Klarheit über die augustinische Illuminationslehre sei erst
zu erhoffen von einer Spezialuntersuchung der neuplatonischen Lichtmetaphysik
und augustinischen Lichttheologie; Cl. Bäumker (f) habe
in seinem „Witelo" (Münster 1908) den Anfang gemacht. Die
weitere Streitfrage — ob nach Aug. der menschliche Geist seinerseits
abstrahierend zu arbeiten vermag (so nach Boyer u. a.) oder
ob er auf apriorische (angeborne) Ideen angewiesen ist (so nach
Portalie, Hessen, Geyser, Kälin u. a.), scheint G. nicht entscheiden
zu wollen. — Die Entwicklung der Gewißheitslehre des Aquinaten
leitet G. ein mit einer Darstellung der Ansichten der franziskanischen
Schule und der älteren Dominikanerschule über den Gewißheitsgrund
. Sie sind noch deutlich augustinisch. Auch Thomas
in seinen älteren Schriften denkt hierüber noch augustinisch. Nach
und nach arbeitet er indes folgende Grundgedanken heraus: alle
geistige Erkenntnis natürlicher Dinge wird vom Menschen durch
Abstraktion gewonnen; hierzu bedarf aber der Mensch keines besonderen
göttlichen Lichtes, denn das natürliche Vernunftlicht nimmt
als solches schon teil am göttlichen Wahrheitslicht; es nimmt teil
durch die von selbst einleuchtenden Grundwahrheiten, die in Gott
ihre letzte metaphysische Wurzel und den Grund ihrer Unveränderlichkeit
und Unfehlbarkeit haben (vgl. bes. S. 69). G. findet
also einen Unterschied zwischen der augustinischen Gewißheitslehre
und der des späteren Aquinaten, aber dieser Unterschied ist ihm
kein konträrer (wie zwischen Augustinus und Siger von Brabant,
dem reinen Aristoteliker), sondern ein temperierter Unterschied:
Thomas habe die augustinische Illuminationslehre umgeformt und
dadurch eine Konkordanz zwischen seiner eigenen Lehre und der
augustinischen hergestellt. Dies findet G. bei den ältesten Thomasschülern
und den Karmelitertheologen Guido von Terrena und Gerhard
von Bologna bestätigt. Man wird seiner sorgfältigen, durchaus
sachlichen Exegese der Thomastexte beistimmen müssen. Und G.
kann sich hierfür auch auf die hervorragendsten französischen Thomaskenner
von heute, die Dominikaner Garrigou-Lagrange und
Richard, sowie auf den Jesuiten Marechal stützen. Zum Schluß
stellt er die Verschiedenheiten und die Übereinstimmungen der beiden
Theorien zusammenfassend einander gegenüber und zeigt das
Weiterwirken der thomistischen Gewißheitstheorie bis auf die neueste
Zeit. Daß er selbst sie für die alleinrichtige hält, ist zwar nirgends
ausdrücklich gesagt, aber erkennbar. Doch der bedeutende wissenschaftliche
Wert dieser Arbeit Grabmanns hängt hiervon nicht ab.
Leider sind die Seiten 37—40, 45—48 unrichtig geheftet, und S.
13, Z. 7 v. o. muß es wohl „Juvenalis" (statt „Julian") heißen.

Binsdorf (Württbg.). Wilhelm Koch.

Patterson, L., B. D.: Theodore of Mopsuestia and modern
thought. London 1926. (X, 111 S.) 8°. sh. 6/-.

Ich habe diese Schrift eines jüngeren englischen
Fachgenossen, der vor einer Reihe von Jahren auch
in Berlin studiert hat, mit lebhaftem Interesse gelesen.
Das gilt zunächst von der historischen Untersuchung
der theologischen und philosophischen Gedanken des
großen Antiocheners. Nach guter englischer Tradition
hat sich der Verf. in die patristischen Quellen mit
Ernst und Verständnis versenkt und dabei nicht nur die
Christologie Theodors, sondern auch seine Gesamtan-

I schauung dargestellt. Er zieht auch die Anschauungen
anderer patristischer Theologen heran, wiewohl dies m.
E. noch viel reichlicher hätte geschehen können. Aber
auf 66 kleinen Seiten konnten natürlich nur die Haupt-
j Sachen erörtert werden. Es war von vornherein aus-
; geschlossen, neue und überraschende geschichtliche Resultate
zu bringen oder auch Bekanntes neu zu begründen
. Hinsichtlich des Gegensatzes von Alexandrinern und
Antiochenern steht der Verf. mit aller Entschiedenheit
auf Seiten der letzteren.

Wie die Überschrift des Buches zeigt, war die Absicht
des Autors von vornherein darauf gerichtet, die
antiochenischen Ideen mit der modernen Gedankenwelt
zu vergleichen. Es liegt ihm, wenn ich ihn recht verstehe
, vor allem daran, von der das kirchliche Denken
noch vielfach beherrschenden alexandrinischen Christologie
zu befreien und bei aller Wahrung der Gottheit
Christi wie der neutestamentlichen Überlieferung ein
l Christusbild zu gewinnen, das die menschliche Entwicklung
Jesu und daher auch seine menschliche Personalität
in sich schließt. Für dies durchaus berechtigte Streben
zieht er Theodor als Helfer heran. Die Gottmenschheit
ist nach ihm zu verstehen als Vereinigung des göttlichen
und des menschlichen Willens in dem Erlöser.
Diese Vereinigung besteht von dem Beginn der Menschwerdung
an, kommt aber Jesus allmählich zu Bewußtsein
. Hiermit stehen die psychologischen Erörterungen
des Verf.s in Zusammenhang. Er vertritt an
der Hand neuerer englischer Theologen die Wechselwirkungstheorie
zwischen Leib und Seele. Ein anderer
Gedankenzug bei ihm wendet sich wider die physische
Erbsündenlehre, und auch hierfür findet er in Theodor
einen Bundesgenossen. Seine Ablehnung dieser Theorie
I ist begründet in den neueren englischen Gedanken über
die Entwicklung und die Erblichkeit. Der Verf. übersieht
in dieser Darlegung nicht, daß Theodor zu dem
modernen Evolutionismus keinerlei Beziehung gehabt hat
| und bei seiner buchstäblichen Auslegung der Genesis
j auch nicht haben konnte. Somit konnte ihm der Sündenfall
sich nur als ein einzelner Akt darstellen, während
unser Verf. auf Grund der Entwicklungstheorie ihn
I als einen allmählichen Prozeß verstanden wissen will.
Es hat hier keinen Zweck auf die Einzelheiten
einzugehen, so anregend manche Frage ist, welche der
Verf. auf wirft. Das eigentlich Interessante ist die Grundstimmung
, aus der das Buch hervorgegangen ist. Der Verf.
| will einerseits die biblische und altkirchliche Tradition
ehrlich wahren, er fühlt sich aber als moderner Mensch
auch verpflichtet gewisse Resultate des neueren Denkens
maßvoll und mit Takt zur Geltung zu bringen.
Dabei will er aber als Engländer die Autorität des Altertums
nicht entbehren. So dürfte sein Buch entstanden
i sein. Es ist ein sympathisches Zeugnis eines theolo-
j gischen Strebens, welches ein positives Verständnis des
1 Christentums mit moderner Denkweise zu verbinden
trachtet.

Berlin-Halensee. R. Seeberg.

I Friedensburg, Walter: Urkundenbuch der Universität
Wittenberg. Teil 1 (1502- 1611), Teil 2 (1611-1813). Hrsg.
v. d. Historischen Kommission f. d. Provinz Sachsen u. für Anhalt.
Magdeburg: Selbstverlag der Historischen Kommission; Ausliefg.
durch E. Holtermann, ebd. 1926. (IX, 729 u. III, 670 S.) gr. 8".

je Rm. 20—.

In schwerer Zeit erschien seiner Zeit die lange
schmerzlich entbehrte Geschichte der Universität Wittenberg
von Friedensburg (Halle 1917), in nicht minder
schwerer Zeit ist nun als die notwendige Ergänzung
das Urkundenbuch dieser berühmten Hochschule herausgekommen
. In zwei starken Bänden liegt das Werk
vor, von denen der erste fraglos das größte Interesse
beanspruchen muß; enthält er doch die Urkunden aus
; der Reformationszeit, in der die Universität ihre höchste
Blüte erreichte. Die Urkunden, die meistens dem Wittenberger
Universitätsarchiv zu Halle, dem Thüringischen
Staatsarchiv und dem Staatsarchiv zu Dresden