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Ausgabe: | 1927 Nr. 19 |
Spalte: | 454-455 |
Autor/Hrsg.: | Reu, M. |
Titel/Untertitel: | Homiletics. A Manual of the Theory and Practice of Preaching 1927 |
Rezensent: | Bussmann, E. W. |
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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 19.
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sammenfalle (S. 74). Im Widerspruch zu dieser Formu- der Vernunft. Die wirkliche Wahrheit ist kein sicherer
lierung heißt es freilich S. 31: „Gewiß fällt die reli- Besitz, den man zur Verfügung haben und vor sich hin-
giöse Erfahrung mit der religiösen Erkenntnis nicht stellen kann; wir haben sie nur, wenn sie uns erscheinen
zusammen, und unsere Aufgabe soll es gerade sein, will (S. 146ff.) Über die Negation hinaus führt der
beides scharf voneinander zu trennen." Hier wird schon Versuch, „das Zufällige der Vergessenheit zu entreißen",
rein äußerlich sichtbar, wie der Verf. in der Problematik der Aufruf, auf alle Kriterien der Wahrheit zu verstecken
bleibt und sich zu keiner klaren Lösung ziehten (S. 237), in die Freiheit der Willkür Gottes zu
durchringt. i 'liehen, ---- wie der Falter in die Flamme fliegt (S.
Heidelberg. Robert Winkl er.* ; 183). Doch bleibt es über der starken Negation bei ganz
'___._ gelegentlichem Aufleuchten solcher Gedanken. So bleibt
' . , „ _ ... , .. . das Motto unerfülltes Suchen: „Das Gute ist nicht
Schestow, Leo: PotestasCIavium oder die Schlüsselgewalt Qott wir müssen nach dem suchen, was höher ist als
Autoris Übertragung aus: d. RmU«IT. Hans Ruoff. Mun- ^ wj suchen«
eben: Verl. d. Nietzsche-Oesellschaft 1926. (4a9 s.) gr. Su.
Nicht in dem Sinne, den auf den ersten Blick der
Kiel. Heinrich Rendtorff.
Titel vermuten ließ, gehört dies Buch in den Arbeits- Reu, Prof. M., D. D.: Homiletics. A Manual of the Theory and
bereich praktischer Theologie hinein, und doch sind j practice of Preaching. Put into English by Albert stein-
seine philosophisch gemeinten Ausführungen dem Theo- haeuser, D. D. Second Edition. Chicago: Wartburg Publishing
logen von großer Bedeutung. Mit ungeheurer Belesen- House 1924. (VIII, 639 S.) 8°.
heit, unter Heranziehung der ganzen Geschichte der Es soll eine ausgesprochen lutherische Homi-
abendländischen Philosophie, in bestechendem Stil ge- i letik sein, die der Verfasser liefern will, der im Dienst
schrieben hat das Buch im Grunde nur ein Ziel, dem 1 der Deutschen Synode von Jowa, steht, also im Gegenseine
zahlreichen kurzen Abschnitte unter Verzicht auf | satz zu Missouri einem milderen Luthertum zugetan
jede Systematik in immer neuen geistvollen Wandlungen [ ist. Das offenbart sich an vielen Stellen, besonders auch
weniger Grundgedanken dienen wollen: es will er- | bei der reichlichen Heranziehung deutscher Literatur,
schüttern alle angemaßte, unberechtigte falsche Sicher- j und man kann nicht sagen, daß der Verfasser sich dabei
heit, die da behauptet, die potestas clavium zu besitzen, nur an konfessionelle Lutheraner hält, sondern Unierte
d. h. eine absolute, allgemeinverbindliche Wahrheitser- wie Reformierte werden fast ohne Unterschied mit jenen
kenntnis. Alle Philosophie des Abendlandes, von den angeführt und beachtet, wie Schleiermacher, Achelis,
großen griechischen Vätern des abendländischen Den- i Bassermann, Kleinere, Hering, Gottschick u. A. Vielfach
kens her, ist sich gleich in dem Anspruch, eine solche wird ihnen zugestimmt. Es ist auch naturgemäß, daß
zu besitzen und damit zu herrschen über die Welt als in dem zweiten Teil, der die formelle Homiletik bietet,
eine verstandene, über den Menschen als einen, der weniger des spezifisch Lutherischen zu finden ist. Der
sich ihren allgemeinverbindlichen Urteilen unterwerfen : Gedanke ist richtig, der den Verfasser leitet, daß ein
muß. Das letzte Motiv solchen Philosophierens ist die ; Unterschied ist zwischen lutherischen und anderen evan-
Furcht vor dem Zufall! Was sich nicht fassen, nicht gelischen Predigten, nicht nur nach der dogmatischen
registrieren läßt (S. 11), ist unheimlich, nur dort fühlen Seite, die der Verfasser selbstverständlich betont, sondern
wir uns sicher, wo Übersichtlichkeit möglich ist (S. 164). auch in homiletischer Hinsicht. Manchmal aber scheint
„Diese armen, lächerlichen, dummen Menschen, sie bil- Verfasser auch nicht ganz lutherisch zu sein, so z. B.
den sich ein, alles erfaßt zu haben! Und sie befürchten. wenn er Texte aus den Apokryphen unbedingt verwirft,
daß es in der Welt noch irgend etwas geben könnte, die ab und zu von lutherischen Predigern, besonders bei
was sie noch nicht erfaßt haben und was sie nicht ein- > Kasualien gebraucht werden.
mal ahnen. Sie fürchten sich ständig, zittern stets! ,' Das Buch ist gefällig und übersichtlich geschrieben
(S. 182 f.)". Darum gilt der Kampf allem Besonderen, und stellt keine großen Anforderungen an den Leser,
Individuellen, wird die beunruhigende Vielheit zurück- der den Ausführungen leicht folgen und meist zustimmen
geführt auf wenige Prinzipien: „Der Mensch kann die ! kann, da sie oft an der Oberfläche bleiben und an dem
Welt nicht verstehen (und das heißt beherrschen), wenn ! vorliegenden Problem mit wenigen Worten vorbeigehen,
er nicht die Mannigfaltigkeit aus der Einheit ableitet" Es ist ein vornehmliches Bestreben des Verfassers, bib-
(S. 199). Aus Begriffen baut sich der Mensch einekünst- tischen Predigten die Bahn frei zu machen, indem er mit
liehe Welt, die natürlich, berechenbar ist. Für Gott ist gutem Grunde auf eindringende Exegese dringt. Darin
in diesem Denken, dem ein für alle Mal das Allgemeine : scheint es in Amerika nach den Aus- und Anführungen
wertvoller ist als das Einmalige, Zufällige, kein Raum: I des Verfassers wesentlich schlimmer zu stehen als in
denn sein freies, unberechenbares Walten würde das unserer Heimat. Ob aber die Pfarrer der reformierten
System nur stören. Der klassische Ausdruck dafür ist Kirche in Deutschland und der Schweiz wie Holland
die sokratische Verdrängung des wirklichen, lebendigen j das als etwas spezifisch Lutherisches gelten lassen wer-
Gottes durch die Idee des Guten. Die unbeweisbare den? Man sehe nur die Homiletiken von Achelis und
Welt der Ideen ist nur zu behaupten durch die Flucht ; Krauß daraufhin an. — Das Buch ist ein praktisches
aus der Wirklichkeit, durch die Opferung des leben- i Buch, denn es gibt neben den wissenschaftlichen Aus-
digen Menschen wie des lebendigen Gottes, durch das führungen für den Anfänger Beispiele über Formen der
absolute Selbstvertrauen der Vernunft, durch ihren ab- Predigt auf S. 527—622; zunächst über die exegetisch-
soluten Anspruch auf allgemeine Anerkennung ihrer homiletische Behandlung des Textes, dann über die
Urteile. ausführliche Disponierung und endlich über die Aus-
Diese Grundgedanken werden ständig variiert, ein führung dieser Disposition in einer Predigt, wobei also,
besonders ausführlicher Abschnitt gilt der Erkenntnis- i da das Verfahren am gleichen Texte beobachtet wird,
theorie Edmund Husserls (S. 307—399). Unter dem das Entstehen einer Predigt studiert werden kann.
Gericht der Anmaßung der potestas clavium verschwin- Nach einer kurzen Einleitung, die die Definition,
den Grenzen, die sonst sehr betont zu werden pflegen; Rechtfertigung und Einteilung der Homiletik behandelt'
es schwindet der grundsätzliche Unterschied zwischen wird im ersten Hauptteil die Stellung und Bedeutung
Idealismus und Materialismus: sie gleichen sich in der der Predigt im Kultus behandelt: die Predigt als orga-
Errichtung einer übersehbaren, natürlichen Welt (S. nischer Teil des Gottesdienstes der anbetenden Ge-
429); es bewegen sich auf gleicher Ebene Hellenismus meinde, und die Predigtals Rede. Im folgenden Haupt-
und Katholizismus, Luthertum und Rationalismus; in teil wird der Inhalt der Predigt, oder die materielle
eine Reihe treten Sheakespeare, Luther, Tolstoi, Dosto- Homiletik behandelt, und im letzten Teil dann die
jewski, Nietzsche, Schopenhauer. Struktur und der Vortrag der Predigt. Für den Anfänger
Die Kraft und die Grenze des Buches liegt in seiner sind die leitenden Gedanken größer gedruckt denen
Negation, in seinem Kampf gegen die Selbstgewißheit anschließend weitere Ausführungen im kleinen Druck