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Ausgabe:

1927 Nr. 19

Spalte:

442-443

Autor/Hrsg.:

Vollmer, Hans

Titel/Untertitel:

Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters. Bd. III 1927

Rezensent:

Clemen, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 19.

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Rufin nur „le sens general" habe geben wollen, und
seinen eleganten Ausdruck lobt (p. 206, vgl. p. 132), so
scheint er die Aufgabe eines Übersetzers nicht richtig
aufzufassen. Dem Hieronymus dagegen nimmt er die
wörtliche Übersetzung von Stellen aus De princ. im
Brief an Avitus fast übel und wirft ihm (p. 181) vor,
er habe nur das Schlechte ausgewählt, die Gegensätze
gesteigert, die Nüancen verheimlicht und Hypothesen
als Behauptungen zitiert. Hieronymus ist hierin als Ankläger
des Origenes sicherlich tendenziös verfahren, Rufin
aber als sein Verteidiger nicht minder. Und wenn B.
am Schluß (p. 207) betont, daß wir die Übersetzung
Rufins nicht mehr haben würden, wenn sie „plus litte-
rale, plus brutalement exacte" gewesen wäre, und daß
„Le pretre d'Aquilee a travaille pour la postente," so
entschuldigt das doch nicht die Ungenauigkeiten, die
sich Rufin nachweislich erlaubt hat. Natürlich ist Rufins
schlechte Übersetzung, in Ermangelung einer bessern
, an Stelle des verlorenen Originals für uns von j
großem Wert.

Alle Stellen, wo B. meine Textherstellung anzweifelt, können
W«r nicht besprochen werden; ich hebe nur einige hervor. Man
staunt, daß B. (p. 144 f. 1S6) an einer Stelle, wo Hieronymus
nirt Justinian übereinstimmt, Rufins Übersetzung, die er selbst als
„plus longue et plus diffuse" (p. 145) bezeichnen muß, wegen ihrer
„nuances" lobt und vermutet, daß diese Nüancen origenisch und
sowohl von Justinian als auch von Hieron. genau in gleicher Weise
weggelassen worden seien. — Die Vorliehe für Rufin zeigt B. auch
P- 193, wo er die von mir De princ. S. 114 f. abgedruckten Testimonien
bespricht. Obwohl hier Hieron. und Theophilus gegen Rufin
ubereinstimmen und dessen Lückenhaftigkeit beweisen, hält es B.
„für einfacher" zu glauben, „que c'est Theophile qui a force Ia
pensee d' Origene"; er übergeht also den Hieron. vollständig, um den
Rufin zu verteidigen. — Ferner lehnt B. p. 197—202, wo er parallele
Stellen des Hieron. und Rufin vergleicht, an denen ich dem Hieron.
folge, die „autorite de Jeröme comme decisive" ab, ohne aber nachweisen
zu können, daß Hieron. falsch oder ungenau übersetzt habe.
— Unrichtig ist es, wenn B. p. 205 die Übersetzung des Rufin' als
„compltte" bezeichnet. Denn seine Auslassungen sind im ganzen
recht beträchtlich, wie B. p. 205 f. selbst bemerkt. Richtiger ist sein
Urteil p. 205 f., daß „Ia traduetion de Rufin est Ioin d'etre parfaite."

Trotz meiner Ausstellungen kann ich die Gesamtleistung
Bardys als verdienstlich anerkennen. Sachlicher
Widerspruch fördert ja die Wissenschaft, weil er zu
erneuter Erwägung der Probleme nötigt. Diese sind in
De princ. sehr zahlreich und schwierig, und jeder ernste
Mitarbeiter ist hier willkommen. Erfreulich ist es auch,
daß der französische Gelehrte durch sein Buch wieder
enge Fühlung mit deutscher Wissenschaft genommen
hat.

Weimar. ')auI Koetschau.

S t r o p p e I, Robert: Liturgie und geistliche Dichtung zwischen
1050 und 1300. Mit besond. Beriicks. d. Meß- u. Tagzeitenliturgie.
Frankfurt a. M.: M. Diesterwcg 1927. (XVII, 216 S.) gr. 8». =
Deutsche Forschgn., H. 17. R"1- °—•

In dem katholischen Aktivismus der Gegenwart
kann man zwei Hauptströmungen unterscheiden: die
aus Benediktinerkreisen hervorgegangene und von ihnen
getragene „liturgische Bewegung", die sich an die Gemeinschaft
wendet, und die jesuitische Exerzitienbewegung
, die sich an den Einzelnen wendet. Diese ist
— pointiert ausgedrückt — modern, jene mittelalterlich.
Das vorliegende Buch bestätigt uns, daß die in der
mittelalterlichen Kirchengeschichte herkömmliche Unterscheidung
zwischen offiziell kirchlicher und mystischer
und volkstümlicher Frömmigkeit sehr cum grano salis
zu verstehen ist, daß auch in der mystischen und volkstümlichen
Frömmigkeit die Liturgie die treibende und
gestaltende, Richtung, Form und Inhalt gebende Kraft
ist. Str. zeigt den Einfluß der Liturgie auf die geistliche
Dichtung 1050—1300. Er beschränkt sich nicht
auf Textvergleichung, so gewiß diese die Grundlage seiner
Untersuchungen bildet. Aber es kann ein geistliches
Gedicht nicht nur aus der Wortwelt, sondern auch aus
der Gefühlswelt der Liturgie hervorgegangen sein. „Es
kann der liturgische Gehalt eines Gedichtes auch in

seiner inneren Gesetzmäßigkeit, im inneren Rhythmus
der Sprache liegen oder darin, daß sich in ihm eine
Seelenhaltung ausspricht, die der liturgischen durchaus
gleichförmig ist" (S. 31). Diese teils offen zu Tage
Hegenden (z. B. wenn ein Thema aus der liturgischen
Gedankenwelt genommen ist oder liturgische Formeln
verwandt sind), teils unterirdisch verborgenen und
nur leise mitschwingenden Übereinstimmungen heraus-
zumerken, dazu bedurfte es nicht nur einer genauen
Kenntnis der (in unserem Zeitraum noch im Fluß befindlichen
, uneinheitlichen, bunten) Liturgie und der
weitschichtigen Literatur, sondern auch eines hohen Grades
von Feinfühligkeit und Feinhörigkeit, wie sie un-
serm Verfasser eignet, weil er selbst vom Geiste eines
Ildefons Herwegen und Romano Guardini erfaßt ist.
Zwickau. O. Clemen.

Vollmer, Prof. D. Hans: Materialien zur Bibelgeschichte
und religiösen Volkskunde des Mittelalters. Bd. 3: Ein

deutscher glossierter Auszug des 15. Jahrhunderts aus den alttesta-
mentlichen Propheten erstmalig hrsg. u. gewürdigt. Mit 5 Taf.
in Lichtdruck. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1927. (LV,
100 S.) gr. S«. Rm. 10_.

Pietsch, Prof. D. Dr. Paul: Ewangely und Epistel Teutsch.

Die gedruckten hochdeutschen Perikopenbücher (Plenarien) 1473
bis 1523. Ein Beitr. z. Kenntnis d. Wiegendrucke, z. Gesch. d.
dtschn. Schrifttums u. d. dtschn. Sprache, insbes. d. Bibelver-
deutschg. u. d. Bibelsprache. Göttingen: Vandenhoeck ßt Ruprecht
1927. (XXIV, 308 S.) gr. 8°. Rm. 13—.

1. Vollmer veröffentlicht zum eisten Male und
zwar in einer kritischen Ausgabe, die hauptsächlich auf
einer Augsburger und einer Berliner Hdschr. beruht,
einen deutschen glossierten Auszug aus den alttesta-
mentlichen Propheten, der bald nach 1400 von einem
Geistlichen im deutschen Südosten hergestellt worden
ist. Dieser hat seinen Text selbst aus der Vulgata aus-

esucht und die Glosse gleichfalls nach eigener Auswahl
inzugefügt; die Quelle der Glosse hat V. nicht nachweisen
können. Über die Übersetzung urteilt V., daß sie
„in Ton und Stimmung bisweilen fast an Luthers
Meisterschaft heranreicht" (S. LH), über das Ganze der
Leistung: „Ich stehe nicht an, diesen deutschen Propheten
-Auszug unter dem bisher Bekannten für das Bedeutendste
zu erklären, was vor Luther zur Verdeutschung
und Verdeutlichung der alttestamentlichen Propheten
geleistet wurde" (S. XLVIII).

2. Auch das Buch von Pietsch ist ein Beitrag zur
Bibelverdeutschung des Mittelalters. Auch er ist sich
von vornherein klar darüber gewesen, daß diese sich
nicht erschöpft in den 14 Auflagen der gedruckten
hochdeutschen Bibel und den 4 Auflagen der gedruckten
niederdeutschen Bibel, sondern daß man die Evangelienharmonien
, Plenarien, Passionale, Evangeliare, Episto-
lare, Brevierübersetzungen, Historienbibeln, Bibelzitate
in religiösen Schriften aller Art und in Predigten mit
heranziehen muß. Aus dieser Literaturmasse hat P. die
hochdeutschen Plenarien zum Objekt seiner Forschungen
gemacht, weil er erkannte, „daß das Deutsch der
Plenarien der Bibelsprache Luthers näher stehe als das
Deutsch der ganzen Bibel, selbst in ihrer 4. u. 9. Ausgabe
" (S. XII). Er behandelt aber nur die gedruckten
hochdeutschen Plenanien und die gedruckten hochdeutschen
Übersetzungen des Speculum humanae salvationis
(Spiegel menschlicher Behältnis); in die 45 Kapitel dieses
Werkes sind die deutschen Perikopen des Kirchenjahres
und einiger weniger Heiligentage — die Sonntagsevangelien
auch hier von Glossen begleitet — eingefügt
worden; die in dem ältesten „Spiegel" vorliegende
Form der Übersetzung ist ursprünglicher und besser
als die in dem ältesten Plenar. Die handschriftlichen
und die niederdeutschen und niederländischen Plenarien
läßt P. fast ganz bei Seite. Das Buch enthält in
der Hauptsache 1. eine 57 hochdeutsche Plenarien-
drucke und 7 hochdeutsche Drucke des „Spiegels
der menschlichen Behältnis" umfassende Biblio-