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Ausgabe:

1927 Nr. 19

Spalte:

439-441

Autor/Hrsg.:

Bardy, Gustave

Titel/Untertitel:

Recherches sur l‘histoire du texte et des versions latines du De principiis d‘Origène 1927

Rezensent:

Koetschau, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 19.

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Distanz, durch welche es ihm möglich wird, auf Geschichte
zu hören und von ihrem Laufe seinen eigenen
Sinn wieder zu empfangen. Ihm wird also notwendig,
wo immer er Geschichte berührt, alles zur persönlichen
Begegnung. So wird es begreiflich, daß in diesem Buche
das „Werk Jesu" dominiert — es ist der Sinn des
eigenen Glaubens der in ihm gefunden wird —, daß es
nicht in seiner geschichtlichen Bestimmtheit, sondern in
seiner religiösen Ursprünglichkeit angeschaut wird —
es ist der Sinn des Glaubens, der so lebendig wird.
Aber es ist auch der prinzipielle Fehler dieses Buches,
daß es Gesichtspunkte des Glaubens zu Invarianten der
wissenschaftlichen Forschung machen will. So wird nicht
nur das Problem dieser Gestalt und seiner geschichtlichen
Darstellung verfehlt, sondern ebenso die Reinheit
der gläubigen Aussage getrübt, denn die Grenzen
zwischen Glauben und Erkennen sind nun verwischt, der
Glaube aus dem ihm eigenen Reich in die Bezirke der
Wissenschaft hineingezogen, die Wissenschaft der dogmatischen
Setzung des Glaubens unterworfen.

Es ist eine glückliche Inkonsequenz Bultmanns,
wenn trotz solcher bedenklichen Aussagen die religiöse
Lebendigkeit des Glaubens sich frei und eindrucksmächtig
entfaltet und zugleich auch die Klarheit geschichtlicher
Forschung zu Worte kommt. Was freilich dieses
Buch ist und sein will, ist es nicht als ein Dokument
historischer Erkenntnis, sondern als Zeugnis religiöser
Apologetik.

Breslau. Ernst Lohmeyer.

Bardy, Prof. Gustave: Recherches sur l'histoire du texte et
des versions latines du De principiis d'Origene. Paris: E.
Champion 1923. (XII, 218 S.) 8°. = Memoires et travaux
, publies par des professeurs des facultes catholiques de Lille,
fasc. XXV.

Der französische Patristiker G. Bardy, dessen
Buch über Paulus von Samosata von Friedrich
Loofs in dieser Zeitschrift 1924 Nr. 21 mit Anerkennung
besprochen worden ist, hat sich auch eingehend
mit Origenes beschäftigt und, wie ich zufällig
feststellen konnte, meine 1913 erschienene Ausgabe von
Origenes De principiis (Bd. V der Berliner Ausgabe)
zur Unterlage des oben genannten Essais genommen.
Der Herausgeber griechischer und lateinischer Texte
wird für seine mühselige Arbeit am besten dadurch belohnt
, daß diese Texte recht viel benutzt und dabei als
brauchbar und die Wissenschaft fördernd anerkannt werden
. Ich freue mich daher sagen zu können, daß Bardy
meine Ausgabe gründlich durchgearbeitet und dabei ein
gutes Verständnis für Origenes und die mit De princ.
verknüpften Probleme gezeigt hat. Er stimmt meiner
Einleitung und Textherstellung zum großen Teil zu und
reproduziert oft stillschweigend meine Resultate, sucht
aber auch einige meiner Ansichten zu widerlegen. Da
seine Untersuchung die umfassendste Kritik meiner Ausgabe
, die bisher veröffentlicht ist, darstellt und auch allgemeines
Interesse bietet, so teile ich hier die Ergebnisse
meiner Prüfung, die ich nach dem von der Tübinger
Universitätsbibliothek entliehenen Exemplar vorgenommen
habe, in Kürze mit.

Der Essai zerfällt in zwei Bücher; im ersten bespricht
B. die griechischen Fragmente von De princ, im
zweiten die lateinischen Übersetzungen dieses Werkes.
Vom griechischen Original ist bekanntlich nicht viel
erhalten. B. prüft in eingehender Untersuchung die
geretteten Fragmente, besonders die beiden großen Phi-
lokaliastücke, die 15 von Photius erwähnten Stellen
und die vom Kaiser Justinian zum Zweck der Verurteilung
des Origenes aus De princ. veröffentlichten Bruchstücke.

Indem ich unwesentliche Differenzen übergehe, hebe ich folgende
Punkte hervor. Wenn B. p. 34. 140. 204 f. tadelt, daß ich De princ.
S. 102,12—104,7 zur Ausfüllung einer Lücke Worte des Gregor
von Nyssa und anderer in den Text des Origenes eingefügt hätte,
so hat er wohl alle die Gründe, die mich zu der hypothetischen
Einfügung mehrerer Stücke an jener lückenhaften Stelle veranlaßt

i haben, nicht sorgfältig genug erwogen. Ich gebe zu, daß für diese

| Einschaltung und eine ähnliche S. 159—161 besser Petitdruck im

Text verwendet worden wäre, um das Hypothetische mehr hervortreten
zu lassen. Aber der Testimonien wegen konnten diese Ein-

j Schaltungen nur oben im Text und nicht unten im Apparat angebracht
werden; sie sind übrigens als solche kenntlich gemacht. — Ferner

i ist De princ. S. 211,33—212,12—14 nicht, wie B. (p. 42) nach
Robinson (p. XXXIII seiner Philokaliaausgabe) annimmt, ein Zu-

j satz Rufins. Denn zu der Betonung der uia (pvai; der Erde gehört
unbedingt „die Verschiedenheit der Bearbeitung", was eben
Ruf in in den Worten: „non tarnen unius eiusdcmque culturae" (S.

! 211,32) ausdrückt, denen im Griechischen cLU' ov tun; xai zzjs
avzfjs ysioQyiag fiezeyov r« entsprechen würde. — De princ. S. 292,12
betrachtet B. (p. 43) als Glosse; aber ein Glossator würde nicht
XeyofiByrjs - xnXonzreVijc gesagt haben, vgl. auch De princ. S.

: 224, 11 ff. — Im 4. Kapitel des I. Buchs, das von Justinian und
De princ. handelt, macht mir B. den Vorwurf, die Arbeiten Die-
kamps nicht berücksichtigt zu haben. Allerdings ist mir die gelehrte
Untersuchung Diekamps über die origenistischen Streitigkeiten im
VI. Jhrh. und das V. allgemeine Konzil, Münster i. W. 1899, infolge
von ungünstigen Umständen leider erst nach dem Erscheinen meiner
Ausgabe bekannt geworden; aber aus diesem Mangel haben sich

j doch nicht „de graves consequences pour la critique textuelle"
ergeben, wie B. p. 50 n. 1 meint. Denn wenn auch Diekamp

' Recht hat und die Seiten CXIX—CXXII1 meiner Einleitung danach

[ verbessert werden müssen, so stellen doch eben nicht nur die der
acvoäog ivdrjiiovoa a. 543 von Justinian mitgeteilten Exzerpte
Lehren des Origenes dar, sondern auch die im Schreiben des Kaisers
an die Synode a. 553 enthaltenen 15 Anathematismen geben sicherlich
Ansichten des Origenes wieder, die dieser hypothetisch aufgestellt

| hatte, während seine späteren Anhänger, die Isochristen, daraus
Lehrsätze machten (B. p. 70), ohne aber im allgemeinen etwas
wesentliches hinzuzufügen. Die kühnen Spekulationen, von denen
Diekamp (S. 84 seines Buches) berichtet, können nicht von den
origenistischen Mönchen ersonnen sein, die, wie B. (p. 51 f. 85. 204)
nach Diekamp meint, durch das Schreiben Justinians a. 553 getroffen
werden sollten, sondern sind von Origenes selbst ausgegangen. Das
beweist z. B. in dem Briefe Justinians der Ausdruck: garet zrv

i ÜQiyet'nvi (pc>evußXnßeiav, ferner die Aufforderung, die ge-

j nannten Sätze zu verdammen iier« zov d'vaotßovs 32ptyeVouc, und
endlich die Tatsache, daß a. 553 das Urteil gegen Origenes gefällt
worden ist (Diekamp S. 96—98. 108. 112. 117. 120). Daß die vom
Kaiser a. 543 und 553 aus De princ. veröffentlichten Exzerpte,
wenigstens soweit sie übereinstimmen, wirklich daher entnommen
und als echt anzusehen sind, darf m. E. nicht bezweifelt werden
(vgl. z. B. De princ. S. 155 App. und 360,1—7); denn der Kaiser
bezeugte sie mit seiner Unterschrift als echt, mochte er sie auch
nicht selbst ausgezogen, sondern diese Arbeit seinen Theologen
überlassen haben. Und wenn Justinian in seinem Brief an Mennas

1 (De princ. S. 52,2 f.) sagt: ätb xui Xeizovgyixit ttvzn {«5a xaXcT
[d. h. Origenes], so muß man ein so klares Zeugnis als richtig
annehmen (anders B. p. 64). Deshalb habe ich diese Exzerpte nach

I Prüfung an anderen Zeugnissen (B. p. 73) vermutungsweise
zur Ergänzung von Lücken herangezogen und halte dieses Verfahren
trotz. Bardys Widerspruch (p. 60 f.) auch jetzt noch für richtig. Vor
allem aber muß ich den Vorwurf Bardys (p. 69), daß ich die Exzerpte
Justinians „dans Ie texte meme" eingefügt hätte, als unbe-

I gründet zurückzuweisen. B. sagt ja selbst (p. 70 n. 1), daß meine
„restitutions soient presentees comme des conjectures". Übrigens
verwandelt B. meine Worte (Einl. S. CXIII Z. 2f.): „die... als ent-

| behrlich gelten müssen" in's direkte Gegenteil, wenn er (p. 72
Z. 26f.) übersetzt: „qui semblent indispensables." Und p. 83 ist
Bardys Verwunderung über meinen Satz Einl. S. CXXIV Z. 4
unbegründet, da ich dort ja gar nicht von wörtlicher Übernahme
aus De princ. spreche.

Die Mängel der Übersetzung Rufins glaube ich in
i meiner Einleitung S. CXXIX—CXXXV genügend cha-
| rakterisiert zu haben. B. tritt nun im zweiten Buch
als beredter Verteidiger dieser Übersetzung auf. Das
| Ziel seiner Abhandlung ist: „nous aider ä mieux appre-
cier la valeur de la version latine du De principiis" (p.
; 131). Während er den griechischen Fragmenten Miß-
| trauen entgegenbringt (p. 149), geht er in seinem Vertrauen
auf die Zuverlässigkeit Rufins viel zu weit. Obwohl
er schon im ersten Buch (p. 45. 67) starke Auslassungen
Rufins hatte zugeben müssen und (p. 102)
richtig sagt, man habe bei Rufin „un Origene expurge,"
so will er doch zeigen, daß Rufin „etait un nonnete
homme" (p. 104). Das mag wohl für seinen Streit mit
Hieronymus zutreffen, entlastet ihn aber nicht von dem
Vorwurf, ungenau und lückenhaft übersetzt zu haben.
! Wenn B. (p. 151) diese Mängel damit entschuldigt, daß