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Ausgabe:

1927

Spalte:

25-29

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Otto

Titel/Untertitel:

Das Jahrhundert der Kirche. Geschichte, Betrachtung, Umschau und Ziele 1927

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack

Herausgegeben von Professor D. Emanuel Hirsch unter Mitwirkung von
Prof. D. Dr. G. Hölscher, Prof.D. Hans Lietzmann, Prof. D. Arthur Titius, Prof. D. Dr. G. Wobbermin

Mit Bibliographischem Beiblatt in Vierteljahrsheften, bearbeitet von Priv.-Doz. Lic. theol. Kurt Dietr i ch Schmidt, Göttingen
Jährlich 26 Nrn. Bezugspreis: vierteljährlich Rm. 9—. — Verlag: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Leipzig.

57* loht-rr Mt- 7 Manuskripte und gelehrte Mitteilungen sind ausschließlich an Professor D. Hirsch in Göttingen, -Jf antnr 1077

OL. Jdlirg. Hr. L. Bauratgerbersir. 19, zu senden, Rezensionsexemplare ausschließlich an den Verlag. Jtuiuai 17*1.

Spalte I Spalte

Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche 'Bauer, Die Ostkanaanäer (Gustavs) .... 32

<Hlrsch)25 Greßmann , Israels Spruchweisheit im Zu-

Kreglinaer, L'evolution religieuse de | sanunenhang der Weltliteratur (Meinhold) 33

l'humanite (Koch) .............29 . , .• c in ■><

v Schaut, Sarx (Bultmann)..........34

Wood ward, Sotne Savings ot the Buddha |

(Franke)..................ogiLeipoldt, Vom Jesusbilde der Gegenwart

Furt her Dialogues of the Buddha (Ders.) 30

Franckc, Geistesleben in Tibet (Giemen) 30 j • -

Bauddert-Leipold, Seligpreisungen (Ders.) I

Obbink, De Magische Bcteekenis van den

Naam insonderheit in het oude Egypte :Sch u ba r t, Palaeographie (Koch).....39

(Ranke)...................31 Harnack, Luthers Theologie (Hirsch). . . 39

(Dibelius)
jLeipold, Jesus Nazarenus (Katz)

Spalte

Zimmermann, Thomas Münzer (Bornkamm
) ....................43

Rapp, Die Bedeutung der Konfession in der
Geschichte Württembergs (Bossert) .... -14

Bohlin, Blaise Pascal (Katz).......|

44

LangenskjOld, Blaise Pascal (Ders.) .
Laun. Soziales Christentum in England

(Werdermann)................46

G ei Iii er, Religion und Durchdringung

(Siegfried)..................47

Heu Buer, Kant-Wörterbuch 'Stephan) . .

Dibelius, D. Dr. Otto: Das Jahrhundert der Kirche. Ge- j bens der Völker durch geschlossene, in sich selbständige

schichte, Betrachtg., Umschau u. Ziele. Berlin: Furche-Verl. 1926. j und um jhre Zusammengehörigkeit wissende große Kir-

(25S s.) gr. 8». Rm. 5.50; geb. 6.50. | chen sein wird Seine „Umschau" belegt das an den aus-
Wer diesem Buche gerecht werden will, hat zu j wärtigen Kirchen und Ländern, in der Tat dabei stets
allererst zu bedenken, daß es Zusammenstellung von lehrreiche (und oft historisch wichtige Momente der
Ansprachen und Vorträgen eines geistlichen Redners ist. : letzten Jahre scharf und bestimmt heraushebende) Über-
Es ist im stilus rethoricus geschrieben, und zwar über- blicke gewährend: hier glaubt man häufig einen vielwiegend
in einer individuellen Abwandlung des genus gereisten und sich aufs Beobachten verstehenden Mann
grande. das den Willen packen will. Manche schein- von dem selbst Wahrgenommenen berichten zu hören
baren Selbstwidersprüche, manche offenbaren Unmög- und freut sich det nüchternen Redlichkeit, die aucli
nchkeiten verschwinden, wenn man die Form der Dar- ! kantige Urteile auszusprechen wagt. Der Schluß des gebietung
abzieht. Ich gebe als harmloses Beispiel die ■ schichtlichen Teils und eine Reihe von Bemerkungen
Schilderung des amerikanischen Nationalstolzes S. 170: durch das ganze Buch belegen das gleiche Urteil an
,,Der erste Schrei des Säuglings und des Sterbenden Deutschland, insbesondre Altpreußen. Diese Deutung
letzter Seufzer heißt: Amerika!" Zuzweit aber ist zu j unsrer gegenwärtigen Schicksalstunde gibt dem Buche
beachten die letzte Absicht des Verf.s. Von den vier i die Seele. Es ist das große Segensgeschenk der Revo-

Teilen des Buchs (1. Geschichte, 2. Betrachtung, 3. Umschau
, 4. Ziele) sind die beiden letzten ihm die eigentlich
wichtigen, in denen er eine Skizze der gegenwärtigen
Lage der Kirchen aller Welt und auf Grund ihrer praktische
Forderungen entwickelt. Er will der evangelischen
Kirche, und insbesondere der, der er dient,
der der altpreußischen Union, bestimmte Arbeitsziele
zeigen. Die geschichtliche Darlegung des ersten, die
systematische des zweiten Teils sind ihm also nur Mittel
zu einem höheren Zwecke.

Die Rücksicht auf diese Abzweckung entbindet mich nun
vielleicht von einer Pflicht, deren Erfüllung peinlich wäre: die vom
Verf. entworfenen Bilder aus der Vergangenheit der evangelischen
Kirche auf ihre geschichtliche Richtigkeit zu prüfen. Der Historiker
kann nicht umhin, mindestens S. 1—64 und ebenso auch einiges aus dem
Abschnitt über Jesus (S. 102—113), ziemlich haarsträubend zu finden.
Der Verf. täte gut, bei der sicher kommenden neuen Auflage alles
zu streichen, was sich auf die über seine eigne Lebenszeit zurückreichende
Vergangenheit bezieht, und nur von dem zu reden, was er
selber gesehen und erlebt hat: dort wird er immer die Beachtung
finden, die einer starken Subjektivität gebührt, wenn sie sich über das
ihr wahrhaft Eigene ausspricht. Ich übergehe also die genannten
Seiten im Wesentlichen und begnüge mich damit, von der auf ihnen
geübten Kunst historischer Beleuchtung eine Probe — historisch geurteilt
noch längst nicht die schlimmste — zu geben: die Sätze
S. 105, mit denen der Verf. das Verhältnis Jesu zu der ihn ans
Kreuz schlagenden jüdischen Kirche beschreiben und eine
Empfehlung der Kirche aussprechen will: „Das Werk der Erlösung
ist vom Leben einer Kirche getragen gewesen. Und das Kreuz
von Golgatha hat nie wo anders als in einer Kirche gestanden."

Es ist des Verf.s Überzeugung, daß das 20. Jahr-
ivTrt das Janrluindert der Kirche, d. h. ein Jahrhun-
f>A;rt machtvoller Durchgestaltung des öffentlichen Le-

vw.

lution — der Verf. vergleicht die in ihr mächtigen Geister
der Zerstörung wegen dieses ihres wider Willen erwiesenen
Dienstes mit den Dämonen, die in C. F. Meyer's
Gedicht das Ja zu Gottes Willen knirschen, S. 77 —,
daß sie unsrer Kirche die Freiheit und Selbständigkeit
gegenüber dem Staat und damit die Möglichkeit zu wirklicher
Tat gebracht hat. Daß die evangelische Kirche
diese ihr geschenkte große Stunde erkennt und nun wirklich
etwas schaffe, das ist der heiße Wille des Verf.s, der
ihn zur Veröffentlichung dieses Buches getrieben hat.
Alle seine einzelnen Forderungen haben ihren Grund
in dieser persönlich ergriffenen, d. h. auch im guten
Sinne subjektiven Deutung der Stunde, und das macht sie
wirksam: der Verf. weiß etwas von der Art, in der die
Jugend „Gemeinschaft" erlebt hat: so die Kirche erleben
, das ists, was nach ihm not tut. Dann wird der
Blick für die neuen Aufgaben, und der Mut, an sie her-
anzugehn, notwendig gegeben werden.

Diesen Herzpunkt zu beachten, ist wichtiger als die
einzelnen Forderungen Punkt für Punkt vorzunehmen.
Es ist auch im einzelnen alles vorsichtig und sorgfältig
erwogen, ohne daß doch der zugreifende Wille gelähmt
wäre. Überall spürt man einen kräftigen Tatsacnensinn,
der auf das Notwendigste seinen Willen richtet. So
wahrhaftig und streng über den Mangel an religiöser
Kraft in all unsrer gegenwärtigen Bewegung, auch der
zur Kirche hin (vgl. S. 140) hört man jemanden, der
jetzt eine große hoffnungsvolle Stunde gekommen glaubt,
selten sprechen. Und erfreulicher als die fneisten andern
liturgischen Reformideen ist der Vorschlag S. 211, der
den faulen Punkt unsrer Kirchlichkeit wirklich berührt:

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