Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1927 Nr. 17 |
Spalte: | 403 |
Autor/Hrsg.: | Pöhlmann, Tobias |
Titel/Untertitel: | Goethes Naturauffassung in neutestamentlicher Beleuchtung dargestellt 1927 |
Rezensent: | Krüger, Gerhard |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
403
Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 17.
404
Pohl mann, Tobias: Goethes Naturauffassung in neu.
testamentlicher Beleuchtung dargestellt. Berlin: Furche-Verlag
1927. (189 S.) 8°. Lwd. Rm. 6—.
Wieder ein Versuch, Idealismus und Christentum
diastatisch zu betrachten und zu werten. Zuerst wird
Goethes „Naturauffassung" nach der Dreiteilung Naturgefühl
, Naturforschung, Naturanschauung dargelegt,
sodann alles drei, wiederum getrennt, in „neutesta-
mentliche Beleuchtung" gerückt. An dem ersten Teil
der Arbeit, dem phänomenologischen, wenn ich so sagen
soll, darf man seine Freude haben. Er ruht offenbar
auf gründlicher Einlesung, auch Einfühlung selbst in
die entlegensten Teile von Goethes Schrifttum und vermittelt
ein treffendes Bild seiner Naturauffassung. Mit
dem zweiten Teil kann wenigstens ich mich nur schlecht
befreunden. Es ist in jedem Fall ein bequemes Verfahren
, dem Goetheschen, sagen wir einmal mit Pöhl-
mann, obwohl Goethe selbst nichts davon wissen wollte,
„Pantheismus" den biblischen „Theismus" gegenüberzustellen
und jenen dann an diesem abzumessen. Bedenklich
wird solches Verfahren, wenn es sich um die
Naturanschauung handelt. Pöhlmann (S. 153) betont,
und anscheinend nicht blos referierend, „daß die Wirkung
des Sterbens und des Auferstehens Jesu sich bis
in den Bereich der Todes- und Naturgewalten erstreckt",
was daraus ersichtlich sei, „daß sie mit wunderbaren
Totenerscheinungen und Naturerscheinungen verbunden
waren (Matth. 17,51 ff. und 28,2), die gewissermaßen
ein Mitschwingen und Mithelfen der kosmischen Mächte
an den entscheidenden Vorgängen und Taten der Kos-
mosoteriologie bedeuten und bezeugen". Daß von einer
solchen von Zeichen und Wundern lebenden „Naturanschauung
" sich die Goethesche grundsätzlich abhebt,
das zu erhärten, bedürfen wir freilich des Diastatikers
nicht. Und wenn, wie es fast den Anschein hat, Pöhlmann
die biblische Kosmoarchäologie, Kosmoeschato-
logie und Kosmosoteriologie — um seine eigenen Formulierungen
zu gebrauchen — für die normativ christliche
hält, dann ist freilich jede Verständigung ausgeschlossen
. Goethe selbst würde für die Naivität solcher
„neutestamentlichen Beleuchtung" seiner Naturauffassung
und implicite seiner Religion höchstens ein freundliches
Lächeln gehabt haben. Vielleicht hätte er aber den Kopf
geschüttelt, wenn er gelesen hätte, daß sein Kritiker
zum Schluß (S. 189) der Meinung Ausdruck gibt, daß
„die Goethesche Naturauffassung durch die christliche
(soll heißen: biblische) starke Befestigung, großartige
Erweiterung, unendliche Vertiefung und beglückende und
erhebende Befreiung" bekomme. Ist das noch Diastase
oder nicht etwa Symbiose? Wie aber, wenn Jemand,
sagen wir Goethe selbst, vom entgegengesetzten Standpunkt
urteilend, Pöhlmanns These umkehren wollte?
Hätte er weniger Recht? Ich glaube nicht, daß wir so
weiter kommen. Mit der Bibel in der Hand kann man
nun einmal den „Idealismus" nicht totschlagen. Pöhlmanns
These mitsamt der schwungvollen, hochtönenden
Begründung, die er ihr in den Schlußsätzen seiner
Abhandlung gibt, ist dafür der beste Beweis.
Gießen. O. Krüger.
Werdermann, Lic. Dr. Hermann: Das religiöse Angesicht
Amerikas. Einzeleindrücke und Charakterzüge. Gütersloh: C.
Bertelsmann 1926. (325 S.) gr. 8". Rm. 8—; geb. 10—.
Der Verfasser gibt erst in Tagebuchform gut beobachtete
Einzelheiten, versucht dann eine vorsichtige Zusammenstellung von
Charakterzügen. Er enthält sich mit Recht grundsätzlicher Wertung.
Daß er dann allerdings den gewöhnlich nichtkundigen Leser, der
etwas hilflos vor der Überfülle des Gebotenen stehen mag, auffordert
selbst zu urteilen (S. 10 und 302), könnte zu den sattsam bekannten
, vorschnellen Urteilen über „Amerikanismus" führen, die
der Wirklichkeit — Changing America — in keiner Weise gerecht
werden. Als Quellenbuch (S. 10) wird es nur der wirklich verwerten
können, der die Verhältnisse etwas näher kennt, der freilich dann
zur Abrundumg des Bildes noch mehr Material aus anderen Denominationen
(Methodisten, Presbyterianer) wünscht, ferner unter den
Charakterzügen soziale Arbeit und Liebestätigkeit vermißt. In seiner
Beschränkung auf einen sonst vernachlässigten Zug im Antlitz Amerikas
, in seiner anspruchslosen Form hat das Buch seinen Wert
vor manchen anderen „amerikanischen Reiseeindrücken" und kann
zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit amerikanischer Frömmigkeit
anregen.
Bremen. Bodo Heyne.
Schmidt, Hans Wilhelm: Zeit und Ewigkeit. Die letzten Voraussetzungen
d. dialektischen Theologie. Gütersloh: C. Bertelsmann
1927. (XI, 394 S.) gr. 8». geb. Rm. 15—.
Die umfangreiche Arbeit von Schmidt besteht aus
drei Hauptgruppen, einer kritischen Darstellung der dialektischen
Theologie, zu der neben Barths und Brunners
I Theologie in gewissem Sinne auch die von Paul Althaus
! gerechnet wird, (1—156) einer grundsätzlichen Untersuchung
über Zeit und Ewigkeit, das Problem und seine
i Lösung (157—309) und einer „Theologie der Ge-
j schichte". (310—390.)
Die kritische Darstellung beschäftigt sich zunächst mit Karl
i Barth, dem Werden seiner Theologie, ihrem älteren Ansatz, ihrer
zweiten Ausgestaltung und ihrer konsequenten Durchführung des dialektischen
Gesichtspunktes am Offenbarungsgedanken. Im Mittelpunkt
dieses Kapitels steht die Herausarbeitung des Barth'schen
Offenbarungsbegriffes. Die Untersuchung des Verhältnisses von Zeit
; und Ewigkeit, und des Gottesgedankens zeigt dazu den Weg, der
j Abschnitt über den Charakter der Erlösung und das Eigentümliche
j des „Offenbarungserkennens" bei Barth (Krisis und Wort Gottes
j als Offenbarungsmittel) schließen das Ganze ab. Die Grundthese
Schmidts läßt sich in dem Satze zusammenfassen: Der Offenbarungsbegriff
und damit die gesamte Theologie Barths scheitert an der
Auseinanderreißung von Ewigkeit und Zeit, von Gott und Geschichte.
Die „geschichtlichen Dinge und Geschehnisse, die wir mit der
j Gotteswelt in Zusammenhang bringen wollen, haben nichts mit der
I Offenbarung zu tun; sie können auf das Ewige nur hinweisen; das
Vergängliche kann nur ein Gleichnis des Unvergänglichen sein."
! (38) „Zeitlose Offenbarung ist das Objektive und Absolute, nach dem
! die Theologie in der Sphäre des Relativen, unter historischen und
psychologischen Gegebenheiten so lange vergeblich gesucht hat."
(40) Der so umrissene Tatbestand führt nach Schmidt notwendigerweise
zu einer Entleerung der Geschichte wie auch der Ubergeschichte,
ja zu der Unmöglichkeit, irgendwie positive Beziehungen zwischen
! Gott und Welt zu setzen. Der Ausweg aus dieser Situation gelingt
Barth nur dadurch, daß er den Begriff des „Sinnes", das intentionale
Moment des seelischen Denkaktes" als Brücke zwischen dem Zeitlos
Giltigen, Erlebnisjenseitigen und dem zeitlich Bedingten, Ge-
J schichtlichen einführt. Aber die Möglichkeit konkreter, geschicht-
| licher Offenbarung kann dadurch niemals deutlich gemacht werden,
i Diese Unfähigkeit, zu verstehen was geschichtliche Wirklichkeit im
Unterschied zu historischer Tatsächlichkeit ist, durchzieht die gesamte
I dialektische Theologie.
Auf Brunner geht Schmidt nicht in dem Maße ein wie auf
Barth und Althaus, mit dem er sich an dritter Stelle und am aus-
1 führlichsten auseinandersetzt. Aber Brunner fällt unter dieselbe Kritik.
Seine stärkere Beziehung zum kritischen Idealismus wird nach-
I gewiesen; in ihr begründet sich, daß in Brunners Theologie zwei
verschiedene Arten von Dialektik vertreten sind. Seine ,,Geisttheologie''
gibt kein Mittel an die Hand, das Wesen der christlichen Offen-
I barung zu verstehen. Auch die „Evidenzmystik" vermag das nicht
; zu leisten.
Im Unterschied zu der Auseinandersetzung mit Barth bleibt die
j Kritik an Brunner einseitig. Die Distanz zwischen Barth und Brurmer,
■ die in letzter Zeit immer deutlicher wird, ist fast ganz übersehen.
Gegenüber den „anderen Gedanken" bei Brunner, „die deutlicher
I an das biblische Verständnis der Offenbarung erinnern", hat Schmidt
den Satz: „Zuletzt sind sie nur Symptome für den unmöglichen
Versuch, Dialektiker, Idealist und Christ zugleich zu sein." (107).
Richtig gesehen ist die Neukantische Grundlage
I der dialektischen Theologie. Man vermißt nur, daß sie
j als tragender Untergrund noch schärfer hervorgeholt
j wird. Jedes Verständnis Kants, dessen Beziehungsmitte,
i die beiden ersten großen Kritiken sind und nicht die
| Kritik der Urteilskraft, endet folgerichtig an demselben
Punkt, von dem Kant ausgeht, dem Auseinanderbrechen
von Empirismus und Metaphysik. Nirgends wird das
deutlicher als bei Barth.
Den entscheidenden Angriff richtet Schmidt gegen Althaus.
! Natürlich nicht, weil dieser ihm am fernsten, sondern am nächsten
steht. Die Terminologie Schmidts ist hier nicht immer erfreulich.
Von vorne herein wird die Etikette „Vermittlungstheologie" aufgeklebt
; (109) „Kompromiß" wird „Synthese" gleichgesetzt; an
anderer Stelle wird von einem „Manöver" gesprochen, das Althaus
ausführt (339). Auch die Schärfe der Begriffsbestimmung läßt viel