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Ausgabe:

1927 Nr. 17

Spalte:

401-402

Autor/Hrsg.:

Bierbaum, Max

Titel/Untertitel:

Dompräbendar Helfferich von Speyer und der Münchener Nuntius Serra-Cassano. Ein Beitrag zur römisch-bayerischen Kirchenpolitik und zum Vollzug des bayerischen Konkordats im Jahre 1818 1927

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 17.

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glänzenden literarischen Erfolg auch mit ihnen. Der Leser merkte
es sofort, hier sprach ein Kenner, welcher mit den Verhältnissen
vollkommen vertraut war. „In diesen Schriften, sagte ihr Verfasser
selbst, erlebte ich mein ganzes Leben von Neuem. Kein Zug ist
in ihnen, welcher nicht aus dem Vollen geschöpft wäre." Auf den
Wunsch seines Blattes reiste er 1905 nach Rom, um sich über die
Stimmung der Kurie in Sachen der Trennung an Ort und Stelle zu
unterrichten. Mit den besten Empfehlungen ausgerüstet, lernte er
die hervorragendsten Persönlichkeiten der kirchlichen und politischen
Welt kennen, unter ihnen den späteren italienischen Außenminister
S. Oiuliano, welchen er als einen der gottlosesten Menschen bezeichnet,
die er im Leben getroffen habe, als einen wütenden Christushasser,
der dann im Okt. 1914 gleichwohl mit dem Segen Benedikts XV
verschieden sei. Wieder und wieder ward ihm in Rom geraten,
mit der Kurie seinen Frieden zu schließen und sich dem Index zu
unterwerfen. Er ließ sich nicht dazu bereden, obschon ihm auch
Duchesne in diesem Sinne zusprach. Durch Kardinal Mathieu erhielt
er auch Gelegenheit, Pius X. aus nächster Nähe zu sehen und sprechen
zu hören. Er empfing den Eindruck eines Heiligen von ihm; „aber,
bemerkte der Kardinal, gerade die Regierung heiliger Päpste war
stets ein Unglück für die Kirche".

Da sich der Siecle aus Sparsamkeitsgründen gezwungen sah,
einen Teil seiner Mitarbeiter zu entlassen, so ward von diesem Lose
auch H. betroffen. Aber auf die Abschiedsworte des Direktors:
„Die religiöse Frage ist in Frankreich erledigt", gab er schlagfertig
zur Antwort: „Nur die katholische, nicht auch schon die religiöse."
Die Muße, über welche er nunmehr verfügte, benützte er zur Ausarbeitung
neuer Werke, zunächst seiner vorzüglichen „Histoire du
Modernisme Catholique. 1913", sowie seiner dreibändigen, durchweg
auf gleichzeitigen Tagebuchaufzeichnungen sowie auf einen unge-
•nein reichen und weitverzweigten Briefwechsel aufgebauten Biographie
des bekannten Exkarmeliten Hyazinth Loyson, welche späteren
Zeiten als unerschöpfliche Quelle für die französische Kirchengeschichte
des 19./20. Jahrhunderts dienen wird, was ja übrigens
von H.s Werken überhaupt gilt. Einen bei aller Kürze fesselnden
Abriß der Kirchengeschichte lieferte er in seiner „Courte Historie du
ChrLstianisme. 1924" für die Sammlung Couchoud. Den heftigsten
Unwillen kirchlicher Kreise forderte er mit seiner Schrift heraus:
„Un Pretre marie: Charles Perraud, Chanoine Honoraire d'Autun
(1831 — 1892). 1908"; sie hatte die Gewissensehe des Oratorianer-
priesters Karl Perraud, Bruders des Kardinals Adolf Perraud von
Autun, zum Gegenstande und machte zur Abwehr der wider sie
gerichteten Angriffe eine umfangreiche Verteidigungsschrift nötig:
„Autour d un Pretre marie. Historie d'une polemique. 1910". Endlich
setzte er noch einem seiner treuesten und besten Freunde, dem
edlen und hochbegabten, gleich ihm an Kirche und Christentum
Tre gewordenen Marzeil Hebert, ein würdiges literarisches Denkmal:
„Un Pretre symboliste: M. H. (1851—1916). 1924." Leider stellt er
seinen eigenen Lebenslauf nur bis zum Jahre 1912 dar, in welchem
er zum Ausdrucke seines endgiltigen Bruches mit der Kirche das
geistliche Gewand ablegte; vielleicht hätte er aber in einem weiteren
Bändchen doch auch die späteren Jahre noch behandelt, hätte ihm
nicht am 30. Juli 1926 ein unvermuteter Tod die Feder aus der
Unermüdlichen Hand gerissen.

München. _J. Schnitzer.

Bierbaum, Priv.-Doz. Dr. Max: Dompräbendar Helfferich
von Speyer und der Münchener Nuntius Serra-Cassano.

Ein Beitrag zur römisch- bayerischen Kirchenpolitik und zum
Vollzug d. bayerischen Konkordats im Jahre 1818. Auf Grund
vatikanischer Ärchivalien hrsg. Paderborn: F. Schöningh 1926.
(X, 173 S.) gr. 8°. = Qörrcs-Gesellschaft z. Pflege d. Wissensch,
im kathol. Deutschland, H. 45. Km- 7.50.

Vorliegende Arbeit ist eine Fortsetzung der Darstellung
Anton Doeberls über „Die bayerischen Konkordatsverhandlungen
in den Jahren 1806 und 1807" (München
1924), und sie wurde dadurch ermöglicht, daß dem
Verf. bei einem römischen Aufenthalt 1921/22 „erstmals
die Akten über die späteren Verhandlungen, nämlich
seit dem Jahre 1816, von der Verwaltung des Vatikanischen
Geheimarchivs bereitwilligst ausgehändigt"
wurden. Der Titel sollte aber eigentlich lauten: Dompräbendar
Helfferich von Speyer, Konsultor du Mont
(oder Dumont) und die Dienstanweisung des Nuntius
Serra-Cassano. Denn das Buch schildert die Verhandlungen
des Jahres 1818 zwischen der bayerischen Regierung
und der Kurie über den Vollzug des 1817 abgeschlossenen
, durch das Religionsedikt von 1818 eingeschränkten
Konkordats bis zur Entsendung des Nuntius
nach München, sowie die Entstehungsgeschichte seiner
Dienstanweisung, und dabei treten die beiden genannten
Persönlichkeiten in gleicher Weise hervor. Beide, der
Speyrer Dompräbendar und der Benediktiner von Mal-

medy und nachmalige römische Consultor, waren in
ausgeprägtem Maße das, was der Grieche einen rcolv-
icoayuoviZv nannte, der Münchner von heute einen
„Gschaftlhuber" nennt. Nur stellte der zweite seine
Vielgeschäftigkeit ganz einseitig in den Dienst der Kurie,
während der erstere auch für die Lage und den Standpunkt
der bayrischen Regierung in Rom Verständnis
zu wecken suchte, was ihm natürlich nur wenig gelang.
Wollte doch die Kurie nicht einmal begreifen, daß
Bayern durch den Erwerb von Gebieten mit lutherischer
und reformierter Bevölkerung aufgehört habe, ein rein
katholischer Staat zu sein (S. 26, 35). Und als sie doch
nicht in allen Punkten ihre Forderungen durchsetzen
konnte, hoffte sie immer noch „durch eine gute Aus-

I legung der Konkordatsbestimmungen" und durch „Interpretationsregeln
", die sie dem Nuntius mitgab, Erfolge
zu erzielen (S. 87). Wenn freilich Helfferich einmal von
einem „guten Rechte der Kirche auf Armut" spricht
(S. 12), so berührt das seltsam, da er ja sicher gut

I wußte, daß dies das einzige „Recht" ist, auf das die Kirche
im allgemeinen, und die römische Kirche im besonderen

I von jeher aufs bereitwilligste und freudigste verzichtet hat.
Dagegen ist es ein Verdienst Helfferichs, daß er stets
für den edlen Sailer eintrat, den Dumont neben andern
in Rom verdächtigte und schädigte (S. 47.60 f, 96 f.).

j Bezeichnenderweise berichtete Dumont als Gesandt-

I schaftsrat in München auch über den Nuntius selber an

j Consalvi, weil er an seinem äußeren Auftreten, seinen
Gesten, seinem diplomatischen Takt manches auszusetzen
hatte (S. 58). Die Darstellung Bierbaums strebt im
allgemeinen nach gerechtem Urteil über Persönlichkeiten
und Verhältnisse, wenn man auch im einzelnen da und
dort anderer Ansicht sein wird. Er scheint aber etwas rasch

I gearbeitet zu haben, da der Stoff nicht immer recht
verarbeitet ist. Was er S. 8 wegen Dumonts sagt, muß
er S. 59 berichtigen, da er erst während der Drucklegung
auf weitere Literatur aufmerksam wurde, und zwar nicht
etwa auf fernliegende, sondern auf einen Aufsatz Schnüt-
gens über jenen Mann im Hist. Jahrb. 1915, auf das
Buch Stölzles über Sailer und seine Ablehnung als
Bischof von Augsburg im Jahre 1819 (Paderborn 1914),
und auf E. Ruck, die röm. Kurie und die deutsche Kirchenfrage
auf dem Wiener Kongreß (Basel 1917).
Letzteres Werk führt er S. 60 A. 2 mit „a. a. O. S. 15"
an, obwohl es vorher nie genannt, nur in dem Verzeichnis
S. X aufgeführt ist. Zu S. 77 A. 2 wäre auf die Schrift
Merkles über „das Konzil von Trient und die Universitäten
" (1905) zu verweisen. Bei der Erörterung der
Vollmachten und Instruktionen des Nuntius S. 67ff.
nimmt B. auch auf das älteste Recht und auf die Bestimmungen
des neuen kirchlichen Gesetzbuches Bezug und
er gibt damit einen Beitrag zum Nuntiaturrecht des

I 19. Jahrhunderts, das bisher noch wenig behandelt,

| vor kurzem aber von A. Stutz in seiner Akademie-Abhandlung
über die Denkwürdigkeiten des Kardinals
Domenico Ferrata (Berlin 1926) meisterhaft ins Licht

| gerückt wurde. Der zweite Teil bringt die Texte aus dem

; Vatikanischen Geheimarchiv.

S. 3 heißt es: „Reichspolitische Erwägungen mußten zu dem

[ Schluß führen, daß ein Reichskonkordat eine Bedrohung der Selbständigkeit
Bayerns und eine Verstärkung der Reichsmacht bedeute".
Im Vorwort S. V: „Das alte bayerische Konkordat vom Jahre 1817

j diente als Vorbild und Vorlage für die späteren Vereinbarungen der
deutschen Regierungen mit dem Hl. Stuhl". Gedanken an die Wieder-

j holung solcher „Erwägungen" und eines solchen „Vorbildes" in der
jüngsten Vergangenheit und in der Gegenwart liegen hier nahe. „Verschiedenartig
" ist aber der bayrische Staat nicht „völkisch" (S. 90),

I sondern nur nach Stämmen. Wenn „alle katholischen Gläubigen
nicht nur Bürger des Staates, dem sie politisch angehören, sondern
auch gleichzeitig Untertanen einer geistlichen Macht, des Oberhauptes
der Kirche, sind" (S. 93 A. 1), so ergibt sich im Streitfalle von
selbst die Überlegenheit der geistlichen Macht. Zum Berichte des
Nuntius, daß er „keinen Kleriker" gesehen habe (S. 54 u. 72), gehörte
eine erklärende Anmerkung, daß damit Priesterzöglinge gemeint sind.

I Natürlich fehlt auch die Erwähnung des „ständigen Biertrinkens"

j nicht (S. 27 und 88).

| München. _ Hugo Koch.