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Ausgabe:

1927 Nr. 17

Spalte:

399-401

Autor/Hrsg.:

Houtin, Albert

Titel/Untertitel:

Une Vie de Prêtre 1927

Rezensent:

Schnitzer, Joseph

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 17.

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sich leicht vermehren; sie zeigen, daß wir auf dem Gebiet der
gr. christl. Epigraphik noch viel zu tun haben. Es hat keinen
Sinn, an dieser Stelle ein umfangreiches Programm aller
noch zu leistenden Arbeit aufzustellen. Wünschenswert
ist, daß steh auch in Deutschland solche Arbeiter wie
Calder und Gregoire, Jalabert und Mouterde finden
mögen, die mit ihrem immer wieder erneuertem Studium
der ehrwürdigen Denkmäler der Vergangenheit, wertvolle
Dienste für die Erkenntnis des christl. Altertums leisten.
Bonn a. Rh. Erik Peterson.

Hou tl n , Albert: Une Vie de Pretre. Mon Experience. 1867 — 1912.
Paris: F. Rieder 1926. (445 S.) 8°. fr. 12—.

In schlichten und doch nicht selten ergreifenden
Worten schildert uns der auch in Deutschland nicht
unbekannte Verfasser seinen äußeren Werdegang von
den Tagen seiner Kindheit an bis zu seinen reifen
Mannesjahren und Hand in Hand damit seine innere
religiöse Entwicklung von der vertrauensseligen Einfalt
des Elternhauses an bis zum tragischen Kampfe, der
mit dem Verluste seines kirchlichen wie christlichen
Glaubens endete.

Am 4. Okt. 1867 zu La Fleche im Sprengel Angers als Sohn
unbemittelter Eltern geboren, hegte er als Knabe zur innigsten
Freude seiner tief religiösen, streng kirchengläubigen Mutter den
heißen Wunsch, sich dem priesterlichen Stande zu widmen, und
trat in das sog. kleine Seminar zu Angers ein, wo er seine humanistische
Bildung empfing. Seine philosophisch-theologischen Studien
legte er im großen Seminare der Bischofsstadt zurück, hier wie
dort ein Muster kindlicher Frömmigkeit, bescheidener Zurückgezogenheit
und eisernen Fleißes. Die Zustände, welche in den beiden
Seminaren herrschten, die Männer, welche als Erzieher und Lehrer
hier wirkten, zeichnet der Verfasser aufs anschaulichste, so daß
seine Autobiographie schon als Beitrag zur Geschichte des geistlichen
Erziehungs- und Bildungswesens in Frankreich dauernden
Wert behält. Wie für die Vorzüge, so hat er für die Schwächen des
ganzen Systems ein offenes Auge. Seine Stärke sieht er in der
strengen Aufsicht, mittels welcher auch mittelmäßige Lehrer gute
Zöglinge heranzubilden vermögen. Sein großer Fehler ist es, das
Gedächtnis auf Kosten des Verstandes, die Autorität auf Kosten der
Vernunft, den Gehorsam auf Kosten des Gefühles für die eigene
Verantwortlichkeit zu pflegen. Die Zucht, die strenge Unterwerfung
unter die Hausordnung gilt mehr als die Entwicklung des Charakters
und die Aneignung gründlichen Wissens. Namentlich ist das Leben
im sog. großen Seminare eine Enttäuschung größerer oder geringerer
Art für die Kandidaten des Priestertums. Aber was sie hier an
menschlicher Schwäche antreffen, das gibt man ihnen und nehmen sie
selbst als gottgewollte Prüfungszeit hin; sie sehen weniger das Seminar
als die Kirche, weniger die Kirche als Gott und das ihnen vorschwebende
Ideal.

Von einem seiner Lehrer zu einem Besuche in die nahe gelegene
Benediktinerabtei Solesmes mitgenommen, fühlte sich H. von allem,
was er hier sah, so angezogen, daß er kein höheres Glück mehr
kannte, als hier einzutreten, um als Sohn des hl. Benedikt zu leben
und zu sterben. Etwa ein halbes Jahr verbrachte er inmitten
der klösterlichen Gemeinde. Die hier geübte kernhafte Frömmigkeit,
die Feierlichkeit der Liturgie, die Majestät des benediktinischen Chorgesanges
erfüllten sein Herz mit Schauern seliger Wonne. Doch
durfte er die Gelübde nicht ablegen. Es gab in Solesmes auch ein
Benediktinerinnenkloster zur hl. Cäcilia, dessen Äbtissin, Madame
Bruyere, ob ihrer angeblichen mystisch-visionären Zustände und Erlebnisse
wie nicht minder ob ihrer Weltklugheit und weiblichen
Verschlagenheit größtes Ansehen weit über die engen Mauern ihrer
Klosterzelle hinaus genoß. Houtin widmete ihr und ihrer verhängnisvollen
Wirksamkeit später eine eigene, für alle, die sich mit
mystischen Studien befassen, sehr lehrreiche Schrift: ,,Une grande
Mystique: Madame Bruyere, abbesse de Solesmes (1845—1909). Paris
1925." Ihr Einfluß machte sich auch im Männerkloster sehr fühlbar,
wo sich zwei Gruppen gegenüberstanden: Die ,,Alten", entschlossen,
der Äbtissin von S. Cäcilia gegenüber ihre Selbständigkeit zu wahren,
daher „Anticäcilianer" genannt; sie huldigten den wissenschaftlichen
Idealen der gelehrten Mauriner und hielten treu zu Dom Couturier,
ihrem edlen, nur zu milden Abte, dessen Leben H. ebenfalls beschrieb:
„Dom Couturier, abbe de Solesmes. 1899." Dagegen standen die
„Jungen" unter Führung des Priors Logerot, des Beichtvaters der
Äbtissin, im Banne des Zaubers, welcher von St. Cäcilia ausstrahlte,
daher „Cäcilianer" geheißen. Eifrig bedacht, die Partei der „Jungen"
zu stärken, setzte Logerot der Aufnahme solcher Novizen Schwierigkeiten
entgegen, von welchen er annehmen zu müssen glaubte,
daß sie zu den „Alten" gehören würden, und da er H. zu ihnen
rechnete, so konnte dieser nicht länger bleiben; es war, wie er später
bei einem Rückblicke auf diese Zeit selbst bemerkte, einer der schmerzlichsten
Tage seines Lebens, als er scheiden mußte, um ins Priesterseminar
zu Angers zurückzukehren. Denn Priester wollte er nach
i wie vor werden, ein heiliger, der Kirche nützlicher Priester; die
benediktinische Frömmigkeit, wie er sie in Solesmes schätzen und lieben
! gelernt hatte, übte er auch nach seiner Rückkehr lange noch fort.

1891 zum Priester geweiht, ward er nicht in der Seelsorge
verwendet, sondern im kleinen Seminar zu Angers zunächst als
Studienpräfekt, dann als Geschichtsprofessor mit einem jährlichen
Gehalte von 400 Fr. und freier Verpflegung angestellt. Gelegentlich
eines Aufenthaltes in' London, wo er während der Ferien
einen Geistlichen vertrat, verschlang er die Werke Newmans; die
Schrift über die Wunder wurde das Schicksalsbuch seines Lebens,
das Handbuch des Zweifels. Der in ihm so stark angelegte, bisher
schlummernde kritische Sinn regte sich zum ersten Flügelschlage,
als er sich Studien über die Anfänge der französischen Bischofssitze
widmete und bald erkannte, daß ihre angebliche apostolische
Gründung eitel Legende sei. Da er nun in seiner Schrift „Origines
I de l'Eglise d'Angers. 1901" die Geschichtlichkeit des Hl. Bischofs
Rene bestritt, — was freilich schon längst vor ihm die Bollandisten
getan hatten — so erregte er den größten Anstoß bei Bischof wie
Klerus. Man hielt ihm gereizt entgegen, wenn die kirchliche Überlieferung
über den hl. Rene ungeschichtlich sei, dann könnten es
ja am Ende gar auch die biblischen Berichte und Wunder sein.
So wandte er der Bibelfrage seine Aufmerksamkeit zu und gab, von
! Meister Loisy treulich beraten, 1902 seine Schrift: „La Question
Biblique chez les Catholiques de France au XIX e siecle" heraus,
welche seinen Namen mit einem Schlage weit über Frankreichs Grenzen
hinaus in Italien, Deutschland, England und Amerika bekannt
machte und 1906 eine Fortsetzung mit demselben Titel: „La Question
I Biblique au XXe siecle" fand. Die Schwierigkeiten, welche er
j mit seinem Bischöfe ob seiner Schrift über die Apostolizität der französischen
Bistümer hatte und in seiner Broschüre: „Mes Difficultes
avec mon Eveque, 1903" schilderte, hatten seine Absetzung von
! seinem Lehrposten im kleinen Seminar zur Folge. Er stand nun
mittellos da und mußte froh sein, die Stelle eines Hilfspriesters,
„pretre habitue", des Pfarrers von S. Sulpice in Paris mit einem
j monatlichen Gehalte von 200 Fr. zu erhalten, und selbst sie verlor
] er schon nach wenigen Monaten mit dem Erscheinen seiner „Biblischen
Frage". Nicht einmal seiner Bitte, ihm wenigstens die Er-
| laubnis zum Messelesen zu gewähren, um bei der Mittellosigkeit
| seiner Eltern den nötigsten Lebensunterhalt zu verdienen, wurde
I entsprochen. Alle seine Vorstellungen beim Bischöfe von Angers
1 waren vergeblich. „Ein Bischof, gab ihm dieser zur Antwort, läßt
I sich in keine Erörterungen, in keine Widerlegungen ein; er verdammt
." „Wenn er nichts mehr zu essen hat, erklärte derselbe
Kirchenfürst mit der gelassensten Miene der Welt, so wird er schon
i zum Kreuze kriechen." Und doch war noch keine seiner Schriften
von Rom verboten; die Dominikaner Esser und Lepidi, welche eine
wichtige Stelle an der Indexkongregation bekleideten, weigerten sich
| trotz alles französischen Drängens, seine „Biblische Frage" in die
Liste der verbotenen Bücher aufzunehmen. Noch immer träumte
er von einer Aussöhnung der Kirche mit der modernen Kultur
Mit der ihm eigenen feinen Witterung für religiöse und geistige
Strömungen erkannte er, daß sich eine Renaissance des Idealismus
anbahne, welche ihre begeisterten Apostel mit den Methoden zum
l Siege zu führen gedachten, mit welchen sich die amerikanischen
) Katholiken, an ihrer Spitze die freilich im Grunde durchaus ratio-
I nalistisch gerichteten Bischöfe Ireland und Spalding, durchzusetzen
verstanden hatten. Die Frucht dieser Studien war das Buch
| „L'Americanisme. 1903", mit welchem H. in kirchlichen Kreisen
i erst recht wieder Anstoß erregte.

Mit dem Regierungsantritte Pius X. hatte die Nachsicht, welche
| Rom den bedrohlichen religiösen Strömungen Frankreichs bisher
angedeihen ließ, ein Ende. Mit den bekanntesten Schriften Loisys
kam auch H.s Amerikanismus, seine „Biblische Frage" wie seine
Broschüre über seinen Streit mit dem Bischöfe von Angers auf den
Index (1903). Gleichwohl wurde er eben jetzt vom Bischöfe Lacroix
von Tarentaise zu seinem Privatsekretäre berufen und mit vollstem
Vertrauen beehrt. Das große Ereignis der Trennung von Kirche und
Staat warf seine Schatten voraus. Es galt, sich zum unausweichlichen
Kampfe zu rüsten, bei welchem ein so gewandter und geistvoller
Schriftsteller wie H. die besten Dienste leisten konnte. Im Gegensatze
zu Rom war die weitaus überwiegende Mehrzahl des französischen
Episkopats der Überzeugung, daß sich die Kirche mit den
im Trennungsgesetze vorgesehenen Kultgenossenschaften sehr wohl
abfinden könne; in diesem Sinne war mit Bischof Lacroix auch
H. aufs emsigste tätig. Wäre diese Richtung in Rom durchgedrungen
, so hätte der französischen Kirche der ihr durch die römische
Verwerfung der Kultgesellschaften erwachsene Verlust ihres Vermögens
im Betrage von etwa 500 Millionen Fr. erspart bleiben
können. H. führte seine Preßfehde hauptsächlich im „Siecle", für
welchen er auch zahlreiche Artikel über die führenden Persönlichkeiten
und die innere Lage der französischen Kirche schrieb. Er
ließ sie sofort auch in Buchform erscheinen unter dem Titel: „La
Crise du Clerge" und „Eveques et Dioceses" und erzielte einen