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Ausgabe:

1927 Nr. 17

Spalte:

394-397

Autor/Hrsg.:

Buonaiuti, Ernesto

Titel/Untertitel:

Ricerche Religiose. Vol. II 1927

Rezensent:

Koch, Hugo

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393

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 17.

394

Bericht über das theologische Seminar der Brüdergemeine in
Herrnhut Ostern 1921 bis Herbst 1926. - Keßler, Werner:
Die innere Einheitlichkeit des Buches Ezechiel. Herrnhut:
Verlag d. Missionsbuchh. 1926. (9 u. 93 S.) 8«. = Berichte des
theolog. Seminars d. Brüdergemeine in Herrnhut, H. 11, 1926.

Rm. 2.50.

War in den letzten zwei Jahrzehnten alle wissenschaftliche
Arbeit am Buche Ezechiel im wesentlichen
darauf gerichtet, in Abwehrstellung gegen R. Kraetzsch-
mars Theorie von den Paralleltexten auf den von J.
Herrmann gewonnenen Ergebnissen weiter zu bauen
oder sie höchstens in Einzelheiten zu rektifizieren, so
hat G. Hölscher durch seine rein subjektiv eingestellte,
scharfsinnige und umfangreiche Untersuchung über „He-
sekiel" (vgl. die Besprechung in ThLZ 1925, Sp. 265 ff.)
eine ganz neue Operationsbasis geschaffen. In seinem
Bemühen, um jeden Preis ein besseres Verständnis von
„dem Dichter und seinem Buch" zu vermitteln, ist er
in kühnem Vorstoß über seine beabsichtigte literarkri-
tische Untersuchung hinaus vorgedrungen in Richtung
des Problems der „inneren Einheitlichkeit". Jede Weiterarbeit
am Buche Ez. wird genötigt sein, sich mit Hölschers
genialer Auffassung bis in die Einzelheiten hinein
auseinander zu setzen. Dadurch ist denn auch der Weg
vorgeschrieben für die vorliegende Gießener Dissertation
des neuen Dozenten am Seminar der Brüdergemeine,
die bestrebt ist, in wissenschaftlich einwandfreier Weise
eine Schutzwehr gegen Hölschers Radikalismus aufzu- |
richten. Und doch ist es dankbar zu begrüßen, daß sich
der Herr Verfasser letztlich nicht in ein „Markten und
Feilschen um jedes kleine Stückchen" (S. 33) verliert;
vielmehr bleibt sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet,
die großen Gesichtspunkte für die Methode der Forschung
zu gewinnen. Der erste Teil (S. 8—23) erörtert
in prinzipieller Weise das Echtheitsproblem ganz allgemein
und beleuchtet die Schwächen und Unzulänglichkeiten
der bisherigen Lösungsmethoden (Literar-
kritik, geschichtliche und religionsgeschichtliche Kritik)
und beurteilt dann (S. 23—35) Hölschers „Hesekiel".
An die Stelle des Bisherigen habe das zu treten, was
Kessler die „synthetische Methode" nennt; d.
i. „der Versuch, eine positiv vorhandene Echtheitsbe-
ziehung zwischen Autor und Text aufzuzeigen" (S. IS).
Wie bei der Beurteilung der Einheitlichkeit eines Bildes
der perspektivische Mittelpunkt entscheidende Bedeutung
habe, „so kann auch die Frage der Einheitlichkeit eines
„Textbildes im Sinne der Echtheit der großen Haupt-
komplexe nicht durch formale Kritik literarkritisch-
„flächenhaft unter bewußter Ausschaltung der Wesens-
„beziehung zum Autor entschieden werden, sondern nur
„durch den Versuch, von der inneren Formlinie, der
„Eigenartsstruktur der sicheren Textkomplexe aus zu
„dem Wesen des Autors selbst vorzudringen und zu
„prüfen, ob die charakteristischen inneren Formlinien
„der Eigenart bei den unsicheren Stücken auch die
„Richtung nach dem gleichen Wesenspunkt hin haben,
„bzw. umgekehrt, ob sich, von dem Wesen des Autors
„aus betrachtet, die verschiedenen Textkomplexe als einheitlich
erweisen" (S. 21). Die innere Wesensstruktur
Ezechiels, welche Verf. auf Grund der auch von Hölscher
mit Ausnahme von Kap. 22 für echt gehaltenen Drohweissagungen
herausarbeitet, besteht darin, daß Ez. „in
ganz starkem Maße Schriftsteller ist;" bei ihm herrsche
das logische Denken vor und ein Hang zu wisssenschaft-
licher Genauigkeit, die fast zur Pedanterie wird; außerdem
sei für ihn charakteristisch die Schroffheit, wie
sie sich besonders in seiner Gottesanschauung spiegelt
(S. 36—68). Von diesen Blickpunkten aus beurteilt Kessler
die Reden an die Exulanten (S. 68—79), die Heilsweissagungen
(S. 79—85) und den Verfassungsentwurf
(S. 85—93), die sich — wenigstens in ihren Hauptzügen
— von dem „perspektivischen Mittelpunkt aus
gesehen" als echtes Gut erweisen.

Auch der Rezensent will nicht um Einzelheiten
rechten, obwohl manches den Widerspruch herausfordert
(etwa die nicht sonderlich geschickte Formel über die

religionsgeschichtliche Kritik (S. 12) oder das Sprechen
von einer ästhetischen Kritik (S. 10), womit doch wohl
eine literaturgeschichtliche Beurteilung gemeint sein
dürfte). Verdienstlich ist jedenfalls, daß Kessler einmal
ganz deutlich und prinzipiell die Unzuverlässigkeit und
Unsicherheit der bisherigen Untersuchungsmethoden auf-
i deckt. Wie aber steht es mit dem Neuen, dem Beurteilen
der Echtheitsfragen aus dem Wesen des Autors? Ein-
I mal ist dazu zu sagen, daß diese synthetische Methode
— wenn vielleicht auch nicht dem Namen nach, so doch
sicherlich in der Sache — von einem gründlichen Bearbeiter
von Echtheitsproblemen auch schon früher angewendet
wurde. Aber auch sie führt, wie Verf. ganz
ehrlich zugesteht, nicht zu sicheren Resultaten und objektiven
Erkenntnissen. Entscheidend bleibt für ihre
Auswirkung immer die richtige Basis; und das Gewinnen
dieser Ausgangsstellung ist stets gebunden an das subjektive
Empfinden des Forschers. Schließlich hat ja
auch Hölscher schon diese Methode verwertet, ist aber
infolge seiner viel begrenzteren Grundstellung zu wesentlich
anderen Ergebnissen als Kessler gekommen.
Dann aber steckt m. E. in den Ausführungen (S. 21)
ein beachtlicher Fehler, wenn Verf. von einem Text-
bilde spricht. Sicherlich ist ein Gemälde aus einer
Intuition, einer einmaligen Idee heraus geboren und
dadurch etwas Einheitliches, in sich Geschlossenes. Aber
ein Literaturwerk wie das Buch Ez., dessen einzelne
Inhalte sich über einen langen Zeitraum verteilen, darf
damit nicht ohne weiteres verglichen werden. Und
nur wenn man unter Ausschaltung aller Spannungen
den Dichter (oder Schriftsteller) als eine sich innerlich
stets gleichende Größe werten dürfte, wäre man
berechtigt, von einem perspektivischen Mittelpunkt zu
sprechen (man vergleiche etwa unter diesem Blickpunkt
Goethes Werke oder Ez. s Verfassungsentwurf mit seinen
Heils- und Unheilsweissagungen!). — Aber trotz
dieser Bedenken ist die Arbeit Kesslers verdienstlich;
nicht nur durch die besonnene und nüchterne Art, mit der
die Probleme behandelt sind. Darüber hinaus hat der Verf.
durch eine stattliche Reihe guter Einzelbeobachtungen
I in erfreulichem Maße das Verständnis Ez.s, des Dich-
! ters und des Buches, gefördert.

I Suhl (Thür.). Curt Kühl.

Ricerche religiöse, dirette da Ernesto Buonaiuti. Vol. II.
Rom (37) [Via Oiulio Alberoni, 7]: E. Buonaiuti. 1926. (580 S.)
gr. 80. ; L. 50—.

In H. 1 dieses Bandes bringt Buonaiuti, der inzwischen
ein .Profilo' von ,Oesü di Nazareth' veröffentlicht hat, seine Abhandlung
,Die frohe Botschaft' (siehe diese Ztg. 1926, Sp. 127 u.
496) zu Ende mit Ausführungen über .Jesus der Erlöser'
(S. 1—16). Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Bedeutung
des .Menschensohnes': B. glaubt, daß Jesus sich diese Bezeichnung
nach dem Buche Daniel beigelegt habe zunächst als Ausdruck der
sittlichen Aufgabe, die er verkünden und verwirklichen wollte,
daß sich damit dann im Verlaufe seiner Wirksamkeit eschatologisch-
messianische Vorstellungen verbunden hätten, die schließlich in den
Gedanken eines stellvertretenden Leidens eingemündet seien. Im
einzelnen erscheinen B.s Ausführungen reichlich unklar und verschwommen
. — Fausta Zucchetti schildert (S. 17—22) die
■ Entzweiung zwischen Eustathius von Sebaste und Ba-
silius von Cäsarea, ohne einen neuen Gesichtspunkt zu
bringen. — Feiice Battaglia beleuchtet (S. 23—38) den .religiösen
Gedanken des Marsiliusvon Padua' im .Defensor pacis':
seinen Kirchenbegriff, die scharfe Unterscheidung von .temporalia' und
.spiritualia', die Gedanken über Handhabung der Exkommunikation
und die Gewissensfreiheit. War er in manchem ein Vorläufer Luthers
so hat er in diesem letzten Ininkte nicht bloß das Mittelalter, sondern
auch die protestantische Reformation übersprungen und der Neuzeit
vorgearbeitet. B. glaubt, daß Marsilius Dantes Monarchia gekannt
habe, wenn er ihn auch nie erwähnt. — S. 39—44 tritt Motzo,
wie schon in seinen ,Saggi di Storia e Letteratura Giudeo-EIlenistica'
1924, für die Abfassung des Weisheitsbuches durch Philo
ein. Die „äußern Gründe" führt aber sofort Pincherle, der
schon in den .Ricerche' 1925, S. 385 ff. Motzo entgegengetreten
war und der den lateinischen Text des Muratori'sehen Fragments
für ursprünglich hält, in einer kurzen Bemerkung auf den einen
Hieronymus zurück, der nicht von einer festen Überlieferung, sondern
nur von „nonnulli scriptorum veterum" rede. S. 45—48 berichtet