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Ausgabe:

1927 Nr. 16

Spalte:

377-381

Autor/Hrsg.:

König, Joseph

Titel/Untertitel:

Der Begriff der Intuition 1927

Rezensent:

Winkler, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 16.

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neuzeitlichen Kirchenrechts auf deutschem Boden, seinem Wesen nach
in einer eingehenden Rechtsstudie zu erschließen. In zwei umfassenden
Abschnitten wird zunächst die rechtliche Stellung des Kirchenbundes
innerhalb des Reichsstaatsrechts, sodann das Wesen des ,
Kirchenbundes nach seiner eigenen Rechtsordnung untersucht und in
einer bisher unerreichten Vollständigkeit dargestellt. Den einheit- j
liehen Ausgangspunkt für die gesamte Darstellung nimmt W. vom
Boden des Reichsstaatsrechts aus, in dem er, in bewußter Anlehnung
an die Theorien von Kelsen, den Geltungsgrund für den Zusammenschluß
der Landeskirchen erblickt. Diese Bindung an die staatsrechtliche
Konstruktionsbasis gibt der Studie eine starke innere Ge- i
schlossenheit und damit ihren besonderen Reiz. Andererseits liegt aber
auch in dieser Einseitigkeit des Werkes seine Schwäche. Der staatsrechtlichen
Betrachtungsweise entsprechend gipfelt die Studie in !
einem Vergleich des Kirchenbundes mit den herkömmlichen staatsrechtlichen
Verbindungsformen, dem Staatsbund und dem Bundesstaat,
mit dem Ergebnis, daß der Kirchenbund als ein förderativer, analog
einem Staatenbund gebildeter Zweckverband dargestellt wird. Auf das
Bedenkliche einer derartigen vergleichsweisen Betrachtung hat bereits
D. Berner sowohl auf dem Stuttgarter Kirchentage wie schon vorher
in einer Veröffentlichung in der Presse (abgedruckt bei Hosemann,
Gesetze und Verordnungen des Deutschen Evangelischen Kirchenbun- j
des, Berlin 1Q26, S. 41 ff.) hingewiesen. Der Kirchenbund ist ein j
Rechtsgebilde völlig neuer Art, dessen Wesen nur vom Standpunkt
des Kirchenrechts aus ganz erfaßt werden kann. Der Begriff des
Kirchenrechts scheidet aber bei der vorliegenden Studie, die auch nach
dieser Richtung ganz von Kelsen beeinflußt ist, völlig aus. Man wird
dies um so mehr bedauern, als gerade die Bildung des Kirchenbundes
einen interessanten Beleg dafür bietet, wie unter dem Einfluß der |
gewaltigen Verschiebung die sich in der Stellung des Staates zu den
Religionsfragen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts vollzogen hat
und mit der Reichsverfassung von 1019 zu einem gewissen Abschluß
gekommen ist, das protestantische deutsche Kirchenrecht losgelöst
von der bisherigen Verbindung mit dem Staat sich von Grund i
auf neu zu gestalten begonnen hat. Die Folge der rein Staatsrecht- ;
liehen Einsteilung des Verf.s ist, daß das Neue und Schöpferische der
Bildung des Kirchenbundes bei ihm nicht zu seinem Recht kommt.
Wer dem Gedankengange der Studie folgt, müßte glauben, daß der
Kirchenbund ohne Art. 137 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 3 der Reichsverfassung
, aus denen der Verf. alle seine Schlußfolgerungen herleitet
, nicht zu denken sei. Und doch wäre der Kirchenbund auch
ohne die erwähnten Sätze der Reichsverfassung zustandegekommen; ,
ja, seine Verfassung hätte ohne sie kaum einen wesentlichen anderen
Inhalt angenommen. Daß die neue Reichsverfassung den im Entstehen
begriffenen Kirchenbund schon im voraus in aller Form als
Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte, war für ihn sicherlich
ein höchst willkommener und politisch hoch bedeutsamer staatsrechtlicher
Akt, aber es war nicht die Basis seiner Existenz.

Auf die staatsrechtliche Grundeinstcllung der Arbeit ist es auch
zurückzuführen, daß Vergleichsmöglichkeiten und Ausblicke fehlen,
wie sie der kirchlichen Praxis besonders naheliegen würden; nur
beispielsweise sei der kirchliche Zusammenschluß in Thüringen, in
der Schweiz, in Nordamerika, die Vereinigung der Synagogengemein-
den in Preußen, die Stellung des Kirchenbundes zu anderen ausländischen
und übernationalen religiösen Organisationen genannt. Dafür
enthält die beachtenswerte Broschüre auf anderen Gebieten eine
Reihe von Gesichtspunkten, die weit über den Rahmen des Themas
hinausweisen. Ganz besonders gilt dies, abgesehen von der sorgfältigen
und eingehenden Darstellung der inneren Rechtsordnung des
Kirchenbundes, von den staatsrechtlichen Ausführungen des Verfassers
über die Grenzen der Kirchenhoheit der Länder im Verhältnis zu den
überstaatlichen kirchlichen Verbänden sowie von seinem interessanten
Versuch, dem viel umstrittenen Begriff der Körperschaft des öffentlichen
Rechts auf neuem Wege näher zu kommen. Alles in allem hat
die Literatur über das neue Reichskirchenrecht mit der Studie des
Verfassers eine wertvolle Bereicherung erfahren.

Berlin. B. Kam atz.

König, Joseph : Der Begriff der Intuition. Halle a. S.: M. Niemeyer
1926. (IX, 420 S.) gr. 8°. = Philosophie u. Geisteswissenschaften
, Buchreihe, Bd. 2. Rm. 16—; geb. 18—.

Cysarz, Herbert: Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft. 1

Kritik u. System. Ebd. 1926. (VII, 304 S.) gr. 8°.

Rm. 10—; geb. 12—. 1

Kairos. Zur Geisteslage und Geisteswendung. Hrsg. v. Paul T i 11 i c h. '
Darmstadt: O. Reichl 1926. (XI, 483 S.) 8°. geb. Rm. 15—. j

Die drei Bücher sind symptomatisch für die Neubesinnung
in den Geisteswissenschaften. Das erste
bringt die erkenntnistheoretische Auswertung dieser Neubesinnung
und damit zugleich ihre allgemein philosophische
Begründung, das zweite die Anwendung auf !

die Literaturgeschichte, das dritte unter anderem auch
auf Religionswissenschaft und Theologie.

Die Neueinstellung in den Geisteswissenschaften
ist im allgemeinen gekennzeichnet durch den lebensphilosophischen
Drang, an die Sachen selbst heranzukommen
, der kritisch gebändigt in der Phänomenologie
verschiedenster Richtung seinen mehr oder weniger
wissenschaftlichen Ausdruck gefunden hat. Diese Wende
zum Objekt wirkt sich als eine Auferstehung der Metaphysik
aus. Und damit tritt — alles angeregt durch
diese Neueinstellung — das Problem der Beziehung
von Realität und Idee, empirischer Wirklichkeit und
metaphysischem Ursein in den Mittelpunkt philosophischen
Nachdenkens. Zwischen ihnen soll im Gegensatz
zum Kritizismus Kants eine positive, unseren Denkschritten
begehbare Beziehung walten. Erstmals hat in
wissenschaftlicher Weise, aber noch ganz im Schatten
des Kritizismus die Phänomenologie Husserls an diese
Dinge gerührt. Daher kommt es, daß sich ihre Grundgedanken
auch da, wo sie in Einzelheiten bekämpft
wird, überall geltend machen, wo man auf dem neuen
Boden steht. So in den drei Büchern.*

König baut auf eine scharfsinnige Analyse des
Verstehens bei Dilthey, der Methode des Urphänomens
bei Goethe, der Intuition Bergsons und der Wesensschau
Husserls auf. Alle diese Methoden werden als
Unterfälle spekulativ-metaphysischer Intuition erkannt.
König kann sich dafür teils auf Aussagen der betr. Philosophen
selbst berufen, teils überzeugend herausstellen,
daß ihre eigentliche Absicht, besonders bei Husserl
dahin geht. Diesen metaphysischen Tendenzen wird der
antimetaphysische — wenn man will antimetaphysisch
ausgedeutete — Kritizismus Kants gegenübergestellt.
Hier das reinliche Auseinander von Ich und Gegenstand
, dort seine Aufhebung zugunsten des Gegenstandes
. Bei Kant ist ihr korrelatives Zusammen, die Synthese
, die als Synthesis nicht vollzogen werden kann,
das letzte. Der Sinn ist das Gegebene, bei dem man sich
zu beruhigen hat, der Gang zum Sinn ist sinnlos.
Eben diesen Gang will die spekulativ-intuitive Metaphysik
gehen, die Synthesis vollziehen. Die intellektuale
Anschauung, das Organ dieser Metaphysik, will nicht
eine in sich ruhende Anschauung sein, die die Objekte
in starrer Isolation sich entgegensetzt, sondern ewig
lebendiges Ineinander und Auseinander von Schauendem
und Geschautem, in welches nichts hinein- und aus
welchem nichts herausführt. Die Intuition ist nach
Goethe lebendiges Anschauen, d. h. der Sprung in das
innere Leben des Gegenstandes. Die „Gestalt" (,uop</r/),
die in der Intuition erschaut wird (die morphologische
Betrachtungsweise, die heutzutage allenthalben gepriesen
wird), ist das Koinzidieren der Lebendigkeit der
Natur und der unseres Naturdenkens (S. 144). Wenn
Goethe von gegenständlichem Denken spricht, meint
er dasselbe: ein Denken, welches der Gegenstand selbst
ist. So ist auch Husserl nur halb begriffen, wenn er
als Transzendentalphilosoph hingestellt wird, wie ich
in meiner Abhandlung: Phänomenologie und Religion
(1921) gezeigt habe. Die Phänomenologie nach ihrem
eigentlichen Wesen ist vielmehr auf Metaphysik aus:
absolut wissen heißt zum Wesen werden. Die phänomenologische
Methode der Einklammerung läßt den
Gegenstand verschwinden, indem sie die natürliche Einstellung
der Entgegensetzung vom Bewußtsein und seinem
Objekt vernichtet. Die Wesensschau ist der unendliche
Gegenstand selbst, das von Kant für unerkennbar
gehaltene Ding an sich.

König will nun vermitteln. Das wahrhaft Erkannte
ist die Einheit des vom' Erkennen unberührten Transzendenten
und des erkannten Immanenten. Mit der Aufstellung
dieses absoluten, d. h. seinem Wesen nach
unauflösbaren Problems wird Kritizismus und Spekulation
ineinandergestellt. Kant hat recht, daß wir zur
Erkenntnis des Seins durch das Erkennen des Endlichen,