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Ausgabe:

1927 Nr. 15

Spalte:

358

Autor/Hrsg.:

Schwellenbach, Robert

Titel/Untertitel:

Warum ich aus der katholischen Kirche austrat 1927

Rezensent:

Schian, Martin

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357

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 15.

358

Walter, Prof. D. Johannes v.: Deutschtum und Christentum.

Langensalza: H. Beyer fcV. Söhne 1926. (95 S.) 8°. = Schriften
zur polit. Bildung. Reihe 9: Christentum, H. 3 = Friedrich Mann's
Pädag. Magazin, H. 1099. Rm. 2—.

In dem gewaltigen Ringen der Gegenwart um den Wiederaufbau
unsres Vaterlandes nimmt die Frage nach der religiösen Erneuerung
zweifellos die wichtigste Stelle ein, sodaß man geradezu
sagen darf: kein Wiederaufbau ohne religiöse Erneuerung; ja noch
mehr. Wiederaufbau nur durch eine religiöse Erneuerung! Und
hier ist vor allem die Frage, die viel erörtert und umstritten ist: Wie
verhalten sich Deutschtum und Christentum zueinander? Zu dieser
Frage nimmt Prof. v. Walter im 3. Heft der 9. Reihe der Schriften
zur politischen Bildung „Deutschtum und Christentum" ausführlich
Stellung.

Er tritt für eine systematische Behandlung der Frage ein, was
denn unter Deutschtum und Christentum zu verstehen sei, und sucht
dann ausgehend vom Mittelalter durch Hinweis auf die mannigfachen
Berührungen des deutschen und christlichen Lebens das Christentum
als Erfüllung alles dessen hinzustellen, was in der germanischen
Seele lebte, bzw. wonach die germ. Seele aus tiefen Untergründen
heraus sich sehnte: aus düsterem Schicksalsverhängnis hin zum leichten
Daseinsgrund sowie aus trostloser Todesfurcht nach mutvoller, freudiger
Lebensbejahung. Aber auch umgekehrt, so wird gezeigt, habe
das Christentum durch die Berührung mit dem Deutschtum wertvolle
Antriebe und eine charakteristische Ausprägung insbesondere nach der
sittlichen Seite hin erfahren. Indessen, ehe es zu einer völligen Durchdringung
dieser beiden Größen gekommen sei, habe es noch eines
langen geschichtlichen Weges bedurft, der den deutschen Menschen
durch die harte, strenge Schule der Willensbildung, die infolge einseitiger
Betonung in pedantische Werkgerechtigkeit ausgeartet sei,
und dann über den als Reaktionserscheinung verständlichen, aber
immerhin doch bedenklichen Irrweg einer weitabgewandten, die Gemütsseite
zu stark betonenden Mystik in Luther auf die Höhe seiner
Geschichte führte. In seiner „Rechtfertigung allein aus Glauben"
habe er beide Triebe der deutschen Seele (Wille und Gemüt) aufs
glücklichste vereint und das lösende Wort in der relig. Frage für die
germ. Völker gesprochen, das namentlich in der Paradoxie seines
Gottesbegriffs (Gott — der deus absconditus et rex tremendae inaje-
statis und der Gott der Liebe) seinen sowohl echt deutschen als echt
christlichen Ausdruck gefunden habe. Von dieser Position aus sieht
der Verf. in dem weiteren, wechselvollen Verlauf der deutschen Geschichte
(Pietismus — Rationalismus — Materialismus) nur einen
bedauerlichen Abstieg und in der Entwicklung, die von Kant über
Schiller zu Schleiermacher führte (Goethe wird merkwürdigerweise
nicht erwähnt) wohl bedeutsame und wirkungsvolle Ansärze zur Kritik,
aber doch vergebliche Versuche zur Erneuerung wahrhaft reformatorischer
, will heißen: deutschchristlicher Frömmigkeit. Nach einem
kurzen Hinweis auf die neue Theologie der Gegenwart (gemeint ist
diejenige Barth'scher Prägung) schließt der Verf. seine Ausführungen
mit der Beschwörung von Luthers Geist, in dem der notwendige
Aufbau allein gelingen könne.

Es sind durchaus beachtenswerte Ausführungen, die Prof. v.
W. in dieser Schrift vertritt und in gewandter Form geäußert hat,
Ausführungen, die mit den Gedanken, die sie enthalten, heute deutschchristlich
empfindende Kreise weithin lebhaft beschäftigen. Viele
seiner Beobachtungen sind ohne Frage richtig gesehen, vielen seiner
Feststellungen wird man die Zustimmung nicht versagen können, eine
große Strecke des Weges, den er zeigt, kann man mithin zusammen
gehen. Aber aufs Ganze gesehen schließt das Buch doch mit einem
Fragezeichen, d. h. die Frage drängt sich unwillkürlich auf, die m. E.
auch ihre tiefe und zeitnotwendige Berechtigung hat: Ist mit Luther
wirklich die letzte Höhe in der Geschichte des deutschen Christentums
erreicht? Es soll gewiß nicht bestritten werden, daß das Christentum
im Luthertum eine besonders charakteristische und dem
deutschen Empfinden entsprechende Ausprägung gefunden, und daß
Luther in seinem reformatorischen Erlebnis von der Rechtfertigung
allein aus dem Glauben eine Grundwahrheit des christlichen Glaubens
wieder klar und deutlich ausgesprochen hat, wenn auch die Behauptung
des Verfassers (S. 93), „daß das Bewußtsein um die Gemeinschaft
mit Gott sich nur auf dem dunklen Hintergrund der Todesangst
der menschlichen Seele vor dem Zorne Gottes entwickeln kann und
darf", in dieser zugespitzten Verallgemeinerung sicherlich übertrieben
klingt und vor der tatsächlichen Wirklichkeit auch nicht bestehen
bleiben kann. Aber auf der anderen Seite darf doch nicht übersehen
werden, daß mit Luther weder die Geschichte des deutschen Geistes
noch die Geschichte des Christentums zu ihrem Ende gekommen ist.
Die eine wie die andere sind vielmehr weitergegangen und haben uns
■n die abgrundtiefe Not der Gegenwart geführt. Aus ihr herausführen
kann uns nun nicht eine sich auf Luther berufende Katastrophen-
'heologie, so begreiflich sie als Reaktionsbewegung an sich auch sein
mag, aber auch nicht eine einfache vergleichende Gegenüberstellung
von Deutschtum und Christentum, die schließlich im deutschen Luther-
bjme mündet, sondern daß man erkennt, wo die Not heute wirklich
W und woher die rechte Hilfe kommen will. M. a. W. es gilt nicht

so sehr die Lösung darin zu suchen, den von allem isolierten Menschen
Gott gegenüberzustellen und dann über das Verhältnis dieses Menschen
zu Gott und dieses Gottes zu diesem Menschen zu theologisieren — auf
diesem Wege wird man niemals zu lebendigen Wahrheiten kommen —,
sondern daß man den (deutschen) Menschen hineinstellt in die Geschichte
des menschlichen (deutschen) Bewußtseins, die im letzten
Grunde doch wieder nichts anderes ist — das ist auch eine Paradoxie
— als die Geschichte der Offenbarung des göttlichen Geistes
im Menschengeist, und daraus die Maßstäbe gewinnt, die für eine
wirklichkeitsgemäße Beurteilung dessen, was war und ist und sein
wird, allein in Frage kommen können. Man wird dabei dann sehen,
daß auf diesem Wege Männer wie Fichte, Schiller, Schleiermacher,
Goethe nicht zu vergessen, für die Frage: Deutschtum und Christentum
nicht einen Abstieg von der Lutherhöhe bedeuten, sondern höchst
bedeutungsvolle Marksteine sind in der Entwicklung des deutschen
Geistes. Man wird aber auch erkennen, daß das Wort, das Luther
für die Not seiner Zeit (die wie jede Zeitnot immer eine religiöse ist)
als das lösende und erlösende gefunden hat, für die Not unsrer Zeit
anders lauten wird und muß, — ohne daß dabei auch nur das Geringste
von Luthers reformatorischer Erkenntnis preisgegeben zu werden
braucht. Sie wird vielmehr hier erst ihre volle und zeitenüberdauernde
Erfüllung finden.

Lienen. O. Smend.

15 ech mann, Hermann: Evangelische und katholische
Frömmigkeit im Reformationsjahrhundert, dargestellt an
Martin Luther und Teresa di Jesu. München: Chr. Kaiser 1922.
(100 S.) gr. 8°. = Aus der Welt christlicher Frömmigkeit. Bd. 4.

Rm. —50.

Diese Studie aus der Schule Heilers sucht zwei Typen der
Frömmigkeit im 16. Jahrhundert gegeneinander abzuheben. Erst im
mehr schemalischen Aufriß der Religiosität, in großen Linien, die
das Wesen umgrenzen. Schärfer profiliert dann in der Untersuchung
des Gebets. Ein kurzer Schluß gibt eine Vergleichung der beiden
Typen. Der Wert der anspruchslosen Studie liegt in der Darstellung
der Mystik, wie sie in Teresa di Jesu lebendig und charakteristisch
empordrängt. Es ist ein Typus der Mystik, der sich gleich deutlich
von der Mystik des Mittelalters und von der Mystik des Barock
scheidet und im Grunde doch nur eine Nüance der „ewigen" Mystik
ist. Die inneren Voraussetzungen und Zusammenhänge der geistigen
Welten, die in der Vergleichung mit Luther deutlich werden, Weite
und Tiefe dieser Welten sind nur kurz angedeutet.

Heidelberg. Willy Lüttge.

Schwellenbach, Oberpostrat Dr. phil. Robert: Warum ich
aus der katholischen Kirche austrat. Eine Begründung des
Ubertritts zum Protestantismus. Berlin: M. Warneck 1927. (108S.)
gr. 8°. Rm. 3—.

Oberpostrat Schwellenbach ist, 56 Jahre alt, aus
der katholischen Kirche ausgetreten und evangelisch geworden
. Es drängt ihn, die Gründe für seinen Schritt
öffentlich darzulegen. Er tut es, indem er zunächst
Lehrfragen behandelt (Auferstehung, Wunder, Geburt
Jesu, Erlösung, Gottmensch), dann vom evangelischen
und katholischen Priestertum spricht, weiter evangelischen
und katholischen Gottesdienst und Kulturauffassung
einander gegenüberstellt. Die Darlegungen sind
selbstverständlich nicht erschöpfend und ebenso selbstverständlich
recht subjektiv geartet. Sie versuchen aber
überall eine eindringende Abwägung. Nirgends vergreift
sich Schw. im Ton. Eigentlich Neues kann er natürlich
nicht bieten. Dennoch möchte ich dem Büchlein einen
nicht ganz unerheblichen Wert beimessen. Dieser liegt
nicht bloß in der für gebildete Männer recht geeigneten
Behandlung, sondern auch in offenen Bekenntnissen aus
der katholischen Zeit des Verfassers, z. B. über die psychologischen
Vorgänge beim Empfange der Kommunion
(S. 62 ff.). In einzelnen Punkten wird man fragen dürfen
, ob die Darstellung vollkommen genau ist. Aber das
Heft will ja gar nicht einen wissenschaftlichen Beitrag
zur Konfessionskunde liefern. Und man wird dem Verfasser
bezeugen müssen, daß er mit eigenem Nachdenken
in die Kernfragen eingedrungen ist. Überraschend ist
freilich, daß die Kirchenfrage so stark zurücktritt. Auch
andere Fragen von großer Wichtigkeit werden nur vorübergehend
angerührt. Alles in allem aber ein lesenswertes
Heft.

Breslau. M. Schi an.