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Ausgabe:

1927 Nr. 15

Spalte:

353-354

Autor/Hrsg.:

Holtzmann, R.

Titel/Untertitel:

Sachsen und Anhalt. Jahrbuch. Bd. 1 1927

Rezensent:

Wolf, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 15.

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Österreich dadurch, daß er Trübau zu den von Lösche erkannten
Mittelpunkten der neuen Lehre in Mähren hinzufügt und ein Licht
auf die Ursachen wirft, warum der Flacianismus dort so festen Fuß
fassen konnte.

Oußmanns „Melanchthonfund" auf der Stuttgarter Landesbibliothek
betrifft einige Schriftstücke, die mit der Vorbereitung des
Mantuaner Konzils zusammenhängen und von Oußmann abgedruckt
werden.

Endlich teilt O. C1 e m e n in seinen beiden Artikeln „Eine
vorreformatorische Disputation über die iustificatio" und „ein Brief
des Zwickauer Rats an Luther" zwei Funde aus der Zwickauer Ratschulbibliothek
mit.

Aus Friedensburgs literarischer Rundschau am Schlüsse jedes
Heftes ist bemerkenswert, daß er im Gegensätze zu den meisten anderen
Gelehrten Kalkoffs Buch „Die Kaiserwahl Friedrichs IV. und
Karls V." zuzustimmen scheint. Allerdings ganz, deutlich drückt
er sich nicht aus. Auch ist zu berücksichtigen, daß die literarischen
Angriffe auf Kalkoffs Meinung erst nachher erfolgten und daß in
einem späteren Hefte Friedensburg meine in der Ztschr. f. Kirchengesch
, ausgesprochenen Bedenken immerhin „gewichtig" nennt.
Freiburg Br. Gustav Wolf.

Holtzmann, R., u. W. Möllenberg: Sachsen und Anhalt.

Jahrbuch der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen
und für Anhalt. Bd. 1. Magdeburg: Selbstverlag d. Historischen
Kommission; Auslieferung durch Ernst Holtermann, Magdeburg
1925. (VII, 524 S. m. Abb. u. Plänen.) 4°.

In einem Geleitwort wird der neuen Zeitschrift eine doppelte
Aufgabe gestellt. Erstens soll ein Organ der historischen Kommission
für Sachsen und Anhalt geschaffen, m. a. W. vor allem deren Mitarbeitern
Gelegenheit gegeben werden, Vorstudien, die in den ihnen
übertragenen Veröffentlichungen unter den Tisch fallen würden, der
Allgemeinheit zugänglich zu machen. Auch soll die Zeitschrift Nachrichten
über die Tätigkeit der Kommission enthalten. Zweitens soll
um die verschiedenen Geschichtsvereine, welche auf dem Arbeitsgebiete
der historischen Kommission wirken, ein einigendes Band geschlossen
werden. Gedacht ist da in erster Linie an bibliographische Übersichten
und zusammenfassende Berichte. Hierbei sollen nicht nur
die verschiedenen Provinzialzeitschriften Sachsens und Anhalts berücksichtigt
werden, sondern außerdem noch periodische Organe
allgemeinerer Art, z. B. die historische Zeitschrift und namentlich
auch die dem Forscher leicht entgehenden Universitätszeitschriften.

Da die heutige Provinz Sachsen aus vielen Gebieten zusammengesetzt
ist, die eine ganz abweichende Entwicklung gehabt haben,
neben der ehemals brandenburgischen Altmark und dem Erzbistum
Magdeburg aus Teilen des sächsischen Kurstaates, neben alten Grafschaften
aus Reichsstädten, neben den Bistümern Merseburg und
Naumburg aus Mainzer Überbleibseln, und da zur Provinz Sachsen
Kulturzentren wie Halle, Erfurt und ehedem Wittenberg gehören,
so ist für die neue Zeitschrift eine große Vielseitigkeit des Inhalts
gewährleistet, mögen auch Teile der heutigen Provinz Sachsen längst
angesehene terriotorial- oder ortsgeschichtliche Zeitschriften besitzen
. Tatsächlich beweisen dies auch schon die Titel der Aufsätze
des ersten Bandes: 1. Wütschke, Geograph. Grundlagen der
geschichtlichen Entwicklung der Prov. Sachsen und des Freistaates
Anhalt; 2. Heinze, Die Entwicklung der Pfalzgrafschaft Sachsen
bis ins 14. Jahrh.; 3. Holtzmann, Die Quedlinburger Annalen;
4- Gründler, Das altmärkische Augustinernonnenkloster Diesdorf
und seine Insassen; 5. Münch, Das Chronicon Carionis Philippinum;
«• Schnath, Die Jugendjahre des Markgrafen Christian Wilhelm
von Brandenburg, Administrators von Magdeburg; 7. Kretschmar,
Zur Gesch. der sächsischen Sekundogeniturfürstentümer; 8. Reischel,
Die historische Kommission von Sachsen-Anhalt und ihre Karten- und
Wüstungswerke. Mit einem Anhang: Ältere Karten mit Wüstungen und
Wüstungskarten und ältere und neuere Wüstungsverzeichnisse aus der
Provinzialsächsischen Literatur; 9. Kunze, Die kirchliche Reformbewegung
des 12. Jahrh.s im Gebiet der mittleren Elbe und ihr Einfluß
auf die Baukunst. Es wird kaum einen Kritiker geben, welcher
aus eigener wissenschaftlicher Forschung heraus diese ganzen so verschiedenartigen
Abhandlungen würdigen könnte. Auch fällt ein großer
Teil derselben nicht in das die Leser der Theol. Literaturzeitung vor-
2ugsweise interessierende kirchengeschichtliche Gebiet. Aus solchen
Gründen will auch ich mich in dieser Anzeige auf die beiden Studien
beschränken, welche mir als Reformationshistoriker näherliegen.

Die Arbeit von Gotthard Münch, über das Chronicon Carionis
betrifft ein viel erörtertes und wohl kaum vollständig lösbares Problem
, nämlich die Frage, welchen Anteil Carion und welchen Me-
lanchthon an der ersten Auflage der Carionschen Chronik hat. Um sie
*Ö beantworten, sind wir zunächst auf einige Stellen in Melanchthons
Briefen angewiesen. Allein ihre Ausdrucksweise ist zu allgemein und
vieldeutig für eine sichere Auskunft. Daneben machte schon im
16. Jahrh. eine Bemerkung von Melanchthons Schwiegersohn Kaspar
Peucer, welche Carions Eigentumsrecht in der Chronik von 1532

so gut wie absprach, starken Eindruck. Und noch Menke-Glückert
beruft sich auf diese Äußerung und andere, allerdings nicht ebenso
unzweideutige Luthers und Joh. Aurifabers, wenn er auch die Chronik
I von 1532 als Werk Melanchthons ansieht und würdigt. Indessen aus
Luthers und Aurifabers Worten läßt sich eigentlich nur entnehmen,
was wir auch sonst wissen, daß Carion und Melanchthon beide an
j der Entstehung der Chronik beteiligt waren, nicht w i e. Und da
Peucers Schilderung in einer Widmung steht, die er der von ihm bearbeiteten
Fortsetzung von Melanchthons lateinischer Überarbeitung
| der alten Carionschen Chronik vorausschickte, so liegt der Argwohn
nahe, daß Peucer hier zu Gunsten seines verstorbenen Schwiegervaters
übertrieben hat. So ist denn schon im 18. Jahrh. Strobel dazu ge-
I schritten, die lateinische Chronik, zu welcher Melanchthon und
I Peucer die Vorgängerin von 1532 umgearbeitet haben, mit letzterer zu
vergleichen und hiernach Melanchthons und Carions Anteil am Werke
von 1532 abzugrenzen. Allein auch nach dieser Richtung bestehen
große Schwierigkeiten. Zwischen beiden Veröffentlichungen liegt ein
' Zeitraum von fast 30 Jahren, der nur unwesentlich dadurch ver-
j kürzt wird, daß der Neuherausgabe ein nachgeschriebenes Kollegienheft
vorangegangen ist; Melanchthon war aber in Nachbesserungen und
Revisionen früherer Ansichten unermüdlich. Außerdem reichen sowohl
das Kollegienheft wie die Überarbeitung, soweit letztere von
Melanchthon herrührt, nur bis zu Karl dem Großen. Es liegen An-
I zeichen vor, daß er die Fortsetzung anders gestaltet hätte, als das
später durch Peucer geschah, daß er namentlich die große Ausführlichkeit
, die das ursprüngliche Kompendium von 1532 in ein weit-
i schichtiges Werk umwandelte, nicht beabsichtigt hat. Darum fußte
j Münch, ohne deshalb die alten Wege ganz zu verlassen, hauptsäch-
j lieh auf zwei anderen Grundlagen; auf der biographischen und auf
j der quellenkritischen. Beide Methoden sind von ihm neu erfunden
. Aber während Hildegard Ziegler (1898) in ihren Erörterungen
I über Carions Bildungsgang sich meist begnügte, die Nachrichten da-
I rüber zu bezweifeln, und deshalb fast alles im Dunkeln ließ, gewann
Münch unter sorgfältiger Berücksichtigung seitdem herzugetragener
i Bausteine und namentlich auch mit Hilfe sonstiger Carionscher Schrif-
! ten ein genaueres Bild seiner Persönlichkeit und seiner Interessen. Vor
1 allem stützte er sich auf Carions Widmung der deutschen Chronik an
den brandenburgischen Kurprinzen einer- und auf eine zweifellos von
Melanchthon herrührende Einleitung anderseits. In beiden Richtungen
! war ihm Menke-Glückert (1912) vorangeschritten; doch hatte ihn
seine vorgezeichnete Aufgabe, Melanchthon als „Begründer der prote-
1 stantischen Geschichtschreibung" zu schildern, verleitet, Carions Bedeutung
zu unterschätzen. So traten Menke-Glückert und Münch an das
weitere Problem, die Quellen der deutschen Chronik zu untersuchen
und aus ihrer Benutzung auf den Verfasser zu raten, mit verschiedenen
Voraussetzungen heran. Für Menke-Glückert war es ausgemacht, daß
nur Melanchthon die in der Chronik offenbarte umfangreiche Quellenkenntnis
besessen haben konnte, daß das namentlich für die griechischen
Autoren gelte. Münch hielt sich an die Tatsache, daß die drei
j Bücher der Chronik schon äußerlich ganz verschiedenen Umfangs
sind und auch sonst im Charakter von einander vielfach abweichen
und daß Melanchthons moralisierende und theologisierende
j Richtung, welche er in seiner Einleitung und auch bei anderen Ge-
i legenheiten als Zweck des Geschichtsstudiums anpreist, im Laufe der
Darstellung immer mehr nachläßt; gleichzeitig kontrastierte er die
; schlichte Behandlung der deutschen Kaisergeschichte, welche er wesentlich
Carion zuschreibt, mit Mclanchthonschen Reden über derartige
Themen und mit dem auch hier sich offenbarenden belehrenden
i Streben. Parallel geht ein mechanischeres Ausschreiben der Vor-
, lagen. Während die ersten beiden Bücher eine große Belesenheit
zeigen, ist etwa von Attila ab Nauclers Chronik noch weit mehr ausgeschrieben
, als dies schon Münchs Vorgänger annahmen. Man
I darf also Münch zustimmen, daß starke Anzeichen dafür sprechen,
i daß Melanchthons Anteil an der deutschen Chronik von 1532 im
j Laufe des Werkes nachläßt. Zur Gewißheit, daß alle Einzelheiten
sich so verhalten, wie das Münch sich denkt, reicht freilich unser
Material nicht aus.

Fußte Münch fast durchweg auf schon bekannten Quellen so
j hatte Georg Schnath in seiner Erziehungsgeschichte des Markgrafen
| Christian Wilhelm wertvolles bisher unbenutztes Material herangezogen und
I liefert dadurch einen interessanten Beitrag zur Lebensgeschichte dieses
i unsteten, während des 30jährigen Kriegs hervorgetretenen Mannes.
Sein Aufsatz ist aber nicht bloß vom biographischen Standpunkte
bemerkenswert. Vielmehr erhalten wir zugleich einen lehrreichen
I Einblick in die Kämpfe, welche zwischen den verschiedenen Fak-
J toren, besonders zwischen dem Vater, dem Kurf. Joachim Friedrich
i von Brandenburg, und dem Magdeburgischen Domkapitel über Christian
Wilhelms Ausbildung durchgefochten worden sind. Interessiert
| den Verfasser vor allem die psychologische Seite, d. h. der Einfluß
dieser Erziehung auf Christian Wilhelms spätere Eigenari und Lebens-
; Schicksale, so wird der Leser hauptsächlich durch solche allgemeinere
Züge gefesselt.

Freiburg i. Br. Oustav Wolf.