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Ausgabe:

1927 Nr. 1

Spalte:

16-17

Autor/Hrsg.:

Sartorius, Otto

Titel/Untertitel:

Die Nachkommenschaft D. Martin Luthers in vier Jahrhunderten nebst Anhang über Nachkommen seiner Seitenverwandten und vieler anderer Luther 1927

Rezensent:

Clemen, Otto

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15 Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 1. 16

Es war ein guter Gedanke, Luthers „großes Selbstzeugnis
über seine Entwicklung zum Reformator", d. h.
seine Vorrede zur Wittenberger Ausgabe, einmal im Zusammenhang
auf Zuverlässigkeit nachzuprüfen. An einzelnen
Punkten hat solche Prüfung oft genug eingesetzt
, und das Ergebnis schien nicht immer günstig zu
sein. Uns allen ist die anregende Aussprache über das
entscheidende religiöse Erlebnis (Rom. 1, 17) mit ihrem
Für und Wider in deutlicher Erinnerung. Es steht zur
Frage, ob durch Strackes Abhandlung dieses und ähnliche
Probleme zur Ruhe gelangt sind. Ich möchte da

zulesen", sondern es steht, wenn auch nicht expressis
verbis, einfach da. Mir ist nie deutlich gewesen, warum
man sich eigentlich hiergegen sträubt. Handelt es sich
doch — trotz alles Ringens und Schürfens — um einen
klar zutage liegenden Entwicklungsgang. Daß Luther
das in seinem Sinne richtige Verständnis des unum
vocabulum bei der Vorbereitung zur Psalmenvorlesung
sozusagen nur tastend berührt hatte, lehrt uns die
Vorlesung selbst. Daß es sich ihm inzwischen aufgedrängt
hatte, zeigt die Römer-Vorlesung für jeden,
der die einschlägigen Stellen (am besten in der Zu-

nicht den Propheten spielen, wohl aber meinem Eindruck j sammenstellung in Scheels Dokumenten, nicht verWorte
geben, indem ich auf Grund vielfacher Be- j streut in den Scholien) auf sich wirken läßt. Dabei ist
schäftigung mit dem Gegenstand am Schreibtisch und in j ihm ein besonderer Vorgang, ein unmittelbares Aufseminaristischen
Übungen dem Urteil Strackes mit Über- j leuchten (wie Jeder von uns es in seinen kleinen Ver-
zeugung zustimme, daß nämlich „Luthers Vorrede vom hältnissen erleben mag), leuchtend in der Erinnerung
Jahre 1545 eine gute Geschichtsquelle ist, wenn neben ! haften geblieben, das sog. Turmerlebnis. Genau läßt
vielem Richtigen natürlich auch Irrtümer zu finden- sind". | sich dieser Vorgang zeitlich nicht bestimmen. Daß er
Stracke weist selbst die Fehlerquellen auf: apologe- j vor der Beschäftigung mit Augustins De spiritu et litera
tischer Zweck, anerkannte Sorglosigkeit Luthers in Zeit- ! lag, sagt Luther selbst, und damit rückt er vor die

angaben, religiöse Kritik an der eignen Entwicklung.
Die Verschiebung im Bilde ist trotz allem auffallend gering
. Auch bezüglich der Zeitangaben. Denn es ist doch

Niederschrift der Scholien, in denen diese Schrift
von Anfang an benutzt ist, aber darum noch nicht vor
die Psalmenvorlesung, wie Stracke annehmen möchte.

herzlich gleichgiltig, ob Luther vier Tage in Augsburg j Daß übrigens das „Turmerlebnis" (bzw. alles, was dawar
, bevor er sich zum Verhör beim Legaten begab, mit zusammenhängt) wirklich das reformatorische
oder nur drei, wie er in der Vorrede unrichtig angibt. | Grunderlebnis gewesen ist, hat Stracke noch einmal
Und wenn sich ihm seine Tätigkeit vor und im Gefolge I herausgearbeitet und gegenüber Abschwächungsversuchen

der Ablaßthesen in der Erinnerung stärker zusammengedrängt
hat, als die Wirklichkeit zuläßt, so ist das
auch nicht zu schwer zu nehmen. Wobei mir sogar
fraglich bleibt, ob Stracke Recht hat, wenn er schließen

(neuerdings J. von Walter, Der religiöse Entwicklungsgang
des jungen Luther, 1925) verteidigt.

Welches Gemach dabei eine Rolle spielte, das ist wiederum ganr
gleichgillig. Ich für mein Teil würde nicht das Bedürfnis fühlen, die

möchte, daß nach Luthers Erinnerung alles in's Jahr I cloaca wegzuleugnen, wenn ihre Bezeugung einwandfrei wäre. Das ist
1517 falle. Ich sehe keinen Anlaß, das mox und paulo I *ie ab,r durchaus nicht, so wenig, dal! dieser Ort auch für meine

post der Vorrede so zu pressen, wie Stracke es tut.
Wirklich grobe, umstürzende Erinnerungsfehler habe
ich, auch mit Strackes Lupe, in der Vorrede nicht finden
können.

Auch nicht bezüglich der Psalmenvorlesung? Nein,

Betrachtung ausscheidet. Dabei möchte ich nicht unterlassen, daran'
hinzuweisen, daß Stracke (unter Bezugnahme auf A. Cappelli,
üizionario di abbreviature) die Abkürzung „auf diss Gl." mit „auf
diss Clarissimum" (seil, dictum—Rom. 1, 17) auflösen will. Das
will überlegt seil.

Auf weitere Einzelheiten einzugehen, muß ich mir

slc}ler1 njFht»r un,d gerade hier am wenigsten Man kann versagen. Der Verf zeigt überall gute methodische

Schulung und gesundes Urteil. Von Interesse war mir
die Anmerkung (S. 25) über Kalkoffs Forschungen zu
Luthers römischem Prozeß. Stracke hält „eine umfassende
Nachprüfung" für „ein dringendes Bedürfnis". Mag
sein. Aber was er selbst „an einigen- Punkten" als angreifbar
herausgestellt hat, ist so unbedeutend, daß ich

sich dafür freilich nicht auf das Argument von Otto
Ritsehl zurückziehen, daß Luther geradezu senil gewesen
sein müßte, wenn er seine Vorlesungen von 1513 und
1519 habe verwechseln können. Denn eben die „Seni-
iität" steht ja in Frage, und wer sich der Worte Luthers
im Brief an Probst vom 17. Januar 1546 erinnert („alt.

abgeleb , trage, müde, kalt"), der wird nicht gerade den [ dern Gesamtertrag einer solchen Nachprüfung mit Zu-
Eindruck der Jugendfrische behalten haben. Aber darum j rü-ckhaltung gegenüberstehe. Vielleicht käme nicht mehr
handelt es sich gar nicht. Das Ganze ist eine nackte j an fragiichen Aufstellungen dabei heraus, als an Irr-

^!r^i^_n!?iif *Jtü!?Zi ");.£' i« L^J^ J:™J!fJ?v i täBma bei Luthers Vorrede. Ich bin der Letzte, der

Kalkoff hei seinen „kühnen Kombinationen" durch Dick
und Dünn folgen möchte. Aber zurzeit sieht es so aus,
als wolle man ihn sozusagen absägen. So freut es mich,
daß Stracke an anderer Stelle (S. 70 Anm., wo Z. 1 XLII
heraushebt sollte man nach der Gepflogenheit von ; statt LX,, gelesen werden muß) Kalkoffs Auffassung
A. V. Muller mit den dicksten Lettern, die der i Fi-mav.vhc rrorronnhor Flicahoth Wno-nor ai= ;m ,,„.,.„„t

Wir zitieren noch einmal (wie oft geschah es schon?)
jenen Satz: miro certe ardore captus fueram cognos-
cendi Pauli in Epistola ad Romanos. Dieses fueram, das
schon von Schubert unterstrich und nun auch Stracke

Drucker auftreiben kann, setzen lassen, damit es nicht
immer wieder übersehen wird. Der Zusammenhang ist
völlig klar. Luther sagt, daß er sich 1519 (oder war's
schon 1518? das ist wiederum gleichgiltig) von neuem
an die Erklärung des Psalters gemacht habe, und zwar
als exercitatior im Vergleich zum ersten Mal (1513).
So will er sich und so durfte er sich bezeichnen, nachdem
er Römer, Galater, Hebräer gründlich durchgearbeitet
hatte. Zuvor (hactenus in Verbindung mit dem
fett gedruckten fueram) hatte ihm das verkehrte Verständnis
von Rom. 1, 17 im Wege gestanden. Das richtige
Verständnis hat er sich meditabundus dies et noctes
zu erringen versucht, bis es sich ihm unverlierbar aufdrängte
. Wann ist denn das geschehen? Natürlich bei
der Vorbereitung zum Römerbrief, als er sich erstmalig
ex professo damit auseinanderzusetzen hatte, denn zuvor
hatte er das — auch während der Psalmenarbeit —
nicht getan. Ich kann Stracke nicht zugeben, wenn er
meint, man könne das aus der Vorrede nicht herauslesen,
sondern stimme hier Müller (Werdegang S. 122) durchaus
zu. M. E. braucht man überhaupt nichts „heraus-

Friedrichs gegenüber Elisabeth Wagner als im wesentlichen
zu Recht bestehend anerkennt. Er selber erblickt
ein weiteres Zeugnis dafür in Luthers Vorrede. Übrigens
scheint er mir Recht zu haben, wenn er Kalkoff „in der
innersten Motivierung der Handlungen des Kurfürsten"
nicht so weit folgen will, daß er annimmt, „dieser sei
durch Luther und sein Evangelium innerlich überwunden
gewesen". Der Unterschied zwischen dem Kurfürsten
und dem Landgrafen ist handgreiflich.

Gießen. Q- Krüger.

Sartori us, Pastor Otto: Die Nachkommenschaft D. Martin
Luthers in vier Jahrhunderten nebst Anhang über Nachkommen
seiner Seitenverwandten und vieler anderer Luther. Mit 39 Stammtafeln
, einer Nachkommentafel u. e. Obersichtstafel. Dankelshausen:
Verlag d. Lutheriden-Vcreinigung 1926. (XII, 196 u. 86 S. Anhang)
8°. Rm. 10—.

Auf dem Lutherfamilientag, der zur Feier des
400. Hochzeitstages des Reformators am 13. Juni 1925
in Erfurt stattfand und von etwa 80 Luthernachkomnieii
besucht war, wurde die Gründung einer Vereinigung von
Nachkommen Luthers beschlossen, die sich u. a. die