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Ausgabe:

1927 Nr. 13

Spalte:

302-303

Autor/Hrsg.:

Pannier, Jacques

Titel/Untertitel:

Recherches sur l‘évolution religieuse de Calvin jusqu‘ à sa conversion 1927

Rezensent:

Wolf, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 13.

302

8—10 im Aufriß mit, 7 und 11 ausführlicher, z. T. in wörtlicher
Übersetzung, die jedoch ebenso wie die Abschrift der Hs. selbst nicht
immer einwandfrei ist.

S. 120 Z. 21 „Kraft seiner Unversuchlichkeit (in vi sua incubis-
cibili)" statt in vi sua concupiscibili; in vi sua irascibili, Z. 23, bleibt
unübersetzt. S. 122 Z. 14 per gratiam in vera catholica ecclesia)
statt des auch der Übersetzung entsprechenden per gratiam, intellige
in vera fide catholica. Was St. aus Augustin, Gregor u. a. ausschreibt, |
wird nicht kenntlich gemacht. S. 03 Z. 20 schreibt St. nicht im Anschluß
„an die Schrift gegen die Manichäer", sondern er zitiert conf. !
12,7 und de civ. dei 12,7.

Die folgenden Texte sind durchweg in neueren Drucken vor- j
handen, zumeist bei Knaake, Jon. Staupitii... opcra. Vol. 1,
Potisd. 1S67. Leider hat Jeremias seine im Vorwort gegebene Zusage, i
die Bibelzitate auch nach der Versziffer anzugeben, nur ausnahmsweise
erfüllt. Man fragt sich auch nach dem Auswahlprinzip, warum etwa
■die bedeutsamen mvstisch klingenden Ausführungen s. 154 nur kurz
erwähnt, nicht wörtlich mitgeteilt werden. Nr. 8 bringt das Büch- I
lein über die zeitliche Vollziehung der ewigen Vorsehung.
Es ist zu bedauern, daß diese wichtigste Schrift St.s — die allerdings
nicht ganz sich dem Urteil des Verfs. über ihn einfügt — vorwiegend
nur nach ihrem Inhalt wiedergegeben wird, wobei manche Kapitel j
(Kap. 15 mit 14 §§ auf S. 199 in 7 Zeilen) anderen gegenüber (Kap.
21 mit 17 §§ auf 3", Seiten, S. 206 ff.) zurückgesetzt werden, obwohl
sie mindestens "gleichwertig sind. Den leicht zugänglichen
Druck der lateinischen Urform hat der Herausgeber nicht benützt,
sondern sich mit der bei Knaake abgedruckten gleichzeitigen Übersetzung
Scheurls begnügt, andernfalls hätten sich sinnstörende Fehler
vermeiden lassen.

S. 195 Z. 1: Zusammentreffen; Scheurl: übereintreffung; St.:
correspondentia. S. 198 Z. 11 hätte die „schwierige scholastische
Stelle" zu Luc. 7,47 sich leicht gelöst. S. 201 Z. 21: Hauswirtschaft; i
Scheurl: Wirtschaft; St.: convivium, was Scheurl im Folgenden richtig i
mit „mal" übersetzt. S. 206 Z. 9: von Ablaß steht im Original
nichts; es nennt nur die remissio. Z. 12 liest man, daß die „Entledigung
von Sünden durch eigene Genugtuung behaglicher und nützlicher
" sei, als durch Ablaß. Scheurl hat „beheglicher", St. commen-
dabilior. S. 212 Z. 12: „wo nicht gar nichts" nur bei Scheurl. Z. j
17f ist ganz verderbt; statt unternehmen, wie es mit Scheurl heißt,
muß stehen: interrumpi actu, was dann einen auch Thomas und
Eckhart geläufigen Gedanken ergibt. S. 215 Z. 3 v. u. fehlt vor |
Seligkeit: Gewißheit seiner.

Die 24 Salzburger Predigten von 1523 (1516 auf
S. 237 ist unbegründet) in Nr. 10 sind nach Aumüller und Kolde
abgedruckt. Die Inhaltsangabe der Predigten 8—23 nach Koldes
Bericht. Nr. 11 enthält eine knappe Auswahl aus der Schrift vom
christlichen Glauben. Daß von diesem Werk zwei Handschriften
vorhanden seien, wie Jer. S. 9 (vgl. S. 69) sagt, ist bisher nicht bekannt
. (S. 292 Z. 6 „besten Glauben": Knaake bietet „bestetten",
also beständigen). In den Briefen von, an und über St. ist Vollständigkeit
nicht angestrebt, doch das Bezeichnende gut ausgewählt. ;
Vielfach ist, wo Enders zur Verfügung steht, doch ein älterer Abdruck j
vorgezogen. (S. 313, De Wette I, 48. Das Datum stammt aber aus |
Enders I, 51). Jer. beschränkt sich zumeist auf einen kurzen Inhalts- |
bericht. Die Obersetzung ist nicht immer genau. (Warum bleibt die j
nicht jedem verständliche lat. Grußkürzung trotz ihrer Auflösung
S. 302: „St., Augustiner, grüßt den Magister Joh. Othmar S. P.D."; j
und warum fehlt das accuratissimo librorum impressori vor magistro?) j

Von der T i sc h r eden ü b e r I i e f e r u n g , die reichlich abgedruckt
wird, hält Jer. die meisten Stücke für „ausnahmslos unan- i
fechtbar" (S. 10), doch fragt man sich, ob Scheels Lutherbuch umsonst
geschrieben, wenn noch TR. V, 5375 ohne Anmerkung auf-
taucht, S. 382?

Die Bemerkung zu TR. I, 147 (St. stellte sich den Eremita, der
nach dem vaticinium gegen Leo auftreten soll, als bärtigen Mann
vor) „Man könnte an ein Hellsehen denken: den bärtigen Ritter von !
der Wartburg" (S. 385), sei hier notiert. S. 391/92 ist TR. II, 1820
recht frei übersetzt und zwar in Wiederholung verschieden lautend. I

Die Einleitung (S. 15—83) — das Lebensbild u. d. christl.
Lebensanschauung des Joh. v. St. — ist von der im Vorwort (S. 6)
geäußerten Absicht bestimmt, St. den „maßgebenden gegenwärtigen
lÖTchenhistorikern" gegenüber zu seinem Recht zu verhelfen; sofern !
das ebenso gegen die Koldesche Verzeichnung des St.-Bildes wie gegen
die in Reaktion hierauf erfolgte Herabsetzung seiner Bedeutung als
Endergebnis einer Untersuchung sich herausstellte, dürfte es der
Klärung des geschichtlichen Sachverhaltes den erforderlichen
Dienst leisten. Allein, während bei der Beurteilung des Verhältnisses
von St. und Luther unbeschadet des vom Vf. im allgemeinen mit
Kolde als groß anerkannten Einflusses St.s auf Luther die Art dieses !
Einflusses und seine Grenze sehr deutlich bezeichnet werden müßten, |
kommt es dem Vf. darauf an, den Satz des Titels, St., Luthers Vater |
und Schüler, zu bewähren. Daher wird St. aufgefaßt (im Schema L.
Keller, Kolde u. a.) als ein evangelischer, schon auf den Weg Luthers '
tretender Reformer (vgl. S. 388), der auch gerade als solcher sich an

der Universitätsgründung seines gleichgesinnten kurfürstlichen Jugendfreundes
beteiligt (S. 32), um den sich in Nürnberg eine „evang."
sodalitas schart (S. 36,38 f.), der wegen seiner Reformabsichten in
Salzburg gefangengehalten wird und doch noch möglicherweise „an
der evang. Erweckung im Saizbtirger Lande ... starken Anteil" hat (S. 11).
Beweis dafür, daß St. „Reformpläne im Sinne des ,Glaubenswesens'
vor Luther" gefaßt habe, sind die Nachrichten über sein Bestreben,
das Studium im Orden durch Heranziehung fähiger Köpfe zu fördern
und bes. TR. III, 3143, ein nicht eben günstiges Material, dessen
Ausdeutung mitunter recht als Eindeutung erscheint (S. 72 f.; 379 f.).
Der theol. Einfluß St.s wird demnach auch gelegentlich eingeschränkt
(S. 33), aber andererseits doch in seiner Art nicht begrenzt und daher
überschätzt (S. 392, Prädestination). Auch darin sei St. für Luther
maßgebend, daß er „dem Evangelium zugetane deutsche Fürsten als
Gegengewicht gegenüber den angedrohten Gewaltmitteln der röm.
Kurie für die Reformen der Klöster" interessiert habe (S. 25; 73f.).

Besonderes Anliegen des Vf.s ist die Feststellung einer Jugendfreundschaft
St.s mit dem Kurfürsten, die sich auf Luther übertrage
(S. 74; 80f.), und sodann die Aufdeckung eines Planes der Kurie,
mit Hilfe des späteren Salzburger EB. Matthäus Lang, erst St. und
dann Luther unschädlich zu machen (S. 51 ff.). Beweis: der verzagte
Brief St.s v. 14. Sept. 1518 (Enders I, 94), den der Vf. allerdings
mit Grimm (Z. hist. Theol. VII, 119) auf den 7. Sept. 1519 datieren
will. Man wird die (auch bei Kalkoff, Entscheidungsj. d. Ref. S.
112 begegnende) Vermutung des Vf.s nicht ganz abweisen dürfen,
doch gibt es zu denken, daß dem EB. die Aufnahme St.s im Frühjahr
1521 eine päpstliche Mißbilligung einträgt. Wahrscheinlich verfolgt
Matth. Lang mit St. zunächst andere Absichten. Über St.s Einstellung
in dieser Zeit wird dann das Urteil von N.Paulus in Kraft bleiben müssen.
Die Schrift vom Glauben ist nun einmal ebensowenig lutherisch wie
die Salzburger Predigten (S. 261), und die Gutachten im Falle
Agricola zeigen doch z. T. St.s eigenes Urteil richtig an.

An Einzelheiten sei noch angemerkt: daß wir über St.s Studium
gut Bescheid wissen, jedenfalls mehr als „nur die Spur seiner Immatrikulierung
an der Universität Leipzig" kennen (S. 20). Dagegen
ist die Tübinger Zeit St.s nicht so deutlich (S. 21f.),und von einem
reformerischen Freundeskreis mit dem dortigen Buchdrucker Othmar
wird man nicht so einfach berichten können. Daß die Kurie den
Kurfürsten „als baldigen Reichsverweser für die Pläne, den spanischen
Karl zum Kaiser zu bekommen, notwendig brauchte", ist zumindest
sehr mißverständlich bemerkt (S. 45).

Was St.s „christl. Lebensanschauung" anlangt (S. 75 ff.), ist es
merkwürdig, daß man bei einem Mann, der eine gründliche scholastische
Schulung zeigt, der geschätzter akadem. Lehrer war, dessen
Prädestinationsschrift sogar eine gewisse systematische Kraft bekundei
und dem Joh. Allenstaig in ausführlichem Brief als einem maximus
theologus seinen vocabularius theol. widmet, sich sträubt, von Theologie
zu reden, und doch das Urteil Melanchthons annimmt (S. 399),
daß St. von der ars sich eine Reform verspreche.

Auch die in nichts begründbare Behauptung, daß Bernhard eine
Hauptquelle des St. für die Lehrbehandlung sei, wird gerade bei den
Hiobpredigten wiederholt, in denen bei über 250 nichtbibl. Zitaten
Bernhard nur einmal erscheint.

So sehr auch die Arbeit Jeremias' der Sammlung
Quellen entsprechen mag, und so verdienstlich es
ist, St. wieder erneut bekannt zu machen, zwei Bedenken
ruft diese Veröffentlichung hervor: die an sich
richtige Frage nach Reformatoren vor der Reformation
wird wieder annähernd im Sinne Ullmanns beantwortet,
d. h. nicht zutreffend; und sodann: der Mangel einer
wiss. brauchbaren St.-Ausgabe (zu der Buchwald mit
der Edition der Hiobpredigten den Anfang macht) läuft
Gefahr, durch Ersatzleistungen ein dauernder zu werden.
Schließlich erhebt sich auch hier die leidige Frage nach
dem Qualitätsstand einer Arbeit für „gebildete Laien".
Rostock. e. Wolf.

Pannier, D. Jacques: Recherches sur l'evolution religieuse
de Calvin jusqu' ä sa conversion. Strasbourg: Librairie Istra
1924. (48 S.) 4°. = Cahiers de la Revue d' histoire et de Philosophie
religieuses, Nr. 8. fr. 3—.
Das von Pannier behandelte Problem ist bekanntlich ein stark
umstrittenes. Die autobiographischen Zeugnisse über Calvins Frühentwicklung
sind viel spärlicher als über die lutherische: wenige
Briefe, bei denen noch dazu teilweise die Abfassungszeit nicht feststeht
, die Vorrede zur Antapologie im Streite zwischen L'Etoile und
Alciat, der Senecakommentar von 1532, die Psychopannychia und
außerdem einige sehr dünn gesäte Rückblicke in Calvins späteren
Veröffentlichungen. Unter letzteren hat besonders die Vorrede der
Psalmenerklärung Aufsehen erregt, weil hier Calvin von einer subita
conversio spricht, im Gegensatz zu den frühesten Calvinbiographien
Bezas und Colladons, welche den Reformator schon sehr zeitig in