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Ausgabe:

1927 Nr. 13

Spalte:

300-302

Autor/Hrsg.:

Jeremias, Alfred (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Johannes von Staupitz, Luthers Vater und Schüler. Sein Leben u. sein Verhältnis zu Luther u. eine Auswahl aus seinen Schriften übertr 1927

Rezensent:

Wolf, Ernst

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299

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 13.

300

Gelegentlich geht er auch noch zweifelloser zu weit
in der Verwendung gleichgiltigen Einzelwissens. So z. B.
wenn er bei der Erwähnung von Eduard's VII. Sterben
(1377) in einem Zwischensatze hinzufügt: „possibly in ,
the ,great bed' purchased in 1370 for £ 254, whose
curtains had recently been »ornamented« at a cost of
£ 44" (I, 299). — Über die außerenglische Kircnenge-
schichte ist Work man nicht so gut unterrichtet, wie
über die seines Heimatlandes. Davon zeugt u.a. manches,
was über Luther gesagt wird. Aber das ist so natürlich,
daß es, soweit nicht die Dogmengeschichte in Frage
kommt, den Wert dieser großen Wiclif-Monographie
nicht verringert. Inbezug auf Wiclifs äußeres Leben und
Wirken hat Work man ein „Standard work" geliefert,
das in geraumer Zeit nicht überboten werden wird und
für jeden, der sich mit Wiclif beschäftigt, unentbehrlich
ist. Im besondern möchte ich als lehrreich hervorheben,
daß neben Wiclif die nicht geringe Zahl der kleineren
Mitarbeiter, die er in seinem späteren Leben hatte, und
die ganze „Lollardy", die breitere Reformbewegung, zu J
ihrem Rechte kommt.

Minder bedeutsam erscheint mir Workman's
Werk, wenn ich an Wiclifs Gedanken und ihre Würdigung
, also an seine Stellung in der Dogmenge-
schichte, denke. Auch hier wird man freilich die j
Sorgfalt, mit der Wiclifs Werke, einschließlich der ihm
irrig zugeschriebenen (wie die Bibelübersetzung und <
nicht wenige der „english works"), gesichtet, datiert und
besprochen werden, nicht bemängeln können, obwohl
in einzelnen Fällen die Darlegungen Workman's m. I
E. noch nicht überzeugend sind (z. B. nicht inbezug auf
die Zeit, da Wiclif mit seiner Abendmahlslehre hervortrat
). Aber über Wiclifs Verhältnis zur Scholastik vor
ihm, namentlich zu Thomas, erführe man gern mehr, als
Work man gibt; und über die Tragweite von Wiclifs j
„reformatorischen" Gedanken wird man anders denken,
alS Work man, wenn man neben dem sog. Formalprinzip
der Reformation die überragende Bedeutung des
Materialprinzips anerkennt. Auch Wiclifs „Vertrautheit"
mit Augustin und seine Übereinstimmung mit dessen
Gnadenlehre (I, 119; 135) hat m. E. engere Grenzen,
als Workman annimmt. In dogmengeschichtlicher j
Hinsicht finde ich bei Workman — er möge mir dies
Urteil nicht verdenken! — Schranken des Interesses und
des Verständnisses. Man vergleiche einmal seine Ausführungen
über Wiclifs Universitätsstudien und über die
Geschichte der Scholastik in Oxford (I, 94—134) mit
O. Scheel's Darlegungen über den Unterrichtsbetrieb,
unter dessen Einwirkung Luther in Erfurt stand (Martin
Luther I1, 1921, S. 132—221)! Scheel war allerdings
in glücklicherer Lage als Workman, weil ihm j
auch schon gedruckte Bücher aus der Zeit vorlagen!
Aber hätte Workman für die genetische Erklärung
dessen, was Wiclif an scholastischen Anregungen erfuhr,
dasselbe Interesse gehabt, das er z. B. der Entstehung
des päpstlichen Schismas widmet — er selbst sagt
nach seinen langen Ausführungen über das Avignoneser
Exil und den Ausbruch des Schismas (II, S. 46—73):
„We have travelled considerably beyond the present
chronological limit of our story; but the development i
of Wyclif's break with the papacy cannot be understood !
without a clear vision of its background" (II, 73) —, so
würde er der Entwicklung der Scholastik seit Thomas {
und den Schuldifferenzen der Zeit eine viel eindringen- !
dere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Und dafür, daß
bei dem Zurücktreten der Dogmengeschichte in Workman
's Buch auch Schranken des Verständnisses mit in
Frage kommen, ist mir z. B. seine Beurteilung der
Abendmahlslehre Wiclifs ein Beweis. War Wiclifs Auffassung
der Gegenwart Christi im Abendmahl wesentlich
dieselbe, wie die Luthers (II, 37), dann war auch die
Beurteilung Berengar's richtig, durch die Lessing sich
fast den theologischen Ehren-Doktorgrad der Leipziger
Fakultät erworben hätte. Und wie konnte Wiclifs An- !
schauung vom Abendmahl, wenn sie als „practically

identical with that taken at a later dateby Luther" charakterisiert
wird, zugleich der des Johannes Damascenus
so nahe stehen, daß Workman (II, 40) ohne Kritik
zu berichten vermag, Wiclif sage selbst, er sei mit dem
Damaszener „in considerable agreement"! Dem Dogmenhistoriker
kann Workman weit weniger geben, als man
von einer so ausführlichen Monographie über Wiclif
erwarten durfte.

Aber von der dogmengeschichtlichen Seite der Sache
abgesehen, scheint mir Workman die Stellung Wyclif's
in seiner Zeit ebenso gelehrt, wie richtig und überzeugend
dargelegt zu haben. Im besondern muß seiner
Gesamtbeurteilung Wiclifs nachgerühmt werden, daß sie
Wiclif nicht überschätzt. Workman weist zwar (I,
163) das sehr beachtenswerte Urteil eines Landsmannes
zurück ,that the estimate of Wyclif's character in the
past has been too high". Aber er selbst läßt Wiclifs
anfänglichen Anteil an der Kumulation der Pfründen,
sein langjähriges Abwesendsein von seinen Pfarreien u.
dergl. nicht ungetadelt; und was er zur Verteidigung
W.'s sagt, wird man gelten lassen müssen: „Wyclif's
personal sin was small, especially when compared with
the abuses against which he protested" (I, 217). Auch
dem Bedauern über Wiclifs Verbindung mit dem „charakterlosen
Politiker" Johann von Gent gibt Workman
offen Ausdruck (I, 317), freilich ohne das Rätsel,
das Wiclifs Verhältnis zu diesem Lancaster einschließt,
völlig zu lösen (vgl. II, 296f; 303 ff.). Aber dies Bedauern
hätte ihn hindern sollen, in der Schlußcharakteristik
Wiclifs den Satz zu schreiben: „In the higher moral
courage he was the superior of Luther; Wyclif would
never have consentedto the pitiable condonation of Philip
of Hesse" (II, 322). Gewiß, die Doppelehe des Landgrafen
ist ein Flecken auf Luthers geschichtlichem Bilde.
Aber — um die Theologen Heinrich's VIII. aus dem
Spiele zu lassen! —, wenn Workman die deutsche
Reformationsgeschichte so gut gekannt hätte wie die
englische Geschichte des 14. Jahrhunderts und den nicht
„charakterlosen" Philipp von Hessen so gut wie Johann
v.Gent und imstande gewesen wäre, dogmengeschichtlich
Luthers schwierige Stellung zum A.T. zu würdigen, so
würde er selbst die Unrichtigkeit dieses Urteils eingesehen
haben. — Übrigens steht Workman's Schlußurteil
über Wiclif (II, 321 ff) auf der Höhe des ganzen
Werkes. Es gereicht, wie dieses, dem John Wiclif und
seinem Biographen zu gleicher Ehre.

Halle a. S. Friedrich Loofs.

Staupitz, Johannes von. — Johannes von Staupitz, Luthers Vater und
Schüler. Sein Leben, s. Verhältnis zu Luther u. e. Auswahl aus s.
Schriften übertr. u. hrsg. von Alfred Jeremias. Berlin: Hochweg
-Verlag 1926. (401 S.) 8°. = Quellen, Lebensbücherei christlicher
Zeugnisse aller Jahrhunderte, 3/4. Lwd. geb. Rm. 10—.

Den Hauptteil des Buches bilden die Schriften
des Staupitz, die Briefe von, an und über ihn und die
Tischredenüberlieferung über ihn, u. zwar alles, was betont
sei, in Auswahl. Die Texte sind durch Übersetzung
oder Übertragung „gebildeten Laien" lesbar gemacht,
wenn nicht häufig freie Inhaltsangabe an Stelle des
Wortlautes tritt. Die Übertragung hält sich mitunter zu
eng an St.s Deutsch (z.B. S. 159 Z. 27, zucken; S. 202
Z. 23: heilwertiglich), nicht selten ist sie etwas zu frei,
im allgemeinen doch der Absicht entsprechend. Drei
Werke St.s werden nur verzeichnet, darunter zwei in der
St.-Literatur nicht genannte Nachschriften der Salzburger
Predigten, (codd. Nonnbergens. 27, A, 30 und 27,
B, 17 Salzburg, vgl. Esterl, Chronik d. adl. Ben.-Frauen-
stiftes Nonnberg in Salzburg, 18 41 und Mitt. d. Ges.
f. Salzb. Landeskde. 46, S. 243, 1906), deren Datierung
auf 1512/15 (S. 238) nicht begründet wird, obwohl der
eine Codex das Jahr 1520 nennt.

Die Texte beginnen mit einer Auswahl aus St.s Tübinger
Predigten von 1497/98 über Hiob 1—2,10, Clm. 18760, die seit
1891 (N. Paulus in HJQ XII, S. 310) bekannt sind und nicht „nur"
von Scheel notiert werden. Eine Probe gab Buchwald in der Allg. ev.
luth. Kirchenz. 1918, 51, Sp. 291/94). Jeremias teilt sermo 1—6 und