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Ausgabe:

1927 Nr. 13

Spalte:

294-295

Autor/Hrsg.:

Wenck, Karl

Titel/Untertitel:

Das erste Konklave der Papstgeschichte, Rom August bis Oktober 1241 1927

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 13.

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Kompliziertheit dieser Materie. Sein Urteil auf S. 84, falls großen Wert gehabt. Vf. weist selbst auf die verPaulus
habe in der Apg. seine Selbständigkeit verloren schiedene Wertschätzung des Paulus und Petrus in den
und sei ein Missionar wie andere auch, halte ich für Provinzen und Orten einstiger Wirksamkeit hin. Daraus
überspitzt. Es trägt einen Gegensatz hinein, den der ergibt sich allein schon, daß ein glattes Rechenexempel
Vf. der Apg nicht kennt. Die Ergebnisse der weiteren nicht möglich ist, solange es nicht „die Kirche" mit
Kapitel kann man im Blick auf das Thema dahin präzi- ( „der" Meinung von dem Verhältnis des Paulus zu den
sieren, daß die Zwölf eine feste Größe sind, ohne daß 12 gegeben hat. Diese Betonung der örtlichen Ver-
man von den einzelnen Personen eine Vorstellung hätte, j schiedenheit vor der rein chronologisch-literarischen Linie
Das Interesse wendet sich — wie die Produktion pseud- I hätte Vf. vor einer Konstruktion bewahrt, die trotz aller
epigrapher und apokrypher Literatur zeigt — vor allefh gewissenhaften Stoffsammlung und weitgehender Vordem
Petrus und Paulus zu. Jakobus, der Herrenbruder, sieht im Einzelurteil doch im Ganzen nicht recht überweicher
Petrus in Jerusalem, Johannes der Apostel, der in ; zeugt.
Ephesus das Andenken an Paulus verdrängt, und gelegentlich
Andreas spielen eine Rolle. Sonst sind die
Zwölf — von der Kirche als die wahren Tradenten der
Lehre Jesu und die Weltmissionare verehrt, selbst von
Häretikern anerkannt und typologisch verwendet — eine

Marburg. Erich F a s c Ii e r.

Wenck, Karl: Das erste Konklave der Papstgeschichte, Rom
August bis Oktober 1241. (Separat-Abdr. aus Quellen u.
Forschgn. aus Italien. Archiven u. Bibliotheken, Bd. 18, H. 1.)

ebenso feste wie unkonkrete'Grolle. Das Verhältnis des i Rom: w. Regenberg 1926. (S. loi-no) gr. 8».
Paulus zu ihr ist z.T. wegen Quellenmangels (es fehlt I Diese ergebnisreiche, manche an versteckter Stelle
uns Justins antimarcionitische Schrift), z.T. wegen Quel- befindliche und darum bisher fast unbeachtet gebliebene
lenlücken (z. B. in den Acta Pauli) nicht zu bestimmen. J Quellennotiz erst zur Geltung bringende Abhandlung
Soweit eine solche Bestimmung aber möglich ist, zeigt versetzt uns mitten hinein in den großen Kampf zwischen
sie, daß Paulus neben den 12 seinen Aposteltitel be- | Papsttum und Kaisertum. Sie klärt vorzüglich auf über
hauptet, wenn er auch als „gelehriger Schüler" jener ! die Ursachen, die zur Wendung der päpstlichen Politik
(in den kopt. Gesprächen Jesu mit seinen Jüngern) ] auf Frankreich zu geführt haben. Sie weist nach, daß das
oder als später in ihren Kreis aufgenommener Apostel erste Konklave, die Einschließung der Kardinäle zur
erscheint (Paulusakten). Im I. Klemens hat er seinen ; Beschleunigung der Papstwahl, nicht schon 1216, son-
Platz sogar vor Petrus, was Vf. jedoch nicht ernst nimmt, i dern 1241 stattgefunden hat in Nachahmung eines Brau-
Irenäus betont, daß auch Paulus wie die 12 schon im ches, der schon in italienischen Kommunen und auch bei
A. T. geweissagt sei und stellt damit m. E. den Apostel den großen Orden geübt wurde, und daß der Gedanke
in eine Linie mit den 12. Die Folgerungen, welche Vf. in den Erwägungen der Sachverständigen, wie aus den
aus dem in seiner Bedeutung weit überschätzten 2. Pe- Äußerungen der Glossatoren im Einzelnen nachgewie-
trus zieht, (S. 172), die Wertung einer Stelle aus dem sen wird, eine vorbereitende Rolle gespielt hat. Die AusKanon
Muratori (S. 193) sowie des Galaterzitats bei führung des Gedankens geht aber auf die Anregung
Irenäus (S. 215) zeigen, daß Vf. im Bann einer bestimm- - Gregors IX. zurück und wurde zur Verkörperung ge-
ten Auffassung steht, die er nach mancherlei Schwankun- ; bracht durch den von ihm eingesetzten Senator von Rom,
gen — und diese lehren, wie eine moderne Vorstellung Matteo Orsini. Damit ist zugleich für den Verf. Gelegen-
an die Texte herangebracht wird — dahin zusammen- heit gegeben, den Anteil zu bestimmen, den die großen
faßt: „die Zwölf und neben ihnen — untergeordnet — römischen Adelsgeschlechter an der Bestellung des Pap-
Paulus" (S. 217). Der Schluß S. 218—220 zeigt in ! stes gehabt haben, und nachzuweisen, daß der Nepotis-
seinen Wiederholungen und seinen Schwankungen zwi- ! mus nicht erst ein Erzeugnis des 15. Jahrhunderts gesehen
Neben- und Unterordnung des Paulus, daß eine ; wesen ist, sondern schon im 13. Jahrhundert einen beklare
Antwort nicht möglich ist im Sinne W.s, weil die ; deutenden Einfluß gehabt hat. Durch den Druck, den
Quellen von diesem Gegensatz nichts wissen. Im Grunde ; Matteo Orsini ausübte, ist es verhindert worden, daß in
kommen wir trotz interessanter Einzelheiten des Stoffes i dem ersten Konklave ein Mann zum Papste bestellt wurde,
zu keinem eindeutigen Resultat. Das Ergebnis ist doch: ! dem es darauf ankam, den Frieden zwischen Papsttum
Petrus und Paulus stehen nebeneinander als die beiden ' und Kaisertum herzustellen. Da im ersten Wahlgang
Großen der Kirche, während „die Zwölf" trotz des ge- eine Zweidrittelmajorität nicht zu erreichen war, einigten
wissenhaften Abhörens der Quellen eine vage Größe : sich die Kardinäle auf einen Mann, der nicht zum Kol-
bleiben, die mehr ein theoretisch-dogmatisches Dasein j legitim gehörte. Als die Römer unter der Führung des
führt. So weist dies Ergebnis auf jenes andere Thema: Orsini das erfuhren, lehnten sie ihn ab und zwangen
„Petrus und Paulus neben den 12" geradezu hin, und ! die Kardinäle, einen aus ihrer Mitte zu wählen; das war
es fragt sich, ob Vf. nicht besser getan hätte, manches i der Mailänder Gaufrid aus dem Geschlechte der Casti-
Andere kürzer zu fassen und diese Problemstellung mit | glione, der als Coelestin IV. Papst wurde, aber schon
hineinzuziehen. Das Bild wäre voller und wirksamer nach wenigen Tagen gestorben ist. Wenck ist in der
geworden. So sagt man sich am Schluß, daß von einer glücklichen Lage, den Extraneus, auf den die Kardinäle
klaren Linienführung bei diesem Teilproblem keine Rede sich im 2. Wahlgange einigten, dessen Name bisher unbe-
sein kann. Die Stellung des Paulus neben den 12 ist— kannt war, zu nennen. Es ist der Dominikaner Humbert
an der Literatur gemessen, die hier verwertet wird — um von Romans (Humbertus de Romanis) (f 1277). Er
200 kaum anders als sich aus einer Gegenüberstellung sammelt alles, was über ihn erhalten geblieben ist, und
von Mt. 28,18ff. mit 1. Kor. 15,8 schon ergibt. Hier : stellt aus seinen Äußerungen ein äußerst anziehendes
— wie in Apg. 1 — sind die 12 schon die Weltapostel, : Charakterbild zusammen, das ihn wohl fähig erscheinen
hier bekennt Paulus selbst, daß er der Spätere ist, ohne läßt, dem Papsttum die universale Stellung zu erhalten,
daß — im Blick auf seine sonstige Stellung — von einer die es durch seine nachmalige Zuwendung zu Frank-
Unterordnung die Rede sein könnte. Solche Gegenüber- ; reich verloren hat. Man kann auf weitere Publikationen
Stellungen ließen sich schon im N.T., auf dem die Kirche Wencks, die er über diesen Mann in Aussicht stellt, ge-
hernach fußt, ermöglichen. Auch im N.T. sind die 12 spannt sein. Stellt er ihn doch mitten hinein in die Dar-
bereits eine unkonkrete Größe, sodaß die Unfruchtbar- Stellung der treibenden Kräfte, die das 13. Jahrhundert
barkeit einer Behandlung dieses Teilproblems schon von ! bewegten. Nicht minder anziehend als die Schilderung
den Anfängen an droht, zumal wenn für die Entwicklung dieses Mannes ist die des großen Gegners des Matteo
der Kirche so wichtige Stellen wie Mt. 16,18ff. und Orsini im Kardinalskollegium, des Kardinals Johann,
18,18 ff., die schon in einer den lukanischen mindestens Colonna, der irre geworden an der Richtigkeit und Nützgleich
- wenn nicht vorzeitigen Schrift stehen, kaum be- lichkeit der Politik Gregors IX. von ihm abfiel und zu
rührt werden. Stärkeres Heranziehen der römischen Tra- Kaiser Friedrich II. überging, aber doch nicht verhindern
dition (auch der archäologischen Funde) hätte eben- konnte, daß die kaiserfeindliche Politik zum Siege kam.