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Ausgabe:

1927 Nr. 13

Spalte:

292-294

Autor/Hrsg.:

Wagenmann, Julius

Titel/Untertitel:

Die Stellung des Apostels Paulus neben den Zwölf in den ersten zwei Jahrhunderten 1927

Rezensent:

Fascher, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 13.

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beizukommen, daß er zunächst die „Gattung" feststellt
und von diesem Gesamtverständnis aus unter Beiziehung
der Metrik und sorgfältiger Vergleichung der alten Übersetzungen
an die Einzelerklärung und die Heilung der
Textscnäden herangeht. Dabei sind „streng die Grundsätze
philologischer Textkritik zu beachten, wie sie für
die alttestamentliche Wissenschaft neuerdings von Friedrich
Delitzsch eingeschärft worden sind" (S. 15). An
den kritischen Hauptteil schließt sich (S. 53 ff.) eine
feinsinnige, wenn auch reichlich breite Gesamterklärung
und Würdigung des Psalms an.

Durch die Hineinstellung in den gattungsgeschichtlichen
Zusammenhang macht B. sicher, daß Jes. 38,
10—20 ein Dank Ii ed mit vorausgeschicktem Klagelied
ist (gegen Duhm, Cornill, Stärk, Touzard), und daß der
vielfach (Duhm, Marti, Stärk, Linder u.a.) als liturgischer
Zusatz angesehene V. 20 im ursprünglichen Aufbau des
Lieds seine Stelle hat, weil dieses von Anfang an für
den Vortrag am Heiligtum gedichtet war. Nicht ebenso
überzeugend ist die Antwort B.s auf die vielverhandelte
Frage, wo die Klage aufhört und der Dank beginnt.

Weil die Klagelieder mit einer Bitte zu schließen pflegen u.
eine längere Bitte als der Notschrei v. 14 d aus dem Munde eines
dem Tode Nahen ein Unding wäre (S. 17.41), läßt B. mit V. 15 den
Umschwung beginnen u. macht alle Konjekturen in V. 15—17 a von
dieser Voraussetzung abhängig. Aber seine Begründung ist lediglich
subjektiv; zunächst ist davon auszugehen, daß 16c eine Bitte enthält,
also sich noch im Rahmen des Klageliedes bewegt; u. da Klage u.
Bitte „mehrere Male miteinander abwechseln können" (S. 10), hat
es gar nichts auf sich, nach der Bitte 14d in 15 noch einmal mit
der Klage zu beginnen („was soll ich reden u. zu ihm sagen, da
er es getan? Geflohen ist all mein Schlaf [1. . mit Ehrlich:

"PjE^ " to rm^] ob der Bitternis meiner Seele"), auf
• t : t t : i t

die dann die erneute Bitte 16 folgt: „Herr,... mach mich gesund

u. laß mich am Leben". (Auf eine Wiederherstellung des völlig

verderbten V. 16a.b, der nach Ausweis von 16c eine Bitte enthielt,

ist am besten zu verzichten, da keine Konjektur überzeugt.) Erst mit

17a setzt der Umschwung ein: „siehe, in Heil ist die Bitternis mir

verwandelt" (~)ö Perf. v. "11D; falls nicllt eine andere Form von

t

z. 1. ist; zum Wortspiel vgl. B. S. 5512). Bei dieser Auffassung
wird die gequälte Deutung, die B. von 15 d geben muß (S.
42.60), u. die willkürliche Streichung von Tl^jl «• "10 in 17a

vermieden. 17 a ist ein Fünfer, 16 wahrscheinlich nicht; doch darf
der Schluß des Klageliedes metrisch abweichen, wie B. selbst S. 18f.
im Anschluß an Gunkel ausführt.

Die Kehrseite des sehr erfreulichen Strebens, exakt
und unter möglichster Ausschaltung der Willkür zu
arbeiten, ist die Gefahr, sich ganz an Nachgewiesenes
zu halten und sich so selbst voreilig Schranken zu ziehen.
Wenn z. B. V. 14 b metrisch verdächtigt wird wegen der
Form des Doppeldreiers, „der als Unterbrechung des
Fünferrhythmus nicht sicher nachweisbar ist" (S. 19),
so ist das nicht schlüssig, weil sachlich nicht einzusehen
ist, warum diese Form der Unterbrechung nicht vorkommen
soll; ist sie bisher nicht nachgewiesen, so
beweist eben V. 14b, daß sie existiert. Oder: die von
Delitzsch registrierten Buchstabenyertauschungen sind
nicht die einzigen Möglichkeiten, die es auf diesem Gebiet
gibt, zumal da die Verschreibungen sich oft genug
nicht mechanisch, sondern psychologisch erklären oder
auch noch jeder Erklärung spotten; die (inhaltlich berechtigten
) Einwände gegen Konjekturen auf S. 32 und
33 sind also methodisch anfechtbar, und B. hat wohl

daran getan, auf S. 45 (rT%: W}}) und 49 ("pOK =
~]!Dn) sich über die selbstgezogene Schranke hinwegzusetzen
.

Einzelheiten: Der (abgesehen von V. 16 einzige neue) Verbesse-
rungsvorschlag, in V. 20 a zwischen Tl)T"^ u. "'jytj'in 7
mit Benutzung des in 19 a überflüssigen ein ^MIH

einzuschieben, ist sehr beachtenswert; nur darf man nicht LXX als
Zeugen für ursprüngliches Fehlen von £)f~! 'n l°a anführen, da

| dort nur Sinnübersetzung vorliegt. Dasselbe ist der Fall in 10 a, wo
sich B. im Anschluß an Gunkel u. Balla durch LXX zu dem Germa-
j nismus D^iH „auf der Höhe meiner Tage" verleiten ließ;

am MT ist nichts zu ändern. — Die dämonologische Deutung von V.
| 12 e, 13 a (S. 34 f) ist an den Haaren herbeigezogen u. zum mindesten
' unnötig.

Trotz dieser Einwände ist zu urteilen, daß die sorgfältige
Studie methodisch und inhaltlich eine Förderung
der Exegese des schwierigen Abschnitts bedeutet. Auch

| die Erörterung der chronologischen Frage und die Wertung
der Aramaismen verrät besonnenes Urteil: der
Psalm gehört keineswegs in die späte Zeit, die ihm vielfach
angewiesen wird, aber auch nicht in die ältesten
Perioden der Literaturgeschichte; Genaueres läßt sich

! nicht sagen.

Zur Literatur ist noch zu nennen: Touzard, Ie can-
tique d'Ezechias (Revue Biblique 1899, S. 83—108);
Laur, Textstudie zum Canticum des Ezechias (Studien
und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cistercien-
ser-Orden 1907, S. 167—176); ferner die Behandlung
der Verse in den neuen Jesajakommentaren von Feldmann
(I. 1925) und König (1926). — Der Verfasser
des im Vorwort von B. genannten Aufsatzes heißt Linder
, nicht Lindner.

Tübingen. W. Rudolph.

Wagenmann, Dr. theol. Privatdoz. Julius: Die Stellung d.
Apostels Paulus neben den Zwölf in den ersten zwei Jahrhunderten
. Gießen: A. Töpelmann 1926. (XV, 224 S.) gr. 8°.

Rm. 8—.

Vorliegende Untersuchung ist eine auf Anregung
H. v. Schuberts entstandene Heidelberger Promotionsund
Habilitationsschrift. Anknüpfend an ein durch den
päpstlichen Stuhl im Jahre 1647 erlassenes Verbot, die
Apostel Petrus und Paulus einander gleich zu stellen als
Häupter der Kirche — man beachte diese Formulierung
— will Vf. die Frage zu beantworten suchen, wie
es dazu gekommen ist, daß Paulus, der im N.T. mit
seinen Briefen einen so breiten Raum einnimmt und als
Theologe der Kirche soviel bedeutet hat, gegenüber Petrus
und den Zwölf in den Hintergrund gedrängt wurde.
Es hätte — zumal bei der Anknüpfung an das oben
zitierte Verbot — nahe gelegen, die Stellung des Paulus
neben Petrus oder beider neben den Zwölf zum Hauptgegenstand
zu machen. Indessen hat Vf. seine Aufgabe
begrenzt und gemeint, daß die Stellung der 12 als
Gruppe und die des Paulus neben ihnen vorher allein
ermittelt werden müsse. Die dogmengeschichtliche Entwicklung
soll berücksichtigt werden, jedoch handelt es
sich „um den inneren Aufbau der Kirche als Organisation
, nicht aber um die Lehre" (S. 3). Diese etwas
umständliche Angabe der Themastellung ist für die weitere
Beurteilung notwendig. Vf. hat dann seinen reichen
Stoff chronologisch geordnet. In einem ersten Abschnitt
behandelt er „Die Zwölf, die Urgemeinde und Paulus",
in einem zweiten „Die Stellung des Paulus neben den 12
in der werdenden kath. Kirche". Dieser Abschnitt zerfällt
in 5 Kapitel, welche — um die nicht ganz glücklichen
Kapitelüberschriften hier zu übergehen — das Thema
an Hand der Syn. und Apg., der apost. Väter, der pseud-
epigr. Petrus-Paulus-Johannes-Literatur erörtern, an die
W. eine Beurteilung bei den Häretikern anschließt, um
die Ergebnisse aus dem Kampf der Großkirche mit
jenen Ketzern und ihre Auffassung von der Sache vorzuführen
und mit Darstellung der Meinung des Irenäus
zu enden. Eingeschaltete Zusammenfassungen finden
sich am Ende des 2., 3. und 4. Kapitels. Über
I den ersten Abschnitt, der sich an Vorarbeiten v.

Harnacks, Kattenbuschs und Holls anschließt, läßt
I sich sagen, daß W. hier vorsichtig und zurück-
j haltend urteilt. Die Ergebnisse sind im Einzelnen
I nicht neu. Da Vf. über die Quellen offenbar kein festes
Urteil hat (cf. S. 53 Anm. 1), so ist gegen seine Deu-
| tungen vor allem der lukanischen Schriften, manches
i zu sagen, was hier jedoch zu weit führen würde bei der