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Ausgabe:

1927 Nr. 12

Spalte:

283-285

Autor/Hrsg.:

Kollmann, Ignatii (Ed.)

Titel/Untertitel:

Acta sacrae congregationis de propaganda fide resgestas Bohemicas illustrantia. Tomi I, Pars I, 1622 - 1623 1927

Rezensent:

Wolf, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 12.

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Acta sacrae congregationis de Propaganda fide resgestas
Bohemicas illustrantia. Tomi I, Pars I, 1622—1623. Opera
Ignatii Kollmann edidit Comiiiorum Bohemiae depulaiio. Pra-
gae: Sumptibas Comitiorum Bohemiae Gregorianis 1923. (475 S.)

Die vorliegende Veröffentlichung ist sowohl wegen
ihres Inhalts als auch wegen ihrer quellenkritischen Tragweite
zu begrüßen. Aus dem römischen Propagandaarchiv
hatte schon A. Pieper in seiner Arbeit „Die Propagandakongregation
und die nordischen Missionen im
17. Jahrh/' (1886) geschöpft. Aber obgleich er in seine
Studie auch allgemeinere Beobachtungen eingeflochten
hatte, hatte sie ihrem Thema nach einen geographisch
begrenzten Charakter. Deshalb ist es höchst dankenswert
, die Bestände des Propagandaarchivs für eine großzügige
Publikation zu benutzen, welche uns in eine für
die Gegenreformation so wichtige Provinz führt. An
sich ist das Gebiet, dem sie gewidmet ist, kein Neuland.
Wiewohl das Hauptinteresse an den Umwälzungen des
damaligen religiösen Lebens in Böhmen naturgemäß dem
Untergang des dortigen Protestantismus nach 1620 gewidmet
worden ist, hat es auch an Beiträgen zur Geschichte
der Wiederherstellung des Katholizismus nicht
gefehlt. In Gindelys Werk ist auch nach dieser zweiten
Richtung vieles enthalten, freilich mehr die Frucht extensiver
Archivforschung als extensiver Kleinarbeit, und aus
dem vatikanischen Archiv hat Grisar schon vor Jahrzehnten
in der Ztschr. f. kath. Theol. Bd. 10 manches
mitgeteilt. Aber die Quelle, aus welcher man sich vorzugsweise
unterrichten würde, die fortlaufenden Depeschen des
Wiener Nuntius Carafa, gilt als verloren, wenigstens für
den Pontifikat Gregors XV. Da ist zu begrüßen, daß die
Lücke wenigstens einigermaßen durch die Akten des
Propagandaarchivs ausgefüllt wird. Wie die anderen
Nuntien, in deren Bereich Provinzen gehörten, die der
neuen Kongregation unterstellt waren, wurde auch Carafa
angewiesen, durch Vermittlung des Kardinalnegoten
Ludovisi oder des Kongregationsvorsitzenden Sauli über
die Bedürfnisse der Mission zu berichten, Weisungen
der Kongregation entgegenzunehmen und auf deren
Durchführung bedacht zu sein. Carafas Mitteilungen
wurden in den Kongregationssitzungen vorgetragen und
entweder die Protokolle oder die Kanzleiaufschriften
auf den Depeschen vermerken, an welchem Tage das
geschah und was die Kongregation darauf für gut befand
. Ähneln viele von Kollmann veröffentlichte Stücke
demgemäß den gewöhnlichen Nuntiaturberichten, so walten
doch wieder gewisse Unterschiede ob. In jenen
spielt das Zuständliche gegenüber den fortlaufenden Verhandlungen
eine weit größere Rolle; bedurfte doch
ein solches Kollegium besonders in jenen Anfangszeiten
seiner Tätigkeit, in viel höherem Maße der allgemeineren
Information! Außerdem nehmen zwar die Carafabriefe
im vorliegenden Werke einen breiten Raum ein; aber sie
beherrschen nicht derart wie in den Nuntiaturberichten
das Feld. Die Kongregation sah in den Nuntien nicht
die alleinigen Vermittler mit den Missionen. Sie verkehrte
mit den Bischöfen vielfach direkt, hatte außerdem
namentlich in verschiedenen Ordensgeistlichen wichtige
Stützen. So zählt die Korrespondenz des Kardinalbischofs j
von Dietrichstein aus Olmütz oder des Franziskaners
Hieronymus Lapi zu den wertvollsten Bestandteilen der
Publikation.

Man kann nicht sagen, daß aus Kollmanns Material
überraschend neue Ergebnisse und Charakterzüge herausspringen
, welche das Bild, das man sich allgemein von
den damaligen Gegenreformationen machte, von Grund [
aus verändern würden. Aber innerhalb des großen, für j
uns feststehenden Rahmens gewinnen wir doch manche j
interessante Einzelheiten. Den langen Streit über das j
Schicksal der Prager Universität hat inzwischen Frl.
Spiegel wesentlich nach der vorliegenden Publikation
in den Mitteilungen des Vereins f. Gesch. d. Deutschen
in Böhmen geschildert. Als besonders bemerkenswerten
Zug hebe ich den Kampf der Franziskaner gegen die
Neigung der Jesuiten, alle Lehrstühle zu besetzen hervor
. Während die Jesuiten auf die ausschließliche Lehre
ihrer Ordensanschauungen Gewicht legten und vom Gegenteil
eine Verwirrung in den studentischen Köpfen
befürchteten, verlangten die Franziskaner gerade, daß
ihrer Nichtübereinstimmung mit einzelnen jesuitischen
Sätzen durch die Ausgestaltung des Universitätsunterrichts
Rechnung getragen werden müsse.

Aber noch nach einer anderen Richtung hin ist Koll-
manns Werk von Bedeutung. Seit Rankes römischen
Päpsten haben die Kommentare Carafas und ihre Vorarbeiten
immer wieder die Gelehrten beschäftigt. Aber diese
Aufmerksamkeit galt bisher ausschließlich Carafas eigenen
Arbeiten oder den aus ihnen abgeleiteten Zusammenstellungen
. Nach dieser Richtung bringt Kollmanns Publikation
nur insofern Neues, als die Relation Bohemica
vom 8. Okt. 1622 und der sog. Ragguaglio vom Sept.
1623, die bisher nur bruchstückweise bekannt waren,
jetzt zwar nicht in ihrem vollen Umfange abgedruckt,
— das wäre Verschwendung gewesen, weil diese Aktenstücke
vielfach wörtlich übereinstimmen oder wenigstens
sich sachlich decken — aber doch so veröffentlicht werden
, daß der Benutzer den Wortlaut der handschriftlichen
Vorlage rekonstruieren kann. Auch berücksichtigt Kollmann
mehr Handschriften als seine Vorgänger und berichtigt
deren Datierungen. Doch das Wertvollste sind
seine Erörterungen über die Quellen, welche Carafa
benutzt hat, und in Verbindung damit über seine gesamte
Arbeitsweise. Mit Carafas Versicherung, daß er nur berichte
, was er selbst gesehen, von vertrauenswürdigen
Personen erfahren oder aus zuverlässigen Kanzleien und
Schriften des freundschaftlichen wie des gegnerischen
Parteilagers geschöpft hätte, haben die früheren Forscher
nichts anzufangen gewußt, obwohl aus den letzten Worten
schon deutlich hervorging, daß Carafa nicht bloß
auf seinen Erfahrungen und dienstlichen Informationen,
sondern auf weiterem Material fußte und obwohl seine
Schriftstücke nicht bloß die Gegenwart behandelten, sondern
auch die vergangenen Jahrzehnte. Nun ist teils
durch die Nuntiaturberichte vom Kaiserhofe teils durch
die von Schmidlin ausgebeuteten bischöflichen Diözesan-
berichte an die römische Kurie uns ein Material erschlossen
worden, welches sich für Carafa ganz besonders
zur Benutzung eignete. Verschiedene Nuntien haben
nämlich nicht bloß während ihrer Amtszeit in bestimmten
Zwischenräumen fortlaufend nach Rom geschrieben, sondern
auch am Schlüsse ihrer Wirksamkeit ihre Eindrücke
nochmals in einer großen Darstellung zusammengefaßt,
welche ihren Nachfolgern zur Einführung und Richtschnur
diente. Nur weil Carafas Quellen und Niederschriften
mehrere Jahrzehnte auseinanderlagen, ist noch
niemand auf den Gedanken gekommen, jene als Carafas
Material ausfindig zu machen. Kollmann, welcher sich
nicht auf die Veröffentlichung seiner Vorlagen beschränkte
, sondern sich eifrig bemüht hat, deren Inhalt
kritisch zu beleuchten und aus einem oft weit verzweigten
archivalischen Material zu ergänzen oder zu berichtigen,
sah nun aber, daß Carafa über Menschen und Dinge aus
den achtziger Jahren des 16. Jahrh.s besser Bescheid
wußte wie über den seiner Nuntiatur unmittelbar vorangegangenen
Zeitraum. Diese Erkenntnis führte Kollmann
auf die Schlußinstruktion des Nuntius Puteo für seinen
Nachfolger Visconti von 1588, welche Josef Schweizer
in den Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der
Geschichte 14,477 ff veröffentlicht hat, den großenteils
direkt abgeschriebenen Prager Diözesanbericht von 1588
und einen ungefähr aus der gleichen Zeit stammenden
Bericht aus Olrnütz. Wahrscheinlich verdankte Carafa
diese Stücke nicht scharfsinnigem und zeitraubendem
Nachspüren, sondern der Gefälligkeit des Olmützer Domherrn
von Plattenstein, der ihm für die spätere Zeit noch
eine dritte Quelle verschaffte, den vielleicht von ihm
selbst verfaßten Processus in reformatione seu restaura-
tione catholicae hactenus in regno Boemiae reservatum
von April 1622. Letzterem folgte Carafa vielfach auch
dann getreu, wenn er sich aus den eignen Korrespon-