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Ausgabe:

1927 Nr. 12

Spalte:

282

Autor/Hrsg.:

Beyer, Hermann Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Religion Michelangelos 1927

Rezensent:

Kohlmeyer, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 12.

282

logischen Rätsel richtig gelöst hat, welche das zurückhaltende
Wesen Friedrichs dem Geschichtsforscher aufgibt
. Vielleicht wird sich Kalkoff, der von seinen ganz
anderen Ausgangspunkten her den Ernestiner völligabwei-
chend beurteilt, mit Kirn auseinandersetzen und es so zu
einer interessanten wissenschaftlichen Kontroverse kommen
. Aber als entscheidendes Ergebnis von Kirns Studien
dürfte feststehen, daß künftig niemand mehr Friedrichs
religiöse Anschauungen und kirchenpolitische Maßregeln
lediglich aus den Erfahrungen seiner letzten 8 Lebensjahre
erklären wird, zumal Kirn ganz zutreffend den
großen Unterschied „zwischen dem jungen Friedrich,
der körperlich noch rüstig und politisch noch nicht so
voller Müdigkeit und Resignation war, und dem kränklichen
und schwerfälligen alten Kurfürsten" betont. Wer
sich das vergegenwärtigt, wird gegen die Annahme mißtrauischer
, daß gerade ein solcher Charakter sich in
Fragen, die ihn von jeher besonders fesselten und zu
einer bestimmten Praxis drängten, am Ende seines Le-
bens nicht bloß seinen Standpunkt gewechselt hätte, sondern
auch ein zielbewußter, wenn auch vorsichtig hinter
den Kulissen tätiger Vorkämpfer der lutherischen Sache
geworden sein sollte, wie letzteres Kalkoff namens
haben will.

Nach seinem ganzen Thema zerfällt Kirns Buch in
zwei große Abschnitte. Der erste schildert Friedrichs vor-
reformatorische kirchliche Landesverwaltung, seine damaligen
Auseinandersetzungen mit der Geistlichkeit seines
Territoriums und aus der Nachbarschaft, seinen Einfluß
auf die Besetzung kirchlicher Stellen, seine Sorge
für den inneren Zustand der Stifter und Kirchengüter.
Es ist interessant, diese ebenso intensive und ausgedehnte
Tätigkeit Friedrichs an der Hand von Geß' Forschungen
mit der seines Vetters Georg zu vergleichen. So erkennt
man, daß beide Fürsten verwandte Wege gingen, Friedrich
aber schon früh vorsichtiger und zurückhaltender
war. Der zweite Hauptteil beschäftigt sich mit Friedrich
in der Lutherfrage. Hierfür leitete Kirn aus den vorangegangenen
Abschnitten zwei Bedingungen ab: 1. Friedrich
war schon längst gewohnt, seinem Gewissen zu
folgen und hierfür selbst persönliche Vorteile zu opfern
2. er strebte das religiöse Leben zu heben, vermied aber
zugleich tunlichst alle Störungen des Friedens und der
öffentlichen Ordnung. Man wird zugeben, daß mit diesen
beiden schon vor 1517 von Friedrich befolgten Richtlinien
alles in Einklang steht, was die Quellen über sein
Verhalten in der Lutherfrage sagen oder wenigstens andeuten
. Auch wer mit Kalkoff Spalatins geistige Veranlagung
geringschätzt, muß zugeben, daß dieser seinem
Herrn wohl manches übertriebene Lob spendete, aber
gut eingeweiht war und Tatsachen wahrheitsgetreu schildern
wollte. Wenn Spalatin ausdrücklich betont, daß
Friedrich nur „säuberlich und mit Mußen" dem Evangelium
näher gekommen sei, so kann man dieses Zeugnis
nicht umgehen und nicht behaupten, daß der Hofprediger
nur das Werkzeug des zielbewußten Landesherrn gewesen
sei. Dabei würde, wenn Kalkoff recht hätte, die
erste Tätigkeit Friedrichs für Luther in die Jahre 1518
bis 1522 fallen. An dieser These ist jedoch nur so viel
richtig, daß Friedrich in seiner allerletzten Lebenszeit
die Dinge wesentlich mehr hat laufen lassen. Sie steht
jedoch mit dem, was wir über seine erst allmähliche
innere Annäherung an Luthers Gedanken hören, durchaus
in Widerspruch. Kirn benutzt die Gelegenheit, um
verschiedene Beweismittel Kalkoffs, z.B. den Widerruf
von Reliquienbestellungen und den erkaltenden Eifer
für Ablässe schon unmittelbar nach dem Thesenanschlag,
zu entkräften. Ebenso nimmt Kirn gegen Kalkoffs neueste
Vermutung, Friedrichs vollzogene Kaiserwahl, Stellung
. Kalkoff hat kürzlich in der Ztschr. f. Gesch. d.
Oberrheins versucht, seine Behauptungen durch neue
Gründe zu stützen; aber Kirns Ausführungen bleiben
durchaus berechtigt.

Freiburg i. Br. Oustav Wolf.

Beyer, Priv.-Doz. Lic. theol. Dr. phil. Hermann Wolfgang: Die
Religion Michelangelos. Bonn: A. Marcus & E. Weber 1926.
(VI, 159 S.) gr. 8°. = Arbeiten z. Kirchengesch., 5.

Rm. 5.50; geb. 7.50.
Es ist erstaunlich, daß von theologischer Seite über
diesen Gegenstand noch keine Arbeit vorliegt; die Wahl
des Themas war daher ein guter Griff. Die Bearbeitung,
welche M.s Kunstwerke und Dichtungen benutzt, geschieht
von „bewußt theologischer Einstellung" aus und
sucht in M.s religiöser Persönlichkeit mit Recht den
Schlüssel seines Wesens. Ein erster Abschnitt über „Religion
und Kunst" bleibt allerdings unbefriedigend, wenn
er nach der Feststellung, daß aller großen Kunst Religion
zu gründe liege, uns belehrt, daß die griechische
Kunst dem ävd-Qouogouq/.lvoq,die gotische demmeL^tarixog
die des M. dem ipijixoc entstamme. Statt dieser schematischen
und schiefen Gleichsetzung hätte der Vf. den
durch und durch „numinosen" Charakter der Kunst M.s
als ergiebigeren Gesichtspunkt benutzen können.

Sein Bestes gibt der Vf., wo er das religiöse Ringen
M.s zeichnet (71 — 126). In drei Wenden stellt er den
Kampf M.s um den Sinn des Lebens dar; in der Schönheit
, der Liebe, dem künstlerischen Schaffen sucht M.
ihn umsonst und findet ihn durch Selbstgericht in der
göttlichen Erlösung. Hier wird fast nur die gedankliche
Ausprägung der Dichtungen verwertet. Das Ergebnis
ist ein seelisches Drama von stärkstem Eindruck. Freilich
nicht als zeitlicher Ablauf, der Vf. will ein Neben-
und Ineinander von Lebensfragen und Kämpfen zeigen,
die zu Gott führen. Aber auch die sachlichen Beziehungen
der einzelnen Gedanken, die er herstellt, dürfen
noch weniger, als er will, als ausschließliche gefaßt werden
. Der bei M. bis zuletzt nebenherlaufende Platonis-
mus vermag auch von sich aus den Aufschwung über
Vergänglichkeit und Tod zu bringen (Frey, Dichtungen
des M.B. 73,8. 10. 14. 20; 109,105). Für mißlungen
halte ich, was über M. und die Mystik gesagt ist (S.
94 f.), die angeführten Stellen ergeben nichts derartiges.
Noch unvermittelter, noch mehr in dauernder Unver-
bundenheit (auch nicht in gegensätzlicher Bedingtheit)
stehen diesseitige und jenseitige Elemente bis zuletzt
bei M., und das starke Hervortreten der christlichen
kennzeichnet die spätere Periode. (Vgl. dazu auch die
Bern, des Vf. S. 129.)

So tritt diese Schilderung naturgemäß in gewissem
Sinne aus den Grenzen rein begrifflich-logischer Arbeit
heraus. Sie will ein inneres Schicksal nachschaffen, und
das ist, oft in starker, innerster Einfühlung gelungen, auf
prägnantere, lebensvollere Art als in den vorhandenen
Darstellungen, auf denen sie fußt. Dennoch hätte, z. B.
in dem letzten Abschnitt, der die auf M. wirkenden Zeiteinflüsse
behandelt, jene begriffliche Methode mehr herrschen
können. Die Beziehungen M.s zur Reformation
hätten, auch wenn das non liquet (das der Vf. in der
Frage der Rechtfertigung durch Glauben für M. im
Gegensatz zu Thode ausspricht) sein volles Recht behält
, doch ein gründlicheres Eingehen auf Einzelheiten
erfordert. Die „Gnade" M.s läßt sich nicht unter den
freilich hergebrachten, aber unzureichenden Gegensatz
von übernatürlicher Einströmung und in Geist, Herz
und Gewissen erlebter Erfahrung bringen (S. 154), vgl.
Frey 140: .. alla gratia, che s'infonde nel cor., sowie
das vom Vf. angeführte Zitat aus Vittorias Brief (S.
148). In der abschließenden Charakteristik dieser Gnade
im Vergleich zu Luther (S. 155) wird der Vf. freilich
Recht behalten.

So zeigt seine Arbeit, die allerdings noch Wünsche
offen läßt, eine unstreitige starke Begabung für dieses
Grenzgebiet von Theologie und künstlerischem Nacherleben
. Es wäre erfreulich, wenn sie das Interesse für
ein von der Theologie weithin vernachlässigtes Gebiet
belebte: die Religion der großen Künstler.

Breslau. E. Kohlmeyer.