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Ausgabe:

1927 Nr. 12

Spalte:

270-272

Autor/Hrsg.:

Kittel, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Probleme des palästinischen Spätjudentums und das Urchristentum 1927

Rezensent:

Dibelius, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 12.

270

war, möglicherweise also in der alten Persis (Färs),
wahrscheinlich also in nestorianischen Kreisen. Dies
ist auch aus einem anderen Grunde nicht unwahrscheinlich
; denn Barsalibi berücksichtigt auch in seinen
sonstigen Werken das Schrifttum der Nestorianer.

Diese svrische Übersetzung ist teils wortgetreu, teils
sehr frei, nach syrischer Art mit zahlreichen Doppelausdrücken
für einen einzigen Begriff des arabischen
Textes. Dazu kommen zahlreiche Mißverständnisse und
fehlerhafte Übersetzungen, sodaß man dieser syrischen
Übersetzung nur mit starkem Mißtrauen begegnen kann.
Es würde zu weit führen, im Rahmen dieser Zeitschrift
einzelne Belege für dieses Urteil anzuführen. Was die
von Mingana angegebenen acht Stellen anbetrifft, die
von der syrischen Übersetzung als Koranzitate ausgegeben
werden, die sich aber in der osmanischen Ausgabe
nicht finden, so ist es natürlich, zumal sie durchaus
koranisch anmuten, an und für sich durchaus möglich,
daß sie in einer der alten Koranrezensionen gestanden
haben; kennt doch selbst die islamische Überlieferung
derartige „Koranverse". Andererseits können sie aber
durchaus einem Traditionswerk entnommen sein und
sind es auch teilweise, wie Mingana selbst für vier
Stellen nachgewiesen hat; aber auch die anderen vier
Stellen sind m. E. dem Hadit entnommen, ohne daß ich
augenblicklich in der Lage wäre, dies positiv zu belegen.
Die Varianten dieser syrischen Übersetzung sind abgesehen
von den schon erwähnten Mißverständnissen des
syrischen Übersetzers häufig lediglich ein in die Übersetzung
eingedrungenes Tafsir (z. B. bei Süre: II, 34 auf
S. 25). Bei einer genauen Vergleichung ergeben sich
übrigens noch weit mehr Varianten, als Mingana anführt
. Nach alle dem möchte ich als sicher annehmen,
daß dem Barsallbl keine Übersetzung des ganzen Koran
vorgelegen hat, sondern nur eine auszugsweise
Übersetzung, die bereits mit Hadit und

Tafsir untermischt war. Damit verliert die Übersetzung
natürlich den von Mingana betonten Wert für
die Textgeschichte des Koran. Hierfür darf man diese
Übersetzung, wenn überhaupt, nur mit der allergrößten
Vorsicht verwenden.

Die S. 26 erwähnte auffällige Erscheinung, daß
der Übersetzer für den Namen Jesus nicht die syrische
Form Isö', sondern stets die arabische Form 'Isä gebraucht
, während die Namen der Propheten immer in
der syrischen Form wiedergegeben sind, erklärt sich
m. E. daraus, daß der Übersetzer den Namen Jesu
(Isö') nicht verunglimpfen wollte.

Zum Schluß noch ein Wort über die These des

Verfassers, daß al-Haggäg^ dem Korantext seine heutige
Gestalt gegeben habe. Mingana, sowie Casanova (Mohammed
et la /in du monde, Notes completnent., Paris
1913, I, 111 ff.) führen als Kronzeugen den christlichen
Apologeten al-Kindl an. Zunächst einmal lebte dieser
angebliche „Kindt" nicht zur Zeit al-Ma'mQns, wie die
Apologie angibt, sondern frühestens Anfang des IV.
Jahrh.s d. H. (vgl. Massignon in der Enzyklopädie des
Islam, Bd. II, 1097). Vor allem aber ist dieser „Kindt"
kein von der islamischen Tradition unabhängiges Zeugnis
, er schöpft seine Kenntnisse von den Muslimen
und aus den islamischen Schriftstellern, er ist also
prinzipiell nicht anders zu bewerten als die islamische
Tradition selbst, die eben zur Zeit dieses „Kindt" bereits
abgeschlossen vorlag. Dieser „Kindt" gibt nur die Auffassung
bestimmter islamischer Kreise über die Sammlung
des Koran wieder, eine Auffassung, die zwar
der kanonischen widersprach, die sich aber vereinzelt
auch bei islamischen Schriftstellern findet (z. B. Ibn
'Abd al-Hakam, Futuh Misr, ed. Torrey, S. 117). Der
ganze Gedankengang Minganas wie Casanovas in dieser
Frage ist ein circulus viüosus; wir kommen damit in
unserer Erkenntnis über die Geschichte der Sammlung
des Koran um keinen Schritt weiter.
. ßonn- _ W. Heffening.

Kittel, Prof. Gerhard: Die Probleme des palästinischen
Spätjudentums und das Urchristentum. Stuttgart: W. Kohlhammer
1926. (IV, 200 S.) gr. 8°. = Beiträge z. Wissensch, v.
A. u. N. T„ 3. Folge, H. 1. Rm. 8.40.

Hinter dem allgemeinen, nicht eben viel sagenden
Titel dieser Schrift bergen sich drei recht verschiedene
Elemente: erstlich eine Art Programmschrift über das
Studium der Rabbinica und seinen Nutzen für die Erforschung
des Urchristentums, sodann eine Abhandlung
über Judentum und Evangelium unter dem Titel „Das
religionsvergleichende Problem" (gemeint ist das Problem
der Vergleichung), endlich zwei Einzeluntersuchungen
, über den rpoiQc rfjs yevioeuts Jak. 3,6 und über
die jüdische Legende vom Grab Josefs im Nil. Was diese
Elemente verschiedener Art und verschiedenen Wertes
eint, ist die in allen Aufsätzen ausgesprochene Auffassung
vom Judentum, eine energisch dargestellte und
klug begründete Auffassung, bei deren Vertretung der
Verfasser auch von polemischen und anerkennenden Fußnoten
gern Gebrauch macht. Dazu gesellt sich eine
geschichtlich klare wie sachlich in die Tiefe gehende
Erfassung des Christentums, wie sie gerade Vertretern
der rabbinischen Studien, Christen wie Juden, nicht
immer selbstverständlich ist. Wenn ich noch hinzufüge,
daß die einzelnen Abschnitte klar, flüssig und anschaulich
geschrieben sind, und reichhaltige Literatur-Nachweise
, auch von neueren Werken des Auslands, bieten,
so ist mit alledem schon angedeutet, daß die Schrift
durchaus keine Alltagserscheinung ist, sondern sich als
Werk von Qualität, zumal in ihrem mittleren Teil,
erweist.

Die ersten Kapitel sind freilich ein wenig locker
gefügt. Man liest Klagen über die Vernachlässigung
der rabbinischen Studien — sehr berechtigte Klagen
übrigens —, erfährt einiges aus der Geschichte der Forschung
, deren jüngste Phase durch besondere Hervorhebung
von George Foot Moore, Dalman, Schlatter und
Billerbeck charakterisiert wird, und erhält unter der
Überschrift „Die Realien" die Probe einer Exegese mit
Hilfe einer Parallele aus dem Midrasch Sifre. Bei
alledem werden die Probleme mehr angerührt als erörtert
. Das in der späten Entstehung der Rabbinica begründete
Mißtrauen Boussets und anderer gegen die
Verwendung dieser Texte bei der Erforschung des Neuen
Testaments wird unter Hinweis auf den Traditionscharakter
der fraglichen Literatur abgewiesen, ohne daß
die besondere Art dieser Tradition, die ja gerade jenes
Mißtrauen zu mindern geeignet ist, eingehend dargestellt
würde. Die Bevorzugung der Apokalyptik zu Ungunsten
der Rabbinica wird eingeschränkt; wir hörten
aber gerade von K. gern etwas über den Zusammenhang
der apokalyptischen Kreise mit dem Rabbinat. Denn die
nächsten Abschnitte, die Sprache, Literatur- und Formgeschichte
und Religionsgeschichte behandeln, haben gerade
die Tendenz, die Isolierung des rabbinischen Judentums
als widergeschichtlich zu erweisen — und von
dieser Zielsetzung aus wäre auch über die Apokalyptik
ein Wort zu sagen gewesen.

Die getadelte Isolierung des palästinischen Judentums
sieht K. einmal in der überscharfen Scheidung
zwischen aramäisch und griechisch; in Wahrheit war
Palästina ein zweisprachiges Land, und das Griechische
war nicht nur eine Gebildetensprache, sondern auch eine
i Verkehrssprache. Das Hauptproblem scheint mir freilich
nicht hier, sondern in dem Verhältnis des in solcher
Umgebung gesprochenen Griechisch zum Aramäischen
einerseits und zur sonstigen Koine andererseits
zu liegen; und unter diesem Gesichtspunkt, den K. nur
in einer Anmerkung behandelt, würde ich sowohl über
die Sprache des Jakobusbriefes wie über die des Johannesevangeliums
anders urteilen, als es der Vf. — in
der letzten Frage stark von Schlatter und Burney beeindruckt
— tut. Von unmittelbarerem Wert scheinen mir
seine Beobachtungen an den beiden jüngeren Synoptikern
zu sein. Lukas hat, mit der Sprache Jesu persönlich
nicht vertraut, die Worte Jesu oft in treuerer Über-