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Ausgabe:

1927

Spalte:

7

Autor/Hrsg.:

Bichlmair, Georg

Titel/Untertitel:

Urchristentum und katholische Kirche 1927

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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Blchltnair, Georg, S. J.: Urchristentum und katholische Kirche.

Innsbruck: Verlagsanstalt Tyrolia [1925]. (379 S.) 8». Rm. 6—.
Nicht eine wissenschaftliehe, sondern eine praktisch seelsorgerliche
Absicht hat dieses Buch entstehen lassen. „Urchristentum und
katholische Kirche!" Diese Überschrift enthält hier für den Verfasser
nur die eine Frage: Welches Recht hat die heutige katholische
Kirche, sich als die einzig recht- und sinngemäße Erbin des
Urchristentums zu wissen? Und sie kennt auch nur die eine Antwort:
Die katholische Kirche allein und „keine einzige der zahlreichen
christlichen Sekten steht auf urchristlicher Grundlage". In drei Teilen,
die den Glauben, die Kirche, und das Leben behandeln, wird diese
These durchgeführt. Unter ihnen nimmt die Behandlung der Sakramente
, und zwar der Taufe, Firmung, Eucharistie und Beichte, allein
200 Seiten von im ganzen 366 Seiten ein. Urchristentum ist dabei
im weitesten Sinne gefaßt; es umspannt etwa die ersten drei christlichen
Jahrhunderte. Immer geht der Verfasser derart vor, daß in urchristlichen
Institutionen und Vorstellungen der deutlich erkennbare Anfang
einer Entwicklung aufgezeigt wird, die sozusagen in gerader
Linie zum heutigen Katholizismus hinüberführt. Er kennt als einzige
Form der geschichtlichen Entwicklung nur das gleichsam organische
und von äußeren Einflüssen unabhängige Wachsen aus einem alles in
sich enthaltenden Keim, der sich notwendig zur katholischen Kirche
entfaltet. Sie ist der Baum, der aus dem Senfkorn emporgewachsen ist.
Es ist unleugbar, daß die Schilderung solchen Wachstumes von einer
umfangreichen Gelehrsamkeit getragen ist. Aber wie diese Geschichtsbetrachtung
gebunden und einseitig bleibt, so auch diese Gelehrsamkeit
. Sie ist erlernt, ist aber kaum irgendwo erforscht.

So scheidet man wohl mit gelegentlichem Dank für manchen
Hinweis und Nachweis von dem Buche, aber es bleibt auch das Bewußtsein
, daß hier praktisch kirchliches Interesse die gegenständliche
Darstellung bestimmt hat, ein Interesse, das von der Schärfe
heutiger kirchlicher Fragen, nicht aber von der Tiefe wissenschaftlicher
Probleme getragen und erfüllt ist.

Breslau. Ernst Lohmeyer.

Schmidt, Prof. D. Dr. Carl: Pistis Sophia. Ein gnost. Orig.-
Werk des dritten Jahrh. aus d. Kopt. übers. In neuer Bearb. m.
einl. Untersuchungen u. Indices hrsg. Leipzig: J. C. Hinrichs 1925.
(XCII, 308 S.) gr. 8°. Rm. 10.50; geb. 12-.

Diese Ausgabe ist, wie die Verlagshandlung gesondert
mitteilt, nicht deshalb hergestellt, weil der 1. Bd.
Koptisch-gnostischer Schriften aus der Sammlung der
Griech. Christi. Schriftsteller der Berliner Akademie d.
W. bereits vergriffen wäre, sondern, um die Bestände
der Akademie-Ausgabe zu schonen. Der Verf. sagt selber
, die jetzige Veröffentlichung, mit jener ersten von
1905 verglichen, zeige, daß die Übersetzung an zahlreichen
Stellen eine Verbesserung erfahren hat, aber
tiefgreifende Änderungen nicht erfolgt seien. Der textkritische
Apparat, eine Reihe gelehrter Notizen, die
Menge der koptischen Ziffern und Wörter bei der Beschreibung
der Hds. sind verschwunden, dafür ist eine
genaue Darstellung des die gnostische Gedankenwelt
offenbarenden Inhalts dazu gekommen und die Untersuchungen
über Verfasser, Entstehungszeit, Handschrift
und Sprache sind ausführlicher behandelt. Das größere
Laienpublikum ist als Leserschaft zu dieser Ausgabe
angenommen worden; es ist mir aber doch etwas
zweifelhaft, ob Laien, die nicht griechisch können, einen
rechten Genuß davon haben werden. Denn die griechischen
Wörter sind nicht in Anmerkungen gesetzt, sondern
stehen in Klammern hinter der deutschen Wiedergabe
, manchmal aber auch anstelle des deutschen Ausdrucks
, vermutlich wenn der Übersetzer meinte, es gebe
keinen adäquaten Ausdruck für das auch im Koptischen
als Fremdkörper wirkende griechische Wort (so z. B.
S. 210,2. 9. 29. 32. 35. 38 „Das dvtlfxtfiov icvlvfia1
und ebenda Z. 12. 27 „Die i()ivaioi jxucjulijUJCvoQsg").

Dies Verfahren verhindert ein schnelles Lesen. Ich
bedauere es aber sachlich keineswegs, sondern begrüße
es. Es braucht wirklich nicht jede Salondame die Pistis
Sophia zu lesen und so zu tun, als- verstände sie dies
Rätselbuch. Es ist und bleibt ein Buch für Eingeweihte
.

Weitere Einzelheiten zu nennen ist bei dieser bekannten
und berühmten Schrift nicht nötig. Das Verzeichnis
ist reichhaltig und genau. Das Buch wird seinen
Dienst tun. Glückauf zum Wege!

Berlin. B. Violet.

Preuschen, Erwin: Tatians Diatessaron. Aus dem Arabischen
übers. Mit e. einleitenden Abhandlung u. textkritischen Anmerkgn.
hrsg. v. August Pott unter Beihilfe d. Heidelberger Akademie d.
Wissensch. Heidelberg: Carl Winter 1926. (X, 241 S.) gr. 8°.

Rm. 16—.

Dieses doppelt posthume Werk — auch der Herausgeber
Pott weilt seit dem 24. Februar 1926 nicht mehr
unter den Lebenden — wird die geplante Fortsetzung
wohl nicht finden. Oder welcher Gelehrte wird, wie es
Pott beabsichtigte, einen zweiten Band hinzufügen, der
die eigentliche Rekonstruktion des griechischen Textes
selbst aus dem Gesamtmaterial aller Tatiantexte mit genauem
textkritischen Apparat unter Beifügung der Textverwandten
bringt, und noch einen dritten, der die
mannigfachen Fragen behandelt, welche dann noch ausstehen
? — Die Ansichten des Herausgebers lassen sich
dahin zusammenfassen, daß Tatian das Diatessaron ca.
165 in Rom griechisch abgefaßt habe, daß sein Text ein
| römischer ist, der auch durch <l 5 it af ssc wie auch
| durch Marcion vertreten ist. Dies ist ein vorkanonischer
' Text, gegen den die v. Soden'schen Gruppen J H K
I nicht aufkommen können. Es besteht deshalb das drin-
| gende Interesse, diesen vorkanonischen Text zu rekon-
| struieren, weil solche Rekonstruktion uns sehr viel näher
I an die evangelischen Autographen heranführt. Zu den
| Ausführungen des Herausgebers ist zu bemerken, daß
es für die Frage des Textcharakters des Dia-
tessarons gleichgiltig ist, ob der Erstentwurf, wie auch
ich trotz der Gegenargumentation von Plooij annehmen
möchte, griechisch oder syrisch war, denn daß es der
alte griechische Text Roms war, den Tatian im Diatessaron
verarbeitet hat, ist sicher. Anders wie der
Herausgeber wird man vielleicht über den Wert dieses
römischen Textes urteilen können. Es wird sich nämlich
vielleicht nachweisen lassen, daß er eine Bearbeitung
darstellt. Ein Beispiel soll das zeigen.

In Mc. 7, 19 hat D statt des eis xvv atpeäo&vtt der andern
Zeugen eis tov oyexiiv. Letzteres darf man nicht vom Darmkanal
verstehen, wie Wellhausen seinerzeit wollte; öyeiög bedeutet einen
Kanal wie etwa die cloaca maxima in Rom. Oerade diese Stelle ist
| von den jeweiligen kulturellen Verhältnissen aus verstanden worden,
wie auch die palästinisch-aramäische Übersetzung beweist, welche
„Misthaufen" übersetzt. Daß nun der Text mit uyexös nach Rom
weist, wird durch das Martyrium des Apollonius sichergestellt, das
ohne jeden Zweifel dorthin gehört und ebenfalls so liest. Man kann
also an dieser Lesart deutlich sehen, daß eine stadtrömische Bearbeitung
vorliegt, und das üq>tSt>uit> der andern Zeugen erscheint in
einem günstigeren Lichte.

Beim Sturmlauf gegen den Text der alten Uncialen
mahnen weiter zur Vorsicht die Resultate der peinlich
gewissenhaften Arbeit an der Septuaginta, wie sie Rahlfs
leistet. Es ist dabei klar an den Tag gekommen, daß B
! und {>( im Wesentlichen einen vororigenistischen Text
bieten, d. h. also bescheiden gesagt einen Text des zweiten
Jahrhunderts p. Chr. Sollte es bei dem in denselben
Hss. vertretenen neutestamentlichen Texte wesentlich
anders stehen? Unmöglich ist das natürlich nicht, aber
doch wenig wahrscheinlich. Diese Hss. verdienen doch
wohl im Ganzen das Vertrauen, das man ihnen als
ältesten bisher trotz mancher abweichender Väterzitate
entgegengebracht hat.

Der vorliegende Band bringt einen in sich abgeschlossenen
Stoff: eine deutsche Übersetzung des arabischen
Tatians. Diese war nicht überflüssig. Denn die
englischen Übersetzungen von Hogg und Hill waren
schwer zugänglich, und das Material war durch die seither
bekannt gewordenen Beiruter Fragmente vermehrt.
Auch ließ sich ein viel wertvollerer Apparat auf grund
der fortgeschrittenen Textforschung herstellen. Die
Übersetzung erwies sich, wo ich sie nachgeprüft habe,
als zuverlässig, kann aber einmal Nichtorientalisten irreleiten
. So, wenn S. 172 XXXV V. 38 „reinen Wassers"
übersetzt wird. Diese Übersetzung dürfte nicht ohne die
Erläuterung ausgehen, daß Quellwasser gemeint ist und
also kein anderer Text als vdatog 'Cwvrog dahinter steht
Oder wenn S. 173 V. 41 „Kommt", und V. 42 „kommen
wird" übersetzt wird, sodaß ein Unkundiger meinen