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Ausgabe:

1927 Nr. 11

Spalte:

252-253

Autor/Hrsg.:

Kehr, Paul

Titel/Untertitel:

Die ältesten Papsturkunden Spaniens 1927

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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251

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 11.

252

Artikel vereinigen Nieder- und Oberrhein auf gleicher kirchlicher
Basis, auf der dann die reformierten und lutherischen Sonderausgestaltungen
sich erheben, doch erstere ohne die Generalsynode. Ganz
neu ist das Toleranzprinzip, dessen Durchführung aber vom Staatsinteresse
bestimmt und begrenzt wird (Verbot des Verlangens von
Übertritt und kathol. Kindererziehung bei der kath. Trauung, aber auch
Verbot des Heidelberger Katechismus), und der Zivilstand. Für
den Pfarrerstand ist bedeutsam das Staatsgehalt. Die schärfere
Verstaatlichung steigert die Bevormundung der Kirche. Die Arbeit,
die manche beachtenswerte Feststellungen bringt, macht öfter den
Eindruck, als ob doch die ausreichende Vertrautheit mit den kirchlichen
Verhältnissen vor der Franzosenzeit fehlte. Dahin weisen z. B. die
Bemerkung über Pfarrbesetzung und -besoldung in alter Zeit. S. 68
weiß nichts von den ehemaligen badischen Gebieten, obwohl
doch Karlsruhe als Kirchenbehördesitz genannt ist. Daß ein reformierter
Geistlicher Kirchenschutz vom Staat verlangt (S71), ist doch
wahrlich nichts Außergewöhnliches, Neues. Daß die lutherische Kirche
Inspektionen mit Inspektoren erhält, ist ebenfalls nichts Neues, aber
auch nichts Hierarchisches. Nicht nur aus S. 79, sondern auch aus andern
Stellen scheint hervorzugehen, daß der Vf. die reformierten
oberrheinischen Gebiete und ihren Charakter wenig kennt. Ungenau
ist mehrfach Titelangabe und Namenschreibung (Jeanbon d' Andre
statt St. Andre; Pfänder statt Pfender u. a.). Sehr wünschenswert
wäre eine vollständige und gründliche Ausführung dieser Ansätze.

Heft 21 bietet eine scharfsinnige und interessante Arbeit von
D. E r be s - Castellaun über die geschichtlichen Verhältnisse
des Markusevangeliums, die hier von zuständiger
Seite besprochen wird. — Drei Lutheraufsätze folgen: Bei aller Anregung
durch Holl u. a. zeigt ein selbständiges und eindringendes Denken
die Abhandlung von Superintendent W. Fliedner (jetzt in
Wittlich) über die Bedeutung des Persönlichen für
Luthers religiöses Werden. Sie führ! aus, wie der ungeheure
Konflikt zwischen Freiheits- und Unterordnungsbedürfnis, aus dem
Luther durch die Begegnung Gottes von der moralischen zur persönlichen
Religion erhoben wird, nicht durch einen Kompromiß, sondern
durch Vollendung und gegenseitige Durchdringung beider gelöst
wird. Die heidnische und die jüdische Stufe der Religion werden
durch die christliche nicht verdrängt, aber die christliche wird
zur beherrschenden. Im Glauben liegt das beständige Bewußtsein
der Zweiheit von Unterordnung und Freiheit. Der Glaube, nicht die
Liebe (Mystik) bestimmt das persönliche Verhältnis zu Gott, der
Glaube, der L. am Begriff der Gerechtigkeit Gottes, am Römerbrief,
an Paulus aufgegangen ist. L.s religiöse Gedankenwelt ist von Paulus
abhängiger als von Jesus, der doch der Spiegel des väterlichen
Herzens Gottes bleibt. In der Stellung zu ihm, zur Schrift tritt L.s
Freiheits- und Unterordnungsbedürfnis nicht so rein persönlich hervor
wie im der zu Gott. Sein Verhältnis zu Bibel, Kirchenlehre, Zeitgenossen
und Freunden zeigt es als ein Verlangen nach selbst urteilender
und empfindender Einfügung, in der Erkenntnis eigner Einseitigkeit
und Unzulänglichkeit. So erscheint das Persönliche bei Luther nicht
nur als individuelle Anlage, sondern als „Kraft", die hinter dem
Individuum steht; es wird für L. zum einzigen Beruf und treibt ihn
als Gemeinschaft stiftende Macht hinein in die Religion als persönliche
Beziehung zum objektiven Wesensgrund. — Gen. Sup. D. Klingemann
gibt in Luther und die soziale Frage eine
klare und unparteiische Skizze des Bauernkriegs und der Stellung
Luthers, und wendet das Ergebnis auf unsre heutige Lage an. Luther,
dessen Volksliebe tiefer und echter ist, als die der Schwärmer, bekämpft
in der Bauernbewegung den religiösen Radikalismus, durch
den Münzer ihr Unheil geworden ist. Für uns gibt es keimen „christlichen
" Staat, keine „christliche" Partei usw. Die Kirche kann
sich kein wirtschaftliches Programm aneignen; ihre Aufgabe ist, allen
Ständen zu dienen und das Gewissen der öffentlichen Ordnungen
aller Art zu sein. — Pfr. de Haas- Essen würdigt die Luther-
tat der Begründung des deutschen evangelischen
Pfarrhauses. — Pfr. Lic. H. Ro d e wal d - Irmenach setzt seine
wertvollen Studien aus der Geschichte des 3 0j. Krieges
in der Hinteren Grafschaft Sponheim fort und bietet
den 3. Teil der Arbeit über Pfalzgraf Georg Wilhelm von Birkenfeld
und die Spanierzeit, die besonders kritischen Jahre 1629—32
behandelnd auf Grund weiterer archivalischer Forschungen in Coblenz,
Trier, München, Hannover u. a. Es handelt sich um die Restitution
des Pfalzgrafen in seine politischen Rechte, die er mit zäher
Unermüdlichkeit durch geschickte und treue Unterhändler — das
Ansinnen, als Preis für seine Wiedereinsetzung die katholische Kirche
in der Hinteren Grafschaft zu dulden, scharf ablehnend — bei der
spanischen Regierung in Kreuznach und Brüssel und am Wiener Hof
betreibt, zu eben der Zeit, wo das kaiserliche Restitutionsedikt erscheint
und Philipp Christoph v. Sötern im Bunde mit dem badischen
Gemeinsherrn die Gegenreformation aufnimmt. Die Darstellung
gibt ein höchst anschauliches Bild der zwischen Regierung und
Regierung waltenden, von den Birkenfelder Diplomaten klug benutzten
Spannungen und ihren oft seltsam weit reichenden Wirkungen, von
dem Gang der Geschäfte am kaiserlichen Hof, der Macht der

Jesuiten, und zeigt, ein wie bedeutsames und schließlich obsiegendes
Moment der feste lutherische Glaube des Pfalzgrafen und seiner
j Beamten in dieser Lage gewesen ist. Es ist zu wünschen, daß der
fleißige und glückliche Forscher seine Arbeit, wenn irgend möglich,
nicht mit 1648 beendet, sondern wenigstens bis über die Zeit der
Reunionen hinausführt.

Aachen. Alfred Zillessen.

-

I Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte. Herausgegeben
im Auftr. d. Vereins f. Brandenb. Kirchengesch. v. Pfr.
Lic. Walter Wendland. 21. Jahrg. Berlin: M. Warneck in Komm.
1926. (210 S.) gr. 8». Rm. 3—.

Dieser Band enthält hauptsächlich zwei sehr gehalt-
j volle Abhandlungen: Viktor Herold gibt als 2. Teil
! seiner Arbeit „Zur ersten lutherischen Kirchenvisitation
j in der Mark Brandenburg 1540—45'" eine Darstellung
des Verlaufs dieser Visitation, die an quellenmäßiger
Genauigkeit C. A. H. Burkhardt's „Geschichte der
I sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen 1524—45"
] (1879) übertrifft. Besonderes Interesse erregt die Wiederbelebung
der Universität Frankfurt (1539:8, 1540:99,
, 1541:202 Studenten), die mit Recht dem Leiter der
I Visitationskommission, dem Kanzler Weinlöben, als höch-
j stes Verdienst angerechnet worden ist. Zum andern
j bietet Walter Wendland auf Grund eines reichen
i und mannigfaltigen Quellenmaterials „Studien zum
kirchlichen Leben in Berlin um 1700" (d. h. in der Zeit,
da sich die Wandlung zur Grosstadt vollzog). Er
j schickt voraus, daß der kirchliche Sinn „noch völlig
ungebrochen" war, wie aus den vielen neuen Kirchen-
! bauten erhellt. Er charakterisiert sodann die religiöskirchliche
Haltung Friedrichs I. und seiner Sophie Charlotte
und der Hofmänner, weiter den neuen milderen
Typus der lutherischen Orthodoxie, den Andreas Müller
(Propst an St. Nikolai 1667—85) und Franz Julius Lüt-
j kens (Propst an St. Petri 1687—1707) verkörpern; er
j schildert die reformierte Gemeinde und die Wirksamkeit
Spener's und Schade's und zeigt endlich, wie die Kirche
auf dem Gebiete der Armenpflege und des Elementar-
! Schulwesens hinter dem Staate zurücktreten mußte. Ein
S 8. Abschnitt über die französische Kirche mußte dem
j nächsten Bande vorbehalten werden.

Kleinere Beiträge: O. CI e m e n druckt ab 7 Briefe
von dem Teupitzer Pfarrer Simon Sinapius an den
Zwickauer Stephan Roth 1542—45, deren einem ein
Brief Melanchthons über die Ordination eingefügt ist.
O. Fischer gibt im Anschluß an einen hübschen
Vortrag „Bilder aus der Vergangenheit des evangelischen
[ Pfarrhauses" eine Zusammenstellung „Märkische Pfarrergeschlechter
" d. h. ein Verzeichnis der Familien, die in
I mindestens vier Generationen Pfarrer gestellt haben (die
Pfarrerfamilicn in drei Generationen — Vater, Sohn
und Enkel — sind am Schluß nur genannt).

Zwickau i. S. O. Clemen.

Kehr, P.: Die ältesten Papsturkunden Spaniens. Erläutert u.
reproduziert. Aus d. Abh. d. Preuß. Akad. d. Wiss. Jg. 1926,
Phil.-Hist. Klasse, Nr. 2. Mit 12 Taf. Berlin: W. de Gruyter
& Co. in Komm. 1926. (61 S.) 4°. Rm. n—.

Wer für diplomatische Untersuchungen und die
j Entwicklung der päpstlichen Kanzlei Interesse hat, wird
an der vorliegenden Publikation eine wahre Augen-
j weide haben. Es handelt sich um die ältesten, im Ori-
| ginal erhaltenen Papsturkunden Spaniens, die von Kehr
in photographischer Nachbildung wiedergegeben, beschrieben
, gelesen, erklärt und in ihrer Bedeutung für
das päpstliche Kanzleiwesen im frühen Mittelalter gewürdigt
werden. Es sind im Ganzen 13 Urkunden, 11
auf Papyrus geschrieben, 2 auf Pergament (Taf. XI.
XII b). Kehr beklagt es, daß die Wiedergabe der Urkunden
nicht die Vollkommenheit erreicht habe, die man
von Arbeiten der Reichsdruckerei wohl erwarten kann.
' Wenn man aber < liest, mit welchen Schwierigkeiten die
| photographische Aufnahme der Urkunden verbunden ge-
| wesen ist, — weiter, daß die Aufnahmen erst vergrößert,
i dann um das passende Format zu gewinnen, wieder