Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1927 Nr. 8

Spalte:

187-190

Autor/Hrsg.:

Birnbaum, Walter

Titel/Untertitel:

Die katholische liturgische Bewegung. Darstellung und Kritik 1927

Rezensent:

Fendt, Leonhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

187

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 8.

188

Für die Agendenreform ergebe sich darum unter anderem
, daß beiden sakramentalen Handlungen der Pastor
sich nicht mit Verlesung gedruckter Formulare begnügen
dürfe, sondern, wenn auch kurz, belehren
müsse (131).

3. Das dritte der treibenden Kräftepaare habe als
letztes treibendes Moment: Objektivität und Subjektivität.
Dahin gehören die Fragen nach der Stellung und Wert
der Predigt. Während nun beim 2. Kräftepaar die
Zweckmäßigkeit gegenüber der Zwecksetzung stets das
untergeordnete sein müsse, hätten sich hier beide Kräfte
die Wage zu halten. Die Modernen aber hätten das
Gleichgewicht zu Gunsten der Objektivität gestört und
mehr, Liturgie gefordert, weniger Predigt bis zu der
„Verstiegenheit" der Schöpfung eines neuen Sakramentes
silentii.

Für die Agendenreform ergäben sich von hier aus
die Forderung größerer Verbindlichkeit der Agenden
gegenüber den Privatagenden, aber auch andererseits
eine größere Beweglichkeit der Liturgie, die uns gleichsam
im Wechselrahmen darzubieten sei. Das Detempore
sei stärker zu betonen. Zum Detempore gehöre auch,
daß man aus der Liturgie erkennen können müsse, daß
wir jetzt in Notzeit lebten. Bei der Dürftigkeit der
Auswahl des Sündenbekenntnisses müsse die Auswahl
reichlicher sein. Die „versteinerten Ungeheuer" der
Kollekten (171) müßten verschwinden. Es sei also in
allen Fällen Betonung der Subjektivität erforderlich, damit
das gestörte Gleichgewicht wieder hergestellt werde.

4. Schließlich sei es die Stellung zum liturgischen
Erbe, und Konservativismus und Fortschrittlichkeit sei
die Formel für das vierte und letzte Kräftepaar, wobei
Fl. sich zu den Vertretern eines kritischen Konservativismus
rechnet und für die Agendenreform folgende Vorschläge
macht: Trennung von Predigt und Abendmahl
und Erneuerung der liturgischen Sprache.

Diesen und den obengenannten Vorschlägen Fl.s
kann man im allgemeinen nur zustimmen. Haben doch
viele der von ihm angegriffenen „Liturgieschwärmer"
längst dasselbe gefordert. Aber ganz und gar nicht zustimmen
kann man der Art, mit der die Liturgiker des
19. Jahrhs.: Schleiermacher, Rothe, Kliefoth, Smend,
Spitta, die Hochkirche und Otto unter einen Sammelbegriff
gebracht und dann in derartiger Weise angegriffen
werden. Man bedenke, was Schleiermacher vorfand
(Fl. fühlt das S. 120 auch selbst) und was wir
jetzt bereits schon haben, teils zu erstreben hoffen dürfen
. Auch Fl.s von großer Belesenheit zeugende Ausführungen
, sowohl seine „Liturgiephilosophie" als auch
seine Vorschläge sind nur vermöge der liturgischen Bewegung
möglich gewesen. Wenn seine Vorschläge erst
in den Synoden Widerstand erfahren werden, wird er
sehen, wo seine wahren Freunde sind.

Zum Schluß sei noch bemerkt, daß es wünschenswert
gewesen wäre, bei besonders wichtigen Abschnitten
Luthers den Namen der Lutherschrift zu nennen. Denn
nicht jeder Leser besitzt die Weimarer Ausg. Dadurch
wäre manches sofort viel deutlicher. Auch hätte neben
Luther, wenn einmal andere genannt werden sollten,
nicht gerade nur Bugenhagen genannt werden sollen.

Wertvoll wäre auch ein Namen- und Sachverzeichnis
gewesen.

An Druckfehlern finde ich 16 Z. 18 spiritu, 40Anm.
Albert statt Abert, 47 Z. 11 suae, 51 Z. 23 ihre? statt
ihm, 58 Z. 16, 48 statt 68, 76 Z. 27 w statt m, 81 Z. 18
Klammerstellung, 158 Z. 34 überpersönlich, 162 Z. 28
Charakter, 186 Z. 21 Kliefoth.

Kleimfreden. Paul Graf f.

Birnbaum, Walter: Die katholische liturgische Bewegung.

Darstellung und Kritik. Gütersloh: C. Bertelsmann 1926. (192 S.)
8°. = Beiträge z. Förderung christl. Theologie, Bd. 30, H. 1.

Rm. 4.50.

121 Seiten Darstellung, 68 Seiten Wertung und Kritik
, 2V2 Seiten Literaturangaben erstreben das Ziel, die

katholische liturgische Bewegung unserer Zeit an den
; ihr gebührenden Platz in der Geschichte zu stellen.
| Behandelt wird nur die Messe; das stimmt überein mit
der eucharistischen Tendenz der liturgischen Bewegung
, aber auch mit der historisch unanfechtbaren These,
j daß für den Katholizismus Liturgie immer zunächst die
Messe ist. Und zwar wird mit dem Begriff „liturgische
'• Bewegung" ausdrücklich das gemeint, was der Jesuit
Kramp, der Weltanschauungsprofessor Guardini, und
j die Benediktiner um Herwegen und Casel betreiben;
j dennoch ist die Bewegung nicht etwa auf Deutschland
| beschränkt, sondern hat ihre Analogien in Ungarn und
Holland, Ansätze auch in Italien und Frankreich (Diözese
Lille), in Oesterreich einen Mittelpunkt im Kloster
I Neuerburg b. Wien. Die Eigenart der Bewegung wird
zunächst deutlich gemacht durch Darstellung der Meß-
I auffassung in der „nachscholastischen Periode der Neuzeit
", deren Repräsentanten hauptsächlich Valentin Thal-
hofer („Liturgik" 1. Auflage) und Martin v. Cochem
I („Erklärung des hl. Meßopfers", zahlreiche Aufl. von
1709 bis 1894) sein sollen. Diese „Nachscholastik"
I wurde von der lit. Bewegung abgelöst. Eben diese Nach-
I Scholastik charakterisiert Birnbaum so: Aller Nachdruck
liegt darauf, daß die Messe meritoriseh wirkt; eine
(iestructio ist wesentlich für das Meßopfer; der Charak-
I ter des Opfertodes Jesu wird als ein kultischer, nicht
als ein sittlicher dargestellt; das Ethische gilt aucii,
! aber nicht als Kultzweck, sondern als Kultwirkung;
! es fehlt aller Sinn für das Mystische, ein starker Zug
j nach rationaler Klarheit herrscht; der Opferpriester ist
die Hauptsache, das Volk spielt eine ganz nebensächliche
Rolle; der Text und die Riten der Messe sind einfach
Material des korrekten Opfervollzugs; Christus kommt
beinahe ausschließlich in Betracht als der Hohepriester;
die für die Messe wesentlichen Bestandteile sind auf das
! Beispiel oder die ausdrückliche Anordnung des gott-
I menschlichen Liturgen selbst zurückzuführen; die wissenschaftliche
Methode dieser Nachscholastik ist die Deduk-
j tion (innere Verwandtschaft mit dem 16. und 17. Jahr-
I hundert). Nun setzt sich heute an die Steile der „Nachscholastik
" die liturgische Bewegung; in ihr tritt das
meritum (scheinbar oder wirklich?) zurück, die Liturgie
fließt nicht mehr aus der justitia, sondern aus der Caritas;
das Sittliche, Erziehliche, Vergottende des Opfertodes
Jesu und darum der Liturgie tritt in den Vordergrund;
ein Mysterium ist die Messe; das Volk soll nicht allein
beiwohnen, sondern mitbeten und mitopfern, „mitspielen
", das corpus Christi mysticum feiert die Liturgie, da-
I rum Opfergang und Chormesse, Stellung des Priesters
! möglichst zum Volk, immerhin nicht Ruf nach der
I Volkssprache; Text und Riten der Messe werden zum
] Vehikel des urchristlichen Geistes, der „Gleichzeitig-
j keit" mit den Heilstatsachen, der Erziehung im Christusgeist
; das Christusbild ist das des ewigen Christus in
der Verklärung; historisch steht die lit. Bewegung im
I Gegensatz zu Thalhofer u. a., sie arbeitet induktiv, historisch
-kritisch, die Liturgie sieht sie nicht geworden aus
Einsetzungen und Anordnungen, sondern gewachsen aus
dem orare et agere des corpus Christi mysticum. Es
bestehen aber im Ganzen und Einzelnen Unterschiede
zwischen der Auffassung Kramps, Guardinis, der Bene-
I diktiner. Ja Kramp und die Benediktiner bekämpfen
sich, während Guardini sich neuestens den Benediktinern
nähert. Bei Kramp, der das Meiitorische bewahrt,
steht im Mittelpunkt die Selbsthingabe, die „Konsekra-
I tion des Opfernden"; opfern, im Sinne der Liturgie,
heißt das Ideal der christlichen Heiligkeit in sich ver-
I wirklichen. Bei Guardini bedeutet die Liturgie „das
Objektive", sei es als Feier der Gemeinschaft, sei es
als Herr-Werden des Christus über den bisher im Subjektivismus
befangenen Menschen; Liturgie ist nicht Versöhnungsmittel
, sondern Erziehungsmittel zum „wesensgerechten
Menschen", dessen Urbild Christus ist; Liturgie
üben heißt vor Gott sein und leben, spielen; dann ist
das Leben wieder, was es sein muß seiner Natur nach: