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Ausgabe:

1927 Nr. 8

Spalte:

185-187

Autor/Hrsg.:

Flemming, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die treibenden Kräfte in der lutherischen Gottesdienstreform 1927

Rezensent:

Graff, Paul

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1.85

Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 8.

18G

Denkschrift Dom Sautons, die seit ihrer Veröffentlichung durch Houtin reichung tun für die Ausarbeitung der
nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist, ist sie jedoch wohl für neuen Agende der preußisch en Landes-
immer unmöglich geworden; offenbart sie doch eine Mischung von k i r C h e. Große Gefahren gelte es ZU vermeiden Es
falscher Mystik und trügerischer Heiligkeit, wie sie sich nur selten dr()he dje ^ „ purjtamscher Nüchternheit, aber auch
vereint finden. Wie viele Kanonisat.onen mögen aber, «*■ die Charybdis pseudolutherischer Verstiegenheit, Und
dankens vermal? man sich im Fal e der Äbtissin von St. Cacilia nicht . , . ' . .« .„ . .„?•■' Vi
zu er^hVe"Trcgebecht erfolgt sein, deren Objekte vielleicht noch es ist des Verfassers heißer Wunsch daß bei der Neuschlimmer
als Madam Bruvere waren und nur nicht wie diese das Ordnung das Erbe Luthers recht bewahrt werden mochte,
leidige Mißgeschick hatten, in ihren mystischen Erscheinungen von in seinen Ausführungen Sticht FL nun ZU zeigen,
einem erfahrenen Nervenarzte beobachtet zu werden! wie das Erbe Luthers seit Schleiermachers Tagen schwer

München. J- Schnitzer. bedroht sei. Die Losung müsse sein: Los von Schleier-
Kirchliches Jahrbuch für d. evang. Landeskirchen Deutschlands, miclier, zurück zu Luther! (135). Er WÜ1 zdgen, daß
Herausgegeben von J. Schneider. Jahrgang 53. Gütersloh: C. das 19. Jahrhundert den verkehrten Weg ging. Sowohl
Bertelsmann 1926. (XI, 703 S.) 8°. Rm. 17—; geb.20— Kliefoth, Löhe und die Vertreter „längst verschollener
Der Jahrgang enthält die üblichen Kapitel vollstän- Gedanken" (186) Rothe mit seinen „verhängnisvollen"
dig. Der Abschnitt über die kirchliche Zeitlage ist er- Vergleichen (113) Rietschel, aber auch die „Feierheblich
eingeschränkt. Ein schon bearbeiteter Abschnitt theoretiker und Liturgieschwärmer" Smend und Spitta
über Protestantismus und Katholizismus ist aus Gründen (78), nebst ihren Schulern, bis zu den „Nurliturgikern"
des Raumes schließlich fortgelassen worden. Einige der Hochkirche und den Marburgern, in deren litur-
Veränderungen haben in dem Kapitel über die Vereine gesehen Ideen der Geist des Schlosses „Schweigen"
stattgefunden Es ist zweifellos richtig, wenn der Her- umgehe (!) (15/ und 162), kurz alle diese, die er mit
ausgeber sich gegen den Wunsch vieler, auch kleiner dem gemeinsamen Namen Moderne abtut, haben Luthers
Vereine auf Berücksichtigung im Jahrbuch ablehnend Anfang in das Gegenteil verkehrt. Sie hätten eben eine
verhält Immerhin möchte ich bemerken, daß die Aus- andere Grundauffassung in der Einschätzung des Men-
wahl der Kapitel 9 berücksichtigten Vereine Kritik ver- sehen. Luther schätze die empirische Gemeinde niedrig
trägt Wie der ,Christenbund", 1925 gegründet, hätten ein, so sei er zu seiner Ordnung gekommen. Die Mo-
ebenso gut zahlreiche andere Vereine berücksichtigt wer- derne urteile optimistisch, daher die Lehre von der
den können In der Behandlung der inmerkirchlichen Selbstdarstellung, von der Feier, der Hochhaltung des
Zeitlage sind „Christengemeinschaft", „Deutschkirche" Liturgischen. Aber solche Hochstellung des Litur-
und Religiös-Soziale" neben „Freidenkertum" und gischen, also des „Technischen" sei ein Kennzeichen
.Atheismus" besonders behandelt. Der Abschnitt über der Zivilisation, die den Herbst der Kultur zu bezeich-
die „Deutschkirche" geht auf den Widerspruch ein, den nen pflege. Darum sei die ganze liturgische Bewegung
die Berichterstartung in den Jahrgängen 1924 und 1925 !etzten Endes unfruchtbar, wie auch mit Recht Schian
gefunden hatte. Es ist dankenswert, daß Schneider Mit- (Reform 23) gesagt habe, daß von all den Reformteilungen
aus der Literatur der „Deutschkirche" selbst vorschlagen im Grunde nicht viel übrig bleibe (190).
gibt. Diese Literatur bietet allerdings vieles sehr An- Die Abwendung der Moderne von Luther sieht FL
fechtbare. Dennoch hätte ich der früheren Berichter- 111 4 Punkten, die dann auch die 4 Hauptabschnitte
stattung einen ruhigeren Ton gewünscht. Sie war in seiner „hturgiephilosophischen" Schrift bilden,
den Ausdrücken kräftiger, als mir für ein Jahrbuch rieh- 1. Luther sei im Grunde liturgisch völlig uninter-
tig scheint. Ich weiß, daß Schneider über die „Objekti- essiert. Sein letzter Gedanke sei die Vergeistigung des
vi tat" anders denkt als ich; und völlige Objektivität Gottesdienstes, die Modernen dagegen fordern mehr
ist in der Tat unmöglich. Wir haben uns darüber früher Farbe und Form, mehr Symbolisches und Sakramen-
ausreichend ausgesprochen. Dennoch glaubte ich diese tales, kurz Versinnlichung, so ergebe sich das erste
Bemerkung nicht zurückhalten zu sollen. Äußerst dan- Paar der treibenden Kräfte: Glaube (Luther) und
kenswert ist wie immer Schneiders Kapitel „Kirchliche Schauen (Moderne). Gleichwohl will Fl. die Trieb-
Statistik". Es bespricht die vorläufigen Ergebnisse der kraft, die in dem Schauen liegt, nicht verkümmern lassen,
allgemeinen Volkszählung vom 16. 6. 1925. Je weniger Auch sie habe ein gewisses Recht. Die Spannung zwi-
wir bisher von diesen gehört haben, um so mehr be- sehen beiden müsse bleiben. Aber immer die erstere wie
grüßen wir, was Schneider mitteilt, auch wenn es vor- bei Luther überwiegen.

läufig nur Anfänge der Verwertung der Volkszählung Dazu macht Fl. für die Agendenänderung folgende

sind. Zuweilen kommt mir der Gedanke, ob es nicht praktischen Vorschläge: Es seien signatio crucis, con-

noch praktischer wäre, wenn nicht in jedem Jahrgang secratio, Altarwendung bei den Einsetzungsworten zu

sämtliche oder fast alle statistischen Themata behandelt vermeiden und die Austeilungsformel so zu gestalten,

würden, sondern abwechselnd nur einige, dann aber für daß darin das „für euch" die Hauptsache sei und man

mehrere Jahre. Übersichten über längere Zeiten sind von dem verhängnisvollen Anfang: das ist der Leib.,

gerade in statistischen Dingen sehr erwünscht. Schneider ganz absehe, worin er sich dieses Mal mit Smend

gibt solche auch immer wieder; nur könnte hierin viel- eins wisse.

leicht noch systematischer vorgegangen werden. Natür- 2. Das zweite treibende Kräftepaar gehe aus dem
lieh müßten sehr aktuelle Vorgänge in jedem Jahr be- Problem: Erziehung und Anbetung hervor oder mit
rucksichtigt werden. Vorausgeschickt ist diesmal eine andern Worten: Zwecksetzung und Zweckfreiheit (Ar-
ausführliche Darstellung über die Stockholmer Konferenz beit und Feier). Gewiß vieles von dem was die Feieraus
der Feder von D. Ä. W. Schreiber, die auch wesent- theoretiker" anführten, sei zu beachten, wie es sich auch
liehe Dokumente mitteilt. Die Zusammenstellung des bei Luther fände und zugegeben werden müsse daß
Personalstandes über Landeskirchen, Fakultäten und auch bei Luther der Höhepunkt die Feyr" (6 242)
Predigerseminare ist erfreulicherweise sehr sorgfältig. Und „anbeten" (101 1, 674) (101), aber doch immer
Auch die Totenschau, die in ruhiger Darstellung die nur von untergeordneter Bedeutung (103) sei, da sie
wichtigsten der dahingegangenen Persönlichkeiten wür- nach FLs Meinung nur ganz vereinzelt auftrete. Das
Ö18t, verdient alle Anerkennung. Das Ganze verdient schon längst „schwankende Gebäude" (133) der Feier-
noch mehr als bisher gewürdigt und benutzt zu theorie" mit ihrem „Illusionismus" (119) sei nicht mehr
' b €,n- . haltbar. Männer wie Smend und Spitta kennten die Ge-
°Bt*UMt M. Sc Iii an.

meinden eben nur im Paradeanzuge, wenn sie als hcKdi-

Flemming, Friedrich: Die treibenden Kräfte in der luthe- geachtete Gäste bei großen Feiern redeten. Man er-

™hen Gottesdienstreform. Leipzig: A. Deichert 1926. (Vin, kenne, daß Lehre und Anbetung, Arbeit und Feier sich

196 s.) so. Rm. 7öo. bedingen und ergänzen müßten (128), wobei die Über-

Diese Reinhold Seeberg gewidmete Schrift verfolgt treibung des Lehrhaften selbstverständlich abzulehnen

einen höchst zeitgemäßen Zweck. Sie will eine Hanü- sei (134).