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Ausgabe:

1927 Nr. 8

Spalte:

180

Autor/Hrsg.:

Lüers, Grete

Titel/Untertitel:

Die Sprache der deutschen Mystik des Mittelalters im Werke der Mechthild von Magdeburg 1927

Rezensent:

Götze, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1927 Nr. 8.

180

daß alle drei Schriften den Berengarschen Streit voraussetzen
, führen nun diese in der Vorrede der Monographie
bereits erwähnten Studien.

Sie nehmen nach einer kurzen „Einleitung" (S. 7 f.) zunächst
die Eucharistiefragmente „Haimo's" vor (S. 8—37), behandeln dann j
den Brief „Rather's" (S. 37—51) und widmen drittens ganze 46 Seiten j
(S. 51—96) der pars IV der confessio Alkuins. Eine kurze Zusammen- (
fassung der Ergebnisse bildet den Schluß (S. 96 f.). Der letzte Ab- j
schnitt ist — deshalb hob ich seinen Umfang hervor — nicht etwa i
nur eine Ergänzung, sondern eine erweiterte Auflage deT Abhandlung
des Verfassers über den gleichen Gegenstand in der „Theologischen j
Quartalschrift", Bd. 105, 1924 S. 272—295.

Ein Referat über die Beweisführung ist unnötig,
weil sie im ganzen, auch wenn einzelnes angefochten
werden mag, durchschlagend ist. Bei der positiven j
Kritik begnügt sich G. bei Ps.-Ratherius und Ps.-Alkuin
klugerweise mit dem Nachweis der Ursprungs zeit. Bei
„Haimo" sucht er ohne solch löbliche Zurückhaltung
nach gleichnamigen Späteren.

Der Theologe des 11. Jahrh.'s, von dem das Eucharistiefragment
herrührt, ist ihm „vielleicht" „Abt Haymo v. Hirschau", oder
„Haimo de Telleia", den Ordericus Vitalis als Schüler in dem Kloster,
das ihn selbst bildete, St. Evroul in Ouche (Uticum), erwähnt (S. 36). j
Aber erstere Hypothese leidet daran, daß sie diejenige Haucks (II,
erste Aufl., 597, Anm. 3; III, 865, Anm. 3) über den Verfasser
der Kommentare „Haimos" (samt der irrigen Bezeichnung dieses
Biographen Wilhelms als „Abt"; vgl. MG Script. XII, 209) für das I
Eucharistiefragment aufnimmt, obwohl dessen Abendmahlslehre zu
der des Kommentars zum 1. Korintherbrief nach G.'s eigner Dar- j
Stellung (Eucharistielehre S. 171 ff.) nicht paßt; und die zweite Hypothese
ist bedeutungslos, weil „Haimo de Telleia" zunächst eine un- I
faßbare Größe ist.

Nicht ohne kritische Bemerkung darf bleiben, was
G. schon in der Quartalschrift (S. 274 = Studien S. 58)
über Berengars Stellung zur Geburt Christi „utero
clauso" und zu Joh. 20,19 vermutet hat und nun (S. j
78 f) weiter zu begründen versucht. G. hält den Beren-
gar, dem er nachsagt, er habe „im Mittelalter erst- i
mals die Geburt ,utero clauso' geleugnet", offenbar
auch deshalb für einen aufklärerischen Ketzer; und daß
B. „in Abrede gestellt habe, daß der Auferstandene den ;
Jüngern bei verschlossenen Türen erschienen sei", erscheint
ihm sicher. Aber die Dinge liegen m. E. anders.

Daß Ps. Alkuin mit den „januae clausae" und mit dem ,jion
aperto utero virginis ingressus est mundum" vielleicht nur ex con-
cesso operiert hat, und daß es deshalb gewagt ist, daraus abzuleiten,
nach B. sei Christus „aperto utero" in die Welt eingetreten" (QS
S. 274 = Studien S. 58), will ich nicht betonen. Denn B. hat
in der Tat (vorher? oder nachher?) ähnlich gedacht, ein aperiri der j
vulva Mariae angenommen. Aber sein Spott, Christus sei doch nicht !
„de matre sub ascella vel per costas" geboren — G. druckt zweimal „de
matre subascella"! — weist darauf hin, daß er im Einverständ- |
nis mit Papst Hormisdas (ep. 137,4, S. 962, Thiel) eine
Auffassung des Geburtsprozesses vertreten wollte, die dessen normalen
Verlauf und zugleich das „virginitatem matnis deitatis
virtute non solvit" behauptete. Daß er „nichts wissen wollte von
einem Außergewöhnlichen bei der Geburt Christi" (S. 78), ist also
nicht richtig. Und „ketzerisch" war sein Denken an diesem Punkte
nicht. Oder hält O. die Geburt Christi „utero clauso" für mehr als !
eine „pia opinio" oder eine Chiffre, wenn ich so sagen darf, für das
„virgo in partu"? Die römische Kirche hat m. E. das zu ihrem
Dogma gehörige „virgo in partu" inbezug auf die „virginalia integra"
(Alger v. Lüttich) im Dogma physiologisch nicht näher erläutert
. Auch Andreas Thiel, der spätere Bischof von Ermland, hat
zu der angeführten Äußerung des Hormisdas, wie Berengar,
auf Luk. 2,32 verwiesen und dann hinzugefügt: „iis autem, quae
suhnectuntur, salva fit de Mariae virginitate fides Ecclesiae't (a.a.O.
Anm. 16). — Inbezug auf Joh. 20, 19 darf der schroff aburteilende
und wenig unterrichtete Brief Wolfhelms von Brauweiler nicht als
Beweis dafür gelten, daß Berengar hier von der „fides ecclesiae"
abwich.

Daß G., nachdem er aus Wolfhelms Brief im Texte den inbe-
tracht kommenden Satz ganz angeführt hat, in der Anmerkung (S. 79,
Anm. 2) dessen Anfang als abgebrochenes und so unverständliches
Bruchstück noch einmal zitiert, ist eine Wunderlichkeit umgekehrter
Art, wie die auf S. 31, wo von einem Satze in dem Bekenntnis der !
Synode von Rouen (1063), an dem allerdings nur der Eingang, das
Formale des Bekenntnis Charakters, im Zusammenhange das Wich- i
tigste ist, dieser Eingang nur mit den nächstfolgenden Worten an- j
geführt ist: corde credimus et ore profitemur panem in mensa dominica
propositum panem tantummodo esse ... , während im Texte (MSL 143,

1383) weiter folgt: ante consecrationem, sed in ipsa consecratione.. .
converti etc.

Halle a. S. Friedrich Loofs.

Liiers, Dr. Grete: Die Sprache der deutschen Mystik des
Mittelalters im Werke der Mechthild von Magdeburg.

München: E. Reinhardt 1926. (XV, 319 S.) gr. 8°. Rm. 13—,

Die Verfasserin hat 1923 über die Marienverehrung
mittelalterlicher Nonnen geschrieben und ist 1926 in
Münster mit einer Arbeit über das systematische Schweigen
und das Ineffabile, über Wortsymbolik und Metaphern
der deutschen Mystiker promoviert worden. Ihr
Buch gibt diesen theologisch begründeten und auf den
Inhalt der Mystik gerichteten Bemühungen eine neue
Blickrichtung: es wendet sich dem mystischen Ausdruck
und seinen Bildern zu und bietet in seinem umfangreichen
Hauptteil ein Wörterbuch der metaphorischen
Ausdrücke von Abgrund bis ziehen, das Mechthilds
„Fließendes Licht der Gottheit" ausschöpft, Tauler,
Seuse und die anderen bedeutenderen Mystiker ausgiebig
heranzieht. Mit der Verfasserin schreiten wir durch einen
überwältigenden Reichtum von mystischen Bildvorstellungen
hindurch, dabei finden wir die Metaphern der
Blütezeit fast alle schon bei Mechthild (1212—1280)
lebendig. Zugleich ist die ohne viel erläuternde Worte
ungemein beredte Metaphersammlung musterhaft geeignet
, das ganz besondere Gepräge, das der Mystiker-
sprache des 13. bis 17. Jahrhunderts für jeden, der
sie kennt, anhaftet, einmal klar ins Bewußtsein zu heben.
Für Mechthild aber wird zweifelfrei erwiesen, daß ihr
Werk den ersten und wichtigsten Markstein unserer
mystischen Bildersprache darstellt. Damit ist Mechthild
wie kaum ein anderer Mystiker geeignet, einer Arbeit
über die Mystikersprache, in der Wort und Bild geeint
erscheinen, zum Ausgangspunkt zu dienen. Rein und
reich lebt Mechthild in ihrer Sprache, wie sonst nur
Meister Eckhart und wenige seiner Zeitgenossen, noch
völlig unberührt von der bald danach in Nördlingen
und Landau eintretenden Verzerrung. Vorbildlich hat
an ihr die Verfasserin ihr Goethesches Motto erwiesen:
„Mystik deutet auf die Geheimnisse der Natur und Vernunft
und sucht sie durch Wort und Bild zu lösen".

Gießen. Alfred Götze.

Merz, Georg: Der vorreformatorische Luther. München:
Chr. Kaiser 1926. (62 S.) gr. 8°. Rm. 1.50.

Aus volkstümlichen Vorträgen und der Arbeit, die
sie forderten und anregten, ist dies Büchlein des durch
„Zwischen den Zeiten" weiteren Kreisen bekannt gewordenen
Münchener Pfarrers hervorgewachsen. Der Verf.
selbst grenzt ihm seinen Zweck in dem Vorwort ab:

„Eine Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Forschung
unterließ ich. Der Kenner wird sehen, daß ich sie weithin verfolgt
habe und dankbar von ihr gelernt habe. Er wird auch sehen, wo ich
eigene Wege zu gehen versuche. Die Hörer, zu denen ich sprach, und
die Leser, zu denen ich vorzugsweise rede, haben dafür erfahrungsmäßig
kein Interesse, und ich will es ihnen nicht aufdrängen. Wenn es mir
gelingt, ihnen ein von der evangelischen Gemeinde zu wenig gekanntes
Stück lutherischen Glaubens nahe zu bringen und lebendig zu machen
und viele aufzurufen, Luther selbst zu lesen, so ist mein Zweck
erreicht."

Unter diese seine Zweckbestimmung gestellt, verdient
das Büchlein, da es auf nicht oberflächlichem
Studium ruht, Anerkennung. Doch mit einer zwiefachen
Einschränkung. Keine Anerkennung verdient nämlich
erstens der Titel. Freilich sind vornehmlich Ausführungen
Luthers aus der Zeit bis ca. 1518 (einschließlich
) berücksichtigt; aber auch viel spätere Predigten
sind nicht selten benutzt, und bei dem Luther der
Zeit bis 1519 sind es seine aus den herkömmlichen
Bahnen abbiegenden Anschauungen, die dem Leser vorgeführt
werden. Einen besseren Titel vorzuschlagen, ist
freilich schwer. „Einiges über die Anfänge der reformatorischen
Gedanken Luthers" entspräche etwa dem Inhalt
. Zweitens kann ich es nicht für glücklich halten,
daß der Verfasser die sechs Abschnitte seines Büchleins