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Ausgabe:

1926 Nr. 6

Spalte:

163-166

Autor/Hrsg.:

Mensching, Gustav

Titel/Untertitel:

Die liturgische Bewegung in der evangelischen Kirche, ihre Formen und ihre Probleme 1926

Rezensent:

Fezer, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 6.

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Lebensanschauung des alten Testaments auf, von dem das Christentum
nicht gelöst werden kann.

Auch das Christentum wird abgelehnt. Der an sich
richtige Instinkt der völkischen Bewegung, daß die
Lösung der völkischen Frage eine religiöse sein muß und
Religion immer gekleidet ist in ein bestimmtes Volkstum
und in bestimmte individuelle Eigenart führt zur Forderung
einer deutschen Religion. Der Fehler liegt hier
darin, daß die völkische Eigenart (eine bedingte Form
der Geschichte) zum Grundprinzip (zum Unbedingten)
gemacht wird. Ferner wird übersehen, daß Religion nicht
„gemacht" wird, und daß der Rückgang auf die altgerw
manische Religion ein Rückfall in eine primitive Religionsform
bedeutet, die mit innerer Notwendigkeit vom
Christentum überwunden werden mußte.

Der Vortrag „Der Glaube an den deutschen Gott" führt nach
Schilderung der deutschen Eigenart dies näher aus. Deutschtum und
Christentum, verwachsen durch eine jahrhundertelange Geschichte, sind
untrennbar, da deutsches Wesen im Christentum die Antwort erhalten
hat auf die in ihm gegebenen Fragen.

Dadurch ist eine „Aufgabe von unerhörtem Ausmaß
" gestellt: eine neue Prägung des christlichen Gottesglaubens
durch Herausarbeitung der Eigenart deutscher
Frömmigkeit im Unterschied zu der Israels und der
Unterscheidung zwischen Bedingtem (Frömmigkeit) und
Unbedingtem (Glauben). Die Aufgabe gipfelt in der
Herausarbeitung der christdeutschen Idee.

Hier bei der Kennzeichnung der Aufgabe liegen
Ansatzpunkte für mancherlei Kritik. Sie wird allerdings
weniger falsche Darstellungen und Folgerungen nachzuweisen
haben, als nähere Ausführung verlangen müssen.
Die Darstellung der christdeutschen Idee ist zu kurz gekommen
. Zum Teil war schon vorweggenommen, was
hier gesagt werden mußte. Der ungelösten Fragen
bleiben viele. Auch der Verfasser fühlt das (vgl. Vorwort
). Im übrigen kann man nur dankbar sein für diesen
ersten und trotz mancher Unzulänglichkeiten großen
Versuch, dem hoffentlich eine umfassende Darstellung
folgen wird.

Bremen. Bodo Heyne.

Mensching, Lic. Gustav: Die liturgische Bewegung in der
evangelischen Kirche, ihre Formen und ihre Probleme.

Tübingen: J. C. B. Mohr 1925. (VII, 92 S.) gr. 8°.

Ders. Das Heilige im Leben. Vortr., geh. auf d. 2. Dtschn. Kongreß
f. Kirchenmusik zu Berlin am 29. Sept. 1925. Ebd. 1925. (III,
23 S.) gr. 8°. = Sammig. gemeinverst. Vortr. u. Schriften aus
d. Gebiet d.Theologie u. Rel.-Gesch. 117. Rm. 1.20; Subskr.-Pr.l—.
Inhalt (d. groß. Arbeit): 1. Die liturgische Bewegung in der

ev. Kirche. II. Die Motive der liturg. Bewegung. III. Vom Sinn des

Gottesdienstes. IV. Neue Aufgaben und Arten des Gottesdienstes.

V. Neue Formen im Gottesdienst. VI. Neuer gottesdienstlicher Aufbau.

VII. Evangelische Kultprobleme.

Vf. hat sich hier die Aufgabe gestellt, das gottesdienstliche
Leben in der evang. Kirche der Gegenwart
darzustellen und durch grundsätzliche Erwägungen kritisch
zu beleuchten. Kap. I zieht die geschichtlichen
Verbindungslinien zu Luther, um dadurch von vornherein
das Wesentliche an einer evangelischen Kultusreform
deutlich zu machen, dann zu Spitta und Smend
als den Vertretern der „älteren Reformbewegung".
Hieran schließt sich ein Überblick über die jene älteren
Bestrebungen aufnehmende und z. T. selbständig weiterbildende
„jüngere Reformbewegung". Sie wird in 4
Gruppen gegliedert: die um Otto und Heiler; die, welche
in der „Feiernden Gemeinde" zum Wort kommt; die
„Hochkirchliche Vereinigung" und der „Hochkirchlich-
Ökumenische Bund". Kap. II sucht die treibenden Kräfte
aufzudecken, positiv in der seit Ende des Weltkrieges
aufwachenden neuen Frömmigkeit mit ihrer Wendung
zur Mystik als „Verlangen nach religiösem Erleben im Gegensatz
zum bloßen Gedanken" und nach Anbetung vor dem Geheimnis
der tremenda majestas im Gegensatz zum „nahen, lieben Gott"
und zum Objektiven im Gegensatz „zur bloß subjektiven Wirklich-
lichkeit der menschlichen Erlebnisse" ; negativ in den offenkundigen
Mängeln des bisherigen Gottesdienstes, bestehend

formal in der Kahlheit, Willkürlichkeit und Abgegriffenheit der bisherigen
gottesdienstlichen Form, sowie ihrer Einseitigkeit als ausschließlicher
Pflege des Wortgottesdienstes, inhaltlich in der
Verdrängung der Realität und Gegenwart Gottes durch abgeleitete
Lehren über ihn und geoffenbarte moralische Lebensanweisung von
ihm, sowie im Fehlen eigentlicher Gemeinschaft im Gottesdienst.

Kap. III bringt die neue „sakramentale" Auffassung des
Gottesdienstes, verdeutlicht durch ihre Gegenüberstellung
mit der bisherigen pädagogischen Auffassung und der
Schleiermacher'schen Lehre vom „darstellenden" Handeln
. Letztere beide werden abgewiesen im wesentlichen
aus den bekannten Gründen. Der neue Sinn des Gottesdienstes
ist die „Gegenwartwerdung Gottes", und es ergeben
sich „2 große Typen des evang. Gottesdienstes",
die „Predigt" mit ihrem Höhepunkt des Ergreifens
Gottes im Wort, und die „Anbetung" mit ihrem Empfinden
des Gebetes selbst als Gabe Gottes, der selber
durch seinen Geist im Beter redet. In Kap. IV—VI sollen
die Formen näher untersucht werden, die vorgeschlagen
sind, um diesen neu wiedergefundenen Sinn des Gottesdienstes
zu erfüllen. Geboten wird aber vor allem ein
nach systematischen Gesichtspunkten geordneter Bericht
über die vorgeschlagenen liturgischen Reformen, jedoch
deren Untersuchung daraufhin, ob und wodurch sie
jenem neu festgestellten Sinn des Gottesdienstes entsprechen
, tritt bedauerlicherweise stark zurück. Das
letzte Kap. schneidet dann noch einmal (wie schon
Kap. III) die grundsätzlichen Fragen an und will durch
Umschreibung des Wesens des ev. Kultus, der kultischen
Form und des Wortes Gottes den schmalen Gratweg
zeigen, auf den der evangelische Gottesdienst gesteift
ist, weil es zu seinem Wesen gehört, in der Lage
des „Schwebens" zu sein. Genauer wird dies Wesen gefaßt
im Begriff der „Möglichkeit". Damit soll ausgedrückt
sein: Ev. Gottesdienst vermag (im Gegensatz zum
katholischen) die Wirklichkeit Gottes nicht zu garantieren
, er bietet nur eine Möglichkeit (unter vielen) für
Gottes Kommen zur Gemeinde, für die Menschen eine
Möglichkeit (unter vielen) des „Vernehmens" und der
„Vorbereitung auf Gott". Eben hierdurch wird der ev.
Kultus in der Schwebe gehalten, insofern einerseits der Gedanke
der Möglichkeit das Unvollständige des ev. Kultus von der Seite des
Menschen her deutlich macht, andrerseits ein solcher Gottesdienst
stets in Gefahr ist, „abzusinken" in die Sphäre des Magisch-
Mechanischen oder in die des Moralisch - Intel lektua listischen.
Hieraus werden dann für die F o r m des Gottes-
diensts die Folgerungen gezogen und in jenem Begriff
der „Möglichkeit" der treffendste Ausdruck gesehen auch
für das Wesen der kultischen Form. Zuletzt wird das
Wesen des „Wortes Gottes" erörtert und „nach Luthers
Vorgang" unterschieden zwischen „äußerem" und „innerem
" Wort. Dieses innere Wort ist mehr als der bloß
rationale Sinn der Schrift, weil es nach Ap. C. A. IV im
Glauben e r griffen und nicht nur b e griffen wird. Sein
Inhalt muß also irgendwie Gott selbst sein, denn nur
Gott kann Gegenstand des religiösen Glaubens sein.
Aber dies Wort „als dynamische Größe" hat auch andrerseits
die Fähigkeit, im Herzen den Glauben zu entzünden
. Freilich ist damit auch der schwebende Charakter
dieses Wortes deutlich: es kann dem äußeren Wort
die Wirkung und Bedeutung zugeschrieben werden,
die nur das innere hat, und so ein Absinken ins
Magisch-Mechanische stattfinden, oder es kann lediglich
moralisch-intellektuell interpretiert werden, was dann
ein Absinken ins Rationalistische wäre. Aber dieses stete
„Gefährdetsein" in der Weise, daß uns im Wort auch nur
die Möglichkeit und nicht schon die Wirklichkeit Gottes
gegeben ist, gehört (wie zum Wesen des Kultus, so
auch) zum Wesen des lebendigen Worts.

Man wird dem Verf. dankbar sein für die übersichtliche
Darstellung dessen, was auf dem Gebiet gottesdienstlicher
Neugestaltung gegenwärtig versucht wird.
Richtig war es auch diese Übersicht durch eine Verbindung
der Gegenwart mit der Geschichte einzuleiten. Nur
hätte hier die lebhafte Erörterung der gottesdienstlichen
Fragen in den 70er Jahren des vorigen Jahrh.s nicht