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Ausgabe:

1926 Nr. 6

Spalte:

152-153

Autor/Hrsg.:

König, Karl

Titel/Untertitel:

Das Schicksal. Eine Auseinandersetzung mit den Grundtatsachen menschlicher Existenz 1926

Rezensent:

Adolph, Heinrich

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151

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 6.

152

Eine Kritik der Schrift kann unmittelbar an diese
Inhaltsübersicht anknüpfen; ihr schematischer Charakter
bringt nämlich die Willkür der Untersuchung gut zum
Ausdruck. Der Verfasser entwickelt in seiner Schilderung
der genannten Philosophen die dürre These vom Realismus
des englischen und vom Idealismus des deutschen
Denkens. In monotonster Weise werden dann hieraus
die „Folgerungen" gezogen, d. h. es wird geschildert,
wie im erkennenden Denken, im religiösen Leben, im
Wollen und Handeln und im politischen Leben der beiden
Völker eben jener Realismus bezw. Idealismus ihrer
Denkart zur Auswirkung kommt. Auf diese Weise wird
jene Grundthese des Verfassers dem Leser regelrecht
eingehämmert; das mag für volkstümlich pädagogische
Absichten günstig sein, wirkt jedoch auf den wissenschaftlichen
Beurteiler nicht gerade überzeugend, zumal von
jedem Quellenbeleg abgesehen wird. Aber nicht nur durch
diese Eigentümlichkeit der Anlage sondern auch durch
zahlreiche eingestreute Nutzanwendungen, die der Verf.
gelegentlich seinen Lesern zur Beachtung empfiehlt, gibt
sich das Buch als eine ausgesprochen populäre Schrift
zu erkennen. Die Wissenschaft hat also keinen eignen
Gewinn von dieser Abhandlung; sie muß an derselben
jedoch das Interesse des Protestes nehmen. Dieser Protest
gilt nun nicht der für die genannte Absicht zweckmäßigen
Anlage der Schrift, sondern den propagierten
Gedanken selbst. Zwei wesentliche Einwände müssen
gegen den Inhalt der Schrift erhoben werden. Zunächst
können die Nationalcharaktere nicht in eine derartig
einseitige Abhängigkeit von dem Charakter der
durch die großen Denker der Völker erzeugten philosophischen
Schöpfungen gebracht werden. Trotz aller
Einwände, die sich der Verf. gelegentlich selbst macht,
hält er nämlich die Denkart eines Volkes für ,,d i e
Hauptquelle" seiner Wesensart. Hierin steckt zunächst
der Fehler, daß aus der Summe der philosophischen
Anschauungen eines Volkes seine Volksdenkart konstruiert
wird. Sodann aber muß vor allem die Antwort
auf die Frage nach der Wesensart eines - Volkes von
vorneherein falsch werden, wenn nicht rassenmäßige,
geographische, geschichtliche und religiöse Bedingungen
als Hauptfaktoren in Ansatz gebracht werden. Das Verhältnis
zwischen Wesensart eines Volkes und Denkcharakter
seiner größten Philosophen dagegen kann nach
Entstehung und Auswirkung nur als ein wechselseitiges
beschrieben werden. Von einer so korrigierten Beschreibung
der Entstehung von Nationalcharakteren aus muß
aber — und dies ist der zweite wichtige Einwand gegen
den Inhalt der Schrift — die völlige Relativität des
Rechts dieser verschiedenen Volksarten, wie sie. L. als
notwendige Konsequenz seiner rationalistischen Konstruktion
behauptet, energisch bestritten werden. Wäre
das Wesen eines Volkes hauptsächlich nichts als das
Produkt einiger nicht tiefer begründeter philosophischer
Systeme, wie es L. darstellt, dann ließe sich freilich die
Beziehung unter den Völkern so willkürlich leicht durch
völlige gegenseitige Anerkennung regeln, wie es L.
empfiehlt, weil dann jede zwist-schaffende Norm ausgeschaltet
ist. Tatsächlich aber geben sich Nationalcharaktere
bei aller Mannigfaltigkeit ihrer Wurzeln
letzten Endes als göttliche Satzungen zu erkennen,
und die Völker sind damit an normative Offenbarung
dieses ihres Schöpfers gebunden; sie sind verpflientet,
diese Norm sowohl sich- selbst, wie andern Völkern
gegenüber zur Anwendung zu bringen. Es ist also gar-
nichts damit geholfen, wenn wir die Eigenart der Völker
in einem Stück ihrer natürlichen Genesis beobachtet
haben. Jenes göttliche Maß, das uns annehmen und
verwerfen heißt, bleibt ja in Gültigkeit. Die völlige
Verständnislosigkeit L.'s hierfür wird besonders in seiner
Auseinandersetzung mit dem „Gewissen" deutlich, die
er unter der Rubrik „Folgen der deutschen Philosophie
für das Wollen und Handeln" (S. 136 ff.) vornimmt.
Ihm ist das Gewissen „nichts Anderes als das ethische
Wissen um das Rechte und Gute", wobei es obendrein

gleichgiltig bleibt, ob dies Wissen offenbart oder in
Sitte und empirischem Gesetz der Gemeinschaft erfahren
ist. — Es kann kein Zweifel sein, daß das Buch
bei solchen Mängeln sehr wenig für seinen volkserzieherischen
Zweck geeignet ist. Die Objektivität des Urteils,
die es fördern helfen soll, ist eine scheinbare. Schon
beim Verfasser tritt denn auch sehr deutlich eine Überschätzung
des englischen auf Kosten des deutschen
Wesens zu T? . Welche Wirkung aber muß das Buch
erst auf den itiklosen Leser haben!

Berlin. Hehnutli Kitt

Li pmann, Otto: Über Begriff und Formen der Intelligenz.

Sonderabdruck aus der Zeitschrift f. angewandte Psychologie,
Bd. 24, Heft 3/4. Leipzig: J. A. Barth 1924. (48 S.) gr. 8°.

Rm. 1.30.

Dies gegenwärtig mit besonderem Fleiß und Erfolg bearbeitete
Kapitel aus dem Gebiet der angewandten Psychologie findet
hier eine zwar summarische aber durch Klarheit und Einsicht ausgezeichnete
, zugleich den Stand der heutigen Forschung fixierende Darstellung
. Die Intelligenz ist zu erschließen aus der intelligenten
Reaktion, die in der eigentümlichen seelischen Funktion des Gestaltens
, nämlich nachgestaltend, neugestaltend, umgestaltend verläuft.
Der Grad der Intelligenz ergibt sich, je nachdem diese verschiedenen
Gestaltungsweisen sachrichtig, zielrichtig oder beides zugleich
sind, ferner je nachdem dies Gestalten mehr oder weniger von der
erforderlichen Komplexität, Mannigfaltigkeit, Variabilität und kritischen
Besonnenheit aufweist. Dabei stellt sich heraus — eine Haupterrungenschaft
der neueren angewandten Psychologie — daß man nur
mit großem Vorbehalt von einer Intelligenz im allgemeinen sprechen
darf, sondern daß es die verschiedensten „Intelligenzen" gibt, ein
Ergebnis, das auch durch die modernen Intelligenzprüfungen (Intelligenztests
) bestätigt wird. Ein interessanter Bericht über die hier angewandten
verschiedenen Methoden und eine treffsichere kritische
Würdigung dieses Verfahrens bilden den Schluß des Aufsatzes.
Iburg. W. Thimme.

König, Karl: Das Schicksal. Eine Auseinandersetzung mit den
Gruiidtatsachen m< nschlicher Existenz. Gotha: L. Klotz' 1925.
(öl S.) 8°. = Bücherei der Christlichen Welt. Rm. 2.50.

Das Buch ist keine Monographie über das „Schicksal
", sofern man bei diesem Begriff an die übliche
Bedeutung eines Naturzwangs, geschichtlicher Notwendigkeit
, göttlicher Vorsehung, des Fahims, der Moira
u. dergl. denkt. Vielmehr erhalten wir, wie der Untertitel
sagt, eine „Auseinandersetzung mit den Grundtatsachen
menschlicher Existenz". Es wird uns eine in sich
geschlossene Weltanschauung mit großen Strichen vorgeführt
, wobei sich der Verf. auch keineswegs scheut,
handfeste metaphysische Aussagen über Herkunft, Sinn
und Ziel des Lebens zu machen. Alles Leben ist Gott
entquollen und ruht in seinem Schoß. Aber während
die Pflanzen- und Tierwelt pröblemlos ein glückhaft
in sich geschlossenes Dasein führt, ist mit der Erschaffung
des Menschen ein tragischer Riß durch die
Schöpfung gegangen. Der Mensch hat Ichheit und
Selbstbewußtsein empfangen. Damit ist die übrigens
von Gott selbst ins Auge gefaßte Möglichkeit einer
bewußten Abkehr vom Ursprung gegeben. Von der
tatsächlich eingetretenen Loslösung und Selbstvergottung
des Menschen rührt die gesamte Problematik unserer
Lage, besonders auch ihre kritische Zuspitzung in der
Gegenwart, her. Aber Gott entläßt den Menschen niemals
tatsächlich aus seiner Hand. In dem Gericht, das
er im Gewissen vollzieht, bricht er sich eine Tür
in den selbstherrlichen Willen und mahnt den Menschen
zur Heimkehr. Es ist die Aufgabe des Menschen
, diesem Gericht standzuhalten, sich verurteilen
und begnadigen zu lassen. Findet der durch die Sünde
wissend Gewordene den Weg zu Gott zurück, so hat
er seine Bestimmung erfüllt. Die Schicksalsfrage der
Menschheit besteht also, wie in allen Zeitlagen, so
ganz besonders in der heutigen, darin, ob sie die wahnr
sinnige Selbstvergötterung fortsetzt oder die Rückkehr
zum Urgrund vollzieht.

Diese im einzelnen höchst konkret und farbigveranschaulichten
Gedankengänge sind durchwirkt mit be-