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Ausgabe:

1926

Spalte:

144-145

Autor/Hrsg.:

Lüttgert, G.

Titel/Untertitel:

Verfassungsurkunde für die evangelische Kirche der altpreußischen Union. Vom 29. September 1922 1926

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 6.

pflanzt. Es sei u. a. an seine tief christliche Forderung erinnert, der
Tugend nicht materiellen Gotteslohn zu verheißen, nicht alles Gute zu
belohnen, damit es nicht aus Berechnung und aus Zweckmäßigkeit
erfolge.

Nach dem Bisherigen kann es kaum zweifelhaft erscheinen, daß
uns Burckhardt nicht nur zum Schönen, sondern auch zum Guten führt.
Aber kraft seiner tief ethischen Grundeinstellung «st er auch besonders
berufen, uns gegenüber der Kunst unserer Zeit, die — wie zu allen
Zeiten — so stark um das Verständnis ihrer Zeitgenossen ringt, die
rechte Einstellung gewinnen zu lassen. Die feinste künstlerische Darstellung
kann Burckhardt nicht fesseln, wenn der niedrige Gegenstand
eines Kunstwerks ihn abstößt. — Der heiligste Gegenstand wird nur
dann zum Kunstwerk, wenn der Künster ihn mit innerster Wahrhaftigkeit
erfaßt und ihn in künstlerischer Form zu neuer Gestalt erschafft.
Er verlangt eine hohe Harmonie zwischen Gehalt und Form 1 wo sie
fehlt, „muß die Kunst unfehlbar entsittlichen".

Minden i. W. Kurt Kesseler.

Konzelmann, Max: William Wolfensberger. Leben und
Wirken, dargestellt. Erlenbach-Zürich: Rotapfel-Verlag 1924. (129
S.) 8°. Rm. 3.50.

Dieses eigenartige und für den, der den früh vollendeten
Dichter und Pfarrer Wolfensberger kannte, ergreifende
Buch ist ein ganz persönliches und bedarf für
seine Wirkung auch einer ganz persönlichen Einfühlung
in die mimosenhaft zarte, aber gerade darum so ungemein
feine, tiefe, sinnige Seele dieses Theologen. Manches
wird dem mit den schweizerischen Verhältnissen
nicht Vertrauten fremdartig, ja, unverständlich bleiben.
Man kann das Buch auch nicht „rezensieren", ein Freund
hat es im Gedanken an den Freund geschrieben, einer
von den ganz wenigen, denen Wolfensberger etwas sein
Innerstes öffnete; der Freund hat mit seinen Augen gesehen
; es ist begreiflich, daß er nicht immer richtig und
im Konflikte Wolfensbergers mit seiner Gemieindie. nicht
unparteiisch sah. Denn die Tragik im Aufeinanderprall
des religiös-sozialen Pfarrers mit den Bauern seiner-
Bündner Gemeinde darf nicht lediglich unter den Gesichtspunkt
des Kampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus
gerückt werden, sie entbehrt nicht der tragischen
Schuld Wolfensbergers, der mit dem Kopf durch
die Wand wollte und ungerecht wurde, wo er auf Widerspruch
stieß, auch sofort abbrach und sich auf sich
zurückzog, anstatt die Verhandlung und Auseinandersetzung
zu wählen. (Es ist das in Erörterungen über
K.'s Buch im schweizerischen Protestantenblatt noch
weiter klar geworden). Das hätte unbeschadet der Reinheit
dieser Seele, an der kein Zweifel sein kann, gesagt
werden können; jetzt wird der ferner Stehende kein j
richtiges Bild schauen. Auch über die Einflüsse seiner j
akademischen Lehrer ist einseitig berichtet, so gewiß i
Ragaz den stärksten Eindruck auf ihn machte und die i
erwähnte Tragik — Wolfensberger ist nicht der einzige
Ragazschüler, der sie heraufbeschwor — nur von da aus i
voll begreiflich wird. Die durch und durch nomothe- [
tische und infolgedessen für den in die Praxis herunter- j
steigenden Schüler des in theoretischer Höhenlage sicheren
Professors so starke Schwierigkeiten schaffende Betrachtungsweise
mußte ihr rufen.

„Icn kann es überhaupt nicht fassen, daß mich je- j
mand lieb haben kann" — dieses erschütternde Wort, ]
das Wolfensberger zu mir einmal aussprach, könnte als |
Leitspruch über dem Buche stehen. Eine Seele, die nach j
Liebe hungerte, nach Liebe geradezu schrie, und die sie i
doch nicht zu finden wußte, auch dann nicht, wenn
man sie ihm bot! Liebe zerbricht ihm alles und kann !
nicht heilen bei ihm. Die Liebe zur Theologie zerstört
ihm das Vaterhaus, verzehrende Leidenschaft zu einer i
geliebten Frau (deren Conturen K. doch ein wenig deutlicher
hätte zeichnen sollen) zerreißt ihm zeitlebens die |
Seele, die Liebe zu denen, „die da arbeiten" (Matth.
11, 28 im Sinne Zwingiis!) entfacht eine wundervolle
Fürsorgekraft und ein prächtiges Erfassen der Wucht
der Zeit — man lese die wie eine Fuge brausende Predigt
bei Kriegsausbruch —, zerbricht ihm aber nach
raschem Aufstieg sein ganzes Werk. Menschenscheu
wird er und möchte doch immer wieder Menschen

suchen. Eine gewisse Lösung der Spannung gibt da die
Poesie, in der es teils leidenschaftlich kämpft, teils im
Lichte der ewigen Lampe, die hinter seiner Lagerstätte
brannte, mystisch flackert, und ganz selten — etwa in
den „Liedern aus einer kleinen Stadt", lächelnd-wehmütig
klingt. Einen tiefen Eindruck wird jeder aus dem Buche
mitnehmen. Uns Theologen zeigt Wolfensbergers
Schicksal — das Wort auch im antiken Sinne genommen
— den furchtbaren Ernst nicht der wissenschaftlichen
, wohl aber der praktischen Zeitlage.

Zürich. W. Köhler.

Wolff, Präses b. Waith«■: Die Verfassung der Evangelischen
Kirche der Altpreußischen Union. Einführung. Berlin: C.
Heymann 1925. (XII, 173 S.) gr. 8°. Rm. 6—.

Lüttgert, G.: Verfassungsurkunde für die evangelische
Kirche der altpreußischen Union. Vom 29. Sept. 1922. Finden
Handgehrauch erläutert und mit den zugehörigen Gesetzen hrsg.
Ausg. f. Rheinland u. Westfalen. Berlin: Trowitzsch ßt Sohn 1925.
(356 S.) 8°. geb. Rm.f»,—.

Seitdem die große evangelische Landeskirche ihr
Verfassungswerk beendet, erschienen in kurzer Frist
mehrere kleine Bücher, um ihr Verständnis den Gemeinden
näher zu bringen. Die beiden mir hier zur Berichterstattung
überwiesenen von Wolff und von G. Lüttgert
sind durchaus geeignet, einem gründlicheren und tieferen
Eindringen in das neue Verfassungswerk den Weg zu
ebnen.

Das Wolff'sehe Buch hat darin seinen besonderen
Vorzug, daß es auch die Vorgeschichte und Entstehung
der Verfassungsarbeit kurz darstellt und die
Grundgedanken klar entwickelt. Es ist belebt von
dem Geist des rheinischen Führers, der selber in der
gesetzgebenden Kirchenversammlung mitgearbeitet hat
und noch unter dem Eindruck der dort hervorgetretenen
Gegensätze steht. Die Erörterung über die Vorfragen
Bekenntnisvorspruch, Name, Verhältnis zum Staat und zu
andern deutschen evangelischen Kirchen und die Namensgebühr
für die kirchlichen Beamten nehmen daher einen
verhältnismäßig breiten Raum ein (bis S. 34), dann sind
die Grundfragen: a) die rechtbildenden Kräfte (das kon-
sistoriale, synodale und episkopale Element), b) die
konstruktiven Grundgedanken (Gemeindekirche, Synodalsystem
, Behördenorganisation, geistliches Amt, Trägersystem
der Kirchengewalt, Wahl verfahren und Minderheitenschutz
) im Zusammenhang zur Darstellung gebracht
(bis S. 77). Dadurch ist ein sehr wertvoller Beitrag
zur grundsätzlichen Beurteilung dargeboten, der
allerdings in seiner Tragweite nur denen verständlich sein
wird, die schon tiefer in diese Probleme eingedrungen
sind. Besonders wertvoll erscheint mir hier auch die
Auseinandersetzung mit der Einleitung zur Vorlage des
Ev. Oberkirchenrats, in der W. Wolff mit Recht die Ableitung
des „geistlichen Amts" aus dem Charakter der
Kirche als „göttlicher Stiftung" beanstandet. Sehr beachtenswert
ist auch die Auffassung der Kirchengewalt
bei Wolff, die er nicht einem einzelnen Organ sondern
einem „Trägersystem" zuweist.

Im folgenden werden dann die einzelnen Paragraphengruppen
nach Hauptabschnitten durchgesprochen
und dabei auch die Besonderheiten der westlichen Provinzen
berücksichtigt, ohne daß aber der „rheinische"
Standpunkt des Verfassers einseitig hervortritt. Nur die
Ablehnung des Bischofstitels und die Vorliebe für das
alte Siebsystem zeigen deutlich den Standpunkt des
Rheinländers.

Ganz anders ist das Buch von Oberkonsistorial-
rat G. L ü t t g e r t-Berlin, der leider wenige Wochen
nach Erscheinen seines wertvollen Buches einem Unglücksfall
auf dem Rhein zum Opfer fiel, aufgezogen
. Hier spricht der erfahrene Jurist. Er gibt nach
einer kurzen Einleitung den vollständigen Text
der Verfassungsurkunde und versieht jeden einzelnen Artikel
mit erläuternden und ergänzenden Anmerkungen,
die auf alle verwandten gültigen Bestimmungen hinweisen
und jeden einzelnen Satz in seiner Anwendungskraft
verdeutlichen. Am Schluß ist ein Sachregister bei-