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Ausgabe:

1926 Nr. 5

Spalte:

112-113

Autor/Hrsg.:

Brentano, Franz

Titel/Untertitel:

Die Lehre Jesu und ihre bleibende Bedeutung. Hrsg. v. Alfred Kastil 1926

Rezensent:

Mulert, Hermann

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111

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 5.

112

He ekel, Priv.-Doz. Dr. Johannes: Die evangelischen Dom- und
Kollegiatstifter Preußens insbesondere Brandenburg:, Merseburg,
Naumburg, Zeitz. Eine rcchtsgeschichtüche Untersuchung. Stuttgart
: F. Enke 1924. (XII, 455 S.) gr. 8°. = Kirchenrechtliche
Abhandlungen, 100. u. 101. Heft. Rm. 21—.

Diese gründliche, gelehrte, mit reicher Benutzung der
Archivalien gearbeitete Abhandlung fördert fast überall
Neues und Wertvolles zu Tage und stellt es in den historischen
Zusammenhang ein. Sie kann uns wieder einmal
zeigen, wie viel auf dem Gebiete der evangelischen
Kirchengeschichte noch zu tun ist, wie verhältnismäßig
wenig auf dem Grenzgebiete zwischen Staat und Kirche
bisher gearbeitet worden ist. Und nicht nur darin hat
das vorliegende Buch Bedeutung, daß es eine Lücke in
unserm Wissen ausfüllt, daß es die für seinen besonderen
Zweck in Betracht kommende Literatur vollständig
zusammenstellt und verwertet — wie vieles mir vollständig
Unbekannte habe ich darunter gefunden! —,
daß es eine ziemliche Anzahl von meist bisher ungedruckten
wertvollen Archivalien mitteilt (S. 364—431,
aber auch sonst in den Anmerkungen, z. B. die Statuten
des Domkapitels Naumburg); — sondern daß es die
historische Grundlage gibt zur Entscheidung von Fragen,
die bei der Auseinandersetzung zwischen Staat und evangelischer
Kirche gelöst werden müssen. Bezieht sich das
in erster Linie auf die evangelischen Stifter, so doch auch
in weiterem Sinne auf das Verhältnis von Staat und evangelischer
Kirche überhaupt. Es scheint mir angemessen
zu sein, darauf hinzuweisen, daß auch dies Buch zeigt,
wie verwickelt all' diese Fragen sind und wie wir bei
ihrer Lösung doch erst in den Anfängen stehen, darum
aber auch bei Entscheidungen nichts überhasten dürfen,
sondern möglichst bedächtig die Lösungen suchen
müssen.

Die Untersuchung beschränkt sich auf diejenigen
Kapitel, die als evangelische in dem brandenburgisch-
preußischen Staate seit der Reformation ein selbständiges
Leben geführt haben und noch führen. Im Kurfürstentum
Brandenburg erhielten sich nach der Reformation
Brandenburg und Havelberg; im Westfälischen Frieden
kamen für Brandenburg-Preußen 4 Domkapitel (Magdeburg
, Halberstadt, Minden, Kammin) und 10 Collegiat-
stifter 4azu; der Reichsdeputationshauptschluß fügte 2
Kollegiatstifter in Goslar und das Damenstift Herford
hinzu; von den am Anfang des 19. Jahrhunderts vorhandenen
Stiftern erhielt sich nur Brandenburg. 1815 vermehrte
sich die Zahl der preußischen Stifter durch das
Domkapitel Merseburg, durch das Domkapitel Naumburg
und das Kollegiatstift Zeitz. Preußen besitzt also
jetzt 3 evangelische Domstifter und ein evangelisches
Kollegiatstift. Da in der Rechtsentwicklung die Kollegiatstifter
den Domkapiteln folgen, so kommen in der
Hauptsache die Domkapitel zu Worte. Die Arbeit ist
in 2 Teile geteilt: der erste Teil behandelt die Zeit von der
Reformation bis zum Reichsdeputationshauptschluß, der
zweite die Zeit von da bis zur Gegenwart. „Die erste ist
ausgezeichnet durch Vielgestaltigkeit und, zumal vor
dem Westfälischen Frieden, durch Selbständigkeit des
Rechtslebens der Stifter; die zweite trägt den Stempel
der Einförmigkeit des Rechtslebens und der völligen
Abhängigkeit der Stifter von dem obersten Organ des
Staates". Demgemäß bestimmt sich auch die Verschiedenartigkeit
der Darstellungsweise der beiden Perioden.
„Zu eng ist in dieser Zeit (der ersten Periode) das Domkapitel
mit dem ganzen politischen Organismus des
geistlichen Territoriums, in dem es liegt, verbunden, als
daß eine Rechtsgeschichte des Kapitels nicht in die Verfassungsgeschichte
des geistlichen Territoriums übergreifen
müßte. Die Geschichte der zweiten Periode gibt
sich in der Hauptsache mit der inneren Stiftsverfassung
und deren Umbildung ab". Dabei ist überall die sorgfältigste
Rücksicht genommen auf die allgemeine Ent-
wickelung des Staates. Der Darstellung vorausgeschickt
ist ein Überblick über die Anschauungen der Wittenberger
Reformatoren über die Reorganisation von Bistum und
Kapitel im evangelischen Sinne, und man muß es nur

immer wieder bedauern, daß deren große, fruchtbare
und verständige Gedanken nicht haben möglichst sofort
und möglichst vollständig zur Verkörperung gelangen
können. Sie stießen aber zusammen mit einer
Entwicklung, die schon im Mittelalter eingesetzt hatte,
der Territorialisierung der Stifter. So konnte es geschehen
, daß spezifisch mittelalterliche Institutionen und
Anschauungen auch in evangelischen Ländern noch lange
ein zähes Leben behaupteten, bis dann von den Domkapiteln
schließlich nicht viel anderes bleiben konnte, als
Versorgungsanstalten für verdiente Beamte zu sein. Mit
dem Prozeß der Protestantisierung der evangelischen
Länder und der Herausbildung der modernen Staatsidee
hängt das gewiß zusammen; aber man hätte diese Entwicklung
vermieden, wenn man es verstanden hätte, den
Domstiftern eine kirchlich-evangelische Aufgabe zuzuweisen
, wie es ja auch der Gedanke Friedrich Wilhelms
IV. gewesen ist. Warum dies nicht anging, zeigt
das vorliegende Buch in ganz hervorragendem Maße;
ausgezeichnet durch Sachkenntnis und Objektivität wird
es gewiß dazu helfen, einer für alle Beteiligten gerechten
Entscheidung die Bahn zu bereiten.

Kiel. Q. Ficker.

Brentano, Franz: Die Lehre Jesu und ihre bleibende Bedeutung
. Herausgegeben aus seinem Nachlasse von Alfred Kastil.
Leipzig: Felix Meiner 1922. (XVIII, 149 S ) 8°. Rm.4-, geb. 5.50.

Wie Franz Brentano als Philosoph z. T. erst nach
seinem Tode stärker beachtet wurde (vgl. das Buch von
Oskar Kraus über ihn, 1919 erschienen), so sind auch
einige Arbeiten, in denen er sich mit seiner katholischtheologischen
Vergangenheit auseinandersetzt, erst nach
seinem Tode veröffentlicht worden. Der Titel Die Lehre
Jesu bezeichnet den Inhalt des Buchs nur annähernd.
Am wenigsten ist über die „Kurze Darstellung der
christlichen Glaubenslehre" zu sagen, die als Anhang abgedruckt
ist: eine gedrängte Wiedergabe katholischer
Glaubenssätze über Gott, Welt und Christus (nicht auch
über die Kirche, die Sakramente und dgl.), ohne Kritik,
die Br. gegeben haben würde, wenn er seine Religionsphilosophie
, seinen „Philosophischen Versuch über die
Religion" ausgeführt hätte. Das vorliegende Buch enthält
außerdem ein paar Seiten über Nietzsche als Nachahmer
Jesu (mit scharfer Kritik an N.), einen längeren
Aufsatz über Pascals pensees, der eine im Ton sehr
ruhige, um Gerechtigkeit sich, mühende, in der Sache
aber recht eindringliche Kritik der Pascalschen Apologetik
bietet, und zuerst zwei kürzere Aufsätze über die
Sittenlehre Jesu nach den Evangelien und über Jesu
Lehre von Gott, der Welt, sich selbst und seiner Sendung
nach den Evangelien. Mit dem über Pascal gehören
diese Abschnitte zusammen, weil Pascal die Göttlichkeit
des Christentums, die Gottheit Christi erweisen
oder verteidigen wollte, Br. aber bei aller hohen
Schätzung, die er für Jesus hat, doch nicht nur vom
römischen Katholizismus sich entfernt, sondern auch das
altkirchliche Dogma ablehnt. Und zwar zeigt er gerade
an den Worten des N. T.'s, die herkömmlich als Belege
für die dogmatische Christologie dienen, daß man sie
nicht im Sinne des Dogmas auszulegen braucht. Kastil
hat darin ganz recht, daß die Art, wie Br. sich einfach
an den biblischen Wortlaut hält, dem Leser historischkritische
Untersuchungen (über Echtheit der Worte und
Schriften) erspare und die Kritik am Dogma dadurch um
so eindrücklicher werde. Br. selbst gibt dies nicht als
Motiv seines Verfahrens an. Inwieweit er für historisch-
kritische Fragen interessiert war, geht aus diesem Buche
nicht hervor. Eigentümlich ist, daß er auf Jesu Beten
zum Vater, das unbefangener Betrachtung als ein starkes
Argument gegen das Dogma erscheinen wird, überhaupt
nicht eingeht. Gewiß hat es seinem an der Scholastik
geschulten Scharfsinn zugesagt, die kirchliche Lehre
mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Einige Bibelstellen
, bei denen andre Ausleger meinen werden, es
liege einfach ein schlechtes Griechisch oder ein ver-