Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1926 Nr. 5 |
Spalte: | 108-110 |
Autor/Hrsg.: | Glorieux, P. |
Titel/Untertitel: | La littérature quodlibétique de 1260 à 1320 1926 |
Rezensent: | Seeberg, Reinhold |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
107
Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 5.
108
daß er so leichter allzulange Ausführungen habe zusammenfassen
können. Aber solche Zusammenfassung
in englischer Sprache wäre, soweit sie berechtigt ist, auch
inmitten griechischer und lateinischer Texte möglich
gewesen. Ja, referierende und wörtliche Wiedergabe
wären dann deutlicher gegeneinander abgrenzbar gewesen
. Der praktische Zweck allein ist es, der die
Ersetzung des Originaltextes durch eine Übersetzung begreiflich
macht. — Man darf aber den praktischen
Zweck dieses großen Werkes nicht in dem engen Sinn
erbaulicher Absicht verstehen. Allerdings sind nur
„the more edifying parts of Heracleon, as distinct
from his gnostical views", aufgenommen. Aber gar
vieles in der Exegese auch des Origenes, ja der kirchlich
anerkannten „Väter", kann doch auch dem konservativsten
Anglikaner nicht wirklich „erbaulich" sein.
Und noch überzeugender spricht gegen einen eigentlich
erbaulichen Zweck des vorliegenden Werkes
die Tatsache, daß es einem größeren Ganzen eingefügt
ist, das zu den von der S. P. C. K. (Society for promoting
Christian knowledge) herausgegebenen „Books for stu-
dents (nicht nur = „Studenten") and others" gehört:
den „Translations of Christian literature". Denn diese
jetzt im Erscheinen begriffene Sammlung ist über ihre
Urform, die „Early Church-Classics", hinausgewachsen.
Nicht nur, weil sie auch spätere Schriftwerke bietet
(z. B. die vitae Otto's von Bamberg, f 1139, von Ebo
und Herbord), sondern auch, weil sie, nicht nur „klassische
" Texte bringend, die mehr erbauliche Abzweckung
der „Early Church-Classics" mit einer mehr wissenschaftlichen
vertauscht hat. Es erscheint hier auch eine
Übersetzung der sog. Philosophumena (von F. Legge,
2 vols, 30 sh, gleich teuer wie die ebenfalls m. W. einer
deutschen Parallele entbehrende Übersetzung der Demonstratio
Eusebs); und der Übersetzung von Tertullians
adv. Praxeam aus der Feder A. Souter's (5 sh.) wird
hervorragende wissenschaftliche Bedeutung zukommen.
— Nicht der Erbauung, aber auch nicht eigentlich der
Forschung, sondern einem weiteren Kreise der kirchengeschichtlich
Interessierten sollen offenbar auch die
Bände der Antenicene Exegesis of the Gospels dienen.
Dem entspricht auch die lange Einleitung (S. 1 bis
134). Unterstützt durch literarische Hilfsmittel, deren
Auswahl nicht ganz einwandfrei ist, gibt Verf. zunächst
(in Abschnitt I—VIII) eine Übersicht über die verwerteten
altkirchlichen Schriftsteller, ihre Werke und die Art
ihrer Exegese. Hier besteht ein formal unschönes Mißverhältnis
zwischen den vielen Ausführungen, die einem
wissenschaftlich gebildeten Theologen nichts Neues
bringen, und den gelehrte Einzelheiten betreffenden Ergebnissen
der Katenenforschung des Verf.'s (vgl. Journal
of theological studies XVI, 1915, S. 420; XVII,
101 ff.; XVIII, 77f. 317ff.; XIX, 350—370; XX, 356)
Doch war das nicht zu vermeiden: Verf. mußte seine
die Lemmata mehrfach richtigstellende Anordnung
rechtfertigen; und dies Nebeneinander von allgemein
Anerkanntem und Neuem paßt zu dem Charakter der
Translations „for sfudents". Victorin von Pettau und die
apokryphen Apostelgeschichten und Evangelien sind,
soviel ich sehe, in der Einleitung nicht erwähnt, obwohl
aus letzteren einiges später (in den Texten) herangezogen
wird. Es ist ja auch nur sehr wenig, was aus
diesen Schriften für die altkirchliche Exegese der Evangelien
zu holen ist. — Eine „Classification of writings",
d. i. der Werke der verwerteten altkirchlichen Schriftsteller
(controversial; dogmatic or doctrinal; practical
and devotional, including letters; exegetical) bildet dann
den kurzen Abschnitt IX der Einleitung (S. 98—102).
Er bringt wenig Neues und fast nichts, das nicht in Abschnitt
I—VIII mit hätte gesagt werden können. Abschnitt
X: „The Parables" (S. 103—107), gibt neben allgemeinen
Bemerkungen über die patristische Exegese
der Gleichnisse ein dankenswertes Verzeichnis der wichtigsten
Väterstellen, an denen (abgesehen von den fortlaufenden
Kommentaren des Origenes) die einzelnen.
Gleichnisse Jesu behandelt sind. Abschnitt XI: „Four
specimen-passages" (S. 108—125: Mt. 11, 1—9, Parall.;
Mt. 16, 13—20, Parall.; Mt. 19, 3—9, Parall.; Joh. 10,
1—21), nimmt in unvollständigerer Auswahl und in mehr
abhandelnder Weise etwas voraus, was später (in den
Texten) dem Leser in ausführlicherer Weise gebracht
werden wird. Von der Notwendigkeit und Nützlichkeit
dieses Abschnitts habe ich mich nicht recht überzeugen
können. Der letzte Abschnitt der Einleitung (XII; S.
126—134): „Index to Synopsis", ist eine Übersicht über
die Stoffanordnung in dem ganzen Werke. Verf. hat sich
auf Grund einleuchtender Erwägungen für eine synoptische
Anordnung entschieden und ist dabei im wesentlichen
der Tischendorf sehen Synopse gefolgt. Die
Tabelle, in der die in diesem Abschnitt XII gegebene
Inhalts-Übersicht des ganzen Werkes sich darstellt, zerlegt
die vier Evangelien in 183 Teilstücke.
Der Teil des Ganzen, der noch in diesem ersten
Bande Platz gefunden hat, umfaßt 18 dieser Teilstücke
und führt bis zur Versuchungsgeschichte (Nr. 17) und
dem Zeugnis des Täufers (Nr. 18; Joh. 1, 19—34).
Fast ein Drittel dieses Teiles des Ganzen (64 von 217
Seiten) ist dem Prolog des Johannesevangcliums gewidmet
.
Wenn es zahlreiche „Students" gibt, denen die
durch dies Buch und seine Fortsetzungsbände vermittelte
Kenntnis der vornieänischen Exegese wertvoll
ist — und das bezweifle ich nicht, obwohl die Pfarrer
für ihre pastorale Praxis kaum direkten Nutzen aus
ihm ziehen können —, so wird es dem Verfasser an
vielseitigem Dank für all den Fleiß, den er bei der
Sammlung und Übersetzung der Texte aufgewendet hat,
nicht fehlen. Dieser Leserkreis wird auch an den Zusammenfassungen
und Auslassungen, zu denen der Verf.
gelegentlich seine Zuflucht hat nehmen müssen, sich
nicht stoßen; ja selbst einzelne Ungenauigkeiten der
Übersetzung, wie sie mir bei Stichproben aufgefallen
sind, werden die praktische Brauchbarkeit des Buches
nicht einschränken. Nur eine Stelle, S. 62, ist mir aufgestoßen
, der gegenüber Leser, die den Urtext nicht zur
Hand haben, hilflos sein werden. Es handelt sich um
Ausführungen des Origenes (in Matth., Lommatzsch
IV, 435) darüber, daß Johannes, der Verfasser von
Joh. 1, 1 ff, die von den andern Evangelisten erzählte
Versuchungsgeschichte und das Gethsemanegebet nicht
gebracht habe: Johannes propositum habens exponere
Jesum deum verbum, sciens, quia ipse est vita et resur-
rectio, nescit deum impassibilem refugere passionem (d. i.
„weiß, daß der leidensunfähige Gott sich vor dem Leiden
nicht hat scheuen können). Smith übersetzt: „John
aiming at setting forth Jesus as God the Word, knowing
that He is the Resurrection and the life, knew not, that
impossible God could shrink from the Passion". Selbst,
wenn man, mit dem Druckfehlerteufel rechnend, das
„impossible" in „the impassible" verbessert, kann man
bezweifeln, ob nur auf den englischen Text angewiesene
Leser den Sinn der Stelle begreifen.
Die Forschung wird zwar von den Ergebnissen
der Arbeit des Verfassers an den Katenen auch ihrerseits
mit Dank Kenntnis nehmen. Aber im gelehrten Interesse
muß doch festgestellt werden, daß T u r n e r ' s sehr berechtigter
Wunsch hier nur zu einem geringen Teile
Erfüllung gefunden hat. Für eigentlich wissenschaftlichen
Gebrauch ist dies große Werk weder
bestimmt, noch brauchbar. — Doch, wenn auch hier das
Gute ein Feind des Besseren geworden ist, so soll doch
in meiner Anzeige das Bessere nicht als Feind des Guten
erscheinen.
Halle a. S. Friedrich Loofs.
Glorieux, P.: La litterature quodlibetique de 1260 ä 1320.
Kain (Belgique): La Saulchoir 1925. = Bibliotheque Tliomiste V.
Der Abbe P. Glorieux behandelt in diesem 380
Seiten starken Bande ein vernachlässigtes Gebiet der
theologischen Literatur des Mittelalters. Es sind die
Quodlibeta (auch Quolibeta oder Quotlibeta genannt),