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Ausgabe:

1926 Nr. 4

Spalte:

89-90

Autor/Hrsg.:

Correll, Ernst H.

Titel/Untertitel:

Das schweizerische Täufermennonitentum. Ein soziologischer Bericht 1926

Rezensent:

Köhler, Walther

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89

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 4.

90

tung Walthers von der Vogelweide und ihre Deutung. Es
ist bewunderungswürdig, mit welcher Kunst er den
genetischen Zusammenhängen beizukommen versteht, wie
ausgebreitet sein Wissen ist und wie sicher er das geschichtliche
Leben zu erfassen weiß. Der wissenschaftliche
und geschichtliche Sinn, der aus allen den vorgelegten
Arbeiten spricht, macht sie in vieler Beziehung
vorbildlich. Und so freuen wir uns der reichen Gabe,
hoffen, daß sie ihre Anregungsfähigkeit bewähren und
den historischen Sinn stärken und daß es dem Herrn
Verfasser möglich sein wird, dem „Vorspiel" das Spiel
folgen zu lassen und es auch zu Ende zu führen.

Kiel. O- Ficker.

Correll, Dr. oec. publ. Ernst H.: Das schweizerische Täufer-

mennonitentum. Ein soziologischer Bericht. Tübingen : J. C. B. Mohr
1925. (X, 145 S. m. 4 Taf.) 4°. Rm. 6—; geh. 8—.

Diese Schrift des in Amerika am Goshen College
wirkenden Nationalökonomen erschien im vergangenen
Sommer rechtzeitig zur ersten mennonitischen Weltkonferenz
in Basel und wurde von den Teilnehmern
freudig begrüßt. Mit vollem Rechte. Denn sie ist die
derzeitig beste Darstellung des Mennonitentums, die
wir besitzen; nicht etwa nur des schweizerischen, wie der
Titel vermuten lassen könnte. Denn der Verfasser hat
der Darstellung der schweizerischen Mennoniten eine allgemeine
historisch - soziologische Kennzeichnung des
Täufertums und eine Skizze seiner Ausbreitung voraufgeschickt
— in großen Strichen eine Geschichte der
Täufer unter Angabe einer guten Statistik, auch einer
knappen Geschichte der Geschichtschreibung des Täufertums
und dergleichen. Hier wird in knapper Form Wertvolles
geboten, wie z. B. S. 36 Anm. 2 Material zur Geschichte
der Bundesidee bei den Täufern. Darin freilich
verrät sich der Mennonit alter Schulung, daß im Anschluß
an Gramer kategorisch erklärt wird: „die Ableitung
des Täufertums aus dem Kreis Thomas Münzers
und der Zwickauer Propheten ist abgetan" (S. 4 Anm. 1).
So einfach liegt die Sache nicht. Holl hat mit Recht
(Luther, 2. Aufl. S. 424) den Finger darauf gelegt, daß
das Täufertum nicht autochthon in Zürich entspringt,
vielmehr bei Karlstadt und Münzer der Ausgangspunkt
zu nehmen ist, und ich konnte in dem Beitrage zur Festschrift
für 1925 das Urteil Holls noch weiter quellenmäßig
stützen. Anderseits ist freilich zu sagen, daß Karlstadt
und Münzer einen in Zürich schon vorbereiteten
Boden fanden. Richtig hebt dann Correll im Anschluß
an Weber und Troeltsch, als deren Schüler er sich bekennt
, den religiösen Charakter des ältesten Täufertums
heraus unter Ablehnung der These von Tönnies, die religiösen
Ideen als Reflexe ökonomischer Tatsachen darzustellen
. Bei den religiösen Ideen wird aber der Gedankenkreis
der Bergpredigt zu stark vom Enthusiasmus
distanziert; der letztere ist nicht erst durch die Verfolgung
gekommen, vielmehr in Zürich von Anfang an
nachweisbar (vgl. meine Abhandlung in der Festschrift).
Sehr richtig betont dann aber Correll (S. 12), daß die
ganze Bewegung keine deutlichen Abgrenzungen bietet
und man nicht mit und nach den Münsterschen Vorgängen
erst das friedliche Täufertum beginnen lassen
dürfe; letzteres war schon vorher da. Münster bedeutet
in der Täufergeschichte nur politisch, nicht interntäufe-
nsch eine Zäsur. Daß die Stellung der Täufer zum
Privateigentum keine einheitliche war, ist wiederum richtig
beobachtet; sie war nicht einmal in dem kleinen
Zürcherischen Kreise einheitlich.

Nach den allgemeinen Ausführungen geht dann
der Verfasser auf die täuferische Art in der Schweiz ein.
Seinem Urteil (S. 25), daß hier die täuferische Art
nicht durch Orientierung an „Literatur" beeinflußt wurde,
muß ich widersprechen. Füßlin hatte durchaus Recht,
auf Karlstadt zu verweisen, und den vermißten Beleg
hatte Correll in Eglis Aktensammlung finden können
(letzt auch in meiner Abhandlung), noch mehr in der
mm entgangenen Aktensammlung zur Geschichte der

Basler Reformation von E. Dürr Bd. I 1921. Im Übrigen
ist die Kennzeichnung und Stellungnahme zu den Einzelproblemen
vortrefflich gelungen. Die Geschichte der
schweizerischen Täufer im 17. und 18. Jahrhundert,
eine langsame Preisgabe ihrer Apolitie, leitet über zu den
Emigranten im Elsaß, Baden und der Kurpfalz, deren
rechtliche Lage und vor allen Dingen wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit äußerst interessant dargelegt wird. Es
ist wirklich eine „mennonitische Musterwirtschaft" gewesen
. Die Vorführung der landwirtschaftlichen Tätigkeit
bis in die intimsten Details hinein ist außerordentlich
lehrreich, weil anschaulich; mit Recht aber betont
Verf. am Schluß, daß diese wirklich hervorragende
wirtschaftliche Expansion mit der Formel „innerweltliche
Askese" nicht erklärt ist. „Vielmehr ist die ökonomische
Existenz und Qualität des agrarischen Täufertums
das Ergebnis mannigfältiger Einflüsse. Unter ihnen
fällt dem religionssoziologischen Moment von allem
Anfang an allerdings eine wesentliche Rolle zu." Man
beobachtet, wie die christlichen Motive allmählich zurückgeschoben
werden, dann aber doch z. B. kein Tabak
gebaut wird, weil die Bibel nichts von ihm weiß und
das Rauchen als unsittlich gilt.

Zürich. W. Köhler.

Croce, Benedetto: Der Begriff des Barock. Die Gegenreformation
. Zwei Essays. Uebertr. v. Berthold Fcnigstein.
1. u. 2. Tsd. Zürich: Rascher & Cie. (1925.) (f)S S.) kl. 8° =
Europäische Bibliothek 12. geb. Rm. 1.80.

In seiner Kennzeichnung der Geschichtsphilosophie
Benedetto Croces innerhalb seines Buches „der Historismus
und seine Probleme" hebt Ernst Troeltsch die
Doppelung der Dialektik heraus: die realistisch gebundene
, das Werden der Tatsächlichkeit verfolgende,
also empiristische, und die rein logische Dialektik, den
Geist als solchen mit seiner Metalogik. Und Troeltsch
fügt kritisierend bei: das Verhältnis der ersten Dialektik
zur zweiten kann Croce nicht klar machen, er kann die
Geschichte nicht aus der Idee erklären, kann das Sollen
nicht in das Sein überführen, das Absolute nicht in das
Relative auflösen; er begnügt sich da vielmehr mit gewisser
ästhetischer Spielerei. Dieses Urteil findet der
Leser in den vorliegenden beiden Essays nur zu deutlich
bestätigt und sollte sie unter diesen Blickpunkt rücken.
Barock (Croce schickt eine Geschichte des Begriffes
Barock voraus) und Gegenreformation sind ernpiristische
Phänomene von realistisch gebundener Dialektik, aber
im letzten Grunde, rein logisch dialektisch betrachtet,
,ur/ ovta, ein Unsinn, oder wie es auch heißen kann,
eine Sünde. Kunst ist niemals Barock und das Barocke
niemals Kunst, die Gegenreformation hat (im Gegensatz
zur Renaissance und Reformation) es nicht mit den
ewigen Quellen der Menschheit zu tun, sondern ist eine
geschichtlich gegebene Institution, die mit dem dreißigjährigen
Kriege erledigt war. In beiden Fällen nun aber
ist dieser Unsinn doch wieder sinnvoll: „auch die Zeit
des Barockes, soweit sie barock war, hat nicht umsonst
bestanden", heißt es am Schluß des ersten Vortrages,
und der Schluß des zweiten billigt der Gegenreformation,
trotzdem sie 1648 „tatsächlich erledigt" ist, „auch heute
noch vielfache moralische und politische Aufgaben" zu.
Wo aber liegt die Brücke zwischen diesen beiden Dialektiken
? Man sucht sie vergebens, freut sich aber — auch
darin hat Troeltsch Recht — an dem feinen ästhetischen
Spiel der Gedanken. Sieht doch z. B. der Italiener einen
Grund zu historischer Dankbarkeit gegenüber der Gegenreformation
darin, daß sie dank der Vernichtung des
Protestantismus dort selbst „Italien früher so in einer
einzigen Farbe erscheinen ließ, wie es jetzt in einer einzigen
Farbe auftritt" — auch dieses Urteil ein Beweis,
daß wir mit Croces Philosophie der Kirchengeschichte
nicht durchkommen werden. Man lese etwa Croce
gegenüber, was Meinecke in seinem Buche „die Idee der
Staatsräson" über die Gegenreformation und ihre Bedeutung
sagt, um zu erkennen, daß die „Idee" aus der