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Ausgabe:

1926 Nr. 4

Spalte:

87-89

Autor/Hrsg.:

Burdach, Konrad

Titel/Untertitel:

Vorspiel. Gesammelte Schriften zur Geschichte des deutschen Geistes. I. Bd., 1. Teil: Mittelalter 1926

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 4.

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war ein sich immer stärker geltend machendes Überwiegen
der in den artistischen Fakultäten üblich gewordenen
„Wissenschaftlichkeit" in allen Gebieten des
Denkens, wobei ich freilich nicht von „Spekulation"
reden möchte, wie es E. gelegentlich tut, z. B. S. 111.
Indessen der Raum gestattet es nicht, Weiteres aus dem
inhaltsreichen Werk herauszuheben. Ich verweise nur
noch auf das wertvolle Material, das zur Lebensgeschichte
der späteren Scholastiker beigebracht wird.
Das gilt auch besonders von Ockam (S. 78 ff.). Ehrle
zeigt, vielfach mit Hofers Studien in Bd. VI des Arch.
francisc. hist. übereinkommend, daß Ockam seine Bildung
ausschließlich in Oxford empfangen und in Paris weder
gelernt noch gelehrt hat und daß er von England und
nicht von Paris her 1324 vor die Kurie in Avignon zitiert
wurde. Sehr interessant ist auch der Nachweis, daß die
später als Ehrentitel gebrauchte Bezeichnung Ockams
als Inoeptor venerabilis ursprünglich nichts anderes ist
als eine Bezeichnung der akademischen Stellung. So
wird der Bakkalaureus genannt, der die Leistungen beginnt
, welche ihn zum Lizentiat und Magisterium führen
sollen. Nicht wenige erreichten dies Ziel nicht und
blieben daher ihr Leben lang Baccalaurei. Diese hießen
baccalaurei formati und führten, wie gerade für Oxford
bezeugt ist, den Titel inceptores (S. 81 ff.). Der Sinn
der Bezeichnung ist also, daß Ockam das theologische
Magisterium nicht erreicht hat oder, wie wir sagen
würden, nicht ordentlicher Professor geworden ist.

Weit kürzer sind die Bemerkungen über die anderen
theologischen Lehrer und Schulen, die im Gesichtskreis
Peters gelegen haben. Es sind die Skotisten, Thomisten
und Ägidianer. Unter ihnen setzt er sich eingehender
nur mit den Skotisten auseinander, welche die größte
und geschlossenste Schule unter den Vertretern des alten
Weges im 14. Jahrhundert bildeten. Sie wie überhaupt
die Bettelorden sind es vor allem, denen die Erhaltung
der via antiqua zu danken ist, wenn auch bei Mitgliedern
aller drei Orden starke nominalistische Neigungen bekanntlich
nicht selten vorkamen. — Zum Schluß werden
verschiedene Urkunden, die bisher nicht oder nicht gut
ediert waren, abgedruckt und Nachträge zu dem Werk
geliefert.

Diese Übersicht über den Inhalt des mühevollen
und inhaltreichen Werkes wird dem Leser das Urteil
über die Arbeit des um die mittelalterliche Geistesgeschichte
hochverdienten Verfassers, das wir eingangs
aussprachen, bestätigt haben. Das Werk bietet soviel
Neues und soviel zu weiterer Forschung und Prüfung
Anregendes, daß es alle die, welche für den Universitätsbetrieb
und die Philosophie und Theologie des 14. Jahrhunderts
Interesse haben, zu aufrichtigem Dank verpflichtet
.

Berlin-Halensee. R. Seeberg.

Burdach, Konrad: Vorspiel. Gesammelte Schriften z. Gesch.
d. deutschen Geistes. [. Bd., 1. Teil: Mittelalter. Halle a. S.:
M. Niemeyer 1925. (XII, 400 S.) gr. S°. = Deutsche Vierteljahrs-
schrift f. Literaturvvissensch. u. Geistesgesch., Buchreihe, Bd. 1.

Rm. 16- ; geb. 18-.
Es wird in weiten Kreisen mit Dank und Freude begrüßt
werden, daß Konrad Burdach sich entschlossen
Bat, eine Auswahl seiner Aufsätze, Vorträge und Reden,
die vielfach zerstreut und an schwer zugänglichen Stellen
erschienen, teilweise auch unveröffentlicht blieben, also
eine Sammlung seiner „kleineren Schriften" vorzulegen.
Mit dem ersten Bande wird die „Buchreihe" der deutschen
Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und
Geistesgeschichte, die von P. Kluckhohn und Er. Rothacker
herausgegeben wird, eröffnet. So mannigfach die
behandelten Gegenstände sind, die Schriften haben doch
alle ein Ziel: „sie wollen deutsche Sprache, Literatur und
Kunst mit ihren nationalen wie mit ihren fremdländischen
Bestandteilen als Ausdruck der geistigen Bildung unseres
Volkes erfassen, ihr Wesen und Werden auf Grund
selbständiger Quellenforschung begreifen und mit lebendigem
Geschichtssinn in einer Darstellung vergegenwärtigen
, die den Stoff gestaltet, nicht von ihm beherrscht
wird." Unter diesem Gesichtspunkte werden
auch diese kleineren Schriften vollgültige Zeugnisse für
die reichen Erträge der Lebensarbeit dieses verdienten
Gelehrten, der uns bisher leider immer nur Bruchstücke
vorlegen zu wollen schien. Aber es weiß doch jeder, daß
die fruchtbarsten Anregungen von ihm ausgegangen
sind; ich möchte die eigenen Worte des Verfasseis
wiedergeben, weil durch sie am deutlichsten wird, worauf
er Wert legt S. IX f: „nicht wenige der in den nachstehenden
Schriften gebotenen Anregungen, z. B. über
die Wechselbeziehung mittelalterlicher Kunst und Poesie,
die Macht der Antike und des Orients im Mittelalter,
die Bedeutung der frühchristlichen und mittelalterlichen
Pilgerfahrten, die weitgreifenden Wirkungen der syrischbyzantinischen
, wie der römischen Liturgie auf die Gralsage
und das geistliche Schauspiel, die wichtige Rolle der
mittelalterlichen Poetiken und Formelbücher, namentlich
der von Italien ausgehenden Ars dictandi und des Cursus,
den inneren Zusammenhang zwischen Reformation und
Renaissance, die bildungsgeschichtlichen Quellen und
Zuflüsse der neuhochdeutschen Schriftsprache, den Einfluß
der Musik auf die Erneuerung der deutschen Dichtersprache
, auf Lyrik und Drama des 18. Jahrhunderts
und mancBe andere Hinweise haben sich als fruchtbare
Keime einer bereicherten Auffassung der deutschen Kultur
und ihres Werdegangs erwiesen". Nicht alles, was
hier erwähnt wird, wird in dem hier vorliegenden Bande
berührt; es eröffnen sich aber freundliche Aussichten
auf das, was die folgenden Bände des „Vorspiels"
bringen werden.

Der vorliegende Band wird mit einem „Richtlinien"
überschriebenen Teile eröffnet. Darin werden die Antrittsrede
gedruckt, die der Verfasser in der Berliner Akademie
der Wissenschaften am 3. Juli 1902 gehalten hat, und die
Artikel über deutsche Erziehung (Wiederabdruck der Betrachtungen
im Anzeiger für deutsches Altertum 1886
XII, S. 156—163 nebst einem Nachwort und Ausblick
[ Zeitschrift für den deutschen Unterricht, 28. Jahrg.
1914, S. 657—678.]). Ungedruckt war bisher die Einleitung
der Vorlesung über Walther von der Vogelweide
an der Berliner Universität am 29. Okt. 1902, die wegen
ihres programmatischen Inhalts sich hier gut einfügt.

Der Hauptteil bietet Studien zur „Literatur und
Kunst des Mittelalters". Ungedruckt sind bisher: Nachleben
des griechisch-römischen Altertums in der mittelalterlichen
Dichtung und Kunst und deren wechselseitige
Beziehungen 1895 und Die Entstehung des mittelalterlichen
Romans 1897. Schon gedruckt sind folgende Artikel
: Der Ursprung der Salomosage (Archiv für neuere
Sprachen, 108. Band., 1902, S. 131 f.); Longinus und der
Gral (Deutsche Literaturzeitung 1903, 14. Nov., Sp.
2821—24); Der Ursprung der Grallegende (Deutsche
Literaturzeitung 1903, 12. Dez., Sp. 3050—58); Der
Judenspieß und die Longinussage (Neue Jahrbücher,
37. Bd., 1916, S. 25—56); Der Longinusspeer in
eschatologischem Lichte (Sitzungsberichte der Berliner
Akademie der Wissenschaften 1920, S. 294—321); Über
den Urprung des mittelalterlichen Minnesangs, Liebesromans
und Frauendienstes (Sitzungsberichte der Berliner
Akademie der Wissenschaften 1918, S. 994—1029,
1072—1098); Der mythische und der geschichtliche Walther
(Deutsche Rundschau, 29. Jahrg. 1902, Oktober
S. 38—65, November S. 237—256). Ich glaube nicht,
daß es nötig ist, über den Inhalt der einzelnen Artikel
zu berichten; aus den Titeln geht schon zur Genüge hervor
, daß sie alle für den Theologen und besonders den
Kirchenhistoriker Interesse, sogar großes Interesse haben
müssen, wie ja auch der Verf. bekannt dafür ist, daß Clauen
den theologischen Quellen im weitesten Umfange
und mit der größten Sorgfalt nachgeht und überall bei
seinen Erklärungen die allgemeine kirchliche und politische
Lage im Auge behält. Man vergleiche z. B. die
trefflichen Bemerkungen über die kirchenpolitische Hai-