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Ausgabe:

1926 Nr. 4

Spalte:

85-87

Autor/Hrsg.:

Ehrle, Franz Kard.

Titel/Untertitel:

Der Sentenzenkommentar Peters von Candia, des Pisaner Papstes Alexanders V 1926

Rezensent:

Seeberg, Reinhold

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 4.

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baren Einflüsse der universalen Überlieferungen sich gestaltet
hat, die vom Altertum her in ihrer christlichen
Umbildung auf das deutsche Volk wirkten, so ist die neuzeitliche
staatliche Konsolidierung der deutschen Nation
im Widerspruche gegen diesen Universalismus erfolgt.
Es ist der tief sittliche Charakter der Bismarckschen
Politik, daß sie dem deutschen Volke die Kraft geben
wollte, ganz es selbst zu sein. So wie der deutsche
Idealismus der Nation den Beruf vorgezeichnet hatte,
sich selbst zu wollen, eine deutsche Kultur aus dem
eigenen Wesen zu gestalten. Bismarck wollte den deutschen
Staat von der Herrschaft fremder Theorieen befreien
. Das deutsche Volk folgte seinem großen Staatsmann
nicht auf dem von diesem gewiesenen Wege. Es
befreite sich nicht von der geistigen Fremdherrschaft,
die Aufklarung und Revolution ihm in dem Vorbild von
Weltzivilisation und Weltdemokratie auferlegten.

Ich halte die Ausführungen des Verfassers, in denen
auch Luther und die Reformation ihre gerechte Würdigung
finden, für durchaus zutreffend und kann nur
wünschen, daß sie dazu beitragen mögen, unser deutsches
, auch unser deutsch-kirchliches Selbstbewußtsein
zu stärken.

Kiel. O. F ick er.

Ehrle, Franz Kard., S. J.: Der Sentenzenkommentar Peters
von Candia, des Pisaner Papstes Alexanders V. Ein Beitrag
zur Scheidung der Schulen in der Scholastik d. 14. Jahrh. und
zur Geschichte d. Wegestreites. Münster i. W.: Aschendorff 1025.
(XII, 363 S.) gr. 8°. = Franziskas Stud., Beiheft 9. Rm. 14.10.

Franz Ehrle, dessen 80. Geburtstag wir vor Kurzem
begangen haben, hat uns mit einer neuen Gabe seiner
rastlosen Forschung beschenkt . Wie einst die berühmte
Abhandlung über den Augustinismus und Aristotelismus
im 13. Jahrhundert helles Licht über die Eigenart der
theologischen Richtungen in der Epoche der Hochscholastik
verbreitete und uns einen sicheren Maßstab
zur Abgrenzung dieser Richtungen darbot, so wird in
dem vorliegenden Werk ein ähnlicher Versuch gemacht,
Klarheit in unser Verständnis der Hauptrichtungen in
der Theologie des 14. Jahrhunderts zu bringen. Und
wie in der früheren Abhandlung Ehrle sich zunächst
nicht auf die allgemeine Dialektik der Entwicklung oder
auf die Vergleichung der einzelnen Lehren der verschiedenen
Scholastiker, sondern auf die Selbstaussagen dieser

Es hält schwer, in der Kürze eine Vorstellung von
dem reichen Inhalt des Werkes zu geben. Der Ausgangspunkt
der Arbeit ist der Sentenzenkommentar des Peter
von Candia, der um 1380 vollendet wurde. Der
Verfasser, ein aus ärmlichsten Verhältnissen hervorgegangener
Grieche, ist der spätere Papst Alexander V.,
der 1409 zu Pisa erwählt wurde, aber nach kaum einem
Jahr starb. Der Sentenzenkommentar ist in einer großen
Anzahl von Handschriften erhalten (S. 17 ff.). Ebenso
sind die Principia Peters noch vorhanden. So hießen die
rhetorischen Prunkreden, welche die Dozenten der Erklärung
der Sentenzen voranzuschicken verpflichtet
waren. Ehrle teilt uns nur die Überschriften der Quästio-
nen und Artikel der vier Bücher des Sentenzenkommentars
mit. Die Absicht, einige Artikel im Wortlaut abzudrucken
, hat er leider aufgegeben, da ihm in der Kriegszeit
nicht das ganze handschriftliche Material zur Verfügung
gestanden hat. Im übrigen werden wir über die
theologischen Kenntnisse und die dialektische Technik
in den Erörterungen des Sentenzenkommentars gut orientiert
. Hinsichtlich der philosophischen Anschauungen
Peters, soweit sie in dieser Arbeit hervortreten, glaubt
Ehrle erhebliche nominalistische Neigungen wahrnehmen
zu können. Jedoch scheinen diese nur in abgeschwächter
Weise zu Worte gekommen zu sein, ähnlich wie bei dem
von Peter benutzten Johannes de Ripa (auch de Marchia
genannt), bei welchem wie etwa auch bei Aureoli mit
der sadistischen Grundlage Anregungen Ockams u. a.
verbunden sind (S. 77 f. 268 ff.). Der wichtigste und ausführlichste
Abschnitt des Werkes wird eröffnet durch
literar-historische Auszüge aus Peters Sentenzenbuch,
welche der Kennzeichnung seiner Stellung zu den älteren
Theologen und seiner Beurteilung der Modernen dienen
(S. 56 ff.). Von hier aus schreitet der Verf. fort zu
einer Besprechung der Schulen und der Lehrer, zu denen
die Arbeit Peters in Beziehung gestanden hat. Weitaus
am ausführlichsten wird dabei der Nominalismus besprochen
(S. 78—251), Wobei auch der Streit zwischen
den beiden Wegen an den einzelnen Universitäten auf
Grund eines reichen urkundlichen Materials eine äußerst
lehrreiche Darstellung findet. Man gewinnt einen geradezu
erschütternden Einblick in die unglaubliche
Leidenschaftlichkeit, mit der diese Kämpfe geführt worden
sind und die nur zu oft dem Allzumenschlichen
reichlichen Spielraum gewährt haben. Wir hören, wie

stützte, so hat er einen ähnlichen Weg auch in dem neuen weltliche und geistliche Machthaber der einen oder der
Werke eingeschlagen. Dabei fließen aber die in Be- J anderen Partei das Wort reden oder beide mit einander
Tracht kommenden Quellen in dem 14. Jahrhundert weit i zu versöhnen bemüht sind, und wie trotz allem der

reichlicher, nicht nur weil viel mehr Autoren zu uns
reden, sondern auch weil deren Mitteilsamkeit über die
von ihnen benützten Bücher sowie ihr Urteil über sie ausgiebiger
geworden ist, als es früher üblich gewesen war.
Freilich sind die meisten der hier auszuschöpfenden
Werke noch nicht gedruckt, und es hat ein gewaltiger
Spürsinn und Fleiß dazu gehört, um das umfassende
Material zusammenzubringen, das in dem neuen Werk
verarbeitet ist. Zu dem Studium der scholastischen
Theologie und Philosophie kommt aber weiter die
scharfsinnige und sorgsame Durchforschung der Uni-
versitatsgeschichte mit ihren Verfassungen, Statuten und
Denkschriften. Ehrle klagt darüber, daß der große Krieg
ihn an der völligen Ausschöpfung neuer und alter
Quellen gehindert habe. Aber das Gebotene stellt
trotzdem eine schöne Gabe dar, für die alle Beteiligten
dem greisen Verfasser zu warmem Dank verbunden sind.
Ehrle selbst urteilt freilich mit der Bescheidenheit des
echten Forschers von seiner Arbeit: „Es ist nichts Fer-
we;' nichts Abgerundetes, nur weniges von bleibendem
u ,m™ernin dürfte eine Anregung zur Weiterarbeit
nach verschiedenen Richtungen gegeben sein" (S. 280).
Wer sachkundige Leser wird letzteres dankbar unterstreichen
und demgemäß ersteres erheblich einschränken,
ts ist doch der schönste Erfolg einer wissenschaftlichen
Arbeit wenn sie nicht „abschließt", sondern vielen ein
Antrieb, wird zur Mitarbeit und Fortarbeit

Kampf weitergeht. Sehr instruktiv ist etwa das Schreiben
der Kurfürsten — mit Einschluß der geistlichen — an
die Kölner Universität 1425 (S. 123. 355 ff.). Hier wird
gemahnt, den gefährlichen Realismus, der durch seine
hohen und spitzfindigen Spekulationen die jugendlichen
Köpfe verwirre, zu meiden, da der nominalistische Weg
der sicherere und gangbarere sei. Besonders bemerkenswert
ist auch eine Urkunde der Ingolstädter Universität
aus dem angehenden 16. Jahrhundert, in welcher die
Modernen ihre Vorzüge rühmen und die Realisten die
Gegensätze zu präzisieren versuchen, dabei besonders auf
die häretischen Konsequenzen des Nominalisinus für die
Theologie hinweisend (S. 326—342).

In der allgemeinen Charakteristik der Nominalisten
hebt Ehrle mit Recht den Hang zu Neuem, Erstaunlichem
und Paradoxem sowie die Rechthaberei hervor und nimmt
dabei gern auf Johann Gersons Urteile Bezug. Hinsichtlich
der Bezeichnung als „Nominalisten" erkennt er
richtig die einseitig logische Begrenzung an. Aber der
gleiche Mangel haftet der Bezeichnung Terministae oder
Conceptistac an, sodaß es, wie E. mit Recht urteilt, bei
dem bräuchlich gewordenen Namen Nominales sein Bewenden
haben mag. Doch ist dabei immer im Auge zu
behalten, daß die Gegensätze zwischen ihnen und den
Realisten sich nicht bloß auf die Logik, sondern ebenso
auch auf die Fragen der Metaphysik, der Psychologie,
der Ethik sowie auch der Theologie erstreckt haben. Es