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Ausgabe:

1926 Nr. 3

Spalte:

63-64

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Kurt Dietrich

Titel/Untertitel:

Studien zur Geschichte des Konzils von Trient 1926

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 3.

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aufsätze hinaus ist von größtem Wert Scheels Studie über
Luther und die Schule seiner Zeit, die vor allem an die
Schrift An die Ratsherren anknüpft, dabei das vorrefor-
matorische Schulwesen kräftig heranzieht und so die
Basis für ein zutreffendes Urteil schafft. Ich wünschte,
daß diese Darlegung recht gründlich von den Verfassern
populärer Leitfäden zur Geschichte der Pädagogik
beachtet werden möchte, damit endlich einmal
den hergebrachten scheinbar nicht auszurottenden oberflächlichen
, oft falschen Formulierungen der Garaus
gemacht werde. Zuweilen entsteht die Frage, ob Scheels
Urteil über die mittelalterliche Schule sie nicht etwas
gar zu nachdrücklich verteidigt. Ein Aufsatz von Joh.
Luther über die Nachkommenschaft des Reformators
räumt mit mancherlei Legenden auf. Alles in allem:
Hervorragende Darbietungen, sehr wichtige Gegenstände
. Die Darstellung kann natürlich nicht eigentlich
populär sein; wohl aber ist sie für jeden Gebildeten verständlich
. Dieser Band als Ganzes verdient unter allen
bisher erschienenen wohl den ersten Platz.

Breslau. M. Sc Iii an.

Schmidt, Priv.-Doz. Lic. theol. Kurt Dietrich: Studien zur Geschichte
des Konzils von Trient. Tübingen: J. C. B. Mohr
1925. (III, 220 S.) gr. 8". Rm. 8.40.

Der erste Teil dieser Studien behandelt ,die Nachwirkungen
der spätmittelalterlichen Reformideen während
der ersten Periode des Konzils von Trient' und ist
die Göttinger Licentiatenschrift, die ich nach einem
Schreibmaschinenabzug in dieser Ztg. 1924, 274ff.
eingehend angezeigt habe. Beim Druck konnte der Verf.
einzelne Verbesserungsvorschläge, die ihm zugegangen
waren, berücksichtigen, darunter auch die beiden untergeordneten
Anregungen, die ich gegeben habe. Vielleicht
hätte jetzt auch (S. 14 oder 148 f.) auf die neuesten
Ausführungen über Sarpi und Pallavicini von E h s e s
hingewiesen werden können. Der zweite Teil ,Schrift und
Tradition. Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen
Theologie und des Konzils von Trient' ist des Verf.s
Habilitationsschrift. Er gibt hier zunächst eine kurze
Vorgeschichte des Verhältnisses von Schrift und Tradition
im Altertum und Mittelalter. Im Altertum kommen
auf griechischer Seite Irenäus, Clemens AI., Origenes,
Basilius, Epiphanius und Johannes Damascenus kurz
zum Wort, auf lateinischer Tertullian, Augustin und
Vincenz von Lerinum. Schade, daß hierbei Cyprian
übergangen wurde, dessen Auffassung von traditio als der
ins kirchliche Leben übergegangenen Schriftlehre sehr
lehrreich ist, wie ich in meiner Schrift ,Cyprian und der
römische Primat' 1910, 135 f. gezeigt zu haben glaube.
Selbst der Jesuit d' Ales (La theologie de Saint Cyprien
1922, 73 ff.) findet die Geltung der rechtmäßigen Überlieferung
bei Cyprian innig mit der der Schrift verknüpft
und bezeichnet — natürlich nach dem Maßstab
der späteren Lehre — als ,Grundfehler' seiner Auffassung
den Mangel einer dauernden unfehlbaren Autorität
in der Kirche. Von großer Bedeutung für die Folgezeit
wurde eine Stelle hei Basilius, da sie, freilich in
schlechter Übersetzung, ins Decretum Gratiani Eingang
fand und von da ins Trienter Dekret aufgenommen
wurde. Hatte der Osten vorwiegend den auf geschichtlicher
Grundlage beruhenden Begriff der apostolischen
Tradition herausgearbeitet, so steuerte das Abendland,
das diesen Begriff auch kannte, noch den der kirchlichen
Tradition bei, der sich im Grunde mit der tatsächlichen
Entwicklung der Kirche deckte. Die drei Größen : Schrift,
apostolische Überlieferung, kirchliche Überlieferung, die
in Wirklichkeit häufig in einander greifen, gehen dann
ins Mittelalter hinüber. Der Umschlag des Kirchenbegriffs
aus dem Religiös-Sakramentalen ins Körperschaftliche
— Sch. folgt hier den Ausführungen Sohms,
nimmt aber mit Recht an, daß dieser Umschlag lange
vorbereitet war — brachte keine grundsätzliche Änderung
in den Anschauungen von den Quellen der
kirchlichen Lehre. Während aber noch bei Augustin die

unfehlbare Kirche keinen unfehlbaren Mund hat — hier
vermisse ich bei Sch. die Bezugnahme auf H. Reuters
treffliche ,Augustinische Studien' 1887, 329 ff. —, erhält
sie jetzt im Papsttum oder im allgemeinen Konzil
• ine Stelle, die für sie handelt. So nimmt jetzt die kirchliche
Überlieferung neben den Kirchenvätern in den
Konzilsentscheidungen und Papstbriefen greifbarere Gestalt
an. Es finden sich aber auch vereinzelte Stimmen,
die in der hl. Schrift die alleinige Quelle der Kirchenlehre
sehen, was damals noch keine formale Irrlehre
ausmachte, wenn die Autorität der Kirche dabei unangetastet
blieb. Luther aber gelangte über die Ablehnung
der äußeren Kirche als Lehrautorität zur Aufstellung
des Schriftgrundsatzes. Was nun die Verhandlungen des
Trienter Konzils betrifft, so machen die Dekrete den
Eindruck eines planmäßigen Aufbaus: zuerst die Bestimmungen
über die Quellen der kirchlichen Lehre,
dann die einzelnen Lehren selbst. In Wirklichkeit aber
waren lediglich kurialpolitischc Erwägungen dafür maßgebend
, daß die päpstlichen Legaten zuerst die Erörterungen
über Schrift und Tradition in Vorlage brachten.
Dabei stand ihnen als Ergebnis bereits fest, daß die
Tradition ,pari pietatis affectu' wie die Schrift hinzunehmen
sei. Auen war es ihr entschiedenes Vorhaben, das
sie auch durchsetzten, die apostolische Tradition nur
,in genere' behandeln und erwähnen zu lassen, ohne
Eingehen auf Einzelheiten. Selbst der Wortlaut des
Dekrets geht auf einen Entwurf Cervinis zurück, sodaß
die päpstlichen Legaten als die eigentlichen Urheber des
Dekrets ,Sacrosancta' der Sessio IV bezeichnet werden
können und müssen. Wenn das Konzil als Quelle der
Kirchenlchre neben der hl. Schrift nur die apostolische
Tradition angibt, so will es damit die kirchliche Tradition
nicht ablehnen, setzt vielmehr die Gültigkeit auch dieser
Größe voraus. Der Grund, warum sie nicht eigens erörtert
wurde, wair wieder ein kirchenpolitischer. Andrerseits
wäre es irrig, anzunehmen, daß mit der apostolischen
Tradition zugleich die kirchliche gemeint sei.
Vielmehr soll nach dem Willen des Konzils nur von der
apostolischen Tradition die Rede sein, und bei der
kirchlichen Tradition wären die Konzilsväter nicht eben-
j so für ein ,pari pietatis affectu' zu haben gewesen.
Darnach sind die bezüglichen Ausführungen in den
Dogmengeschichten von Harnack und Seeberg zu berichtigen
. Die kirchliche Tradition ist aber nicht die einzige
Lücke, die das Konzil wegen der kurialpolitischen
I Taktik der Legaten lassen mußte. Bezüglich der Aus-
j legung der hl. Schrift wird bestimmt, daß sie nach dem
l Sinne zu erfolgen habe, den ihr die Kirche und die Über-
J einstimmung der Väter verleihe. Durch wen aber die
Kirche spreche, wird nicht gesagt, weil bei der Erörterung
hierüber die konziliaristische Streitfrage wieder aufgetaucht
wäre. So haben kirchenpolitische Gründe in
zweifacher Hinsicht eine Unvollständigkeit des Trienter
Dekrets über Schrift und Tradition veranlaßt. Das stellt
Sch. in seiner sorgfältigen und gediegenen Untersuchung
aus den Akten, Briefen und Tagebüchern des Konzils
fest. In einer Beilage sind der einschlägige Satz aus dem
Decretum Gratiani, die Stelle mit dem Schriftkanon aus
der Bulle ,Cantate Domino' Eugens IV. (Konzil von
Florenz), Cervinis Entwurf und das endgültige Dekret
nebeneinandergestellt.

Der Satz, daß der Papst alle Gesetze ,in scrinio pectoris' habe
(S. 168), wird auch harmlos erklärt, in dem Sinne, daß bei ihm die
Kenntnis der kirchlichen Gesetze vorausgesetzt werden dürfe. Das
„Schema aller scholastischen Arbeit ,atictoritas et ratio'" (S. 166)
findet sich, ehenfalls in Verbindung mit der .consuetudo', schon bei den
alten römischen Grammatikern (W. Kroll, Studien z. Verständnis d
röm. Lit. 1925, 96). Statt ,C. F. v. Hefele' (S.'lü und 215) muß es
heißen ,C. J. v. H.'. Verunglückt ist der Satz S. 181 f.: ,Sie beantragten
eine Unterscheidung zwischen den Büchern der hl. Schrift
ihrem religiösen Werte nach zu machen.' Er muß lauten: Sie beantragten
, unter den Büchern der hl. Schrift eine Unterscheidung dem
religiösen Werte nach zu machen.

München. Hugo Koch.