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Ausgabe:

1926 Nr. 2

Spalte:

621

Autor/Hrsg.:

Schubring, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Kirchenpolitisches Quellenheft. Eine Sammlung v. Erlassen u. a. Grundlagen z. Kirchenpolitik m. bes. Berücksichtigung d. Schulfragen 1926

Rezensent:

Rendtorff, Heinrich

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621

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 25/26.

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kündigung von Anfang bis heute, die nur nebenbei schriftlich
fixiert wurde. — S. 15: Luther war nicht Pfarrer an der Stadtkirche
zu Wittenberg. — Ohne Reue gab es keinen Sündenerlaß; der
Schaden des Ablasses war in Luthers Auffassung a) innerlich: er
hinderte das Ertragen der gottverhängten Strafen; b) äußerlich: das
Geld. — S. 25: „Erbarme dich", an Heilige gerichtet, ist auch
katholisch unmöglich. — „Geschenke" an Heilige? Blumensträuße zum
Schmuck d. Altäre, insofern Ehrung der Heiligen. — S. 34: Beim
opus operatum ist giltiger Empfang vom würdigen Empfang
zu unterscheiden; letzterer allein ist Religion, auch nach kath. Auffassung
. — S. 03: Das Klosterleben ist dem modernen Katholizismus
nicht „höchste Stufe des sittlichen Lebens" sondern das idealste
Mittel, diese Stufe zu erreichen; sie kann aber nach kath. Lehre
von jedem Beruf aus erreicht werden. — S. 78: Die Bruderschaften
spielen, trotz Kolde, keineswegs eine solche Rolle, auch nicht
der 3. Orden. — S. 81: Die Beispiele für die restrictio sind unmöglich
für den heutigen deutschen Katholizismus; vgl. dazu J.
Mausbach, Kath. Moralfheol. III. Bd. 4.u. 5. A. 1923 S. 246 f. — S. 82:
Beim Probabilismus ist unumgängliche Voraussetzung, daß eine
Sicherheit, ob das Gesetz für den vorliegenden Fall gilt, nicht
zu erreichen ist: erst in diesem Falle darf man den Probabilismus
anwenden, d. h. einer wahrscheinlichen, durch gute Gründe
gestützten Meinung folgen.

Berlin. Leonhard Fendt.

Klrchenpolitisches Quellenheft. Eine Sammlung v. Erlassen,
Programmen u. anderen Grundlagen z. Kirchenpolitik m. bes. Be-
rücks. d Schulfragen. Im Auftr. d. Kirchenpolit. Ausschusses d.
Berliner Bundes f. Relig.-Unterr. u. relig. Erziehung hrsg. v.
Wilhelm Schubring u. O. Rattmann. Berlin: Hutten-Verl.
1926. (68 S.) 8°. Rm. 1.50.

„Wissend oder nicht, mit oder ohne ihren Willen wirken alle
Olieder der Kirche an der Kirchenpolitik mit." (S. 2). Die Kenntnis
der Kräfte und Ziele der kirchlichen Bewegungen der Gegenwart ist
deshalb allgemeine Pflicht. Sie aus den Quellen darzubieten ist das
praktische Ziel dieses Heftes. Die Auswahl ist nach streng sachlichen
Gesichtspunkten gut getroffen: 6 große politische Parteien, 10
kirchliche Gruppen, 9 Organisationen pädagogischer und schulpoli-
tischer Art kommen in meist offiziellen Ausführungen zu Worte. Wichtige
Stücke aus den Beschlüssen der 3 Kirchentage, der letzten
preußischen Generalsynode, einzelner anderer Synoden u. ä. bilden den
Abschluß. Man vermißt eine Äußerung der kommunistischen Partei, die
in Aufrufen und Werbeschriften sich klar genug für die „weltliche
Schule für alle Kinder des Volkes" eingesetzt hat; die abgedruckte
Entschließung des deutschen Lehrervereins von 1922 (S. 44) bedarf
der Ergänzung durch die Entschließung von 1925: „der DLV wird.,
seine Schulforderungen einer Nachprüfung unterziehen. Im Hinblick
darauf stellt er bis dahin die Erörterung des Schulprogramms zurück."
Bei einer Neuauflage der gut unterrichtenden Schrift wäre dringend
zu wünschen, daß überall bibliographisch genau die Fundorte angegeben
werden; für ein „Quellenheft" scheint mir diese Forderung
unerläßlich.

Kiel. H. Reudtorff.

Weizsäcker, V. Prhr. v.: Seelenbehandlung und Seelen-
ffihrung nach ihren biologischen u. metaphysischen Grundlagen
betrachtet. Gütersloh: C. Bertelsmann 1926. (83 S.)
gr. 8°. = Studien d. apologet. Seminars, H. 16. Rm. 2—.

Die Vorträge bieten eine höchst eigenartige, gedankenschwere
Lektüre; ihr Inhalt läßt sich kurz als
eine prinzipielle, bis zu den letzten Grundlagen der Metaphysik
und Ethik hinabreichende Darstellung und Kritik
der Psychoanalyse charakterisieren. Als bahnbrechend
gilt Freuds genetische Auffassung der Neurose, weil sie
gegenüber der Degenerations- und Konstitutionslehre der
Psychotherapie einen neuen Optimismus gegeben/durch
die Aufdeckung der psychischen Mechanismen der Verkleidung
und Übertragung eine kritische Technik für die
Untersuchung da- biologisch-vitalen Seelenregungen ermöglicht
und damit zugleich die Autonomie des „Bewußtseins
" als Illusion entlarvt habe; sie habe eine
Psychologie da vitalfamiliären Beziehungen des Menschen
geschaffen, das Sexualleben des Kindes und das
tragische Antipodentum des Sohnes wider den Vater entdeckt
, die Verkoppelung der Triebe und ihre Gegensätzlichkeit
, die Phänomene der Verdrängung und des Vergessens
, die Neutralisierung der Konfliktsspannnung
durch Objektivation des Erlebnisses, Umdeutung und
kathartische Reproduktion gefunden usw. Aber wenn
auch Freud wie kein zweiter über die nichts — als —
Individualpsychologie hinausstrebt, ist er doch in der

bloßen Seelenanalyse hängen geblieben, nicht aber zur
Wesenslehre vorgedrungen, und soweit er versucht, ein
wissenschaftlich geschlossenes System der menschlichen
Person aufzustellen, bleibt er bei dem Einzelnen stehen.
Aber der Einzelmensch ist eine Abstraktion, die Person
des Menschens wesensmäßig eine Pluripersonalität.
„Nicht Ich, sondern Wir ist die metaphysische Absolut-
heit." In sehr lehrreicher Analyse des Psychoanalytikers
wird die Zweisamkeit jeder vitalen Bindung aufgewiesen.
Die Sprengung dieser Bindung und damit ein höheres,
personales Stadium des Lebens wird erst möglich, indem
eine dritte Person auftritt, an welche die Triebbefriedi-
i gung sich haftet, so daß Trieb und Person auseinandertreten
, und die Person als Träger eines Amtes (z. B. der
Mutter) erfaßt wird. Erziehung (d. h. Stiftung geistigen
Einflusses) bedeutet stets Determinationswandel der
Triebgrundlage. Nie kann es sich um etwas Anderes als
um eine Umbildung des Gegenstandes der triebhaften
Kräfte handeln, nie um Selbstlosigkeit in abstracto
, sondern vielmehr nur um neue Stufen perso-
| naler Verbundenheitsformen, letztlich um geschichtlich
gewachsene Personengemeinschaftsordnung.

Die triebmäßige Grundlage bleibt, wie man sieht,
und es gilt, Vertrauen zu ihr zu haben. Neben die libi-
dinöse Regung, die er in die filiale und erotische zerteilt,
stellt W. die Angst, die Scham und die Gewohnheit als
wichtigste vitale Bindungen; dazu treten auf höherer
Stufe Zutrauen, Überzeugung, Wille, Glaube; sie alle
stiften Gemeinschaft und geben damit erst die Möglichkeit
der Einwirkung durch Mahnung und Lehre. Dagegen
die freischwebenden Ideale der Wahrheit, der
; Autonomie und des Gewissens sind nach W. kraftlos
! und als letzte Ziele unbrauchbar und irreführend. Ins-
j besondere erscheint der philosophische Idealismus, zu-
mal neukantisch-erkenntnistheoretischer Prägung, ab-
I wegig, und das bloße wissenschaftliche Objektivitäts-
i streben führt zur „asketischen. Grenzform des vergeistigten
Menschen", die zwar einen spezifischen Elitewert füri
einige wenige hat, aber keinen organischen Bildungs-
' wert besitzt und vielfach einen Abweg zur Pathologie
des Geistes darstellt. Dem gegenüber vertritt W. die or-
j ganische Fortbildung der Triebgrundlagen sowie die
' Erkenntnis der Bedeutung, welche für die Gesellschaft
Amt, Institution und konkretes Gebot haben. Ich
; bin weit entfernt, den Ernst der Warnung, die hiermit
| ausgesprochen wird, zu verkennen oder der Erweiterung
des Blickes von der individuellen Psychotherapie
zur Bekämpfung von Irrtümern des Zeitgeistes zu widersprechen
. Aber es fragt sich doch, ob nicht eine triebmäßige
Grundlage auch für die Bildung „freischweben-
der Ideale" besteht, was ich für die Religion wenigstens
(aber auch für Kunst u.s.w.) mit Sicherheit behaupten
| möchte. Ferner wünschte ich, daß W., statt nur das
1 falsche Ideal der „Autonomie" des Geistes abzulehnen,
; das schon von Kant hervorgehobene richtige und bleibend
giltige herausgehoben hätte, den Willen zur Verantwortung
, die Anerkennung der Vernunft in der Geschichte
, den Primat der persönlichen Seele vor jeder Institution
, lauter Ideale, die auch W. selbst anerkennt und
! die keine Seelenforschung wird aus den Angeln heben
i können, weil sie selbst die Grundlagen jeder sittlichen
: Kritik bilden.

Berlin. A. Titius.

Falke, Konsist.-Rat D. Robert: Evangelische Mystik. Schwerin
i. M.: F. Bahn 1925. (132 S.) 8°. kart. Rm. 3.50; geb. 4.50.
„Mystik" ist dein Verf. die Unterströmung aller Religion"
(S. 1) „Eine Religion ohne Mystik ist wie ein Mensch ohne Seele"
(S. 2). Aber es gilt zu unterscheiden zwischen der „Vergottungs-
mystik", welche im mystischen Tod als „restloser Auflösung das Ich
in Gott versinken" läßt, der Mystik des Heidentums und durch Vermittlung
Augustins und des Areopagiten auch des Katholizismus, und
der genuin christlichen, evangelischen Mystik. „Evangelische Mystik ist
gottinniger Glaube oder gläubige Oottinnigkeit" (S. 19). Der Verf.
folgt also im Wesentlichen der bekannten Unterscheidung zwischen
Unendlichkeitsmystik und Persönlichkeitsmystik. Die letztere ist da»,