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Ausgabe:

1926 Nr. 2

Spalte:

615

Autor/Hrsg.:

Meinecke, Friedrich

Titel/Untertitel:

Das Zeitalter der deutschen Erhebung (1795-1815). 3. Aufl 1926

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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615

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 25/26.

616

Adam bis Jesus sei für die Mystik „konkrete Hyposta-
sierung und bildhafte Verdeutlichung eines kontinuierlichen
seelischen Expressionismus" (S. 82), ist ein regelrechter
Beinbruch.

Tübingen. Heinrich B o r n k a m m.

Wendland, Pfarrer Walter: Das Erwachen religiösen Lebens
in Berlin im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Berlin-
Steglitz: Evang. Preßverband f. Dtschld. 1925. (32 S) gr. 8°.

Zu dieser Darstellung eines der wenigen Gegenstände der Brandenburgischen
Kirchengeschichte, die für die allgemeine deutsche
Kirchengeschichte bedeutsam sind, hat sieh der Verfasser den Quellenstoff
selbst in seinem Aufsatze „Studien zur Erweckungsbewegung
in Berlin 1810—1830" (Jahrbuch für Brandenburg. Kirchengesch.1024
S. 6—77) zusammengetragen. Dieser Aufsatz muß deshalb bei der
Beurteilung der Schrift mit herangezogen werden. Er stellt ganz vorwiegend
eine Sammlung biographischer Notizen über die im Berliner
kirchlichen Leben der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hervortretenden
Persönlichkeiten dar. Dabei werden die bekanntesten Männer
dieser kirchlichen Kreise in derselben Weise wie unbekanntere
und unbedeutende behandelt. Der V. exzerpiert seine biographischen
Angaben in den weitaus meisten Fällen aus vorhandenen Biographien.
In 2Fällen benutzter unveröffentlichte Tagebücher (Alexander v. d. Goltz
und Moritz August v. Bethmann-Hollweg). Für einige wenige
Männer werden die gegebenen Nachrichten aus Darstellungen zusammengetragen
, die nicht unmittelbar den Betreffenden zum Gegenstand
haben. Hieraus geht hervor, daß der eigentliche Zweck der
Lokalforschung, möglichst viel unbekanntes, spezielles Material herbeizuschaffen
, in diesem Falle nicht erfüllt ist. Von verschwindenden,
sachlich unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, erfahren wir nichts
Neues über das Leben der Berliner erweckten Kreise, und es ist
nicht verwunderlich, wenn die Abschnitte, die zusammenfassende
Urteile aussprechen wollen, keine neuen Erkenntnisse bringen.

Das muß insbesondere von der oben genannten, sich auf diesen
Aufsatz stützenden Schrift gesagt werden. Sie gibt sich mehr wie
jener Aufsatz als zusammenfassende Darstellung, ist aber in ihrem
Kern summ erendes Exzerpt aus ihm. — Zwar wird dem t. Jahrzehnte
des 19. Jh. eine eingehendere Darstellung gewidmet als in
dem Aufsatz des Jahrbuches. Da es sich hierbei aber um die Schilderung
der religiösen Charaktere eines Schleiermacher, Fichte, Achim v.
Arnim, Kleist u. ä. handelt, fällt der Ertrag der Arbeit naturgemäß
noch weniger original aus. Die Schilderung der eigentlichen pietistischen
Erweckungsbewegung dagegen ist z. T. wörtliche Wiedergabe
der in dem grundlegenden Aufsatze aufgeführten biographischen
Notizen in abgekürzter Form. Die Tatsache, daß von Quellennachweisen
im Einzelnen abgesehen wird, macht die Schrift für eine
kritische Benutzung unbrauchbar. Man muß sich an den Aufsatz
im Jahrbuch halten.

Übrigens dürfte es in einer historischen Arbeit nicht vorkommen,
daß fremde Zitate ohne besondere Kennzeichnung verwendet werden.
(Vgl. „D. E. d. rel. Leb." S. 5 und „Jhrb. f. br. K. G. 1924" S. 8;
„D. E. d. rel. Leb." S. 28 und „Jhrb. f. br. K. O. 1924" S. 76). Die
Korrektur der Schrift ist ungewöhnlich schlecht gelesen.

Berlin. Helmuth Kittel.

Meinecke, Friedrich: Das Zeitalter der deutschen Erhebung

(1795—1815). Mit 92 Abb., darunter 3 färb. Einschaltbildern u.
3 Beilagen. 3. Aufl. Bielefeld: Velhagen & Klasing 1924. (VI,
134 S.) 4°. = Monographien zur Weltgeschichte, 25. Rm. 7—,
M. gibt keine vollständige Geschichte jener großen Jahre. Die
Geschichte des Kriegs und der Diplomatie tritt zurück hinter der
Schilderung der Menschen, des Geistes, der Zustände. „Das alte
Preußen", „Das deutsche Geistesleben und der preußische Staat von
1806", „Die Reformer", „Die Reform", „Der Befreiungskampf";
das sind die hauptsächlichen Kapitel. M.'s ganzer Blick haftet gebannt
an dem ihm merkwürdigen Schauspiel, wie die besten Männer
aus Deutschlands Zeitalter geistiger Hochblüte und der Staat des
Soldatenkönigs und großen Friedrich sich in der Stunde der Not zuzusammenfinden
und im Hin und Her von Anziehung und Abstoßung
einen von deutschem Nationalgeist erfüllten preußischen Staat, der
sich und damit Deutschland die Freiheit erkämpft, schaffen. Das
Verhältnis des „Überfliegers" Geist zu dem geschichts- und
m wiTklichkeitsgebundenen Staate , noch dazu zu einem spröden
festgeformten Staate , in einer so nicht wieder vorkommenden
einzigartigen konkreten Verwirklichung studieren zu können, das ist
ihm das Anziehende an seinem Thema.

Es liegt viel Glanz über M.'s Darstellung. Was schriftstellerische
Kunst aus der so gestellten Betrachtung herausholen
konnte, ist herausgeholt. So wird auch der das Buch mit Freude
und Gewinn lesen, der die hinter dem Ganzen stehende Anschauung
von Staat und Geschichte nicht ganz zu teilen vermag. Die Auseinandersetzung
über diese selbst aber darf nicht gegenüber diesem
Buche, sondern muß gegenüber M.'s größeren Schriften geführt
werden.

Göttingen. E. H irsch.

Heimsoeth, Prof. Heinz: Fichte. Mit e. Bildnis Fichtes. München :
E. Reinhardt 1923. (223 S.) 8°. = Geschichte d. Philos. in Einzeldarstellungen
, Bd. 29. Rm. 3.50.

Das treffliche, auch für den Studenten erfreulich
erschwingliche Buch setzt mit einer kurzen Skizze von
Fichtes Lebens- und Bildungsgang ein und zeigt unter
Auswertung der neueren Funde und Veröffentlichungen
das Herauswachsen des spekulativen Triebes in Fichte
aus der religiös-theologischen Krisis, die besonders in
den „Aphorismen" von 1790 ihren Ausdruck gefunden
hat, weiterhin die Verselbständigung dieses Triebes und
die Entstehung der eigenen Systemansätze aus der Auseinandersetzung
mit Kant. Die politisch-reformatorischcni
Antriebe, so stark sie bei Fichte sich auswirken und so
grundlegend sie für sein Gesamtverständnis sind, stehen
in diesem systematischen Zusammenhang an zweiter
Stelle. Gegenüber den dogmatischen Formen des Gottes-
und Vorsehungsglaubens die Möglichkeit freien Mitwirkens
der Einzelgeister an dem Aufbau der „Geisterwelt
" durch das Medium der Erscheinungswelt zu
sichern, den Gegensatz von Fatalismus und indeter-
ministischern Atomismus durch einen die Freiheit einschließenden
Gottesgedanken zu überwinden, das war
bei dem jungen Fichte die konkrete Fassung seines
Ringens um eine Versöhnung der Standpunkte des „Glaubens
" und des „Wissens", der praktischen und der theoretischen
Vernunft. Die grundlegende Bedeutung der
„Kritik der Urteilskraft" für Fichtes kühnen Versuch
einer grundsätzlichen Überwindung jener Dualismen in
ihrer speziell kantischen Form wird von Heimsoeth genauer
als bisher festgelegt; die Eigenart von Fichtes
grundlegenden ethischen und logischen Gedanken, seine
weitgehende Abkehr vom abstrakten Rationalismus und
Atomismus des 18. Jahrhunderts ist mit Energie herausgearbeitet
. — Den Kern des Buches bildet das 2. Kapitel
, das eingehend die Grundgedanken der Wissenschaftsichre
in ihrer Jenaer Gestalt darlegt. Zum
erstenmal ist hier — nach den vorausgehenden Mitteilungen
von Hirsch und Berger — die Hallenser Hand-
1 schritt Y g 21 umfassend herangezogen und so eine ab-
j gerundete Darstellung der Jenaer W.-L. in ihrer vollen
] Reife (1796—98) erreicht, unabhängig von den sehwie-
i rigen Formulierungen der Darstellung von 1794—95,
; die von hier aus erleuchtet werden. Noch mehr als
die umfassende Heranziehung der Quellen ist jedoch
die kongeniale Fähigkeit hervorzuheben, mit der der
Verf. sich und den Leser in den lebendigen Quellpunkt
• der W.-L. versetzt und von da aus ihre Grundgedanken
entfaltet. Mit voller Wucht tritt die neue Wendung der
Fragestellung gegenüber der antiken Denküberlieferung
; hervor: wie ist Handeln auf Wirkliches möglich? Auf
das Gegenstands- und Erkenntnisproblem fällt von hier
; aus ganz neues Licht. Die ursprüngliche Einheit von
praktischer und theoretischer Vernunft (s. besonders
; S. 119 f.!), die (von Fichte mit größtem Nachdruck verfolgte
) Absicht einer Überwindung der Gegensätze von
' dogmatischem Realismus und Idealismus tritt klar her-
i vor. Als Fichtes großer Vorgänger nach der inhalt-
I liehen Seite seiner Weltansicht wird durchgehend Leibniz
i gewürdigt (nach Gemeinsamkeit und Unterschied); beim
! wiederholten Vergleich mit Plato (99 f. 103 f. 122.

198. 201) springt von selbst eine interessante Kritik an
i Husserls „Wesenschau" heraus; sie stellt die feinste
Form der alten, auf die Ideenwelt übertragenen Gegenstandslehre
dar. Mit Recht wird (240) der Standpunkt
der reinen Geltung als Formbedingung des Selbstvollzugs
des absoluten Handelns der Vernunft einer höheren
Betrachtung eingeordnet. Für die weiteren geschichtlichen
Zusammenhänge verweist Heimsoeth auf sein
an Durchblicken reiches Buch über die Themen der
abendländischen Metaphysik (1922). — Von hier aus
wird in kurzen Strichen die Sittenlehre, die Rechts- und
Staatslehre Fichtes in ihrer Eigenart gekennzeichnet,
und besonders von der Religionslehre aus der Weg zu
den weiterführenden Fragestellungen des späteren Fichte