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Ausgabe:

1926 Nr. 2

Spalte:

613-615

Autor/Hrsg.:

Maier, Hans

Titel/Untertitel:

Der mystische Spiritualismus Valentin Weigels 1926

Rezensent:

Bornkamm, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 25/26.

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beobachten, wie immer wieder solche Gegenwirkungen
einsetzen und wie auf einmal ein Prophet wie dieser
Peter aus Cheltschiz wieder aufersteht.

Zwickau i. S. O. Clcmen.

Borries, Emil v. t: Wimpfeling und Murner im Kampf um
die ältere Geschichte des Elsasses. Ein Beitrag zur Charakteristik
des deutschen Frühhumanismus. Heidelberg: C. Winters
Univ.-Buchh. 1926. (XI, 272 S.) 4°. = Schriften d. Wissenschaft!.
Instituts d. Elsaß-Lothringer im Reich. Rm. 16—.

Der Schwerpunkt dieses Bandes liegt in der Wiedergabe
von Wimpfelings Germania und Declaratio ad.
mitegandum adversarium und Murners Germania nova in
gut lesbarem Texte, mit deutscher Übersetzung und Anmerkungen
. Bei der Germania ist die von Joh. Mich.
Moscherosch 1649 veranstaltete Neuausgabe berücksichtigt
worden, da M. wahrscheinlich neben dem am
26. Dezember 1501 bei Joh. Prüß d. j. in Straßburg
herausgekommenen Erstdruck auch das Originalmanuskript
vor sich gehabt hat. Sicher lag das Manuskript
ihm vor für die deutsche Übersetzung, die Wimpfeling
durch einen oder mehrere seiner Schüler anfertigen
ließ, 1502 dem Straßburger Rat überreichte, aber nicht
drucken ließ; v. B. stellt sie dem lateinischen Text
gegenüber. Zu diesem hat er zahlreiche meist sachliche,
zu der Übersetzung zahlreiche meist sprachliche Anmerkungen
gegeben. Die Declaratio bietet er in lateinischem
Text nach dem 1. Hälfte Aug. 1502 bei Joh.
Grüninger in Straßburg erschienenen Originaldruck und
in eigener deutscher Übersetzung. Ebenso die Germania
nova nach dem Originaldruck und in deutscher Übersetzung
. Diese Streitschrift wurde gleich nach der
Drucklegung (gleichzeitig mit der Declaratio bei Matthias
Hupfuff in Straßburg) vom Rate konfisziert. Sechs
Exemplare waren schon verkauft. Zwei von diesen sind
erhalten: in der Kantonsbibliothek in Zürich und in der
Straßburger Universitäts- und Landesbibliothek. Ein
nach dem Züricher Exemplar hergestellter Facsimile-
druck ist beigegeben.

Eine ebenso durch Gründlichkeit und Genauigkeit
ausgezeichnete Einleitung geht voraus. Zuerst wird die
Entstehungsgeschichte der drei Schriften dargelegt. Ich
hebe hervor, daß Wimpfelings Germania erwachsen ist
aus einer Schrift, die nur den ersten Teil des heutigen
Werkchens enthielt und wahrscheinlich Respublica oder
De republica betitelt war. Durch sie wollte W. die Gründung
eines Gymnasiums anregen. Hierdurch zunächst
kam er mit Murner in Konflikt, der Sommer 1501 an
dem universitätsähnlichen Franziskanerstudiuni als bacc.
theol. zu lesen begonnen hatte und nun eine Konkurrenz
heraufziehen sah. Ferner werden die drei Schriften nach
Inhalt und Form eingehend behandelt. Endlich kommt
v. B. noch auf die „literarische Rache" zu sprechen, die
Freunde und Anhänger Wimpfelings an Murner nahmen
, die ,Defensio Germaniae' und die ,Versiculi Theo-
derici Gresemundi', auf die Abwehrschrift Murners ,Ha-
nestorum poematuin condigna laudatio', die gleichfalls
durch den Straßburger Rat unterdrückt wurde, und auf
die Fortdauer der Erörterung über die Zugehörigkeit des
linken Rheinufers. S. 53 bemerkt er, daß „die Frage
bis auf den heutigen Tag nicht zur Ruhe gekommen"
sei. Dieselbe vorsichtige Zurückhaltung beobachtet er
bei der Beurteilung der Beweisführung Wimpfelings und
der Gegenargumente Murners.

Zwickau i. S. O. Giemen.

Maier, I.ic. Hans: Der mystische Spiritualismus Valentin

Weigels. Gütersloh: C. Bertelsmann 1926. (111 S.) er. 8°.=
Beiträge z. Förderung christl. Theologie, Bd. 29, H. 4. Rm. 3—.

Wir haben alle Ursache, für diese von R. H. Grütz-
macher angeregte Erlanger Licentiatenarbeit, die eine
der wichtigsten Gestalten aus dem Spiritualismus des
16. Jahrhunderts sorgfältig darstellt, dankbar zu sein.
Es ist freilich bedauerlich, daß sich in der langen
Spanne zwischen Vorlegung und Druck der Arbeit
(1922—1926) keine Gelegenheit gefunden hat, Holls
Schwarmeraufsatz (Ges. Aufs. I: Luther. 1923 2. 3. S.)

und meine Skizze von Weigels spekulativem Grundgedanken
(Luther u. Böhme, 1925 S. 171 — 181) zu berücksichtigen
. Namentlich Holls Aufsatz hätte geholfen,
das etwas dürftige 1. Kapitel über Weigels Stellung im
Spiritualismus des 16. Jahrhunderts reicher und lebendiger
zu gestalten. Leider ist auch der wichtige Hinweis
auf die z. T. wörtlichen Berührungen mit Seb. Franck
ungenügend ausgewertet. Morie Encomion fol. 105 und
Nosce te ipsum I S. 68 f. ist die einzige, immer wieder
herangezogene Parallele (S. 201, 54 4, 55 D. Hier wäre
ein eingehenderer, zum mindesten sachlicher, Vergleich
erwünschter gewesen als anderes in diesem Kapitel, etwa
die mißglückte Ehrenrettung Weigels, die seine Unterzeichnung
der Konkordienformel als mystische mortifi-
catio carnis deuten will (S. 28.) Hingegen ist die zuverlässige
, ins einzelne gehende Darstellung Weigels in den Kapiteln
2—6 (Gott, Makro- und Mikrokosmos, Ursprung
und Wesen der Sünde, das innere Wort als Prinzip aller
Religion, das innere Wort als Thematik der Soteriologie,
die Eschatologie) mit Freude zu begrüßen. Ein besonders
glücklicher Griff ist es, von dem inneren Wort
als dem Kernbegriff in Weigels Gedankenwelt vorzudringen
und sogar die Erkenntnistheorie, deren Bedeutung
nur eine ausführlichere Darstellung unter schärferer
Hervorhebung des sensualistischen Einschlages erfordert
hätte, von hier aus zu deuten.

Ich weiß, soweit man bei dem augenblicklichen Stand unserer
Weigclkenntnis urteilen kann, nur Einzelheiten, die zu Ausstellungen
Anlaß geben. Namentlich hätte in der Frage der Entstehung de6
Bösen die neuplatonische Linie deutlicher erfaßt werden können
(S. 55 f.), während andererseits der ethische Einschlag doch wohl
nicht dem Mystiker Weigel, sondern dem lutherischen Theologen anzurechnen
ist (S. 42 f.). Irreführend ist S. 80 Anm. 1: Böhme
kennt, wie Sendbrief 12, 59 u. 9, 14 zeigen, Weigel selbst, steht aber
kritisch zu seiner Mariologie. Den Abschluß (Kap. 7) bildet eine
i kurze, gute Kritik und ein knapper Vergleich mit Kant, der so lchr-
I reich er ist, in dieser andeutenden Form doch zu keiner rechten geschichtlichen
Erkenntnis verhilft. Dagegen wäre für die Fäden zum
J deutschen Idealismus hin ein Hinweis auf Leibniz, der mit Weigels
Schriften genau vertraut war und ihn unter den ihm bekannten
Mystikern bei weitem am ineisten schätzte, erwünscht gewesen. (Vgl.
Diss. de arte combinatoria 1666 III, 12. Opp. philosophica ed. Joh.
Ed. Erdmann 1840 p. 30. Considerations sur la doctrine d'un esprit
universel 1702. ebenda p. 178. Ep. ad Hanschium 1707 ebenda, p.
446f. Theodizee I § 9 s. auch Herin. Schmalcnbach, Leibniz, München
1921. S. 181 ff.).

Leider ist aber gegen das Ganze noch ein schwer-
| wiegender Vorbehalt zu machen: die kritische Grundlage
i des Buches ist ungenügend. Mit der Heranziehung
I zweier Wolfenbütteler Handschriften, namentlich der
! wichtigen Predigtsammlung, die der Verf. mit Recht
j Weigel zuspricht, ist die Pflicht eines Weigel-Mono-
i graphen noch nicht erfüllt. Weitere Handschriftensuche
i wäre nötig gewesen. Vor allem aber besteht auch
! zwischen den gedruckten Traktaten z. T. so starke Hte-
| rarische Abhängigkeit (vgl. z. B. Güld. Griff c. 7ff. mit
| Nosce te ipsum I c. 10 f.), daß ohne eine kritische Vor-
i Untersuchung eine Gesamtdarstellung nicht hätte gewagt
i werden dürfen. Das Verdienst, zuerst darauf hingewiesen
i zu haben, hat Fritz Schiele mit einer kleinen, .leider
Bi uchstück gebliebenen Abhandlung, die hoffentlich bald
in der Zeitschrift für Kirchengeschichte erscheint. Es ist
freilich nicht anzunehmen, daß wesentliche Stücke von
; Weigels Gedankenwelt dadurch ein anderes Gesicht be-
! kommen werden. Aber zur Sauberkeit des Bildes im ein-
| zelnen hätte diese kritische Arbeit, so mühsam sie ist,
I wahrscheinlich erheblich beigetragen. Geht schon dieser
Einwand stärker ins Formale, so kann ich auch zur
äußeren Form des Buches eine Bemerkung nicht unterdrücken
. Der Verf. gefällt sich in einer Fremdwörterei,
wie ich sie gleich abscheulich nach meiner Erinnerung in
keinem anderen Buche der Nachkriegszeit gelesen habe.
Genuß und Verständnis der Abhandlung werden dadurch
stark beeinträchtigt. Der Verf. hat dieses Glatteis, wie
immer in solchen Fällen, auch nicht ungestraft betreten.
Auf das Verhältnis von Gott und Mensch den Begriff
„soziologisch" anzuwenden (S. 61), ist, milde ausgedrückt
, ungewöhnlich. Und der Satz, die Geschichte von