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Ausgabe:

1926 Nr. 22

Spalte:

545-547

Autor/Hrsg.:

Blondheim, S.

Titel/Untertitel:

Les parlers judéo-romans et la Vetus latina 1926

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 22.

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als geschichtlich zu gelten. Dabei ist freilich nicht gefragt
, wieweit die hellenistische Vorstellung vom Wundertäter
(Velo? av&Qio7co^) die Tradition beeinflußt haben
könnte, und eine formgeschichtliche Analyse der
Wundergeschichten unter dieser Fragestellung wird nicht
gegeben. Der Verf. stellt fest, daß Jesus, wenn er
Wundertäter war, auch als Geistträger gedacht werden
mußte, und fragt, ob auch Jesus selbst sich als Geistträger
gewußt habe. Dies wird bejaht auf Grund seiner
Aussagen über sein Gekommensein, deren Geschichtlichkeit
vor allem durch ihre paradoxe Form verbürgt zu
sein scheint. Jesus wußte sich als Gottgesandten, als
Verkündiger, nicht nur als Lehrer, also auch als Geistträger
. So zurückhaltend er sich darüber äußert, so
sind doch die Worte Mt. 12, 28 und 31 f. aus der Beelze-
bub-Perikope deutliche Zeugnisse. Zufolge der religionsgeschichtlichen
Analogien muß nach einer Berufung
Jesu gefragt werden: sie ist berichtet in der
Taufgeschichte. Wie aber schon Mt. 12, 28 verriet, so
zeigt dann Jesu Antwort auf die Täuferfrage, daß er sich
nicht nur als Geistträger im Sinne der Propheten gewußt
hat, sondern als den messianischen Gottesknecht,
als den Messias. Soweit gehen die geschichtlichen Untersuchungen
; aber der Verf. reflektiert nun weiter: hat
Jesus den Geist gehabt, so „wird dieser auch bei ihm in
derselben objektiven Weise gewirkt haben" wie bei
den andern Propheten der Religionsgeschichte, und der
Geist wird „nicht nur nach dem Gefühl, sondern auch
in Wirklichkeit eine objektive Größe gewesen sein"
(S. 214).

Wie merkwürdig und unklar hier der Geist als ein
innerhalb des menschlichen Seelenlebens vorfindliches
Etwas gedacht ist, zeigt K. 4. Hier wird gegenüber einer
üblichen Auffassung gezeigt, daß die „ethisch-religiöse
Sohnschaft Jesu" nicht das Bewußtsein der messianischen
Sendung begründen konnte, daß vielmehr „die
durch den Geist vermittelten Erlebnisse und Erfahrungen
derart gewesen sind, daß Jesus an seine messianische
Sendung notwendig glauben mußte (!)". Aber freilich
war die „ethisch-religiöse" Sohnschaft auch notwendig,
damit die Einheit der Person Jesu und seine „geistige
Nüchternheit" gewahrt bliebe. Denn es „würde ein
nur gewöhnliches Innenleben nicht das nötige Supplement
zum Geistbesitz gegeben haben, weshalb eine besondere
religiös-ethische Gottessohnschaft nötig war (!),
wenn eine Geistbegabung dieser Fülle und Kraft nicht
entweder erdrückend oder als Größenwahn wirken
sollte" (S. 225). „Der Geistbesitz wird also die Messiani-
tät Jesu begründet haben und setzt dabei die religiösethische
Sohnschaft voraus. Diese Begründung wird
durch direkte Zeugnisse des Geistes und durch die Tatsache
des Geistesbesitzes an und für sich geschehen sein.
Gleichwie indessen der Geist Jesus die Gewißheit des
Berufes gegeben hat, wird er ihm auch Aufschluß über
sein eigenes inneres Wesen gegeben haben" (S. 226); er
wird ihn nämlich belehrt haben, daß er auch Gottes
Sohn im metaphysischen Sinne sei, ein Bewußtsein,
daß der Verf. Jesus auf Grund von Mk. 13, 32 und Mt.
11, 27 zuschreibt. Der Verf. merkt gar nicht, in welch
grobem Materialismus er sich mit solchen Konstruktionen
bewegt, weil er sich nie die Frage gestellt hat,
wie sich die religionspsychologische Kategorie „Geist"
zu einem Begriff von Geist verhalte, nach dem mit
Geist eine Bestimmtheit des echten geschichtlichen Lebens
bezeichnet wird. Wenn sein Buch die abschreckende
Wirkung hat, daß wir endlich auf die geschmacklose
Frage nach Jesu Erlebnissen und seinem Selbstbewußtsein
verzichten lernen, so hat es immerhin einen guten
Dienst getan.

Marburg. R- Hui (mann.

BI o n d h e i m, Prof. D. S.: Les parlers judeo-romans et la
Vetus latina. Hude sur les rapports. Paris: E. Champion 1925.
(CXXXVIII, 247 S) 4°.

Von diesem Buch ist der zweite Teil ,Essai d'un
vocabulaire comparatif des parlers romans des Juifs au

moyen-äge' (S. 1 — 135) vorher in der Zeitschrift ,Ro-
mania' 1923 erschienen, und ebenda 1924 auch das
3. Kapitel der .Einführung' (pp. XCVIII—CXXXVIII).
sowie einige Zusätze und Verbesserungen zum ,Essai',
(jetzt .Appendice C S. 171—179). Appendice B .Echos
du judeo-hellenisme: etude sur l'influence de la Septante
et d'Aquila sur les versions neogrecques des Juifs' (S.
157—170) stand vorher in der .Revue des etudes juives'
1924. Das Übrige ist neu, also Kapp. I und II der ,Intro-
duetion' (pp. IX—XCVII), Appendice A: Les influences
arabes dans les versions bibliques judeo-romanes (S.
139—155) und die reichhaltigen Indices (S. 181—242).

! — Der alphabetisch angelegte ,Essai' zeigt, daß die
mittelalterlichen jüdischen Übersetzungen der Bibel ins
Französische, Provencalische, Spanische, Katalanische,
Portugiesische und Italienische im Gebrauch der Wörter

' nicht allein mit der Septuaginta, sondern in auffallender
Weise auch mit der nach der Sept. gefertigten alten
lateinischen Übersetzung, der sog. Itala oder Vetus latina,
und der lateinischen Kirchensprache übereinstimmen.
Sie enthalten auch eine Anzahl seltener Wörter oder

' solcher, die sich in nichtjüdischen Texten nicht finden.
Zur Erklärung dieser Erscheinung bestehen an sich drei
Möglichkeiten: 1) die Übereinstimmungen können veranlaßt
sein durch die mehr oder weniger gleichzeitige
Übersetzung der Sept. oder ihrer Revisionen ins Vulgärlateinische
; 2) sie entspringen christlichem Einfluß auf
die Juden, oder 3) jüdischem Einfluß auf die Christen.
Ja es können auch zwei dieser Möglichkeiten oder sogar
alle drei je einen Kern von Wahrheit enthalten. Die
Frage ist um so schwieriger, als unsere Kenntnisse vom

! heidnischen Vulgärlatein und vollends vom Judenlatein
sehr zu wünschen übrig lassen. Der Verf. erklärt außer-

j dem, daß er die theologische Literatur und namentlich

I die Kirchenväter fast nur aus zweiter Hand kenne. So
will er in der Hauptsache hier nur die Frage stellen und

I seinerseits das ihm Mögliche zur Aufhellung beitragen.

j Er glaubt aber doch, daß sie wahrscheinlich durch einen

I Einfluß des Judentums auf das Christentum zu lösen
sei: es lägen Anzeichen einer ununterbrochen jüdischen
Sprachüberlieferung vor, und die ersten christlichen Übersetzer
seien vielleicht bekehrte Juden oder Schüler jüdischer
Lehrer gewesen. Darum handelt er in der .Einführung
' von dem Verhältnis der abendländischen Juden und
Christen im Altertum zuerst in geschichtlicher und sozialer
Beziehung, wobei ihm v. Harnacks .Mission' wert-

j volle Dienste leistet, sodann hinsichtlich der Sprache und

j der Bibel. Hierauf verfolgt er das Werden und Wesen

I der Überlieferung, die zu der mittelalterlichen jüdischen
Bibelübersetzung führt, und legt die Erwägungen vor,
die ihm einen jüdischen Ursprung dieser Überlieferung

I nahe zu legen scheinen. Dann beleuchtet er das der
jüdischen Überlieferung und der Vetus latina gemeinsame
Gut an gewissen Einzelheiten. Die Gemeinsamkeit
zeigt sich ebenso in der ganzen Art und Weise der
Übersetzung, wie im Einfluß des Vulgärlateins. Juden
und Christen übersetzen möglichst Wort für Wort,
übersetzen dasselbe griechische Wort, auch bei verschiedenem
Sinne, immer gleich und übersetzen mit
möglichst ähnlich klingenden Wörtern. Das zeitigt
merkwürdige Erscheinungen und Neubildungen. Auch
in der Syntax macht sich diese Methode geltend. Der
Grund für diese übertriebene, sonst nicht übliche Wörtlichkeit
liegt in theologischer Gewissenhaftigkeit und
Ängstlichkeit. Die Einwirkung des Vulgärlateins aber
erklärt sich aus dem Einfluß der sozialen Umwelt. Die
jüdische Überlieferung besitzt aber auch ein Sondergut,
das sich in der Vetus latina, nicht findet und aus der
griechischen Übersetzung Aquilas oder aus dem Vulgärlatein
oder aus jüdisch-arabischen Übersetzungen stammt.
Außerbiblische Anzeichen, wie gewisse Titel und Rechts-
ausdriieke und gewisse Personennamen, weisen ebenfalls
auf alte jüdische Sprachüberlicferung hin, wie auch die
Wiedergabe romanischer Sprachen in hebräischen Schriftzeichen
lehrreich ist. So fördert diese Untersuchung die
Geschichte des lateinischen Christentums, die romanische