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Ausgabe:

1926 Nr. 21

Spalte:

520-522

Autor/Hrsg.:

Grabmann, Martin

Titel/Untertitel:

Die Kulturphilosophie des hl. Thomas von Aquin 1926

Rezensent:

Betzendörfer, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 21.

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außer Frage gestellt sei. Ich habe in meiner Abhandlung
aus unzweifelhaft katholischen Schriften Tertullians
Stellen und auch bezüglich de paen. Gründe genug angeführt
, die für das Gegenteil sprechen. Daß de monog.
vor de pud. geschrieben ist, nimmt auch D. an, er merkt
aber nicht, daß demnach die Kirche zur Zeit von de
monog. nur die zweite Ehe nachgesehen, aber noch
nicht Fleischessünden nachgelassen haben kann. Und
wenn die Wiederaufnahme seit Hermas schon in Übung
war, warum die Aufregung bei Hippolyt ebenso wie bei
Tertullian? Was das Verhältnis dieser beiden zu einander
betrifft, so ist merkwürdig, welch genaue Übereinstimmung
man bei zwei so leidenschaftlichen Streithähnen
verlangt, um die Einheit der umstrittenen Person
anzunehmen. Niemand behauptet, daß es sich bei
den Vorwürfen Hippolyts um nichts anderes gehandelt
habe, als um die von Tertullian bekämpfte Maßnahme
(S. 176). Man sagt nur, daß diese Maßnahme auch in
jenen Vorwürfen enthalten sei. Das ovyywQelv in dem
bekannten Satze (Philos. IX, 12) dürfe, meint D., nicht
mit nachlassen' übersetzt werden, sondern mit ,dar
libero sfogo' (S. 1741). aber es geht doch gleich weiter
mit teytav jcäoiv vjc avtov dfpiea^-ai aptaftriag.
Auch D. bemerkt, daß Hippolyt die Forderung einer
Bußleistung, die doch sicher auch Kallist gestellt habe,
unterschlage (S. 175 2). Kann er aber nicht ebensogut
den Gnadenerlaß Kallists verallgemeinert haben? Und
mußte Tertullian das Vorleben Kallists ebenso gut
kennen und ebenso durchhecheln wie Hippolyt (S.
179)? Mußte er ihn gar neben Elagabal stellen (S.
180 f.)? Hat denn Hippolyt das getan? Tertullian
spreche sogar von einer ,moderatio libidinum' bei den
Heiden, behauptet D., was nicht in die Zeit Elagabals
passe. In Wirklichkeit sagt Tertullian (de pud. 1, 3), es
sei soweit gekommen, daß schon eine ,moderatio libidinum
' als ,pudicitia' gelte. Das ist denn doch etwas
anderes. Und Elagabal war so verkommen, daß er
auch seinen Zeitgenossen auffiel, so wie Alexander VI.
den an manches gewöhnten Menschen seiner Zeit auffiel.
Gewiß erwähnt Hippolyt nichts vom Rechte der Märtyrer
und Bekenner (S. 179:i), aber offenbar deshalb,
weil er dieses Recht nicht ebenso bestreitet, wie Tertullian
. Dieses Recht bedeutet aber nicht eine regelmäßige
Lossprechung, wie die umstrittene Lossprechung
durch den Bischof. Warum das ,pontifex maximus,
quod est episcopus episcoporum' nur sarkastisch sein
könne, wenn man es auf einen nichtrömischen Bischof
beziehe (S. 182 f.), ist schlechterdings nicht einzusehen.
Hierin steckt doch etwas ,Anachronistisches', was D.
sonst zu vermeiden sucht. Jene Wendung mag eine
Erinnerung an Lev. 21, 10 sein (S. 1822), aber deutlich
ist sie eine Steigerung von ,summus sacerdos
qui est episcopus' in de bapt. 17. Daß Tertullian nur
einen nahen Gegner bekämpft haben könne (S. 186),
wird man angesichts der Art und Weise, wie er in
adv. Marc, diesen toten Gegner anredet, wirklich nicht
sagen können. Die Kundgebung Agrippins setzt D. in
die Jahre 215/16 (S. 193 3). Wäre aber eine Zeit, da 1
,Caracalla Kaiser war und die christenfeindliche Wirkung
des Ediktes des Septimius Severus dank den
wachsamen Augen der Julia Domna noch nachlebte,
auch die am Schlüsse von de pud. angedeutete Verfolgung
stattgefunden haben kann' (ebenda), einem Bischof gerade
geeignet erschienen, die Fleischessünder milder zu
behandeln? Es ist ferner ein Irrtum, wenn D. meint,
daß auch in und nach der decischen Verfolgung Karthago
mit der Nachgiebigkeit gegen die lapsi vorangegangen
sei (S* 195). Die Briefe 8 (c. 3) und 15—20 der
cyprianischen Sammlung besagen genau das Gegenteil,
wie ja Cyprian auch die Wiederaufnahme auf dem Todbette
zunächst von einem Martyrerbrief abhängig machte,
während in Rom diese Bedingung nicht gestellt wurde
(vgl. meine ,Cvprianische Untersuchungen' 1926, S.
236ff. 242ff. 263f.). Alles in allem: die Zuweisung
des ,Edikts' an Kallist erscheint mir nach wie vor als

die beste Lösung der vielverhandelten Frage. Daß aber
die Ausführungen in de pud. 21, 9 f. mit einem Primat
des römischen Bischofs etwas zu tun hätten, erklärt auch
D. für ,absolut ausgeschlossen' (S. 184).

München. Hugo Koch.

Grabmann, Martin: Die Kulturphilosophie des hl. Thomas
von Aquin. Augsburg: B. Filser 1925. (217 S. m. e. Bildnis).
8°. Rm. 4.50; geb. 6—.

Der um die Geistesgeschichte des Mittelalters hochverdiente
Forscher gibt hier ein Gesamtbild von der
Stellung des Aquinaten zu den großen Kulturwerten des
Heiligen, Sittlichen, Wahren und Schönen.

Beginnend mit einem Hinweis auf die thom. Bewegung
der Gegenwart erwähnt G. im 1. Kapitel die
wertvollsten Früchte des Thomasjubiläums und schildert
den Bildungsgang des Thomas v. Aq. und seine
Beziehungen zur Kultur des 13. Jahrhunderts.

Im 2. Kapitel werden die metaphysischen, psychologischen
und ethischen Grundlagen der thomist. Kulturphilosophie
dargestellt. — In metaphysischer
Hinsicht übernahm Thomas von Aristoteles die
Seinsmetaphysik. Während bei einem Philosophen
wie H. Ricke rt die Welt des Seins auf die
des Sollens gegründet ist, gründet Thomas die Werte auf
das Sein, dieselben werden metaphysisch fundiert (S. 30).

Das wiss. Erkennen ist nach Thomas auf das
Sein eingestellt, nicht auf die Erscheinung. Auch das
Gute wird auf das Sein gegründet. Bezieht sich der
Intellekt auf das Sein unter dem Gesichtspunkt des
Wahren, so bezieht sich der Wille auf das Sein unter
dem Gesichtspunkt des Guten.

Sowohl das Wahre als das Gute führt Th. letztlich
auf Gott, die erste Wahrheit und das höchste Gut,
zurück. Die Übereinstimmung von Denken und Sein
in unserer Erkenntnis der Wahrheit ist zuhöchst in Gott
begründet, in dem Denken und Sein identisch sind (S. 37).
Er ist auch die Grundlage der ethischen Werte, denn er
allein kann unser Verlangen nach Glückseligkeit stillen,
er allein ist der tiefste Grund des absolut verpflichtenden
Sittengesetzes (S. 39).

Die psychologische Grundlage der thom.
Kulturphilosophie ist die arist. Psychologie. Th. übernahm
den aristotel. Seelenbegriff (Seele =Entelechie des
belebten Körpers). Demgemäß betont er stets die innige
Verbindung von Seele und Leib zu einem Sein (S. 46).
Seine Erkenntnislehre ist eine durchaus einheitliche (im
Unterschied zu derjenigen Bonaventuras); der Satz:
„Omnis cognitio ineipit a sensu" gilt „bis hinauf zu den
Höhen der Gotteserkenntnis" (S. 49). Gr. weist mit
Recht darauf hin, wie sich aus diesem arist. Seelenbegriff
eo ipso eine , höhere Bewertung des Leiblichen ergab, und
wie Th. darauf Recht und Pflicht der Diesseitskultur
gründete (S. 52), ohne deswegen die Hinordnung
des irdischen Lebens auf des Ewige zu vernachlässigen
, denn die menschliche Seele ist für Th. einerseits
die Wesensform des belebten Körpers, andererseits
aber auch eine subsistente Form, die den Leib überdauert
(S. 53).

Auch in der Ethik und Politik ist Th. Aristo-
teliker; er benützt die aristotelischen Formen und füllt
sie mit christlichem Gehalt (S. 65).

Am Schluß dieses Kap. skizziert Gr. die Lehre
des Aquinaten vom Verhältnis zwischen Natur und
Übernatur. So scharf Th. zwischen beiden trennt,
so setzt er sie doch nicht in Gegensatz zueinander; die
Gnade hebt die Natur nicht auf, sondern erhebt und vervollkommnet
sie.

Das 3. Kapitel handelt von den religiös-ethischen
Kulturwerten. G. geht in seiner Darstellung aus
von einer Stelle des III. Buchs der Summa contra Gen-
tiles, die sich im Autograph des Werkes (Vat. Bibl.)
findet, nicht aber in dessen uns bekannten Abschriften
und demgemäß auch nicht in den meisten Druckausgaben
. An dieser Stelle ist das religiös-ethische Kultur-