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Ausgabe:

1926 Nr. 1

Spalte:

494-498

Autor/Hrsg.:

Buonaiuti, Ernesto

Titel/Untertitel:

Ricerche Religiose. Vol. I, 4 - 6 1926

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 19/20.

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einen Stellenindex seiner Arbeit beizufügen. Auch seine
Auffassung des Paulus wie der Stoa halte ich im
wesentlichen für zutreffend.

Wollte ich in eine Kritik eintreten, so müßte ich
die Themastellung als solche beanstanden. Mir scheint,
es werden da zwei Größen verglichen, die sich im
Grunde nicht vergleichen lassen. Daß die paulinische
Frömmigkeit als Frömmigkeit eines zum Christentum
übergetretenen Juden, der durch Jesus fest an die
Geschichte gebunden ist, der ganz bestimmte, für den
Aufbau seiner Religion schlechthin fundamentale, von
niemand sonst geteilte Erlebnisse gehabt hat und in
dauernder eschatologischer Spannung lebt, nicht in irgendwie
erheblichem Maße die eines heidnischen Zeitgenossen
sein kann, liegt einfach in den Verhältnissen
begründet. Daß Paulus Apostel Christi, nicht aber
stoischer Wanderprediger, der er ja in Tarsus auch hätte
werden können, gewesen ist, beweist genug. Alles was
sich vergleichen läßt, muß notgedrungen an der Peripherie
liegen, den Ausdruck, die Form betreffen, ohne
den Inhalt erheblich anzugehen. Da bei Paulus, wie in
der Stoa eins am anderen hängt, ist es untunlich, einzelne
Vorstellungen herauszugreifen und in Beziehung zu einander
zu setzen. Dabei wird stets wenig herauskommen.
Derartige Vergleichungen müssen in viel weiterem Zusammenhang
behandelt werden. Paulus berührt sich mit
seiner den „Völkern" zugewandten Seite weit weniger
mit einzelnen Richtungen, wie der Stoa, als mit der
Zeiterscheinung, die man den Synkretismus nennt. Dann
jedoch müssen zunächst einmal die Beziehungen der
Stoa wie des (hellenistischen) Judentums zum Synkretismus
im Einzelnen festgestellt werden, bevor Paulus
mit der Stoa in irgend welchen Vergleich treten kann.
Aber freilich, die hier nötige Arbeit ist kaum erst begonnen
.

Göttingen. W. Bau e r.

Ninck, Johannes: Jesus als Charakter. Untersuchung. 3., verb.

Aufl. Leipzig: J. C. Hinrichs 1925. (VIII, 315 S.) gr. 8°.

Rra. 7—; geb. 8.5(1.

Daß an diesem allgemeinverständlich geschriebenen
Buche in steter Fühlung mit der wissenschaftlichen Psychologie
und Theologie weitergearbeitet worden ist, lehrt
schon ein Blick in das nicht unbeträchtlich erweiterte
Literaturverzeichnis, in dem man allerdings dies und
jenes noch vermißt, ich nenne die mit anderer Methode
ähnliche Zwecke verfolgenden Arbeiten von Otto Bordiert
, ferner J. Leipoldt, Vom Jesusbilde der Gegenwart
, A. Schlatter, Die Geschichte des Christus, H.
Dalman, Jesus-Jeschua, A. Frövig, Das Sendungsbe-
wußtsein Jesu und der Geist. Auch im Text spürt man
öfter die bessernde Hand. Entbehrliches ist gestrichen,
anderes umgeformt. Im ganzen aber ist das Buch dasselbe
geblieben.

Die leisen Bedenken des Verf. gegen den Aufbau
der Darstellung wiegen nicht schwer. Der Weg vom
Einzelnen zum Ganzen ist doch wohl der gewiesene, und
die auf den ersten Blick überraschende Dreiteilung
Wille, Glaube, Liebe überzeugt den Leser mehr und
mehr. Viel tiefer greift die Frage, ob das Unternehmen
als Ganzes sich als ausführbar erweist. Rudolf Bultmann
hat vor kurzem Sätze geschrieben, die die eigenartige
Wendung in der neuesten Theologie so scharf
beleuchten, daß ich sie ungekürzt hierher setze:

„Für die romantische Exegese, die nach Gestalt und Persönlichkeit
fragt, mag wieder B.s Erklärung von 1. Joh. dienen; er interpretiert
1,1—4 so, daß er die geschichtliche Realität des Erlösers
(unter der er offenbar nur die zeitgeschichtliche Bestimmbarkeit verstehen
kann) auf den „Charakter" Jesu reduziert; aber das ist ja
nur ein verschwindender Fall unter all den Versuchen, Jesus als Persönlichkeit
zu sehen. Man fragt dabei doch jedenfalls nach etwas,
was für den existentiellen Menschen im allgemeinen glcichgiltig ist
(wenigstens für die Personen des Neuen Testaments); er ist nämlich
nicht an seiner Persönlichkeit interessiert, sondern an der Sorge um
seine Existenz, bzw. an der Frage um die Wahrheit seines Sorgens.
Die Erinnerung, daß auch Sokrates und Caesar, Hildebrand und

Dante, Goethe und Napoleon Gestalten, Charaktere oder Persönlichkeiten
sind, sollte darauf aufmerksam machen, daß hier jedenfalls
nicht nach dem gefragt wird, was im Neuen Testament gemeint
ist. In der Tat erhebt sich ja die Frage nach Gestalt und Persönlichkeit
aus der gleichen Distanz, von dem gleichen Zuschauerstandpunkt
aus wie die Fragen der idealistischen oder psychologischen
Exegese; der Mensch ist hier von außen, als Kunstwerk, gesehen,
und seine Existenz ist nicht erfaßt als in den konkreten Momenten
des Hier und Jetzt auf dem Spiele stehend, als der Zeitlichkeit mit
ihren Entscheidimgsmomenten ausgeliefert."

Wird die Fragestellung „Jesus als Charakter" ihrem
Gegenstand wirklich voll gerecht? Kann sie es über-
; haupt? Es versteht sich von selbst, daß wir Jesus zu-
; nächst als geschichtliche Persönlichkeit zu verstehen
suchen müssen, und dabei soll kein Hilfsmittel, das die
i moderne Geschichtswissenschaft, Psychologie und
Rassenforschung uns bietet, von vornherein ausgeschlossen
bleiben. Aber ob die Person Jesu sich den
Methoden allgemein menschlicher Charakterforschung
im letzten und höchsten wirklich fügt, das ist eine andere
Frage. Friedrich Loofs hat sie bekanntlich verneint.
Das volle Empfinden für diese Schranke habe ich in
Nincks sonst so sympathischem Buche nicht überall gefunden
. Verf. schreibt mit Recht: „Die moderne Bewunderung
Jesu als eines Helden, dieser bloße Genieoder
Heroenkult, ist etwas von Religion und Glauben
Grundverschiedenes, der Absicht Jesu Fremdes. Die
Evangelien sind keine Lobreden auf ihn. Aus dem Glauben
an ihn geboren, wollen sie Glauben an ihn erzeugen
" (S. 185). Ob seine eigene Darstellung sich
dessen immer bewußt geblieben ist? Ist es wirklich so,
daß die Forderung des Glaubens bei Jesus und bei dem
FJirtenmädchen von Orleans ganz den gleichen Sinn
hat? Oder sind solche Sätze etwa ein Versuch, um
jeden Preis psychologisches, rein immanentes Verständnis
zu erzwingen? Ist Jesu Selbstbewußtsein wirklich
mit Schuldbewußtsein vereinbar? Oder stehen hier etwa
gegen „menschliche Grübeleien" (S. 193) — psychologische
Grübeleien? Hat Jesus wirklich die Bedeutung
seiner Jünger wesentlich darin gesehen, daß sie „Persönlichkeiten
" sind, die „seine Gesinnung weitertragen"
(S. 288)? Oder redet hier die Jesusverehrung des
20. Jahrhunderts? Über das Neue bei Jesus findet Verf.
schöne Worte (S. 279), aber das Herzstück scheint zu
fehlen. Es berührt seltsam, wenn Verf. sich im Gegensatz
zu einer die Vorbildlichkeit gefährdenden Idealisierung
Jesu ausgerechnet auf Paulus, den Hebräer- und
1. Petrusbrief beruft, lauter Vertreter einer reich entwickelten
Christologie. Sollte das apostolische Vorbild
nicht vielmehr in die Richtung der Vereinigung von
„Idealität" und Vorbildlichkeit weisen?

Diese Bemerkungen erschienen mir notwendig, sie
möchten aber niemand die Freude an dem schönen Buch
verderben. Hat man sich die durch die Fragestellung
gezogenen Schranken nachdrücklich klar gemacht, so
kann es treffliche Dienste leisten. Manche Ausführungen
gehören wohl zum feinsten, was über den irdischen
Jesus geschrieben worden ist. An dem eindringenden
Verständnis, mit dem einerseits die kraftvollen, andererseits
die zarten Züge der Persönlichkeit Jesu herausgearbeitet
werden, kann man seine helle Freude haben.
Ein Schüler, dem ich das Buch auf die Fahrt in das
Land seiner Lebensarbeit mitgab, schrieb mir vom
Roten Meer, daß es ihm eine wertvolle Lektüre gewesen
sei.

Leipzig. Albrecht Oepke.

Ricerche religiöse dirette da Ernesto Buonaiuti. Vol. 1 Nr. 4—6,
Rom (37) [Via Giulio Alberoni, 7]: E. Buonaiuti 1925. (S. 305
bis 596) gr. 8°.

Die Hefte 1—3 dieser neuen Ztschr. habe ich in
dieser Ztg. 1925, Sp. 126ff. angezeigt. Inzwischen
sind die drei weiteren Hefte des I. Bandes nachgeliefert
worden. In Nr. 4 bringt Giorgio La Piana seine im
3. Heft begonnene Abhandlung über ,die älteste
Christengemeinde in Rom nach dem Römerbrief' zu