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Ausgabe:

1926 Nr. 1

Spalte:

490

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Hans

Titel/Untertitel:

Der Mythos vom wiederkehrenden König im Alten Testament 1926

Rezensent:

Steuernagel, Carl

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489

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 19/20.

490

(S. 76). „Als Tofemtiere treffen wir fast ausnahmslos Tiere an, die
in dem Wohn- und Jagdgebiet des Stammes vorkommen, sodaß also
die Listen der Totemtierc der einzelnen Stämme die Tiergeographie des
von dem Stamm bewohnten Landstrichs widerspiegeln" (S. 77). Weiterhin
über das Verhältnis von Mensch und Totem ist festzustellen:
„Der Australier hat seinem Totem gegenüber nirgends eine religiöse
Einstellung in dem Sinn, daß er das Totem als etwas außerhalb
seiner Lebensphäre über ihm Stehendes ansähe, als etwas ihm Überlegenes
, das sein Leben aktiv dauernd beeinflußte, dessen Gunst er
etwa durch Anrufung oder Gebet gewinnen könnte. Vielmehr gehört
das Totem als etwas ausgesprochen Diesseitiges durchaus zur natürlichen
und profanen Lebensphärc des Menschen und zu seiner Gesellschaft
. Auch in der magischen Beeinflussung des Totems durch
Vermehrungsriten und dergleichen rührt nur die Methode, nicht das
Objekt an das Transzendentale." „Die Einbeziehung des Totems in die
Lebenssphäre des Menschen offenbart sich am deutlichsten in der
Identifizierung von Mensch und Totem, die sich sowohl als fast
völlige Gleichsetzung, als auch in Form einer eigenartigen Verkoppe-
lung beider Organismen äußern kann, und weiter in dem Glauben an
Blutsverwandtschaft bezw. gemeinsame Abstammung" (S. 82). „Die
auf dem Glauben an Identität, Verwandtschaft oder Freundschaft beruhende
enge Verbindung zwischen Mensch und Totem tritt am deutlichsten
in Erscheinung in der Verpflichtung beider Kontrahenten zu
gewissen gegenseitigen Leistungen. Die Leistungen, die der Mensch
von seinem Totem erwartet, sind in Australien dreifacher Art: 1) das
Totem gilt als Helfer und Schützer des Menschen; 2) das Totem
warnt den Menschen vor ihm drohenden Gefahren; 3) das Totem
tritt gelegentlich als Bote auf . . . Es ist auffallend, daß unter den
Leistungen, zu denen der Mensch sich dem Totem gegenüber für verpflichtet
hält, der Schutz des Totems gegen Angriffe von Totcm-
fremdem außerhalb des Geschlechtstotemismus so selten ist. Besonders
bei den Zentralstämmen spielt" dafür „die Verpflichtung des Menschen
, für das Wachstum und die Vermehrung seines Totems zu sorgen,
eine große Rolle . . . Für diese Vermehrungsriten haben Spencer und
Oillen das Arandawort intichiuma in die Literatur eingeführt; zu Unrecht
, da der Aranda hierunter rein lehrhafte Darstellungen der
Totemlcgende versteht, während er die Zeremonien mit magischen
Zwecken als mbatjalkatiuma bezeichnet" (S. 84 f.). Endlich gehört zu
den Pflichten des Menschen gegenüber seinem Totem „die Anerkennung
und Respektierung einer gewissen Zahl von Tabuvorschriften,
die sich in erster Linie auf das Töten und Essen der Totemtiere sowie
die Nutzung der Totempflanzen beziehen" (S. 87). „Dje Verbote, das
Totem zu töten und zu essen, sind sehr verschieden kombiniert und
abgestuft" (S. 88); „eine weitere Einschränkung des Tabu ist durch
das zeremonielle Essen des Totem gegeben: nach oder in unmittelbarer
Verbindung mit dem Vermehrungsritus ißt der Totemhäuptling vor der
Freigabe des Totems an die Totemfremden einige Bissen von der sonst
ihm und seinen Totemgenossen verbotenen Nahrung" (S. 89).

Es würde zu weit führen, wenn ich auch über V.s Untersuchungen
über Individual- und Geschlechtstotemismus sowie Subtotems
bei den Australiern referieren wollte, und erst recht kann hier von
seiner Erörterung der Soziologie des Totemismus abgesehen werden.
Auch aus dem Kapitel über die Sonderstellung des zentralaustralischen
Totemismus hebe ich nur hervor, daß nach V. „ein geschlossener
Reinkarnationskrcislauf zwischen Totemahn und Mensch bez. ratapa
(in der Urzeit von ihm emanierter Kinderkeim) und Mensch für die
Gesamtheit der Zentralstämme nicht nachweisbar ist" (S. 131). Endlich
die kulturgeschichtliche Stellung des Totemismus in Australien
oder der Aufbau der australischen Kulturen ist nach V.s Forschungen
so zu denken, daß sich die Tlicorie von Graebner und Schmidt im
großen und ganzen als richtig erweist — wie sie lautet, kann ja
wohl als bekannt vorausgesetzt werden.

Bonn. Carl Clemen.

V o 1 z , Prof. D. Paul: Die biblischen Altertümer. Mit 97 Textabb.
u. 32 Taf. 2. Aufl. Mit Nachträgen. Stuttgart: Calwer Vereins-
buchh. 1925. (VIII, 566 S.) gr. 8°. Rm. 9—; geb. 12—.

Wenn eine umfangreiche hebräische Archäologie
innerhalb eines Jahrzehnts voll wirtschaftlicher und anderer
Not (1914—24) vergrbffen ist, so muß die Art
der Darstellung einem Bedürfnis entgegenkommen. Die
Eigenart der „biblischen Altertümer" besteht darin, daß
Volz versucht, bei aller wissenschaftlichen üründlichkeit
über den Kreis der Fachgenossen hinaus der Gemeinde
zu dienen und deshalb den biblischen Stoff möglichst
schlicht und anschaulich darzustellen unter Verzicht auf
ausführliche Diskussion der gelehrten Einzelprobleme.
Dieser Versuch ist gelungen, wie der Erfolg zeigt. Daß
üie 2. Auflage nur ein Neudruck der ersten ist und
lediglich am Schluß (S. 557—566) Berichtigungen und
Nachträge zur 1. Auflage gibt, hat zunächst äußere

Gründe: nur so konnte der Verlag bei der Not der Zeit
die gleich gute Ausstattung der neuen Auflage garantieren
. Aber auch prinzipiell ist Volz im Recht, wenn er
gegenüber den Vorschlägen, seine Methode zu ändern,
Zurückhaltung übt (S. 558f.); speziell auf das Maß
stärkerer oder geringerer Heranziehung der literar-
kritischen Ergebnisse kommt bei dem Zweck, den gerade
diese Archäologie verfolgt, nicht so sehr viel an. So
wird das Buch auch in seiner neuen Auflage neben den
Werken ähnlichen Inhalts sich seinen Platz wahren. —
Die auf S. 557 Sp. 1 für S. 239 Z. 19 gegebene Berichtigung
ist unklar.

Tübingen. W. Rudolph.

Schmidt, Prof. D. Hans: Der Mythos vom wiederkehrenden
König im Alten Testament. Festrede, geh. am 17. Januar 1925
zur Feier des Tages der Reichsgründung. Gießen: A. Töpelmann
1925. (36 S.) gr. 8°. «= Schriften d. Hess. Hochschulen, Univ.
Gießen, Jg. 1925, Heft 1. Rm. 1.50.

Unter Hinweis auf die Erwartung der Wiederkehr
eines Herrschers, die an die Gestalten Barbarossas,
Friedrichs IL, Karls des Großen, Neros, Alexanders des
Großen angeknüpft ist, behandelt der Verf., wesentlich
im Anschluß an Greßmann, die israelitische
Messiaserwartung als eine Ausprägung einer weitverbreiteten
mythologischen Idee, der Idee der Wiederkehr
des halbgöttliehen Paradieskönigs oder des Urmenschen
in der Endzeit, die dann freilich auch in die Form der
Erwartung der Wiederkehr des historischen Königs David
umgesetzt und zur Erwartung des Auftretens eines
idealen Davididen abgeschwächt worden ist. Die Begründung
, die der Vortrag selbst nicht geben konnte,
suchen zahlreiche Anmerkungen (S. 22—36) nachzubringen
, für einen wichtigen Hauptpunkt freilich, nämlich
die Frage, wie der Urzeitmytnos entstanden sein
und seine Wendung in das Eschatologische erklärt werden
soll, absichtlich nur andeutend.

Man kann dem Verf. für die übersichtliche Darlegung
und die Zusammentragung des reichen Materials
in Text und Anmerkungen nur dankbar sein. Die
geschickte Art seiner Darstellung verleiht auch seiner
These bis zu einem gewissen Grade etwas Anziehendes
und Über redendes. Über zeugend aber scheinen
mir seine Darlegungen doch nicht zu sein. Gerade die
Stellen, auf die er sich vor allem stützt, sind exegetisch
zu sehr umstritten, um auch den Skeptiker überzeugende
Stützen sein zu können (Gen. 49, 10; Jes. 7, 14f.; 8, 8;
9,5 f. [abi 'ad = Vater einer neuen Weltzeit]). Der angebliche
Urzeitmythos ist in dieser Form und Ausführung
eine doch stark hypothetische Größe, die These
seiner Umsetzung in das Eschatologische eine Behauptung
, für die jeder sonstige Beleg fehlt. Die Durchführung
der These führt zu allerlei exegetischen Künsteleien
oder unberechtigten Ablehnungen anderer, durchaus
berechtigter Auslegungen (z. B. 'immänü-el heiße
nicht: Gott war mit uns = für uns, sondern: ein Gott ist
unter uns; vgl. dagegen nur etwa Jud. 6, 16). Vor allem
aber scheint mir, daß man bei religions ge s c h i c h t-
liehen Untersuchungen jetzt vielfach doch gar zu
sehr geneigt ist, in vollkommen ungeschichtlicher
Weise Stoffe der verschiedensten Zeiten und
Gebiete wie eine vollkommen einheitliche Masse zu
betrachten und Konstruktionen daraus abzuleiten, die das
Einzelne in eine ganz falsche Beleuchtung zu rücken
geeignet sind, und das scheint mir auch von der vorliegenden
Arbeit zu gelten. Ich würde es vorziehen, im
einzelnen in so und soviel Fällen unser Nichtwissen und
Nichterklärenkönnen einzugestehen, als Theorien aufzustellen
, die gerade die dunklen Partien scheinbar aufklären
, dabei aber Klares und Einfaches in gewaltsamer
Weise verrenken.

Breslau. c. Steuernagel.