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Ausgabe:

1926 Nr. 1

Spalte:

488-489

Autor/Hrsg.:

Vatter, Ernst

Titel/Untertitel:

Der australische Totemismus 1926

Rezensent:

Clemen, Carl

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 19/20.

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rührt, weil er hier nicht berührt zu werden brauchte:
etwaige Übereinstimmung zwischen Islam und Nesto-
rianertum ist eben peripher. Immerhin wer letzteres
verstände, würde auch ersteren und seine alte Askese
und seine spätere Mystik besser erfassen. Darum danken
wir dem Verfasser, daß er eindringlich auf das orientalische
Christentum hinwies. Dessen Literatur ist ihm
gut vertraut; es ist wohl nur ein sprachliches Versehen
des das Deutsche sonst vorzüglich beherrschenden
schwedischen Gelehrten, daß er zitiert: „die von Geert
herausgegebene Nestorianische Chronik" (7, 11 Anm. 2).
Gemeint ist die anonyme Nestorianische Chronik aus
der Mitte des 11. Jahrhunderts, die vom chaldäischen
(mit Rom linierten) Erzbischof Addai Scher in seiner
Residenz Seert in Kurdistan und auf der Bibliothek des
chaldäischen Patriarchen zu Mossul gefunden und mit
der Unterstützung von Dib, Nau u. a. in Patrologia
Orientalis IV, V, VII u. XIII arabisch und französisch
herausgegeben wurde.

Hart ist die Geschichte mit den Nestorianern verfahren
von den Verfolgungen durch die Sassaniden her
bis zum Weltkrieg und seinen Nachzuckungen, da sie
als politisch-militärischer Faktor eingesetzt stark für
Fremde geblutet haben. Auch das christliche Interesse
war oft weniger Hilfe, sondern brachte, um die nestorianische
Härresie zu beheben, innernestorianische Schismen
. So kam der Tiefstand. Neueres ökumenisches Besinnen
findet eine neue Stellung zu dieser Märtyrerkirche
, vielleicht könnte es auch ihre Religiosität unbefangen
zunächst einmal darstellen. Jeder, der mit dem
außerchristlichen Orient zu tun hat, wird dafür nur
dankbar sein. Und für den christlichen Theologen würde
es den Gewinn in sich selbst tragen, wenn er an dieser
orientalischen Form seiner aus dem Orient stammenden
Religion manchen Zug des Urchristentums weiterlebend
oder versteinert noch lange erhalten wiederfindet.

Gießen. R. S t r o th m ann.

Richter, Prof. Dr. Julius : Die Religionen der Völker. München:
R. Oldenbourg 1923. (IV, 110 S.) gr. 8°. Rm. 3.50.

J. Richters Religionsgeschichte gehört in den
Kreis der erfreulichen Erscheinungen, die zeigen, wie
sich auch auf deutschem Boden mehr und mehr die
Erkenntnis von der Notwendigkeit des Studiums Allgemeiner
Religionsgeschichte Bahn bricht. Zweierlei
zeichnet diese Darstellung aus, einmal das Bestreben,
durch Heranziehung authentischer Texte in den originalen
Geist der einzelnen Religionen einzuführen —
besonders dankbar dürfte man hier die Mitteilung einiger
Lieder von indischen Bhaktidichtern begrüßen —, sodann
die Charakteristik der einzelnen Religionen unter dem
Gesichtspunkt, wie sie sich als erbauende oder hemmende
, förderliche oder hinderliche Kräfte im Leben der
Völker ausgewirkt haben. Im Übrigen wird man
bei der Knappheit der Darstellung einer Schrift,
die in erster Linie als Handreichung für Schüler der
obersten Klassen unserer Gymnasien und Seminare gedacht
ist, mehr als allgemeine Orientierungen nicht erwarten
dürfen. Immerhin vermisse ich in der Darstellung
der Religionen Indiens eine Erwähnung des
Jainismus oder der Sikhs; auch kommt der Mahäyäna-
Buddhismus nicht zu seinem Recht, selbst der japanische
wird nur mit ein paar Zeilen abgetan. Überhaupt erscheint
Japan (mit etwas über einer Seite) China gegenüber
, dem 9V2 Seiten gewidmet sind, recht stiefmütterlich
behandelt. Für wünschenswert hätte ich auch einige
Winke über die wichtigste religionsgeschichtliche Literatur
gehalten. Aufgefallen sind mir einige Unrichtigkeiten
und Druckfehler.

S. 2: Für „wakat" (neben „orenda") ist doch wohl wa-
konda (allenfalls wakan) zu lesen; — ebenda Anm. 1 ist die
A. Deichert'sche Verlagsbuchhandlung in Adlichertsche verschrieben.
— S. 11: Ninib ist veraltete Lesung. — S. 14: von dem Scheol,
1. der Sch. — S. 22. Nach dem Wortlaut müßten auch Sophokles
und Euripides dem ö. Jh. angehört haben. Ebenda wird Asha Vahish.ta

mit der „fruchtbaren Erde" statt mit dem „Feuer" zusammengebracht,
S. 23 Spenta Armaiti mit dem „Wasser" statt mit der „Erde"; in
Wirklichkeit ist das Wasser Haurvatät unterstellt. — S. 39: die Anfechtung
„Mars" statt: Maras (richtig S. 43). — S. 47: Avatoren,
1. Avataren. — S. 64: Schu king ist nicht das Buch der Lieder und
Schi king nicht das Buch der geschichtlichen Urkunden, sondern umgekehrt
. — S. 76 ist der Gott der zweiten Pflügung nicht Reparator
sondern Redarator. — S. 77: die Nodotus; wenn schon der Artikel,
dann der männliche! — S.81: die Kuh Andumla, 1. Audumla. — S.
86 (irrtümlich 68 gedruckt): Daß Ps. 20 „mit Recht" David zugeschrieben
werde, ist mir angesichts von V. 6: „im Hause Jahwes"
nicht recht begreiflich.

Im Ganzen aber dürfte R.'s Buch, das auf beschränktem
Raum das Wesentliche verständnisvoll und
in gut lesbarer Form bietet, wohl dazu angetan sein,
seinen Zweck zu erfüllen.

Göttingen. Alfred B e r t h o 1 e t.

Vatter, Kustos Priv.-Doz. Dr. phil. Ernst: Der australische
Totemismus. Mit 3 Kartenskizzen im Text u. e. Kte. Hamburg
(13, Binderstr. 14: Museum f. Völkerkde.) 1925. (VIII, 158 S.) 4°.
= Mitteilgn. aus d. Museum f. Völkerkde. in Hamburg 10.

Rm. 12—.

Nachdem 1910 Frazers vierbändiges Werk Tote-
mism and Exogamy erschienen und von 1914 ab im
Anthropos eine „Diskussion über die Natur des Totemismus
und die Methode seiner Erforschung" veranstaltet
worden war, hätte man meinen können, daß
sich nun jeder leicht ein Urteil über diese merkwürdige
Erscheinung bilden würde. Daß gleichwohl hier noch
viel zu tun ist, kann auch demjenigen, der es noch nicht
wußte, die vorliegende verkürzte Habilitationsschrift von
Dr. Vatter zeigen, die speziell den australischen Totemismus
behandelt, und auch diese beschränkte Materie noch
nicht erschöpft, geschweige denn gemeistert zu haben
glaubt.

V. gibt in einem 1. Kapitel zunächst eine Übersicht über die
bisherige Behandlung des Gesamtproblems (hier wird auf S. 2 als
Geburtsjahr der wissenschaftlichen Totemismusforschung versehentlich
[s. S. 154] nicht das Jahr 1887, sondern 1881 angegeben) und definiert
selbst den Totemismus als einen „Komplex von Anschauungen
und Institutionen in der Kultur zahlreicher Völker, hauptsächlich Nordamerikas
, Australiens, Indiens, Afrikas, der durch ein bestimmtes
Stück Weltanschauung im wörtlichen Sinn und eine durch sie bedingte
gesellschaftliche Form gekennzeichnet ist. Die totemistische
Weltanschauung beruht auf dem Glauben, daß zwischen dem Menschen
einerseits und Objekten und Phänomenen der außermenschlichen Welt,
also Tieren, Pflanzen, leblosen Dingen, Himmelskörpern, meteorologischen
Erscheinungen usw., eben den Totems, andererseits, eine
innere, für die Existenz des Menschen wesentliche Beziehung besteht;
die totemistische Gesellschaftsform ist die Zusammenfassung der zum
gleichen Totem in Beziehung stehenden menschlichen Individuen
zu einer sozialen Gruppe" (S. 3). Ein 2. Kapitel ist „Quellen und
Quellenkritik. Methodisches" überschrieben und zeigt, „daß trotz der
Fülle der Beobachtungen und Feststellungen und ungeachtet einiger
vortrefflicher Monographien von einzelnen Stämmen oder Stammesgruppen
das Material als ganzes für die Zwecke einer wissenschaftlichen
Verarbeitung dürftig, lückenhaft und vielfach überaus unsicher
ist" (S. 19). Das umfangreichste 3. Kapitel bringt die Materialsammlung
für 128 Stämme, nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet
, nach denen der Stoff dann in den folgenden Abschnitten systematisch
behandelt wird. So ergibt sich zunächst über Wesensart und
Anzahl der Totems: „Die australischen Totems sind teils organischer,
teils anorganischer Natur: Tiere, Pflanzen, Teile von Tieren und
Pflanzen, tierische und pflanzliche Produkte, menschliche und mythologische
Wesen, Mineralien, Himmelskörper, meteorologische Erscheinungen
, geographische Gebilde, Züge der Landschaftsmorphologie,
das Feuer, Waffen und Geräte, endlich ganz merkwürdige Dinge
physiologischer Natur: Geschlechtstrieb, Erbrechen und ähnliches.
Aber die in dieser Aufzählung sich offenbarende Mannigfaltigkeit
kann doch keinen Augenblick darüber hinwegtäuschen, daß, von verschwindend
wenigen Ausnahmen abgesehen, überall, in jedem Stamm
das Tier als Totem an erster Stelle steht, rem zahlenmäßig und,
soweit es sich um Gruppentotcms handelt, auch hinsichtlich der
Bedeutung der durch das Totem repräsentierten Gruppe." „Das
tierische Totem fehlt in keinem totemistischen Stamm, es ist das
einzige, das wirklich universal in Australien auftritt und so wohl als
die älteste Form des Totems auf australischem Boden anzusprechen
ist. Wahrscheinlich darf der Tiertotemismus nicht nur in Australien,
sondern ganz allgemein als die primäre Form des Totemismus,
soweit sie durch die Wesensart des Totems bestimmt ist, gelten"