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Ausgabe:

1926 Nr. 18

Spalte:

467-471

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Die Auferstehung der Toten 1926

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 18.

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künstlich hergeholt sein, daran ist nicht zu zweifeln, daß
die Gestaltungskraft der israelitisch-jüdischen Dichter
durch die altorientalischen Vorstellungen bereichert
wurde. Zum Schluß bespricht Verf. Jes. 53, worin er
eine Messiasweissagung erblickt. Er trägt die bedeutsame
Hypothese vor, der leidende Gottesknecht sei der
Gegentypus des babylonisch-assyrischen Königs, der alljährlich
stellvertretend für sein Volk den Sühneakt auf
sich genommen habe; dieser babylonische Kultvorgang
sei in Jes. 53 durch das stellvertretende Leiden des
messianischen Heilands überboten. Überall also findet
Verf. das gleiche Ergebnis: die Heilandserwartung selbst
ist urisraelitisch, die Darstellungsmittel sind gemeinsemitisch
, ja altorientalisch; aber das Einzigartige des
Glaubens ist das Entscheidende.

Alles in allem haben wir es hier mit einem beachtenswerten
Buch zu tun, durch das unsere Kenntnis bereichert
und unsere Forschung angeregt wird.

Tübingen. P- Volz.

Barth, Prof. D. Karl: Die Auferstehung der Toten. Eine
akademische Vorlesung über 1. Kor. 15. München: Chr. Kaiser
1924. (VII, 125 S.) gr. 8°. Rm. 2.80; Halbl. 4—.

Das Buch sollte nach dem eigenen Worte Barths
eine „Erklärung von 1. Kor. 15 im Zusammenhang des
eisten Korintherbriefes" heißen; und in der Tat nimmt
der Nachweis dieses Zusammenhanges, ein Überblick
über cap. 1—14 fast die Hälfte der Schrift ein. Er soll
zeigen, wie alles Vorhergebende mit dem einzigen Blick
auf cap. 15 geschrieben sei. Mögen auch vielerlei Stationen
sich finden, auf denen zu verweilen die inneren
und äußeren Verhältnisse der korinthischen Gemeinde
nötigen, so ist es doch immer ein und derselbe Weg, der
unverrückt festgehalten wird; und er führt, nachdem in
cap. 13 ein plötzlicher Hinweis auf die letzten und
„wirklich letzten Dinge" gegeben ist, zu der „Schlüsselstellung
" des cap. 15, das nun nackt und ernst von
diesen Dingen redet. Und welche Ausblicke auch dieser
Weg auf die vielfältigsten und bestgemeinten Regungen
und Strebungen zeige, es ist immer doch nur der
eine Blick, der sich öffnet: Von Gott her und zu Gott
hin. Dieser Blick enthüllt das Maß, an dem alle Gnosis
ihrer eigenen Brüchigkeit inne wird (cap. 1—4), dem
alle menschliche Vitalität nicht entrinnen kann (cap.
5. 6), vor dem alle sexuelle Askese ebenso Halt macht
wie aller Libertinismus (cap. 7); an ihm mißt sich alle
individuelle Freiheit wie gut sie auch sonst begründet
sei (cap. 8—10), aus ihm folgt die Pflicht der Ehrfurcht
und Demut in gottesdienstlichen Feiern (cap. 11),
an ihm bestimmt sich die Notwendigkeit der inneren
Einheit und Ordnung, die allen Geistesgaben ihre
Schranken setzt (cap. 12—14).

Mit leidenschaftlicher Stärke wird diese eine und
alles verknüpfende Norm artb rov &eov als die „sachliche
Einheit" hingestellt, der alle Einzelbetrachtungen
sich eingliedern, mögen sie auch noch so disparate
Gegenstände behandeln. Freilich wird nicht deutlich,
was hier unter sachlicher Einheit zu verstehen ist, die die
cap. 1—14 zu einem Ganzen verbindet. Unleugbar ist,
daß eine einheitliche Anschauung jedes Wort des Paulus
' trägt, zu welchem Punkte immer er sich äußere.
Sie ist persönlich bestimmt, denn einer und derselbe
hat diese Capitel in einer bestimmten geschichtlichen
Situation geschrieben, sie ist ebenso sachlich bedingt,
denn in allen Darlegungen ist von der einen Größe des
Evangeliums die Rede. Aber diese Ganzheit kann mit
„sachlicher Einheit" hier nicht gemeint sein; sie ist
eine Selbstverständlichkeit, mag es vielleicht auch nützlich
sein, sie gegenüber allzu negativ kritischen Zer-
faserungsversuchen zu betonen. Und Barth erklärt
selbst, daß er Anderes meine. Der Sinn dieser Einheit
ist an die eine „allerdings entscheidende Voraussetzung"
gebunden, „daß Paulus wenn er von Gott redet, wirklich
Gott gemeint hat". Diese „Wirklichkeit" aber ist eine
Wirklichkeit des Glaubens, der' „über die Geschichte

hinaus" in den Aussagen einer heiligen Vergangenheit
sich selbst wiederfindet. Er schafft freilich Einheit in
allen disparaten Aussagen, er bildet alle geschichtlichen
Anlässe zu dem Material um, aus dem ihm die eine und
einzige Erkenntnis Gottes ,~wie im Spiegel" entgegenschaut
. Aber alsdann handelt es sich auch nicht mehr um
die geschichtliche Gegebenheit dieses einen urchristlichen
Dokumentes, sondern um die zeitlose Gegenwärtigkeit
einer kanonischen Schrift, nicht um gegenständliche
Erkenntnis, sondern um glaubensmäßige Wertung
, und die Exegese hat sich aus den Bezirken der
wissenschaftlichen Diskussion in den Raum der Setzung
hinaufgeschwungen. Diese Setzung meint „wirklich
Gott", sie bedarf einer Begründung nicht mehr, sondern
schöpft aus sich selbst das nicht anzutastende Recht und
die ihr gemäße Eigentümlichkeit der Auslegung. Ihr
billigt man denn auch zu, daß unter den a^/ovxeg tov
ahovog xovroo auch „die höchsten und besten Weltkräfte
" oder unter der „Milch", mit der Paulus die
Korinther getränkt zu haben erklärt, nicht Milch, sondern
„feste Speise" zu verstehen sei. Denn Grund und
Ziel dieser Erklärung ist nicht, das geschichtlich Gewesene
zu erforschen und darzustellen, sondern das in
der Wirklichkeit des Glaubens zeitlos Seiende. Freilich
ist dann die von solchem Glauben aus geforderte und
gesetzte „sachliche Einheit" alles andere als die Einheit
dieses geschichtlichen Schreibens des geschichtlichen
Individuums Paulus an die geschichtliche Gemeinde zu
Korinth. Soll beides doch eines und dasselbe sein, so
sind methodisch scharfe Grenzen verwischt. Und Barth
bestätigt diese Verwischung, wenn er konstatiert, daß
von den Gedanken aus, die in 1. Kor. 15 ausgesprochen
sind, die die capp. 1 —14 zusammenbinden, man „auch
den Römer-, den Philipper-, den Kolosserbrief verstehen
muß". Denn damit ist zugestanden, daß der Aufweis
dieser „sachlichen Einheit" mehr leiste als den geforderten
Nachweis, daß „das Kapitel von der Auferstehung
der Toten nicht isoliert im Zusammenhange des
ersten Korintherbriefes dastehe". Es ist zuviel bewiesen
, wenn man einmal diesen „Beweis" hinnehmen
will, und es ist damit das Entscheidende nicht bewiesen.

Ein zweiter, kürzerer Teil präzisiert scharf die Stelllag und
Bedeutung des 15. Kapitels. Es ist in ihm von den letzten Dingen
die Rede, die zugleich die ersten sind. Es ist also Esehatologie, freilich
nicht in dem gewöhnlichen Mißverstände, der in einer imaginären
Sphäre am ungewissen Schluß einer unbestimmt verstreichenden Zeit
naturhafte und geschichtliche Katastrophen und Revolutionen, Seligkeiten
und Unseligkeiten vermutet, sondern in dem einzig möglichen
und einzig wirklichen glaubensmäßigen Sinne, in dem Esehatologie
immer und niemals gesetzt ist, in dem sie nicht nur „ein Stück
des Glaubens, sondern das Ganze des Glaubens ist". In ihr wird das
i Jenseits aller Zeit der notwendige und wirkliche Ort des Glaubens
Mit nachdrücklicher Schärfe wird dieser ursprüngliche und sachliche
Sinn der „letzten Dinge" gegen rationalisierende Mißverständnisse
geltend gemacht, und man wird solchen Sätzen nur zustimmen können
Das Wort, das dabei fällt, Esehatologie sei also „Methodologie der
apostolischen Predigt", ist freilich wenig glücklich, denn es überträgt
einen Begriff von scharfer wissenschaftlicher Bestimmtheit auf
ein Oebiet, das eine methodische Begründung nicht duldet und nicht
dulden darf. Auch darüber hinaus finden sich vielerlei Wendlingen,
die den unlöslichen sachlichen Zusammenhang von Glauben und Erkennen
zerreißen und damit ihren ebenso notwendigen sachlichen
Gegensatz abstumpfen. Dem Begriff des Erkennens schiebt sich nicht
selten der verwaschene Begriff des landläufigen Meinens unvermerkt
unter, vor dem es der Glaube leicht hat, in eigener Selbstgenügsamkeit
zu thronen, und aus dem sachlich bedingten Gegensatz wird
ein geschichtlich gegebener dieser „unserer Notzeit". Davon wird
gleich noch die Rede sein müssen. Schon hier aber entsteht die
Frage, ob eben dieser sachliche Gegensatz, der mit dem Begriff des
Glaubens gesetzt ist, sich rein in dem 15. Kapitel äußere, und sie
wird noch dringlicher, wenn dieser Gegensatz wieder unmittelbar in
den Differenzen der Meinungen gefunden werden soll, von denen das
Kapitel Kunde gibt. Die historische Frage, wie es eigentlich gewesen
ist, bleibt auch hier nicht von der anderen geschieden, was für der.
Glauben der zeitlose Sinn dieses Gegensatzes ist. Gewiß ist diese
letzte Frage nach dem sachlichen Gehalt dieser geschichtlichen Differenzen
notwendig, und von ihrer Beantwortung hängt auch die Frage
nach dem Gewesenen unmittelbar ab, damit man im Stande sei, um
ein bekanntes Wort Wilhelm Windelbands zu gebrauchen, die Gründe