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Ausgabe:

1926 Nr. 18

Spalte:

465-467

Autor/Hrsg.:

Dürr, Lorenz

Titel/Untertitel:

Ursprung und Ausbau der israelitisch-jüdischen Heilandserwartung 1926

Rezensent:

Volz, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 18.

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nicht ganz klar erfaßt und durchschaut hat, wird immer
wieder der Ansicht verfallen, daß der Buddha als Endziel
die Vernichtung der Persönlichkeit oder des Ichs
lehre"), und daß man den Buddhismus mit demselben
Rechte Optimismus wie Pessimismus nennen kann, weil
die Daseinserscheinungen wegen ihrer Vergänglichkeit
zwar einerseits leidenvoll, auf der anderen Seite darum
aber auch nicht ernst zu nehmen sind. In diesem Nicht-
ernst-nehmen besteht eben das Nibbäna, wie ich mündlich
und schriftlich ausgesprochen habe. Eine kurze
(schonende) Bemerkung über den ersten dieser beiden
Essays ist schon in Th. Lzg. 50 Nr. 16 Sp. 366 gemacht.
Königsberg i. Pr. R- O. Franke.

Sellin, Prof. Dr. E.: Einleitung in das Alte Testament. 4., neu

bearb. Aufl. Leipzig: Quelle & Meyer 1025. (XV, 176 S.) S°.

geb. Rm. 6.80,

Die bisherigen Auflagen sind in dieser Zeitung 1910
Sp. 737f., 1915 Sp. 45; 1921 Sp. 172 angezeigt. Auch
diese Auflage ist wieder an allen Stellen ergänzt und
nachgebessert, wo die fortschreitende wissenschaftliche
Diskussion das erforderte. Es sind, wie der Vf. erklärt,
nur 3—4 Paragraphen von der Umarbeitung unberührt
geblieben. Trotz des Wachsens des Stoffes, ist durch
die Einrichtung des Druckes es möglich geworden,
den Umfang gegen die 3. Aufl. um ca. 10 Seiten zu
verkürzen. Das Ganze ist ein praktisches und zuverlässiges
Hilfsmittel, sich ausreichend über den Stand
der Forschung bezüglich der zahlreichen Probleme der
Einleitungswissenschaft zu orientieren. Und das ist ja
die wesentliche Aufgabe eines solchen Handbuches,
Über Einzelheiten sich mit dem Verf. aus einanderzu-
setzen, ist hier nicht der Ort.

Königsberg i. Pr. Max Lohr.

Dörr, Priv.-Doz. Dr. theol. et phil. Lorenz: Ursprung und Ausbau
der israelitisch-jüdischen Heilandserwartung. Ein Beitrag
zur Theologie des Alten Testaments. Berlin: C. A. Schwetschke
8> Sohn 1925. (XVI, 161 S.) gr. 8°. Rm. 6—.

In seinem wertvollen Überblick über die Aufgaben der
A. T.-Forschung ZAW. 1924 stellte Greßmann den Satz
auf: „Heute kann das Alter der messianischen Weissagungen
nicht mehr bestritten werden, da die ägyptischen
Vorläufer bekannt sind und bis ins 3. Jahrtausend
zurückreichen. Darum ist das Urteil nicht zu hart,
daß die Literarkritik einem Manne wie Jesaja das Herz
ausgerissen hat, als sie ihm die Verheißung des Messias
nahm." In diesem Satze steckt ein doppelter Irrtum.
Einmal ist es nicht richtig, Alter und Echtheit einfach
gleichzusetzen; ein Prophet kann auch die urälteste
Weissagung ablehnen. Sodann aber gibt es gar keine
ägyptische Messiasweissagung und keine ägyptischen
Vorläufer dazu; auch Greßmann ist den Beweis dafür
völlig schuldig geblieben. Es ist das Verdienst der
Monographie Dürr's, daß er mit diesem Dogma der altorientalischen
Eschatologie, besonders der altorientalischen
Messianologie aufräumt; hoffentlich hat er diesem
mythischen Drachen, einem Rest des Panbabylonis-
mus, den Todesstoß gegeben. Mit gründlicher Sachkenntnis
prüft er die ägyptischen und babylonischen
Quellen durch und kommt bei den ägyptischen Texten zu
dem Ergebnis: „daß von einer wirklichen Weissagung
nirgends die Rede sein kann", und daß in Ägypten die
Messiasgestalt fehlt; bei den babylonischen: daß man
von einem Unheil-Heilsschema nicht sprechen kann,
daß die Lehre von den Weltzeitaltern nirgends klar zum
Ausdruck kommt, daß vor allem „der eigentlich messia-
nische König der Endzeit nie im Ägyptischen, auch im
Babylonischen nicht zu finden ist". Dies entspricht in
der Tat dem Quellenbestand, und es wäre hohe Zeit, daß
diese bloßen Behauptungen vom altorientalischen Messias
und von der altorientalischen Eschatologie verstummen
würden, die in der alttestamentlichen Wissenschaft so
viel Verwirrung angerichtet haben. Verf. hätte noch
einen Schritt weiter gehen können zur grundsätzlichen
Verneinung. Man kann einen einleuchtenden Grund dafür
angeben, warum im alten außerisraelitischen Orient
der großen Nationen die Messiasidee nicht gedeihen
konnte: in Babylonien, noch mehr in Ägypten galt der
gegenwärtige König, der verkörperte Staat, als Gottessohn
, als Gott; der Gegenwartsbesitz des göttlichen
Königs schließt die Sehnsucht nach einem göttlichen
König aus; der Kern des Messiasglaubens aber ist die
Sehnsucht.

Nach Ansicht des Verf. bleibt also nur der innerisraelitische
Ursprung des Messiasglaubens. Das
Ursprungsgebiet ist nicht der Mythus (Gunkel, Greßmann
), denn von einem Weltuntergang ist in der alten
Eschatologie nirgends die Rede; auch nicht der Kultus
(Mowinckel), denn dann müßten auch die andern Völker
die eschatologische Sehnsucht haben; das Ursprungsgebiet
ist der Erwählungsglaube, also eben der
spezifisch israelitische Besitz, und damit ist nahegelegt
, daß die eschatologische Spannung so alt
ist wie der Erwählungsglaube und bis zum Erlebnis
am Sinai zurückgeht (Sellin). Verf. sucht dann im
einzelnen klar zu machen, wie diese eschatologische
Spannung gerade im Königsglauben und im Glauben an
das Davidshaus ihren Ausdruck fand. Mit der Annahme
des innerisraelitischen Ursprungs und des Zusammenhangs
mit dem Erwählungsanspruch bin ich einverstanden
. Im übrigen mache ich folgende Fragezeichen
zu den Ausführungen des Verf.: 1) Die eschatologische
Erwartung kann schwerlich als Erwartung des Gesamtvolkes
bezeichnet werden. Selbst in erregtesten
Zeiten nimmt nur ein Teil des Volkes an der eschato-
logischen Spannung teil; das wird auch im erwählten
Volk nicht anders gewesen sein. Es müßte also untersucht
werden, welcher Volkskreis Träger des eschato-
logischen Glaubens war. 2) Kann man in der Tat
von einer feststehenden vorprophetischen
Eschatologie sprechen? Daß man in gewissen
Kreisen vor Arnos den „Tag Jahwes" erwartete, hat nie
jemand bezweifelt. Ist aber auch z. B. die Erwartung
eines „Restes" schon vorprophetisch? ist Gen. 49, 11 f.
eschatologisch zu exegesieren? ebenso die Bileam-
sprüche? Und wenn diese wenigen Stellen und Aussagen
wirklich eschatologisch wären, gibt das dann schon eine
„feststehende Eschatologie" und ein bündiges Dogma,
das von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurde?
3) Verf. macht wie Greßmann aus „vorprophetisch"
ohne weiteres den Sprung zu „echtprophetisch"; die
Propheten haben, meint er, diese alten Vorstellungen aufgenommen
und gereinigt. Aber Arnos hat doch z. B. den
„Tag Jahwes" nicht bloß „gereinigt", sondern in sein
Gegenteil verkehrt; er hat in 9, 7 den Erwählungs-
glauben nicht bloß gereinigt, sondern einfach abgelehnt.
Es ist also durchaus möglich, daß Jesaja den alten
Messiasglauben (vorausgesetzt daß er da war) nicht bloß
gereinigt, sondern in sein Gegenteil verkehrt oder abgelehnt
hat. Man kann nach alledem die These vom unprophetischen
Messias nicht als eine „jetzt überholte"
Anschauung abweisen, wie Verf. tut. Ich selbst habe sie
nie aufgegeben, und Hölscher oder Fullerton, um nur
diese zwei Namen zu nennen, sind wertvollste Bundesgenossen
. Die Hauptsache bleibt übrigens die Erkenntnis
, daß die Messiassehnsucht unterprophetisch, volkstümlich
war; daneben ist die literarkritische Frage von
geringerem Belang.

In einem weiteren Abschnitt behandelt Vf. den Ausbau
der israelitischen Heilandserwartung und den Einfluß
gemeinorientalischer Königsmotive auf die Ausgestaltung
des innerisraelitischen Heilandsbildes im einzelnen
. Auf Grund seiner Kenntnis altorientalischer
Quellen gibt er hier bemerkenswerte Beiträge dazu, wie
aus dem altorientalischen „Hofstil" der „König' der
Gerechtigkeit", die ewige Dauer (Mi 5, 1) und die Weltgeltung
des messianischen Königtums, die messianische
Segensfülle, besondere Namen des Heilskönigs („Stern
aus Jakob", „Sproß Davids"), der Messias als „guter
Hirte" verständlich werden. Mag hier manches etwas