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Ausgabe:

1926 Nr. 17

Spalte:

449-450

Autor/Hrsg.:

Schuhmacher, Tony

Titel/Untertitel:

Was mein einst war. Erinnerungen aus den späteren Jahren 1926

Rezensent:

Meyer, Philipp

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Seite 1

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449

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 17.

450

Auch das nächste, „Die Religion der Immanenz"
ist im wesentlichen zutreffend dargestellt. Nur ist
Kierkegaard in zu große Nähe von Kant gerückt worden.
Das Gute, das man wollen soll, wenn man Eines zu
wollen gesinnt ist, ist bei Kierkegaard nicht rein formal
aufgefaßt. Auch die lange Beichtrede geht in der
Wirklichkeit von der christlichen Offenbarung aus. Aber
gerade die lange Beichtrede hätte den Verfasser davor
warnen sollen, die beiden letzten Hauptabschnitte so dogmatisch
zu formen. Das Eigentümliche der Beichtrede
ist grade, daß kein Gedanke gilt, wenn er nicht in die
Tat umgesetzt wird. Und diese Eigentümlichkeit hat
noch mehr Kierkegaards Auffassung des Christentums
zu durchdringen.

Wäre dieses berücksichtigt, dann hätte der Verfasser
das Buch verlängern müssen. Denn dann hätte
er die schwierigsten Fragen der ganzen Kierkegaard-
forschung Gel eindringlicner behandeln müssen. Jetzt
ist die Behandlung ganz überwiegend dogmatisch ausgefallen
. In dieser Rücksicht ist es ein großer Schade,
daß Gilg die Werke von Torsten Bohlin nicht hat
lesen können. Ob ich auch nicht mit Bohlin einig
bin, meine ich doch, daß er die eigentlichen Schwierigkeiten
in der Kierkegaardschen Auffassung von Sünde
und Gnade aufgezeigt hat, mit denen die Forschung
ringen muß, wenn sie das Wertvolle von dem
Schiefen bei Kierkegaard sondern will. Auch die Arbeiten
von dem dänischen Forscher P. A. Heiberg,
dem Herausgeber der Papiere, sind für das Studium von
Kierkegaard unentbehrlich, sowohl seine Untersuchungen
über die Jugendentwickelung wie über die religiöse Ent-
wickelung in den Jahren 1846—1851. Diese Werke
lassen den Leser verstehen, daß Kierkegaards Schriften
nicht nur für Leser geschrieben sind, sondern daß sie
allererst die Bedeutung haben, ihm selbst durch die religiösen
Krisen zu helfen. Vieles, was in „Krankheit zum
Tode" befremdet, findet seine Erklärung daraus.

Kopenhagen. E." Geismar.

Lehenbauer, Albert: Roughing it for Christ in the Wilds
of Brazil. Third Edition. Zwickau: J. Herrmann. (53 S. m. Abb.)
8°. Rm. 1—.

Der junge Missouricr L. wird von seiner Kirche nach der brasilianischen
Provinz Rio Grande do Sul gesandt, um in Urwahn-
fried ganz im Hinterland, nicht weit vom mittleren Uruguay
Flusse, im alten Stammesgebiete der aus der Missionsgeschichte bekannten
Ouarani einen kirchlichen Missions- und Evangclisations-
posten unter einer Gruppe dort von der Regierung angesiedelter
russischer Lutheraner anzulegen. Die Werbe- und Wühlarbeit der
Missouricr in dieser von deutsch-evangelischer Seite gepflegten Kirchenprovinz
ist unerfreulich. Trotzdem liest man gern die frischen Berichte
des jungen Mannes, die übrigens nichts bemerkenswertes enthalten
.

Berlin. J. Richter.

Wegener, Hermann, S. V. D.: Opferleben und Opfertod. Lebensbilder
v. sechs Märtyrer-Missionaren in China u. Korea. 8.— II.
Tsd. Steyl: Missionsdruckerei (1924). (210 S. m. Abb.) kl. 8°.

geb. Rm. 3.30.

Sechs Märtyrerbiographien von fünf französischen und einem an
der französischen Grenze geborenen und ganz im französischen Geiste
lebenden Missionaren, die zum Teil in jugendlichem Alter ihrem damals
— in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts — gefährlichen
Berufe in Ostasien zum Opfer gefallen sind. Das Buch hat nicht
geschichtliches, sondern asketisches Interesse. Die Skizzen sind in
dem üblichen sehwulstigen Stile der Heiligengeschichten und mit
vielen eingestreuten, überspannten Mahnungen zur Nachahmung solches
hciligmäßigen Lebens und einer verhimmelnden Bewunderung des
Märtyrertodes geschrieben.

Berlin. J. Richter.

Schuhmacher, Tony: Was mein einst war. Erinnerungen
aus den späteren Jahren. Stuttgart: Quell-Verlag. (174 S.) kl. 8°.
Zu den Quellen der Darstellung einer kirchcngeschichtlichen
Epoche gehören auch Biographien. Als solche für die Geschichte der
Frömmigkeit in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kann ich
das Buch zur Anzeige bringen. Das Leben dieser Tochter eines
wüTttembergischen Generals und späteren Kriegsministers verläuft in
den höchsten Schichten der alten Gesellschaft: Aus den pietistischen

Beeinflussungen in der Jugend macht sich die christliche Oberzeugung
der Verfasserin bald frei und erwächst zu einer Freiheit,
Sicherheit und Attsgeglichenheit, die Frohes und Schwerstes überwindet
: So kann sie als Typus der religiös-sittlichen Lebensführung
ihrer Epoche aufgestellt werden.

Hannover. Ph. Meyer.

Richert, Minist.-Rat Hans: Philosophie, ihr Wesen, ihre Grundprobleme
, ihre Literatur. 4. Aufl., 18.—20. Tsd. Leipzig: B. G.
Teubner 1925. (129 S.) kl. 8°. = Aus Natur u. Oeisteswelt,
Bd. 186. geb. Rm. 2—.

Das Büchlein gehört zu denjenigen Einführungen, die ihr Ziel
durch einen ersten Oberblick über die Philosophie und ihre Aufgaben
anstreben. Der Unistand, daß es in 4. Auflage erscheint, beweist das
Bedürfnis nach solchen Einführungen enzyklopädischer Art. Dennoch
soll man ihre Gefahr nicht verkennen. Sie besteht darin, daß der
Anfänger die bequeme Obersicht nicht als das benutzt, als was sie
gedacht ist, nahm lieh als Sprungbrett zu der nunmehr einsetzenden
selbständigen und wissenschaftlichen Arbeit, sondern als Faulbett. In
diesem Falle wird nicht philosophische Bildung erzeugt, sondern
Halbbildung, welche schlimmer sein kann als Unbildung. Ich meine
daher, daß man dem Anfänger zunächst lieber solche Bücher in die
Hand geben sollte, welche ihn zwingen, durch Selbstdenken sich erst
einmal einen Begriff dessen zu erarbeiten, was philosophieren heißt;
ein Oberblick über die Problemstellungen, in die der Oberbegriff des
Philosophierens auseinanderstrahlt, wäre dann ein Sekundäres, wenn
auch gewiß Wünschenswertes (vgl. hierzu den Versuch meiner „Einführung
in das philosophische Denken", Teubner 1923). Unter
diesem Vorbehalt aber ist das vorliegende Büchlein in der Tat als
musterhaft zu bezeichnen. Die Probleme werden nicht nur rubriziert,
sondern in ihrer wissenschaftlichen Struktur klar gezeichnet. Eine
ausführliche Bibliographie zeigt die Wege auf, die den ernstmeinenden
Anfänger zur weiteren Vertiefung führen können. Insofern wird das
nur wenig veränderte Werk unter allen Umständen zu empfehlen sein
Kiel. W. Bruhn.

Brentano, Franz: Versuch über die Erkenntnis. Aus seinem
Nachlasse hrsg. v. Alfred Kastil. Leipzig: F. Meiner 1925. (XX,

222 S.) 8°. Rm. 7.50; geb. 9—.

Eine Nachlaßveröffentlichung Franz Brentanos darf mit berechtigten
Erwartungen begrüßt werden. Denn Brentano hat nicht
nur als Aristotelesforscher, als Psychologe und Ethiker Bedeutendes
geleistet, sondern über seine literarische Wirksamkeit hinaus auf
manche bedeutenden Denker, wie Husserl und Stumpf, einen tiefen
Einfluß geübt; er wurde auch von solchen, die in der Sache ihm ferner
standen,wie Natorp, stets mit größter Achtung genannt. Der Herausgeber
verweist denn auch im Vorwort darauf, daß Brentano sich lieber
in die Probleme selbst vertiefte, als daß er um die Publikation
seiner Arbeiten sich sonderlich mühen mochte. Vielleicht hätte
dieser Tatbestand den Herausgeber davon abhalten sollen, für die
vorliegende Aufsatzreihe einen Titel zu wählen, der sie bcabsichtigter-
weise an die großen Werke von Locke und Leibniz anknüpft. Denn es
ist zwar dankbar zu begrüßen, daß auch diese Schrift Brentanos doch
noch das Licht der Publizität erblickt, aber vor allem, weil sie einen
auch durch die Schärfe des Urteils unverschleierten Einblick in Brentanos
eigene Gedankenwelt und historische Auffassung erlaubt; weniger
weil von ihr eine weittragende Förderung der systematischen Diskussion
zu erwarten wäre. Die I, Abhandlung (1903) „Nieder mit
den Vorurteilen" will ein Mahnruf an die Gegenwart im Geiste von
Bacon und Descartes sein. Sie will vor allem Kants synthetische
Urteile a priori als das eigentliche Kernstück einer Philosophie der
Vorurteile unschädlich machen, und sucht daneben für die Bereiche der
Analysis a priori und der Evidenz, als den Grundlagen der wissenschaftlichen
Philosophie, erweiterte Geltung sicherzustellen. Weiter
wird der rein analytische Charakter der mathematischen Gewißheit an
Arithmetik und Geometrie gesondert erwiesen. Betrachtungen über
Induktion und Kausalgesetz schließen sich an. Eine kürzere 2. Abhandlung
(1916) behandelt das Wahrscheinlichkeitsproblem. Die Anmerkungen
des Herausgebers beschränken sich im allgemeinen auf
eine sachgemäße Erläuterung einzelner Stellen aus der Gesamtauffassung
Brentanos heraus. Angefügt ist ihnen noch ein Brief Brentanos
aus dem Jahr 1900 über das Parallelenproblem.

Bremen. Hinrich K n i 11 e r in e y c r.

Caspary, Dr. |ur. Adolf: Geschichte der Staatstheorien im
Grundriß. Mannheim: J. Bensheimer 1924. (VII, 98 S.) 8°.

geb. Rm. 3.50.

Das kleine Bändchen ist ein Stück aus der Bens-

heimerschen Sammlung von Grundrissen der Rechtswissenschaft
, deren Tauglichkeit für den Zweck einer ersten
Einführung und eines gedrängten Überblicks wohl allgemein
anerkannt ist. Dies gilt auch von diesem Grundriß
der Staatstheorien, der auf dem gedrängten Raum