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Ausgabe:

1926 Nr. 17

Spalte:

444-445

Autor/Hrsg.:

Riekel, August

Titel/Untertitel:

Die Philosophie der Renaissance 1926

Rezensent:

Blanke, Fritz

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 17.

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der Herr aller Kirchenämter sei und sie, wenn er wolle,
auch verkaufen könne, steht ihm fest; fraglich sei nur,
meint er, ob — der Käufer sie auch mit demselben
Rechte erwerben dürfe! (S. 217). Ein Gewissen braucht
also nicht der Hirte zu haben, sondern nur das Schaf!
Sehr lehrreich ist dagegen die Reformdenkschrift, die
die eifrigen Camaldulenser Quirin und Justinian, ebenfalls
gehorsame Söhne des römischen Pontifex, Leo X.
vorlegten (S. 227 ff.). Treten sie doch darin für Verbreitung
der hl. Schrift in der Volkssprache, für Gebrauch
der Muttersprache im Gottesdienst, für Zusammenfassung
des giltigen Rechtsstoffes mit Aus-
merzung alles Veralteten und Überflüssigen ein. Allem
Aberglauben soll scharf zu Leibe gerückt werden, und
dazu rechnen sie neben andern Bräuchen auch den, ,daß
verschiedene Heilige als Helfer in verschiedenen Krankheiten
angerufen werden, als hätten die Heiligen im
Himmel ihr besonderes Gewerbe, oder als wäre der
Schöpfer und alleinige Helfer in allen Nöten außer Kurs
gesetzt' (S. 238). Andere Vorschläge bleiben freilich
ganz im Bereich ,augustinisch-mittelalterlichcr Geistesknechtung
' stecken (S. 246). Die Beziehungen Delfins
zu Savonarola (Kap. VII, S. 250ff) konnten bei der
Verschiedenheit der beiden Naturen und ihrer religiösen
Anlagen ,sowie ihrer politischen Bestrebungen auf die
Dauer keine freundlichen sein. Bezeichnenderweise hat
aber selbst ein so mißgünstiger Beurteiler wie D. an
der von neueren Historikern so ins Ungeheuerliche aufgebauschten
,Kinderpolizei' nichts auszusetzen gefunden
als einige Mißgriffe der Knaben bei Rüge des weiblichen
Kopfputzes, und gar nichts an den Kinderprozessionen
und der ,Verbrennung der Eitelkeiten' (S. 258 ff.). Als
aber der Frate trotz des pästlichen Bannes seine Predigten
und kirchlichen Verrichtungen wieder aufnahm,
erging sich D. in höchster sittlicher Entrüstung, und
über seinen erschütternden Ausgang äußert er sich mit
,einer Gemütsrohheit, wie man sie bei einem Priester
und Ordensmann, welcher bei jeder Gelegenheit
mit salbungsvollen Bibelsprüchen um sich warf,
am wenigsten suchen würde' (S. 270). Sein Zwiegespräch
wider Hieronymus aus Ferrara' (S. 271 ff.)
griff allerdings zu Lebzeiten des Frate nicht mehr in
den Streit ein, verrät uns aber die Gedanken, mit denen
der Ordensgeneral den ihn in den kritischen Tagen besuchenden
florentinischen Bürgern aus den Kreisen der
Arrabbiati und Compagnacci den Rücken steifte und
die Bedenken ausredete. Sch. hat es im Anhang samt
60 Briefen Delfins an und über Savonarola zum ersten
Male durch den Druck veröffentlicht (S. 328 ff., 366 ff.).
Die Aufmerksamkeit weiterer Kreise wird das Schlußkapitel
(VIII) erregen ,Zum Leben und Sterben Alexanders
VI' (S. 286 ff.). Als nämlich der hingerichtete
Frate in höchster Gefahr schwebte, nachträglich auch
noch als Ketzer verurteilt zu werden, verfaßte sein
feuriger Verehrer Lukas Bettini (S. 286 ff.) eine Verteidigung
gegen den Vorwurf der Ketzerei, und in einer
Nachschrift gibt er eine Darstellung vom Tode Alexanders
VI., die u. a. mit Berufung auf den Bericht eines
damals als Abgesandter in Rom weilenden Herrn Anton
von Vetralla behauptet, der Papst sei nach seiner Vergiftung
,in medio duarum meretricum, quarum mamillas
manibus complexerat, ita ut pro dolore clamarent, velut
rana' (d. h, in der Wollust) gestorben. Noch schonungsloser
geht ein anderer Mönch von San Marco, Serafin
Razzi (t 1611 im Alter von 81 Jahren), mit dem Borja-
papst ins Gericht (S. 303 ff.). Die in Betracht kommenden
Fragen können hier nicht näher ausgeführt werden.
Man muß die Erörterungen dafür und dawider bei Sch.
selbst lesen. Tatsache ist, daß Alexander VI. die heilige
Hostie und Heiligenreliquien (als Amulette) bei sich zu
tragen pflegte! Auch daran kann nicht mit Grund gezweifelt
werden, daß Cesare der Mörder seines Bruders
, des Herzogs von Gandia war, und daß der päpstliche
Vater das nachträglich auch ahnte (S. 295 ff.).
Für ebenso sicher hält Sch., daß Alexander VI. an dem

Gifte gestorben sei, das er und sein Sohn dem reichen
Kardinal Hadrian zugedacht hätten (S. 314 ff.). In der
Tat spricht dafür eine Reihe von schwerwiegenden Gründen
, und empfindsame Erwägungen sind da, wo es sich
um die beiden Borjas handelt, gewiß nicht am Platze.
Es ist auch nicht so, daß die von Vergiftung redenden
Berichte nur von Auswärtigen stammen, vielmehr gehen
sie auf gleichzeitige römische Berichterstatter zurück,
und die von Vergiftung Schweigenden oder sie Bestreitenden
sind durchaus. nicht besser unterrichtet als die
andern.

Bedenken weckt nur die große Verschiedenheit der Vergiftungsberichte
. Täusche ich mich nicht, so zerfallen sie in zwei Klassen,
von denen die eine das verhängnisvolle Mahi von Kardinal Hadrian
in seinen Gärten veranstaltet sein läßt (so der spanische Gesandte in
Rom, Sanuto in Venedig mit Berufung auf den Gesandten Justinian
in Rom, die Biographie Pauls IV, Sigismund de Conti, Jovius,
Guicciardini), die andere aber von Cesare, und zwar allem nach im
Vatikan (so Kard. Carvajal an Peter Martyr in Spanien, Bettini u
Razzi). Sch. denkt nur an die Villa Hadrians, und da muß auch
in der Tat ein Mahl stattgefunden haben. Aber da war doch, sollte
man meinen, Hadrian der Gastgeber, der den Wein stellte und den
Dienern Weisungen geben konnte, nicht Cesare. Vielleicht ist aus
solchen Erwägungen heraus die Wendung entstanden, daß Cesare das
.Mahl (im Vatikan) veranstaltet habe. Bei Razzi erfährt denn auch
Hadrian von dem ihm befreundeten päpstlichen Aufwärter den Auftrag
, den er wegen Verteilung der Flaschen erhalten hat, und er
gewinnt ihn nun dafür, die Flaschen zu vertauschen. Bei Bettini aber
erhalten durch ein Versehen alle Teilnehmer vom vergifteten Wein.
Anderseits schickt nach Guicciardini Cesare einen Diener mit etlichen
Flaschen vergifteten Weins in die Villa des Kardinals, und der Papst
und Cesare genießen davon durch einen Zufall. Aber hätte nicht eine
solche Sendung beim Kardinal sofort den schärfsten Verdacht wecken
müssen? Bei Sanuto wollen die Borjas vergiftetes Confekt zum
Mahle mitbringen, zu dem sie sich bei Hadrian ansagen, und dieser
besticht dann den päpstlichen Aufwärter, die Schüsseln zu vertauschen
. Bischof Jovius von Nocera erzählt, der Kard. Hadrian
habe ihm selbst gesagt, er habe von dem vergifteten Weine gekostet
und darauf eine solche Hitze in seinen Eingeweiden verspürt, daß
sich seine Augen verdunkelt hätten und ihm das Bewußtsein entschwunden
sei. Eines aber haben die Berichte bei aller Verschiedenheit
gemeinsam: ob das Mahl in den Vatikan oder in die Villa
Hadrians verlegt wird, stets spielt bei der Vertauschung des Giftes,
soweit sie nicht dem Zufall zugeschrieben wird, der päpstliche Aufwärter
, nicht etwa ein Diener Hadrians, eine Rolle.

Es sind wieder bunte Bilder aus der Renaissance,
die Sch. vor uns aufrollt. Die verschiedensten Gestalten
ziehen vorüber, die in ihrer Eigenart, ihren Vorzügen
und Fehlern, Tugenden und Lastern mit kräftigen Strichen
gezeichnet sind. Auch der ,Held' des Buches, der
kein Held war, tritt aus seinen eigenen Briefen lebhaft
in die Erscheinung. Der wahre Held, der alles überschattend
im Hintergrund steht, ist auch in diesem Buche
der seines Gottes volle, für die Reinheit der Kirche
glühende Mönch von San Marco, Savonarola. Und
ihm entgegen steht der Mann, der mit der höchsten
Würde der Kirche die tiefste sittliche Verworfenheit
in sich vereinigte, Alexander VI., den nach seinem Tode
ein Zeitgenosse in bebenden Versen brandmarkte, die in
dem Urteil gipfeln: selbst für die Hölle zu schlecht!
München. Hugo Koch.

Riekel, Priv.-Doz. August: Die Philosophie der Renaissance.

Mit e. Bildnis des Paracelsus. München: E. Reinhardt 1925. (193
S.) 8°. = Geschichte d. Philos. in Einzeldarstellungen, Abt. IV.
Die Philosophie d. neueren Zeit I, Bd. 15. Rm.4—; geb. 5.50.

Die Darstellung der Renaissancephilosophie hat ihre
besonderen Schwierigkeiten. Denn die Philosophie der
Renaissance ist die Philosophie einer Übergangszeit.
Originale Köpfe sind selten, umso reicher ist die Zahl
der Eklektiker, in deren Anschauungen alte und neue
Gedanken oft wahllos nebeneinanderstehen. Das obige
Buch ist ausgezeichnet dadurch, daß es in die verwirrende
Fülle von Ideen und Denkern Übersicht und
Entwicklung bringt. Er erreicht dies durch die Einteilung
seines Stoffes in die drei Hauptabschnitte: Wegbereiter
, Höhepunkt, Auswirkungen. Zu den Wegbereitern
zählt der Verf. z. B. die Akademie der Plato-
niker in Florenz, zum Höhepunkt zählt er vor allem